Essay

Kommunale Gesundheitspolitik – kommunale Sportpolitik

Helmut Digel

Der deutschen Gesellschaft ist die Gesundheit ihrer Bürger[1] ein wichtiges Anliegen. Der Staat wendet sehr viel Mittel auf, um die Bevölkerung im Krankheitsfall zu versorgen. Auch im Bereich der Prävention ist ein erheblicher finanzieller Aufwand zu beobachten. Vor allem die Krankenkassen möchten ihre Mitglieder motivieren und befähigen, für ihre eigene Gesundheit Verantwortung zu übernehmen. Die Versicherten sollen ihr Verhalten ändern. Das Rauchen sollte möglichst ganz aufgegeben werden. Die Versicherten sollen sich mehr bewegen und Sport treiben, sie sollen sich ausgewogen ernähren und sie sollen möglichst wenig Alkohol konsumieren. Menschen, die vermehrt Stresssituationen ausgesetzt sind, sollen die ihnen angebotenen Hilfen zur psychischen Erholung annehmen. Solche Initiativen zielen meist auf ganz konkrete Institutionen unserer Gesellschaft: auf den Kindergarten, auf die Schulen, auf Sportvereine, auf den Arbeitsplatz. Dabei ist überwiegend eine Ausrichtung der Gesundheitsförderung auf das einzelne Individuum zu erkennen.

Gleichzeitig muss man jedoch zur Kenntnis nehmen, dass die Anzahl der von den Menschen krank verbrachten Lebensjahre und ein krankheitsbedingtes vorzeitiges Versterben nicht, wie erhofft, durch die bislang ergriffenen Präventionsmaßnahmen ausreichend gemindert wurde. So steigen insbesondere Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die durch Hypertonie, Diabetes mellitus, Fettstoffwechselstörungen und Adipositas sowie gesundheitsbeeinträchtigende Verhaltensweisen wie Rauchen, körperliche Inaktivität und ungesunde Ernährung ausgelöst bzw. beeinflusst werden. Leider sind in den letzten Jahren zunehmend auch junge Menschen betroffen.

Die Anzahl der jungen Raucher ist leider wieder im Steigen begriffen und aus den Hautkliniken wird berichtet, dass die Anzahl der Hautkrebserkrankungen angestiegen ist, obgleich immer wieder vor den Gefahren des „Sonnenbadens“ gewarnt wird. Auch die Lebenserwartung ist in Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern in den letzten Jahren kaum noch angewachsen.

Wir wissen schon seit langem, dass Appelle an die Vernunft der Bürger und Bürgerinnen meist nicht sehr weitreichend und erfolgreich sind und die Einsicht in dringend notwendige Veränderungen oft nicht lange anhält. Nahezu jeder von uns hat nach einem Krankenhausaufenthalt und nach der klugen Belehrung durch die ihn behandelnden Ärzte gute Vorsätze mit nach Hause genommen: Sich täglich in der frischen Luft bewegen, weniger essen, weniger Alkohol, gesündere Ernährung, weniger Fernsehen, weniger Smartphone, öfter gesellig mit anderen zusammen sein, ausreichend lang schlafen etc. Vielleicht hat der eine oder andere sich auch vorgenommen, endlich wieder mehr Sport zu treiben und nicht seine wertvolle Freizeit mit „E-Sport“ an Spielkonsolen zu verschwenden.

Doch bereits nach wenigen Wochen ist von diesen guten Vorsätzen nichts oder nur noch sehr wenig übriggeblieben.

Der „Alltagstrott“ ist dominant und auch sehr wirkungsvoll. Alte Gewohnheiten, die der eigenen Gesundheit nicht besonders zuträglich sind, gewinnen immer wieder von neuem die Oberhand. Wobei der Einzelne bei seinen Bemühungen um eine bessere Gesundheit oft auf sich selbst gestellt ist.

Was ist daraus zu lernen?

Es reicht offensichtlich nicht aus, dass man den einzelnen Bürgern und Bürgerinnen zwar die Notwendigkeit einer Verhaltensänderung im Sinne der Prävention vermittelt, sie dann aber bei der Umsetzung allein lässt und sie nicht fachlich begleitet. Ganz offensichtlich muss auch das „System“ gestärkt werden, in dem das Individuum arbeitet und lebt. Für eine Gemeinde wie Unterwössen, in der ich seit zehn Jahren lebe, heißt das, die gesundheitsbezogene dörfliche Verwaltungs- und Infrastruktur weiterhin zu stärken und dabei stets deren Weiterentwicklungsnotwendigkeiten und – Möglichkeiten im Blick zu behalten. Eine „systemische Perspektive“ – so die einhellige Meinung der führenden Gesundheitswissenschaftler in Deutschland – darf nicht nur das einzelne Individuum im Blick haben und ihm die gesamte Verantwortung für seine Gesundheit auferlegen, sondern muss vielmehr auch auf die konkreten „Lebenswelten“ in Gemeinden, Städten und Landkreisen ausgerichtet sein, sollen die Menschen, die in diesen sozialen „Räumen“ leben,  möglichst lange ihre Gesundheit erhalten können.

Eine „systemische Perspektive“ des Gesundheitswesens beruht somit auf dem Entscheidungsverhalten politischer Akteurinnen und Akteure in den Städten und Gemeinden. Mit ihren politischen Entscheidungen ermöglichen oder verhindern sie, dass die in ihrem Gemeinwesen lebenden Bürgerinnen und Bürger ihren je individuellen Weg zu ihrer eigenen Gesundheit finden können.

Bei diesem Ansatz geht es also darum, dass es Aufgabe von Politik und Verwaltung ist, die „Möglichkeitsräume“ für ein individuelles Verhalten so zu gestalten, dass sie geeignet sind, die Erkrankungs-Risiken zu senken. Dazu gehört auch, dass in den bestehenden und noch neu zu schaffenden „Möglichkeitsräumen“ einer Gemeinde – wie z.B. in meiner Heimatgemeinde Unterwössen – für die Freiheitund die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger vor den Gefahren des sich schon seit längerer Zeit abzeichnenden Klimawandels Vorsorge getroffen wird. Dazu gehört aber auch, dass man an notwendige „Schutzräume“ denkt, die den Bewohnern zur Verfügung stehen werden, sollte es zu einem – hoffentlich nie eintretenden – Katastrophenfall mit den unterschiedlichsten Ursachen kommen.

Jede Gemeinde steht schon heute vor vielfältigen Herausforderungen, die alle (möglichst) gleichzeitig zu bewältigen sind. Einige dieser Herausforderungen sind bereits vor Ort zu beobachten, andere sind indirekter Natur und werden durch Ereignisse und Gefahren in anderen Ländern oder auf anderen Kontinenten bereits sichtbar.

Dazu gehören:

  • die Klimakrise mit längeren Regen und Trockenperioden
  • Fluchtbewegungen in Folge von Hitze und Dürre,
  • Kriege, die Flüchtlingsströme zur Folge haben,
  • Energiekrisen,
  • Artensterben und Reduktion der Artenvielfalt,
  • Bodenerosion,
  • der demographische Wandel,
  • immer häufiger anzutreffende Viruserkrankungen

Es geht für uns alle darum, das Geflecht zwischen Artenvielfalt, Klimawandel, Wasserressourcen, Ernährung und menschlicher Gesundheit zu erkennen. Wir müssen begreifen, wie all diese Fakten und Ereignisse miteinander interagieren und wie diese

für uns  alle als „Anzeichen“ von Krisen zu erkennen sind.

Die damit verbundenen Herausforderungen bedrohen in der letzten Konsequenz die Gesundheit eines jeden Gemeinwesens. Werden die damit verbundenen Probleme nicht angegangen, so werden den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeitsräume verstellt, sich gesund zu verhalten. Die mentale, seelische und körperliche Gesundheit des Einzelnen wird bedroht und das Gemeinwesen wird fragil, wenn die Menschen, die auf unserer Erde wohnen, und dazu gehört jeder von uns, die dringend benötigten Transformationswenden nicht schaffen und sie nicht zum Gelingen bringen. Jede einzelne Wende – die Klimawende, die Migrationswende, die Energiewende, die Mobilitätswende, die Wende im Wohnungsbau, die digitale Wende, die Wende in der industriellen Produktion – stellen dabei für jedes Gemeinwesen immer schwerer zu bewältigende Herausforderungen dar.

Was kann dies für eine Gemeinde, für deren Verwaltung und für die politischen Akteure dieser Gemeinde bedeuten?

Als Bürger von Unterwössen, einer kleinen Dorfgemeinde mit 3800 Einwohnern in den Chiemgauer Alpen, möchte ich im Folgenden einen Vorschlag unterbreiten, der nur als ein erster Anstoß verstanden werden sollte. Ich würde mich freuen, wenn er als hilfreich empfunden würde. Meines Erachtens könnte man der Verwaltung meiner Gemeinde und dessen Gemeinderat das folgende„Fünf-Schritte-Programm“empfehlen:

In einem ersten Schritt könnten der Gemeinderat und die Verwaltung alle die bereits in der Vergangenheit und bis heute geschaffenen Strukturen der Gemeinde in Bezug auf die Gesundheit ihrer Bürgerinnen und Bürger dokumentieren und über diese Errungenschaften die Einwohner umfassend informieren.

Dank der vorsorglichen Kommunalpolitik der letzten Jahre hat die Gemeinde bereits sehr viel unter dem Gesichtspunkt der Gesundheitsprävention zu bieten:

– Mit einem Bergbach verfügt die Gemeinde über die schönste, längste und beste „Kneipp- Anlage“ in Bayern und vermutlich auch darüber hinaus.

– Die Gemeinde verfügt über eine beispiellos schöne Almenlandschaft, die zu gut beschilderten Bergwanderungen mit einer Einkehr zu einer Brotzeit geradezu einlädt.

–  In der Umgebung des Dorfes gibt es ausreichende Möglichkeiten zum Schwimmen lernen, zum Schwimmen und zum Baden in Seen, die auch ausreichend gepflegt werden.

-Es wurden attraktive Wanderwege ausgebaut und sie werden ständig erweitert und verbessert.

– Die Qualität der Höhenluft in dem Gebirgsdorf entspricht höchsten gesundheitlichen Anforderungen.

– Die Wasserversorgung mit ausreichend gutem Wasser ist für die Bevölkerung mittel- und langfristig gesichert.

– Das Dorf bietet seinen Bürgern Freiheit und Sicherheit gleichermaßen. Es weist eine äußerst geringe Kriminalitätsrate auf, und auch die Verkehrsunfallsrate ist vergleichsweise niedrig.

Auf der Grundlage dieser Erfolge verpflichtet sich der Gemeinderat in einem zweiten Schritt, alle bislang ergriffenen gesundheitsfördernden Maßnahmen haushaltspolitisch abzusichern und für die weitere Zukunft fortzuschreiben. Ferner vereinbart er, bei steigendem Bedarf in erforderlichem Ausmaß weitere „Möglichkeitsräume“ für Wandern Joggen und Radfahren zu schaffen.

In einem dritten Schritt werden von der Verwaltung und vom Gemeinderat überprüft, inwiefern man „Neue Initiativen“ zu Gunsten einer aktiven Sport-, Spiel- und Bewegungskultur benötigt, die über das bestehende Angebot des örtlichen Sportvereins hinausgehen und die für alle Altersgruppen und Geschlechter offen zugänglich sind. Zu prüfen ist dabei auch, ob für das dringend benötigte neue Bewegungsprogramm ein bei der Gemeindeverwaltung angestellter lizensierter Übungsleiter finanziert werden kann. Das anzutreffende Sport-, Spiel- und Bewegungsangebot bedarf einer Evaluation. Das Angebot sollte unter Beachtung der vier Jahreszeiten überprüft werden und eine genaue Auswertung des Freiluftangebots im Vergleich zum Angebot in überdachten Räumen enthalten. Auf der Grundlage der Evaluation sollten Projekte zur Erweiterung des Spiel-, Bewegungs- und Sportangebots erarbeitet und umgesetzt werden. Die Gemeinde sollte sich u.a. auch der Förderung sportlicher Talente verpflichten und neue Formen der Würdigung sportlicher Leistungen in ihrer Gemeindekultur berücksichtigen. Auch der Durchführung von Sportveranstaltungen, die sich durch eine besondere aktive Mitmachkomponente auszeichnen, sollte sich der Gemeinderat mit seiner Gemeindeverwaltung verpflichtet fühlen (jährlicher „Spendenlauf für die Welthungerhilfe“ durch die gesamte Gemeinde, „Tag des Fahrrads“ auf den Straßen und Wegen von Unterwössen, „Jedermann und Jedefrau Fußballturnier“ für alle in der Gemeinde bestehenden Institutionen und Gruppierungen, „Tag des Sportabzeichen“ etc.).

Zu einem vierten Schritt gehört, dass die bereits ergriffenen Maßnahmen die Bürgerinnen und Bürger vor klimabedingten Hitzewellen, Kälteeinbrüchen und Überschwemmungen zu schützen, kontinuierlich ausgebaut werden.

Zum Schutz vor Unwetter und Stürmen sind auf Vorschlag von Experten ggfls. weitere Entscheidungen zu treffen.

Die Sicherung einer sauberen Atemluft für jeden Bürger hat für die Verantwortlichen der Gemeinde, für Gemeinderat und Verwaltung, weiterhin höchste Priorität.

Gleiches gilt für das Trinkwasser, das auch zukünftig höchsten gesundheitlichen Ansprüchen gerecht werden muss.

Ein sehr wichtiger fünfter Schritt der Gemeindeverwaltung und des Gemeinderats hat sich auf die zunehmend sich verschärfende Verkehrsproblematik zu beziehen. Inzwischen ist der hohe und weiterhin zunehmende Individualverkehr zu einer allgemeinen Gefährdung insbesondere von Kindern und älteren Menschen beim Überqueren von Straßen geworden.  Höchste Priorität muss daher der Schutz dieser Personengruppen, aber auch der Schutz der Radfahrerinnen und Radfahrer haben. Angesichts des Verkehrs im und durch das Dorf ist zum Gesundheitsschutz der Bevölkerung der Verkehrswege-Plan zu überprüfen und zu aktualisieren.  Eine neue Verkehrszählung ist hierzu erforderlich.

Mit diesem „Fünf Schritte Programm“ könnte die Gemeinde ihren Bürgerinnen und Bürgern die Chance bieten, sich individuell in Bezug auf deren Gesundheit und Wohlbefinden zu verwirklichen.

Zu empfehlen sind ferner kommunale Workshops unter Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger, in denen diese gemeinsam mit den Entscheidungsträgern in der Gemeinde die kommunalen Gesundheits- und Sicherheitsprobleme diskutieren, gemeinsam Wege und Lösungen suchen und damit die notwendigen Entscheidungen in den politischen Gremien in einer fundierten und nachvollziehbaren Weise vorbereiten. Ein einmal im Jahr stattfindender „Dorf- Dialog“ könnte hierzu ein geeignetes Format sein.

Im kommunalen Leitbild der Gemeinde sollte die Gesundheit ihrer Bürgerinnen und Bürger eine hohe Priorität erhalten. Ökologische und transformative Resilienz ist für jedes Gemeinwesen das Gebot der Stunde.

Es ist ein Glücksfall und in vieler Hinsicht auch sehr beruhigend für die Gemeinde, in der ich lebe, dass unter der aktuellen politischen Führung durch dessen Gemeinderat, durch den Bürgermeister und dessen Gemeindeverwaltung bereits wichtige Beschlüsse und Vorleistungen zu Gunsten unseres Dorfes erbracht wurden, die auch den Schutz der Bürgerinnen und Bürger berücksichtigen. Zur Fortführung seiner gesundheitsökologischen Politik ist den Verantwortlichen der Gemeinde zu empfehlen, die vom Land Bayern und vom Bund bereitgestellten finanziellen und personellen Hilfen zu nutzen, die es bereits heute in vielfältiger Weise für zukünftige Schutzmaßnahmen gibt. Es ist auch zu empfehlen, sich durch eine gutachterliche Expertise der zuständigen Landes- und Bundesbehörden sowie des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe und des Umweltbundesamtes beraten zu lassen.

Letzte Überarbeitung: 8.2.2025

Themenzuordnung: Gesellschaftliche Entwicklung und Sportentwicklung

[1] Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf „gendergerechte“ Sprachformen – männlich weiblich, divers – verzichtet. Bei allen Bezeichnungen, die personenbezogen sind, meint die gewählte Formulierung i.d.R. alle Geschlechter, auch wenn überwiegend die männliche Form steht.

Themenzuordnung: Allgemein

Essay

Die Bundestagswahl und die Interessen der Sporttreibenden – ein sportpolitisches Wahlprüfprogramm

von Helmut Digel

Bei der bevorstehenden Bundestagswahl werben mehr als ein Dutzend Parteien um die Stimmen der Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland. Die Versprechen der Parteien sind dabei – so scheint es – vielfältiger denn je. Doch wie bei allen früheren Wahlen werden nur wenige dieser Versprechen in der bevorstehenden vierjährigen politischen Praxis zur Realität. Manche der Versprechen sind wohl politisch, ökonomisch und sozial wünschenswert. Andere entsprechen weder aus einer politischen, ökonomischen und sozialen Perspektive der vorfindbaren Realität in Deutschland. Einige erweisen sich bereits heute als finanziell nicht realisierbar und sind unter dem Aspekt eines wünschbaren Zusammenhalts der Gesellschaft in Deutschland sogar sehr gefährlich.
Es fällt auf, dass in den bisherigen öffentlichen Wahlkampfdiskussionen das gesellschaftlich außergewöhnlich bedeutsame Teilsystem des Sports so gut wie keine Rolle spielt. Dabei bindet das Sportsystem in seiner organisierten Ausprägung mehr als ein Drittel der Bevölkerung und erreicht in seinen informellen Erscheinungsformen noch ein weiteres Drittel unserer Gesellschaft. Sowohl unter quantitativen als auch qualitativen Gesichtspunkten ist das Phänomen des Sports in unserer Gesellschaft jedoch ein äußerst bedeutungsvoller kultureller Faktor. Er darf durchaus den Anspruch erheben, dass seine Interessen in angemessener Weise von den Parteien vertreten werden, die zukünftig im deutschen Bundestag die Geschicke der deutschen Gesellschaft zu verantworten haben.

Weiterlesen

Essay

Wie könnte eine deutsche Bewerbung für die Ausrichtung von Olympischen Spielen in Deutschland noch gelingen?

von Helmut Digel

Vorbemerkungen

Meine Skepsis gegenüber den schon seit mehreren Jahren stattfindenden Bemühungen um eine deutsche Bewerbung für zukünftige Olympische Spiele in Deutschland habe ich bereits mehrfach ausgedrückt. Meine Auffassung, dass diese Spiele mehr denn je für Deutschland erwünscht sind, wird dadurch nicht beeinträchtigt. Im Gegenteil: Nachdem ich den Modernen Olympismus und die Olympischen Spiele bereits über mehr als acht Jahrzehnte habe beobachten und studieren können und an vielen dieser Spiele in Australien, in Südamerika, in Asien, in den USA und vor allem in Europa anwesend sein durfte, ist mein Wunsch nach solchen Spielen in Deutschland größer denn je. Da ich sie angesichts meines hohen Alters selbst nicht mehr erleben werde, möchte ich jedoch in meinen mir noch verbleibenden Lebensjahren alles dafür tun, dass dieser Wunsch doch noch in Erfüllung geht. Deshalb habe ich mich entschieden, mich mit diesem Essay noch einmal an die Verantwortlichen in Politik und Sport zu wenden, um die Erfüllung dieses Wunsches möglich zu machen.

Weiterlesen

Gastbeitrag

Tanzen Sie den IOC- Präsidenten-Twist

Gastbeitrag

Sechs Männer und eine Frau tanzen auf der IOC-Tanzfläche

ED WARNER
2. Januar

Die Position des Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees entspricht nicht ganz der Führung der freien Welt, aber sie ist auf der Weltbühne wohl einflussreicher als die Oberhäupter vieler Nationen, sowohl freier als auch weniger freier Nationen. Sie geht mit viel weniger Einschränkungen für die Macht des Posteninhabers einher. Kein Wunder, dass sieben Sportpräsidenten, Vizepräsidenten, Prinzen, Lords und Sportminister in einem Prozess zur Wahl antreten, der weniger geheim ist als ein päpstliches Konklave, aber genauso politisch.

Weiterlesen

Essay

Bernd Mühleisen

Ein Nachruf

Freundschaften tun Menschen gut. Sie sind in der heutigen Zeit dringender denn je. Die Freundschaft, die Bernd Mühleisen seiner Sportgemeinschaft, der Handballabteilung des SV Möhringen geschenkt hat, war etwas ganz Besonderes. In Möhringen wurden die Worte „SVM“ und „Handball“ zu einem Synonym, das über mehrere Jahrzehnte die Kommunikation in Möhringen, in Stuttgart und weit über Stuttgart hinaus geprägt hat. Dieses Synonym wurde von niemandem anderen so eindrucksvoll verkörpert, wie dies bei Bernd Mühleisen der Fall war. Die Worte „SVM“ und „Handball“ hatten für ihn dabei eine äußerst komplexe Bedeutung.

Weiterlesen

Gastbeitrag

Sexueller Missbrauch – ein unerschrockenes Geschäft

Im folgenden Gastbeitrag wird ein pädagogisches Problem behandelt, das vermutlich nicht nur mir bislang nicht bekannt gewesen ist, das jedoch unsere allerhöchste Aufmerksamkeit verdient. Es wäre wünschenswert, wenn die Leser dieses Beitrages auch ihre Freunde und Bekannten auf den Beitrag aufmerksam machen, damit eine Bildungspolitik, die sich diesem Problem widmet, bei der Lösung dieses Problems eine möglichst große Unterstützung erhält. H.D.

von Birgid Oertel / Volker Istadt

Statt „Du gehörst zu uns“! waren und sind sie bis heute „Gefallene Mädchen“   

„Das Schlimmste, das man der Wahrheit antun kann, ist, sie zu kennen und dennoch zu ignorieren.“ (Jacques Benigne Bossuet)  

Sexualstraftäter bleiben 7 – 10 Jahre im Gefängnis – Opfer von sexuellem Missbrauch bleiben ihr Leben lang Gefangene ihrer Gefühle.  

Bericht der Bundesministerin des Innern und für Heimat,  Nancy Faeser, zum sexuellen Missbrauch: 

Das Bundeskriminalamt (BKA) verzeichnet weiterhin einen Anstieg der Fallzahlen bei Sexual-delikten mit Kindern und Jugendlichen. Insbesondere in den Bereichen des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen und der Herstellung, Verbreitung, des Erwerbs und Besitzes kinder- und jugendpornografischer Inhalte sind die Fallzahlen deutlich angestiegen. Dies geht aus dem am 8. Juli 2024 vorgestellten Bundeslagebild 2023 hervor.[1]

Weiterlesen

Beitrag zur Sportentwicklung

Entwicklungszusammenarbeit im Sport – Ungleichzeitigkeit als Herausforderung

von Helmut Digel

  1. Vorbemerkungen

Das Thema dieses Essays ist faszinierend und schwierig zugleich. Schwierig ist es, weil man bei der Behandlung des Themas auf nur wenige Vorarbeiten zurückgreifen kann, man also in gewisser Weise Neuland betritt. Faszinierend ist das Thema vor allem deshalb, weil das Phänomen der Ungleichzeitigkeit unter kulturwissenschaftlichen und soziologischen Gesichtspunkten ohne Zweifel eine besondere Faszination ausübt. Würde sich alles zur gleichen Zeit ereignen, so wären unsere Kulturen und unsere Gesellschaften uniforme und konforme Entitäten. Unsere Welt, in der wir leben wäre langweilig und eintönig. Ungleichzeitigkeit ist deshalb vermutlich die Bedingung, dass wir jene Vielfalt erfahren können, durch die sich menschliche Kulturen auszeichnen.
Es scheint deshalb eine besondere Paradoxie zu sein, dass man sich mittels politischer Maßnahmen von der Ungleichzeitigkeit verabschieden möchte und einen Zustand der Gleichzeitigkeit anstrebt, der jedoch nicht nur unter anthropologischen Gesichtspunkten niemals erreicht werden kann. Er erscheint auch aus einer normativen Perspektive kaum als wünschenswert. Wer wie ich sich nunmehr über mehr als 40 Jahre im Feld der Entwicklungszusammenarbeit des Sports bewegt hat, für den hat das Phänomen der Ungleichzeitigkeit den Charakter einer alltäglichen Realität. Ungleichzeitigkeit wird dabei im Alltag der Entwicklungszusammenarbeit meist als störend empfunden, ohne dass erkannt wird, dass im Phänomen der Ungleichzeitigkeit möglicherweise die entscheidende Chance für eine wünschenswerte Entwicklungszusammenarbeit liegen könnte. Damit wir dies verstehen, ist es notwendig, dass wir uns etwas genauer mit dem Phänomen der Zeit auseinandersetzen.

Weiterlesen

Beitrag zur Sportentwicklung

Sport in der Risikogesellschaft

Helmut Digel

1 Leben in der Risikogesellschaft

Folgen wir Ulrich Beck, dem leider zu früh verstorbenen deutschen Gesellschaftswissenschaftler, so hat sich seit „Tschernobyl“ unser Wissen über Gesellschaftssysteme, deren Grenzen, interne Strukturen und Abhängigkeiten in ganz wesentlicher Weise verändert. „Alles Leid, alle Not, alle Gewalt, die Menschen einander zugefügt haben, kannte bisher die Kategorie der anderen: Juden, Schwarze, Frauen, Asylanten, Dissidenten, Kommunisten usw. Es gab Zäune, Lager, Stadtteile, Militärblöcke einerseits, andererseits die eigenen vier Wände – reale und symbolische Grenzen, hinter die die scheinbar nicht Betroffenen sich zurückziehen konnten. Dies alles gibt es weiter und gibt es seit Tschernobyl nicht mehr. Es ist das Ende der anderen, das Ende all unserer hochgezüchteten Distanzierungsmöglichkeiten, das mit der atomaren Verseuchung erfahrbar geworden ist“ (BECK 1986, 7). Die Natur – so scheint es – hat uns Menschen eingeholt. Zur Utopie einer künftigen besseren Welt ist längst die negative Utopie kommender Katastrophen getreten und über die Zukunft kann heute nur vernünftig geredet werden, wenn wir uns auch auf die Vorstellung einlassen, dass es diese Zukunft vielleicht gar nicht mehr gibt (vgl. Böhme 1986, 929). Allen Grenzziehungen zum Trotz leben wir plötzlich in einer „Risikogesellschaft“, in einem „Weltindustriesystem“. Bei dem Versuch, dieses System zu beherrschen, zeichnen wir Menschen uns momentan lediglich durch Hilflosigkeit aus. Die Natur, über Jahrzehnte nur noch über ihre technisch-industrielle Verwandlung wahrgenommen, ist zur unüberwindlichen Voraussetzung für die weitere Lebensführung in unserem modernen Industriesystem geworden. Der Markt und der daraus resultierende Massenkonsum stellen sich in neuartiger Weise als naturabhängig dar. „Tschernobyl“ – so scheint es – könnte einmal als Datum gesehen werden, an dem das Ende der klassischen Industriegesellschaft offenkundig wurde. Deren Vorstellungen von nationalstaatlicher Souveränität, von automatischem Fortschritt, von der Klassenstruktur der Gesellschaft, vom Leistungsprinzip, von der Verfügbarkeit der Natur, vom Nutzen wissenschaftlicher Erkenntnis, von der Übernahme von Verantwortung, vom Konsum und vom Markt scheinen brüchig geworden zu sein. Dies zeigt sich uns in vielen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens, in der Welt der Arbeit ebenso wie in der Welt der Freizeit, nicht zuletzt auch auf dem Gebiet des Sports.

Weiterlesen

Beitrag zur Sportentwicklung

Der Weltsport im Olympischen Jahr 2024

Der Weltsport kann einen ökonomischen Systemerfolg im Jahr der Olympischen Spiele 2024 aufweisen wie es bei keinem anderen gesellschaftlichen Teilsystem der Fall ist. Die Olympischen Spiele in Paris können dabei als der zwischenzeitlich erreichte Höhepunkt bezeichnet werden, der sehr schnell durch den nächsten Höhepunkt, der weltweit größten Fußballshow im Jahr 2026, abgelöst wird. Die kapitalistische Devise „Wachstum“ gilt für dieses System wie für kein anderes und es werden trotz aller, oder gerade wegen aller politischen Krisen, höhere Umsätze und Gewinne erzielt als jemals zuvor. Die in diesem System handelnden Personen zeichnen sich vor allem durch eine unersättliche Geldgier aus. Dies gilt für die sportlichen Akteure¹, für die verantwortlichen Funktionäre, für die Veranstalter, für die Sponsoren und wirtschaftlichen Partner, für die begleitenden Massen- und sozialen Medien, d.h. für alle Beteiligten wohl nicht im gleichen Umfang aber doch in der anzutreffenden Ausrichtung gleichermaßen. Obszöne Transfersummen, überhöhte Gehälter, maßlose Antrittsgelder, fragwürdige Werbeverträge, noch immer anwachsende Kosten für Übertragungsrechte, rechtlich kaum nachvollziehbare Erlasse von Steuern rufen dabei nahezu täglich öffentliche Verwunderung hervor, ohne dass dabei infrage gestellt wird, dass diese Obszönität auf dem Rücken der Steuerzahler stattfindet.

Weiterlesen

Kunst aus unserer Galerie