Essay

„Leichtathletik“ – „Schwerathletik“, eine deutsche Besonderheit

Helmut Digel     

Das Wort „Leichtathletik“ gehört bereits seit meiner Kindheit zu meinem üblichen Sprachgebrauch. Die Frage, welche Disziplinen zur Leichtathletik gezählt werden, konnte in meiner Kindheit und Jugendzeit vermutlich jedes Kind und jeder Jugendliche beantworten. Leichtathletik war Unterrichtsfach in der Schule, war Inhalt der Leibesübungen und später des Sportunterrichts und stand im Zentrum der Bundesjugendspiele. Hätte mich jemand als Jugendlicher gefragt, was man unter „Schwerathletik“ im deutschen Sprachgebrauch versteht, so hätte ich allerdings Mühe gehabt, diesen Begriff genauer zu deuten. Vermutlich wären mir die Gewichtheber in meinem Verein SV Möhringen und die Ringer in unserem Nachbarverein Plieningen eingefallen. Möhringen war damals eine Gewichtheber Hochburg und Plieningen hatte mit seinen Ringern die höchste deutsche Leistungsklasse erreicht. Heute ist davon leider nur noch wenig übriggeblieben.

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Themenzuordnung: Allgemein

Essay

„Enhanced Games“ – Bullshit-Games

Helmut Digel

Das angekündigte Projekt

„Dummheit“ und „Geldgier“ sind die wohl am weitest verbreiteten Eigenschaften und Laster dieser Tage. Beide lassen sich nahezu in jedem gesellschaftlichen Teilsystem auffinden. Ganz besonders davon ist das System des Sports betroffen.
Nächstes Jahr soll es also so weit sein und es gibt wohl kaum einen anderen Ort, der besser zu diesen beiden Merkmalen passt wie Las Vegas. Denn dort sollen die ersten „Enhanced Games“ stattfinden. Damit sind Spiele gemeint, bei denen Doping gleichsam absichtlich freigegeben ist, d.h. jede medikamentöse Unterstützung der sportlichen Höchstleistung wird ausdrücklich den Athletinnen und Athleten erlaubt. Die Wettkämpfe sollen vom 21. bis 24. Mai auf dem Hotel- und Casinogelände »Resorts World« ausgetragen werden. Dem Größenwahn der Veranstalter geschuldet findet diese absurde Veranstaltung am Wochenende des US-Feiertages „Memorial Day“ statt. Ausgedacht hat sich diese Idee ein geldgieriger Multimillionär. Es ist eine Idee, die wohl kaum dümmer sein kann als alles, was sich bislang in der Welt des Hochleistungssports ereignet hat. Und in dieser Welt hat es bereits schon sehr viele Dummheiten gegeben.

Geprägt wird diese Idee von der in der Welt des Sports mittlerweile unermesslich gewordenen Geldgier und so kann es auch kaum überraschen, dass sich bereits Geschäftsleute aus dem Umfeld des sowohl geldgierigen als auch an Eitelkeit wohl kaum zu übertreffenden Präsidenten der Vereinigten Staaten bereit erklärt haben, diese unsäglichen „Enhanced Games“ zu finanzieren. Der Sohn von Donald Trump ist also ebenso dabei, wie einer seiner Chefberater. Vermutlich wird sich auch noch Herr Musk für ein Sponsorship überreden lassen. Donald Trump Jr., ältester Sohn des US-Präsidenten, ist Partner beim Fonds 1789 Capital, der als einer der wichtigsten Unterstützer des Projekts gilt. „Tech-Milliardär“ Peter Thiel ist einer der Investoren und laut Veranstalter D’Souza ein »enger Berater«. Der deutsche Milliardär Christian Angermaier ist mit Begründer der Organisation. Trump Jr. begründete sein Engagement folgendermaßen: „Die Enhanced Games repräsentieren die Zukunft – echter Wettbewerb, echte Freiheit und echte Rekorde, die gebrochen werden. Hier geht es um Exzellenz, Innovation und amerikanische Dominanz auf der Weltbühne – etwas, worum es bei der MAGA-Bewegung geht“.  Ein weiterer Investor ist der saudische Prinz Khaled Bin Alwaleed  Al Saul.

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Gastbeitrag

„Selbst kleinere Reparaturen bedeuten oft einen Kraftakt“

Gastbeitrag

Interview mit Christian Raffer vom Deutschen Institut für Urbanistik über die neueste Sportstätten-Analyse

JW: Sie haben eine Studie im Auftrag der staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) zur Situation bei den Sportstätten geleitet, bei der Sie im vorigen Herbst insgesamt 307 Städte, Gemeinden und Landkreise befragten. Wie sehr hat Sie das Resultat schockiert?

Besonders schockiert war ich nicht. Wir wissen schon länger, dass der Zustand der kommunalen Sportstätten nicht gut ist und sich schleichend immer weiter verschlechtert. Viele der Sportstätten stammen aus den Zeiten des „Goldenen Planes“ in den 60er und 70er Jahren, sind entsprechend gealtert und in einem Zustand, der häufig nicht mehr tragbar ist.

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Themenzuordnung: Allgemein

Essay

Bausteine des deutschen Sports – Sanierungsideen (Teil II)

Helmut Digel

Ergänzend zu der in Teil I dargestellten Problemanalyse zur Situation des deutschen Sports soll nun in Teil II der Versuch unternommen werden, zu den ausgewiesenen vier Bausteinen des deutschen Sports Vorschläge zu deren „Sanierung“ zu unterbreiten. Wie jeder Versuch bedarf auch der hier vorgelegte zahlreicher Wiederholungen. Er bedarf der Ergänzung und auch der Veränderung. Vor allem soll er jedoch zu Diskussionen anregen, die möglichst intensiv in den Entscheidungsgremien des deutschen Sports zu führen sind.

Baustein I: Sportstätten

Die im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung festgeschriebene Summe von 1 Milliarde € zur Sanierung der Sportstätten hat in den Organisationen des Sports eine große Begehrlichkeit hervorgerufen, die angesichts eines geschätzten Sanierungsbedarfs von circa 40 Milliarden durchaus verständlich ist. DOSB Vorstand Bouffier fordert, dass die angekündigte Milliarde jährlich zu fließen hat. Ein hoher Funktionär des DFB sieht einen Investitionsstau von 44.000 Fußballplätzen und erwartet mindestens 2 Milliarden pro Jahr. Gleichzeitig verlangt dieser Funktionär, dass die mehr als 86.000 Sportvereine steuerlich entlastet werden müssen. Mehrere Funktionäre[1] verlangen umfassende finanzielle Hilfen für die Durchführung von zukünftigen Welt- und Europameisterschaften, wobei eine Wettbewerbsfähigkeit bei internationalen Vergabeprozessen von Sportgroßereignissen zu sichern ist.

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Essay

An der Basis muss begonnen werden, will man die Probleme des deutschen Sports mittel- und langfristig lösen (Teil I)

Helmut Digel

Die Redewendung „Der Fisch stinkt vom Kopf her“ bedeutet, dass die Ursache für Probleme oder Fehler in einer Organisation oder einer Gruppe in der Führungsebene zu finden ist. Mit anderen Worten, wenn etwas schiefläuft, dann liegt das oft daran, dass die Führung oder das Management Fehler macht. Im deutschsprachigen Raum macht auch „eine Schwalbe noch keinen Sommer“, was so viel bedeutet, dass ein einzelnes positives Ereignis noch lange nicht bedeutet, dass der Umschwung geschafft ist, dass Besserung bereits erreicht ist. Die Aussage: „Niemand ist von Anfang an perfekt“ zielt auf den Sachverhalt, dass Können und Expertise Zeit und Übung erfordern. Die Redewendung „Wer früh beginnt, hat die besten Chancen“ ist selbsterklärend. Die Lebensweisheit “Nur durch harte Arbeit hat man Erfolg“ trifft leider nicht immer zu. Dass „Faulheit oder Untätigkeit oft zu schlechten Angewohnheiten oder falschem Verhalten“ führt, war nicht nur die Meinung meiner Eltern.

Genug der Lebensweisheiten. Sucht man nach Redewendungen, die auf den deutschen Sport, auf den DOSB, seine Mitgliedsorganisationen und deren verantwortliche Funktionäre[1] zutreffen, so kann diese Suche sehr lange dauern. In der Reihe der bislang zitierten „Handlungsempfehlungen“ fehlt allerdings eine Erkenntnis, von der ich annehme, dass sie für den deutschen Sport grundlegend ist und dass sie zu beachten ist, will man ernsthaft das System des deutschen Sports reformieren. Es ist die Erkenntnis, dass das Fundament ausreichend tragfähig sein muss, auf dem man ein Haus bauen möchte, an dessen Dachfirst olympische Erfolgsfahnen wehen.

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Kunst aus unserer Galerie

Beitrag zur Sportentwicklung

Zum Zusammenhang zwischen Sport, Religion, gesellschaftlicher Kultur und ethnischer Herkunft

Helmut Digel

 

Zum Zusammenhang zwischen Sport, Religion, gesellschaftlicher Kultur und ethnischer Herkunft

Der Zusammenhang zwischen Sport, Religion, Ethnie und Kultur ist vielschichtig und in mancher Hinsicht auch faszinierend. Im Folgenden sollen ausgewählte Aspekte dieser Beziehung und ihre Auswirkungen auf Gesellschaft und Individuum beleuchtet werden.

Sport und Religion

Sport ist in der modernen Erlebniskultur einer der emotional am stärksten besetzten Lebensbereiche. Er verspricht Aktiven wie Zuschauern[1] Lebensvollzüge höchster Intensität. Dabei trägt der Sport nicht selten Attribute des Religiösen an sich. In den Erlebnisvollzügen breiter Massen sind die Stadien zu „Kathedralen“ und die Sieger zu „Heiligen“ geworden. Sport besitzt als Phänomen der Neuzeit eine gesellschaftlich wie individuell überaus bedeutsame Prägekraft. Er stellt Erfahrungsräume zur Verfügung, die das Lebensgefühl von Menschen prägen können und er kommuniziert orientierende Gewissheiten. Das Phänomen Sport ist damit in demselben Funktionsbereich der Gesellschaft wirksam wie Religionen und Weltanschauungen und bedarf deshalb einer Einordnung in bestehende Wertesysteme und kulturelle Deutungszusammenhänge.Es gibt Struktur- und Funktionsparallelen zwischen religiösen und sportlichen Ritualen. Beide beinhalten oft kollektive Symbole, Gesänge und ritualisierte Handlungen.

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Beitrag zur Sportentwicklung

Sportjournalismus in Deutschland – mittelmäßig und selbstgerecht

 Helmut Digel

Im deutschen Sportjournalismus lässt sich derzeit ein Problem beobachten, das für dieses Berufsfeld wohl schon immer gegolten hat, das jedoch in diesen Tagen deutlicher denn je zum Ausdruck kommt. Er zeichnet sich durch eine ausgeprägte Mittelmäßigkeit aus, die auch durch die wenigen herausragenden Sportjournalisten[1], die es auch heute noch gibt, kaum verdeckt werden kann. Ich bin dankbar, dass ich in meinem Berufsleben und während meiner Tätigkeit als ehrenamtlicher Sportfunktionär Sportjournalisten begegnet bin, die sich durch die für diesen Beruf notwendige berufliche Neugierde und das wichtige Wissensbedürfnis ebenso ausgezeichnet haben wie durch ihre überdurchschnittlich gute Bildung, ihr Verantwortungsbewusstsein gegenüber jenen über die sie berichtet und geschrieben haben und durch eine ethisch begründete Berufsauffassung. Namen wie Rudi Michel, Hajo Friedrich, Harry Valerien, Volker Kottkamp, Friedrich Bohnenkamp, Hans Reinhard Scheu, Günther Wölbert, Werner Rabe fallen mir dabei aus dem Bereich der TV-Medien ein. Aus dem Bereich der Presse erinnere ich mich an die Namen von Journalisten wie Hans Blickensdörfer, Steffen Hafner, Michael Gernandt, Hans-Joachim Waldbröl, Hans Saile, Wolfgang Uhrig, Bruno Bienzle, Oskar Beck, Willy Ph. Knecht. Gewiss müsste noch eine ganze Reihe von DDR-Sportjournalisten erwähnt werden, allen voran Jochen Mayer und Volker Kluge, von denen ich noch bis heute sehr viel über die Geschichte des DDR-Sports und über den modernen Olympismus lernen darf. Sie alle können bei mir eine positive Erinnerung wachrufen. Wurde man von ihnen zu einem Gespräch oder zu einem Interview eingeladen, konnte man erkennen, dass sie sich sorgfältig vorbereitet hatten, dass sie sich des Gegenstands sicher sind, über den sie schreiben und berichten wollen und dass sie sich auch an die Vertraulichkeitsregeln halten werden, die zwischen dem schreibenden und berichtenden Journalisten und der betroffenen Person vereinbart wurden. Ihr Beruf war ihre „Profession“ und ihre „Leidenschaft“. Sie wussten Relevantes von Irrelevantem zu unterscheiden und sie waren bemüht, die komplexe Struktur des modernen Sports zwischen Privatheit und Staat, zwischen Freiwilligkeit und Auftrag, zwischen Ehrenamt und Beruf, zwischen Abhängigkeit und Unabhängigkeit zu unterscheiden. Sie haben meist auch begriffen, dass die „Politik im und durch den Sport“, verantwortet durch freiwillige Vereinigungen ein ganz anderes Politikphänomen ist als die staatliche Politik, die Politik der Parteien und der staatlichen Parlamente. Sie wussten das Gebot der Autonomie des Sports gegenüber dem Staat zu würdigen und die für Sportorganisationen dringend gebotene parteipolitische Neutralität gebührend einzuordnen.

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Beitrag zur Sportentwicklung

Entwicklungszusammenarbeit im Sport – Ungleichzeitigkeit als Herausforderung

von Helmut Digel

  1. Vorbemerkungen

Das Thema dieses Essays ist faszinierend und schwierig zugleich. Schwierig ist es, weil man bei der Behandlung des Themas auf nur wenige Vorarbeiten zurückgreifen kann, man also in gewisser Weise Neuland betritt. Faszinierend ist das Thema vor allem deshalb, weil das Phänomen der Ungleichzeitigkeit unter kulturwissenschaftlichen und soziologischen Gesichtspunkten ohne Zweifel eine besondere Faszination ausübt. Würde sich alles zur gleichen Zeit ereignen, so wären unsere Kulturen und unsere Gesellschaften uniforme und konforme Entitäten. Unsere Welt, in der wir leben wäre langweilig und eintönig. Ungleichzeitigkeit ist deshalb vermutlich die Bedingung, dass wir jene Vielfalt erfahren können, durch die sich menschliche Kulturen auszeichnen.
Es scheint deshalb eine besondere Paradoxie zu sein, dass man sich mittels politischer Maßnahmen von der Ungleichzeitigkeit verabschieden möchte und einen Zustand der Gleichzeitigkeit anstrebt, der jedoch nicht nur unter anthropologischen Gesichtspunkten niemals erreicht werden kann. Er erscheint auch aus einer normativen Perspektive kaum als wünschenswert. Wer wie ich sich nunmehr über mehr als 40 Jahre im Feld der Entwicklungszusammenarbeit des Sports bewegt hat, für den hat das Phänomen der Ungleichzeitigkeit den Charakter einer alltäglichen Realität. Ungleichzeitigkeit wird dabei im Alltag der Entwicklungszusammenarbeit meist als störend empfunden, ohne dass erkannt wird, dass im Phänomen der Ungleichzeitigkeit möglicherweise die entscheidende Chance für eine wünschenswerte Entwicklungszusammenarbeit liegen könnte. Damit wir dies verstehen, ist es notwendig, dass wir uns etwas genauer mit dem Phänomen der Zeit auseinandersetzen.

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