Gastbeitrag

Die TSG Tübingen – kein Verein wie jeder andere

Vorbemerkung

Der Sport weist in diesen Tagen eine außergewöhnliche Vielfalt auf. Die Zahl der regelgebundenen Sportarten hat sich in den vergangenen Jahrzehnten intensiv vermehrt. Es gibt daneben viele formelle und informelle Sportaktivitäten. Sport kann in der freien Natur oder in hoffentlich gut ausgestatteten Sportstätten ausgeübt werden. Der Sport ist zu einem Massenphänomen geworden, das weltweit angetroffen werden kann. Den Kern dieses komplexen Sportsystems bildet allerdings nach wie vor – zumindest in Deutschland – jene Institution, aus der heraus sich der moderne Sport entwickelt hat. Es ist der Turn- und Sportverein. Manche von Ihnen dürfen in diesen Tagen bereits ihren 200. Geburtstag feiern. In den Turn- und Sportvereinen werden Bewegung, Spiel und Sport nach wie vor am aktivsten und meist auch sehr konsequent ausgeübt. Dank geschuldet ist dies den vielen unzähligen ehrenamtlichen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, die diese besonderen freiwilligen Vereinigungen bis heute am Leben erhalten haben.

„Sport-nachgedacht.se“ hat sich immer wieder mit Fragen der Sportentwicklung in den Organisationen des Sports auseinandergesetzt. Mit dem folgenden Gastbeitrag von Prof. Dr. em. Hartmut Gabler (Universität Tübingen) soll nunmehr eine Serie von Beiträgen beginnen, in denen ausgewählte Turn- und Sportvereine aus der Sicht eines Kenners und/oder Mitglieds des jeweiligen Vereins unter dem Motto „Mein Turn-und Sportverein“ porträtiert werden sollen. Diese Serie kann einerseits einen historischen Beitrag zur Entwicklung des Sports in Deutschland leisten, andererseits aber auch Anregung sein für all jene, die auch zukünftig an der kulturellen Weiterentwicklung des Sports in Deutschland mitarbeiten wollen.

H.D.

 

 

Gastbeitrag „Mein Turn-und Sportverein“

 

Die TSG Tübingen – kein Verein wie jeder andere

Hartmut Gabler

In Deutschland gibt es insgesamt etwa 600.000 gemeinnützige Vereine. Hauptsächlich sind es Sportvereine, Kultur- und Musikvereine, soziale Vereine, Naturschutzvereine, politische und kirchliche Vereine. Diese Vereine leisten einen unschätzbaren Dienst für die Gesellschaft.

Laut Statistischem Bundesamt gibt es etwa 24 Millionen Mitgliedschaften in 80.000 Sportvereinen. Sportvereine haben eine wichtige soziale Funktion: Menschen mit unterschiedlicher Weltanschauung, Ethnie, Religion und Hautfarbe begegnen sich und treiben gemeinsam Sport. Im Wettkampf werden Fairness und Solidarität erlebt. Sport trägt zur Gesundheit bei. Sport leistet einen wichtigen Beitrag im Rahmen der Sozialisation von Kindern und Jugendlichen. Dies mag zu idealistisch gesehen werden. Doch in welchen Bereichen der Gesellschaft werden so viele Funktionen zumindest angeregt?

Es gibt große und kleine Vereine, Einsparten- und Mehrspartenvereine, Vereine wie jeder andere und besondere Vereine.

Die TSG Tübingen ist kein Verein wie jeder andere. Ich will dies mit vier Pfeilern, die ihn tragen, begründen:

  • eine enge Verbindung von Tradition und Fortschritt,
  • eine Vielfalt der Angebote,
  • eine enge Verbindung von Breiten- und Leistungssport und
  • ein großes ehrenamtliches Engagement.

Eine enge Verbindung von Tradition und Fortschritt

Die TSG Tübingen ist der älteste und mitgliederstärkste Sportverein in Tübingen. Der Verein wurde 1845 von 19 Personen gegründet. Ihm gehörten zunächst vor allem Bürger und Studenten an. Nach der Revolution 1848/49 zogen sich die Studenten in ihre Verbindungen zurück. Die Arbeiter, Handwerker und Weingärtner der „unteren Stadt“ (die Akademiker wohnten in der „oberen Stadt“) pflegten Turnübungen, Wehrhaftigkeit, sittliche Tugend und geselliges Zusammensein. Das gesellige Zusammensein wurde durch Turnfahrten, gesellige Veranstaltungen, Pflege des Gesangs u.a. erweitert.

Nach der Jahrthundert wende gehörte die Turngemeinde (TG) zu den ersten Vereinen, die sich zu einem Sportverein entwickelte. Es entstand eine Schwimmabteilung, eine Boxriege, eine Handball- und Fußballabteilung sowie eine Skiabteilung.

Nach der Wiedergründung 1946, die nach dem Zweiten Weltkrieg durch die französische Besatzungsmacht genehmigt wurde, wurde der Verein in „Turn- und Sportgemeinde Tübingen“ (TSG) umbenannt. Im Vergleich zu ebenfalls alten Vereinen entwickelte sich die TSG schnell zu einem modernen Sportverein mit vielen Abteilungen und dementsprechend vielfältigen Angeboten, auf die ich noch näher eingehen werde. Sie wurde unterstützt vom „Institut für Leibesübungen“ (später „Institut für Sportwissenschaft“) der Universität Tübingen. Inzwischen hat die TSG über 3.000 Mitglieder.

Fortschrittlich war auch die Beteiligung der Mädchen und Frauen. Zu Beginn der Turngemeinde wurde noch davon ausgegangen, dass Frauen körperlich und geistig den Männern unterlegen sind. Merkmale wie Mut, Ausdauer und durchschnittliche Leistungsfähigkeit wurde ihnen nicht zugeschrieben, dagegen ihre Rolle als Hausfrau und Mutter. Der emanzipatorische Wandel begann jedoch relativ früh, als auf das Korsett verzichtet wurde und Turnhose mit Turnleibchen Eingang fanden. Auch durften nun ältere und verheiratete Frauen turnen. Zuvor wurde dies als unschicklich angesehen. Bewegungsformen wie Freiübungen, Keulenschwingen, Reigen und Tänze wurden ergänzt durch Schwimmen, Eislaufen, Skifahren und Tennis spielen.

 

Vielfalt der Angebote

Entsprechend dem Trend im deutschen Sport ergänzte die TSG im Laufe der Zeit die klassischen Sportarten durch neue. Dies ergab trotz räumlicher Begrenzung der Sportanlage insgesamt ein vielfältiges Angebot in folgenden Abteilungen: Badminton, Fußball, Handball, Klettern, Kunstturnen, Lacrosse, Leichtathletik, Luftakrobatik, Rhythmische Sportgymnastik, Tennis und Volleyball. Für diese Sportarten stehen Spielflächen (Natur- und Kunstrasen), eine Kletterwand mit Boulderfassade, eine Beachvolleyball-Anlage, ein Tennisplatz und ein Kinderspielplatz zur Verfügung. Schließlich verfügt die TSG über eine vereinseigene Einfeldsporthalle mit Bewegungslandschaft.

Ein besonderes Angebot stellen innovative Spiel- und Sportangebote dar, die sich seit 1996 entwickelten: Kindersportschule (1996), Klettern (2005), Feriensportcamps (2005), Lacrosse (2007), „Sport-Spaß-Gesundheit“ (2007), „Cross-Sport“ (2015), „Kindergeburtstage“ (2015) und Betriebliche Gesundheitsförderung (2016).

In der Kindersportschule tummeln sich derzeit etwa 600 Kinder im Alter zwischen 1 und 12 Jahren.

Am Ende der ersten Saison 2005 hatten sich 8.200 Besucher der Kletteranlage registrieren lassen. Der Höhepunkt wurde 2009 mit 15.500 Eintritten erreicht. Im Laufe der nächsten Jahre war der Boom vorüber, auch aufgrund des Baus weiterer In- und Outdoor- Kletterzentren in Tübingen und im Umfeld.

In den Ferien bietet die TSG Feriensportcamps mit Sportarten an, die gewünscht werden.

„Sport-Spaß-Gesundheit“ umfasst Pilates, Yoga und Fitnesskurse aller Art. Es gibt Gesundheitssport-Kurse, deren Teilnehmer die Kurse mit einem ärztlichen Rezept (z.B. betr. Rückenprobleme) besuchen. Die Krankenkassen übernehmen die Kosten.

„Cross-Sport“ ist ein Trendsportangebot sowohl für Kinder, die aus der Kindersportschule herauswachsen als auch für Jugendliche, die Vorbehalte gegenüber dem Abteilungssport haben. Trendsportarten sind z.B. Parcours und Free-Running.

Eltern können ihre Kinder zu einem „Kindergeburtstag“ einladen und auswählen, welcher Sport angeboten werden soll.

Schließlich gibt es noch die Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF). Die „Bewegte Pause“ ist das perfekte Einstiegsmodell für weitere BGF- Angebote. Hieraus ergeben sich erfahrungsgemäß spezielle Kurskonzepte oder Firmen-Events, die direkt im Betrieb oder auf der TSG-Sportanlage umgesetzt werden. Dadurch liefert der Verein auch einen Beitrag für die Tübinger Stadtgesellschaft. Er motiviert zum Sponsoring und bessert seinen Haushalt auf. Ein willkommener Begleiteffekt dieser Angebote ist die Gewinnung neuer Mitglieder.

Verbindung von Breitensport und Leistungssport

 1959 beschloss der Deutsche Sportbund (DSB, inzwischen DOSB) die Einführung eines „Zweiten Wegs“. Er sollte ursprünglich die Basis für den bis dahin dominierenden Leistungs- und Spitzensport sein, entwickelte sich allerdings bald zu einem eigenständigen Bereich des Sports. Verschiedene Begriffe und Bereiche haben sich ausdifferenziert: Breiten-, Freizeit- und Gesundheitssport auf der einen Seite und Leistungs- und Wettkampfsport sowie Hochleistungssport auf der anderen Seite.

Der „Zweite Weg“ sollte möglichst viele Menschen anregen, Sport zu treiben – Jüngere und Ältere, Frauen und Männer, Sportliche und Unsportliche. Die Ziele des Breitensports in und außerhalb der Vereine waren und sind: Ausgleich des Bewegungsmangels, körperliche Fitness, Gesundheitsförderung und Freude am gemeinsamen Sportreiben. Die ersten Aktionen des Zweiten Wegs waren die Einrichtung von „Trimm-Dich-Pfaden“ und „Waldsportpfaden“, Betriebssport, Behindertensport, Sportabzeichen und Volksläufe.

Eine enge Verbindung von Breiten- und Leistungssport

Ein weiteres besonderes Merkmal der TSG ist die enge Verbindung von Breitensport und Leistungssport. Die beschriebenen Angebote, die außerhalb der Abteilungen stattfinden, sind reiner Breitensport. In den Abteilungen wird Breiten- und Leistungssport auf unteren und höheren Ebenen betrieben. So hat die TSG im Fußball neben zwei Aktiven-Mannschaften 14 Fußball-Mannschaften im Kinder- und Jugendbereich. Ihnen stehen allerdings lediglich zweieinhalb Großspielfelder zur Verfügung.

Außergewöhnlich ist, dass auch Spitzensportler und Spitzensportlerinnen entweder aus der TSG hervorgingen oder eine Zeit lang ihr Training in der TSG durchführten und in dieser Zeit bei Wettkämpfen auch für die TSG an den Start gingen.

1995 wurde das TSG-Mädchenturnen als Fördergruppe für Kunstturnen ausgezeichnet. Im Zeitraum bis 2023 gehörten sechs ehemalige TSG- Turnerinnen dem Bundeskader an. Kim Bui und Marie Pulvermacher (geb. Hindermann) nahmen erfolgreich an Weltmeisterschaften teil. Beide haben in der TSG mit dem Turnen angefangen.

2018 bestritt Thilo Kehrer sein erstes Länderspiel für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft. Auch er sammelte seine ersten fußballerischen Erfahrungen in der TSG.

In der Leichtathletik waren im Rahmen der „LAV Stadtwerke Tübingen“ (einem Zusammenschluss verschiedener Leichtathletikabteilungen von vier Tübinger Vereinen) auf nationaler und internationaler Ebene erfolgreich: Jackie Baumann (400 Meter Hürden), Robert Baumann (3.000 Meter Hindernis), Marius Bröning (100 Meter), Arne Gabius (5.000 Meter), Filmon Ghirmai (3.000 Meter), Hanna Klein (1.500 Meter), Peter Rapp (Weitsprung, 100 Meter), Marie-Laurence Jungfleisch (Hochsprung) und Stefan Wenk (Speerwurf).

In der Rhythmischen Sportgymnastik waren auf nationaler und internationaler Ebene erfolgreich: Heike Michel, Diana Fröschke, Philis Yazar, Laura Stecher, Sara Radmann, Camilla Pfeffer, Marie Protschka, Julia Abramova, Hanna Zernickel, Anna-Maria Schathohkin, Katja Tenenbaum, Julia Wolf.

Bedeutung des Ehrenamts

 1995 stand die TSG aufgrund des defizitären Spielbetriebs der Frauenmannschaft im Volleyball, die seit 1991 in der 1. Bundesliga gespielt hatte, kurz vor dem Verlust der Gemeinnützigkeit und damit vor der Vereinsauflösung. Es galt, einen Schuldenberg von 600.000 DM aus dem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb abzutragen. Der bisherige 2. Vorsitzende, Hanns-Peter Krafft, übernahm das Amt des 1. Vorsitzenden. Gefragt waren nun die Unterstützung durch den Oberbürgermeister, durch die Gemeinderatsfraktionen und Landtagsabgeordneten sowie durch den Präsidenten des Landessportbundes und die Direktoren der Gläubigerbanken. Dank einer einzigartigen Gemeinschaftsleistung gelang es, die Zukunft der TSG zu sichern.

Zudem trug ein zweites, neu gewähltes Mitglied des Vorstands ganz wesentlich dazu bei, dass der Verein wieder auf die Füße kam und sich positiv entwickeln konnte: Gerold Jericho, selbst ein erfolgreicher Leichtathlet (Deutscher Meister im Leichtathletik- Fünfkampf 1963), entwickelte ein Finanzierungskonzept. Es bestand aus der Gewinnung einer Sponsorengruppe, die es in leicht veränderter Form noch heute gibt, der Entwicklung eines Veranstaltungsprogramms, der Reduzierung der Haushalte der Abteilungen, einem Dieter Thomas Kuhn-Konzert und einer bis heute sehr erfolgreichen Sportgala.

Von 1995 bis 2025 (30 Jahr lang!) haben Hanns-Peter Krafft und Gerold Jericho die TSG ehrenamtlich geführt, unterstützt von einem engagierten Vorstand. Alle Mitglieder des jetzigen Vorstands waren über 10 Jahre im Amt. Hanns-Peter Krafft, Gerold Jericho und einige weitere Mitglieder des Vorstands scheiden jetzt im Mai aus.

Diese Ehrenamtlichen, unterstützt von den Abteilungsleitern und weiteren Ehrenamtlichen, die kein offizielles Amt innehaben, haben den Verein zu dem gemacht, was er heute ist: ein Verein mit über 3.000 Mitgliedern, soliden Finanzen, sportlichen Erfolgen und hervorragenden Sportanlagen.

Ein Beispiel für die ehrenamtliche Mitarbeit von Mitgliedern, die kein offizielles Amt bekleiden: 1993 gründete sich eine Bautruppe aus Mitgliedern verschiedener Abteilungen. Sie gestalteten den Kinderspielplatz, den Plattenbelag der Gaststätten-Terrasse, den Umbau der Toiletten, den Neubau des Umkleidebereichs für Damen und vieles mehr. Im Jahre 2020 erhielt der „TSG- Bautrupp“ den Bürgerpreis der Stadt Tübingen.

Ein Verein dieser Größe benötigt eine enge Zusammenarbeit zwischen Ehrenamt und Hauptamt. Da der Verein noch keinen Geschäftsführer hat, wurde die Geschäftsstelle mit acht hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern besetzt. Davon arbeiten zwei auf einer Vollzeitstelle und sechs auf Teilzeitstellen. Die Hauptamtlichen sind jeweils einzelnen Vorstandsmitgliedern zugeordnet, so dass eine enge Zusammenarbeit und schnelle Entscheidungen möglich sind.

Die TSG aus der Außenperspektive

 In der Festschrift zum 175-jährigen Jubiläum 2020 schrieb der Oberbürgermeister der Stadt Tübingen: „Der älteste und mitgliederstärkste Sportverein besteht nun seit 175 Jahren. Die 175-jährige Geschichte des Vereins ist zugleich auch eine 175-jährige Verbindung mit der Stadt. Keine Frage: Die TSG gehört inzwischen zu Tübingen wie die Stiftskirche und die Stocherkähne.“

Letzte Bearbeitung: 11. März 2025

Themenzuordnung: Sportentwicklung

Themenzuordnung: Allgemein

Essay

Drei Päpste und ihr Verhältnis zum Sport

Vorbemerkungen

Die Frage nach dem Verhältnis des höchsten Oberhaupts der katholischen Kirche zum Sport, zu einem Phänomen, das im vergangenen Jahrhundert einen weltweit einmaligen Globalisierungsprozess aufzuweisen hatte und heute in jeder Gesellschaft dieser Welt angetroffen werden kann, ist naheliegend und wurde auch vielfältigen Analysen vor allem aus theologischer Sicht unterzogen. Es gibt einerseits Päpste, die ein sehr enges Verhältnis während ihres Pontifikats zum System des Sports aufzuweisen haben. Andererseits standen mehrere Päpste dem Sport distanziert gegenüber. Manche hatten auch gar kein Verhältnis zum Sport aufzuweisen. Papst Pius X (1903 – 1014) gilt gemeinhin als jener Papst gilt gemeinhin als jener Papst, der als erster dem modernen Sport eine besondere Aufmerksamkeit widmete. Während seines Pontifikates fanden fast jährlich Wettkämpfe im Vatikan statt, insbesondere das „internationale Sportfest“ anlässlich seines „Goldenen Dienstjubiläums“ 1908. Eine Begegnung mit Pierre de Coubertin, dem Begründer der modernen Olympischen Spiele ist dabei besonders erwähnenswert. Im Folgenden soll das Verhältnis des Oberhaupts der katholischen Kirche zum modernen Sport beispielhaft an den in den vergangenen 5O Jahren amtierenden Päpsten skizziert werden. Es soll dabei u.a. gezeigt werden, dass die Institution des Papstes nicht zuletzt unter sportpolitischen Gesichtspunkten eine wichtige Bedeutung für die Sportentwicklung in den Gesellschaften dieser Welt einnehmen kann.

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Essay

Die „Luftnummern“ eines Herrn Coe

Helmut Digel

Der noch amtierende Präsident von World Athletics kandidiert für das Amt des IOC- Präsidenten und hat die Absicht, sich gegenüber den übrigen Kandidaten für dieses Amt mit seinen großartigen Versprechungen durchzusetzen, die er derzeit nahezu wöchentlich bei jedem möglichen nationalen und international Auftritt zu verkünden hat:

  • Die Zukunft unserer Olympischen Bewegung wird von der Klarheit der Gedanken, von einer Vision, von „Leadership“ und deren Ausführung abhängig sein. Diese Zukunft wird nur möglich sein, wenn man alle IOC -Mitglieder und alle „Stakeholder“ nützlich einsetzt. „Nur auf diese Weise können wir diese große Bewegung in Schwung bringen, damit sie die Herausforderungen und Möglichkeiten, die vor ihr liegen, meistert“.
  • Die Mitglieder des IOC sollen ganz neue Mitbestimmungsmöglichkeiten erhalten. “Members should decide and the Executive should implement those decisions. That is the way, it should be, but that’s not the way, it works now”.
  • Das IOC soll nicht von oben nach unten regiert werden, sondern genau umgekehrt. „ I want to see an end to “top-down” governance, where the Executive Committee instructs the office of the President and not the other way around.
  • “Die IOC- Exekutive soll nur noch das ausführen, was die Basis von ihr erwünscht.
  • Kommissionen sollen eine ganz neue Bedeutung erhalten. Sie sollen den Entscheidungsprozess der Exekutive steuern. Der IOC- Präsident ist lediglich Diener seiner Mitglieder.
  • Das IOC soll demokratisiert werden, wie es nie zuvor der Fall gewesen ist.
  • „Commitment to inclusivity and empowerment are easy to make but much harder to deliver”. Den Schlüssel zum Erfolg sieht Coe in einer Reformierung der IOC-„Governance“-Strukturen . Er warnt davor, dass ohne eine Dezentralisierung der Macht und ohne eine Reformierung der Organisationsstrukturen, die Versprechen nur bloße Worte bleiben werden
  • Nach Meinung von Coe hat das gegenwärtige System wohl glorreiche vier Wochen in Paris produzieren können. Doch es wäre ein katastrophaler Fehler, dies als Argument gegen die dringend notwendigen Veränderungen zu benutzen. “We owe this tranformation to the next generation. We cannot wait any longer“.

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Themenzuordnung: Allgemein

Essay

Was spricht für und gegen eine deutsche Bewerbung um die Olympischen Sommerspiele im Jahr 2040

Vorbemerkung

„Sport-nachgedacht.de“ hat sich bereits mehrfach mit Fragen zu einer deutschen Bewerbung um die Ausrichtung von Olympischen Spielen befasst. Olympische Spiele sind aus organisatorischer Sicht ein äußerst komplexes Phänomen. Bei der Ausrichtung der Spiele gibt es unzählige Herausforderungen, für die es keine einfachen Lösungen gibt. Gleiches gilt für das Problem einer Bewerbung einer Stadt bzw. eines Landes um die Ausrichtung Olympischer Spiele. Auch hier bedarf es komplexer Lösungen für ein äußerst komplexes Problem. Der folgende Essay mit seiner etwas vereinfachten Problembeschreibung soll den Verantwortlichen im deutschen Sport eine Hilfe sein, um Ihr Bewerbungsvorhaben bis zu der anstehenden Entscheidung der Mitgliederversammlung des DOS B möglichst umfassend und kompetent vorzubereiten.

H.D.

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In eigener Sache

Lob der Prävention

Buchbesprechung

Lob der Prävention

Das Buch „Klartext Gesundheit“ vom Mediziner und Langstreckler Lutz Aderhold

Dem geräumigen Laden im Leipziger Hauptbahnhof, einer der bestsortierten Bahnhofs-Buchhandlungen überhaupt, würde dieser Titel gut zu Gesicht stehen. Leider fehlte er in den Regalen dort. Wie schade. Wenn ein passionierter Langstreckenläufer nach einem langen, fast 45-hjährigen Berufsleben als Mediziner im Alter von 72 Jahren ein Gesundheits-Buch vorlegt, dann darf der Leser zwangsläufig ein Werk mit Tiefgang erwarten, in das der Autor im fortgeschrittenen Alter seine beruflichen Erkenntnisse und Lebens-Erfahrungen einbringt. Es kann sich dabei unmöglich um den Versuch handeln, mal eben mit einem „Schnellwerk“ auf der hohen Welle von Gesundheits-Büchern und Lebens-Ratgebern zu surfen und schnellstmöglich ins Fachbücher-Regel und auf die Bestseller-Listen zu gelangen. Der wohl länger überlegte und vor allem ganzheitliche Ansatz ist bei Lutz Aderhold von der ersten Seite an zu spüren. Schon in der Unterzeile „Ernährung – Bewegung – Entspannung – Denken“ legt er klar, dass es ihm nicht um einseitige, vereinfachte und verkürzte Betrachtungsweisen geht. Vielmehr will er dem Publikum einen „Wegweiser“ nach diesen vier elementaren Seiten hin an die Hand geben gleich einem klassischen, nach allen vier Himmelsrichtungen zeigenden Kompass. Es sind diese vier zentralen Elemente, die gründlich, fachmännisch und leicht verständlich ohne erhobenen Zeigefinger aufbereitet sind.

Seine Rundumsicht verknüpft der Autor mit dem Bestreben, beim Leser ein Gespür für den besonderen Wert von Gesundheitsvorsorge und Prävention zu erzeugen. „Gesundheit zu erhalten ist einfacher, als Gesundheit zurückzugewinnen,“ lautet ein Axiom. Hauptursachen für die meisten gesundheitlichen Probleme seien auf eine ungesunde Lebensweise, zu wenig Bewegung, falsche Ernährung und zu viel Stress zurückzuführen. Es sind jene Faktoren, denen es im Sinne der Selbstheilungskräfte ganz bewusst, energisch und tagtäglich entgegenzuwirken gilt. Der zweifache Großvater, der 1994 im Team Weltmeister im 100-Kilometer-Lauf wurde und diese Strecke schon mal in 6.46 Stunden bewältigte, der Marathons von „Halb“ bis „Ultra“ absolvierte und dafür wöchentlich um die 240 Kilometer laufend absolvierte, verweist zugleich uneitel auf die Wurzeln seines Ansatzes. Er habe lediglich Gedanken aufgegriffen und neuzeitlich-gründlich aufbereitet, wie sie schon der griechische Arzt Hippokrates vor zirka 2.400 Jahren äußerte: „Wenn wir jedem Individuum das richtige Maß an Nahrung und Bewegung zukommen lassen könnten, hätten wir den sichersten Weg zur Gesundheit gefunden.“

Folgerichtig nehmen Ernährung, Bewegung und Sport bei Lutz Aderhold einen breiten Raum ein. „Wer rastet, der rostet“, heißt sein Axiom für körperliche wie geistige Regsamkeit. „Es ist nie zu spät für den Anfang“, lautet ein weiteres. „Die sicherste, natürlichste und effektivste Heilmethode für nahezu sämtliche Krankheiten, die wir kennen, ist Bewegung, dabei hat Ausdauertraining in der Prävention den größten gesundheitserhaltenden Effekt“, schreibt der Autor und geht als passionierter Läufer buchstäblich mit gutem Beispiel voran. Ganze Abschnitte dieses Werkes habe er „beim Laufen entwickelt“. Er veranschaulicht das Für und Wider sportlichen Tuns mit seinen Wirkungen auf die Körperfunktionen. Er differenziert, indem er seine Expertise individuell an Frauen, Männer, Senioren, Heranwachsende und „Einsteiger“ adressiert. Dabei wird der ewige Kampf zwischen Motivation und „innerem Schweinehund“ eben so wenig vergessen wie Ratschläge des Experten zum richtigen Aufwärmen bis zur optimalen Nachbereitung von Übungseinheiten sowie vom Wert sportmedizinischer Vorsorge-Untersuchungen. Einer der Leitgedanken könnte auf die klassische Turnbewegung zurückgehen: Turne, turne, turne – von der Wiege bis zur Urne! Wobei regelmäßig wenig trainieren besser sei als unregelmäßig viel, lautet eine weitere Grund-These des Autors. Wer seine „Bewegungslehre“ gelesen hat, möchte jedenfalls am liebsten gleich loslaufen – ob langsam im Kurschritt oder schneller, egal, jedes Tempo ist gesund.

Wer sich bewegt, muss regenerieren. Ganz natürlich fügen sich jene Kapitel an, die anschließend von der Entspannung handeln sowie vom „Denken, Fühlen, Handeln“, ganz wie es der ganzheitlichen Betrachtung von Körper, Geist und Seele entspricht. Diese „Dreieinigkeit“ ist der durchgängige „roter Faden“. Dank kluger Gliederung bis zum Schluss-Kapitel, das auf Impfungen, Anti-Aging, „Alternativ-Medizin“, Erschöpfung und Burnout sowie Wege zur psychischen Heilung abhebt. Diesen rund 50 Seiten hat der Autor, beruflich mehr als vier Jahrzehnte Dentist und Spezialist für Mund-, Kiefer- und Gesichts-Chirurgie an der Uni-Klinik sowie in der eigenen Praxis in Frankfurt am Main, einige Bemerkungen vorangestellt wie dieses Statement: „Die Medizin ist ein Milliarden-Geschäft und keine Wohltätigkeits-Veranstaltung. Alle Beteiligten verteidigen ihren Anteil mit `Zähnen und Klauen´. Der betroffene Patient spielt dabei keine Rolle. Diagnostik und Therapie orientieren sich eher am finanziellen Erlös und nicht daran, was medizinisch unbedingt sinnvoll wäre.“

Zu verteilen gibt es genug. Im Corona-Jahr 2022 erreichten die Gesundheits-Ausgaben mit 497,7 Milliarden Euro einen neuen Höchststand. Pro Einwohner seien das 5.939 Euro. Unter anderem weil dieses Land „Weltmeister im Röntgen“, aber nicht in Effizienz. Die Bundesrepublik habe pro Kopf das teuerste Gesundheits-System in Europa, die durchschnittliche Lebenserwartung liege aber nur sechs Monate über dem EU-Durchschnitt. „Wir müssen weg von der Reparatur- und Medikamenten-Medizin hin zur Präventions-Medizin!“ Das Fazit fällt leicht. Ganz gleich, an welcher Stelle man dieses Buch aufschlägt, stets ist es eine lesenswerte.

Dr. Dr. Lutz Aderhold. „Klartext Gesundheit“. Ernährung – Bewegung – Entspannung – Denken. Die besten Strategien für mehr Gesundheit, Energie und Wohlbefinden. Verlags-Comptoir Rolle / VOPELIUS Verlag, Jena 2024, 263 Seiten plus 15 Seiten Links und weiterführende Literatur, kartoniert, 18 Euro.

Rezensiert  von Andreas Müller 12. Februar 2025

Themenzuordnung: Allgemein

Essay

Kommunale Gesundheitspolitik – kommunale Sportpolitik

Helmut Digel

Der deutschen Gesellschaft ist die Gesundheit ihrer Bürger[1] ein wichtiges Anliegen. Der Staat wendet sehr viel Mittel auf, um die Bevölkerung im Krankheitsfall zu versorgen. Auch im Bereich der Prävention ist ein erheblicher finanzieller Aufwand zu beobachten. Vor allem die Krankenkassen möchten ihre Mitglieder motivieren und befähigen, für ihre eigene Gesundheit Verantwortung zu übernehmen. Die Versicherten sollen ihr Verhalten ändern. Das Rauchen sollte möglichst ganz aufgegeben werden. Die Versicherten sollen sich mehr bewegen und Sport treiben, sie sollen sich ausgewogen ernähren und sie sollen möglichst wenig Alkohol konsumieren. Menschen, die vermehrt Stresssituationen ausgesetzt sind, sollen die ihnen angebotenen Hilfen zur psychischen Erholung annehmen. Solche Initiativen zielen meist auf ganz konkrete Institutionen unserer Gesellschaft: auf den Kindergarten, auf die Schulen, auf Sportvereine, auf den Arbeitsplatz. Dabei ist überwiegend eine Ausrichtung der Gesundheitsförderung auf das einzelne Individuum zu erkennen.

Gleichzeitig muss man jedoch zur Kenntnis nehmen, dass die Anzahl der von den Menschen krank verbrachten Lebensjahre und ein krankheitsbedingtes vorzeitiges Versterben nicht, wie erhofft, durch die bislang ergriffenen Präventionsmaßnahmen ausreichend gemindert wurde. So steigen insbesondere Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die durch Hypertonie, Diabetes mellitus, Fettstoffwechselstörungen und Adipositas sowie gesundheitsbeeinträchtigende Verhaltensweisen wie Rauchen, körperliche Inaktivität und ungesunde Ernährung ausgelöst bzw. beeinflusst werden. Leider sind in den letzten Jahren zunehmend auch junge Menschen betroffen.

Die Anzahl der jungen Raucher ist leider wieder im Steigen begriffen und aus den Hautkliniken wird berichtet, dass die Anzahl der Hautkrebserkrankungen angestiegen ist, obgleich immer wieder vor den Gefahren des „Sonnenbadens“ gewarnt wird. Auch die Lebenserwartung ist in Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern in den letzten Jahren kaum noch angewachsen.

Wir wissen schon seit langem, dass Appelle an die Vernunft der Bürger und Bürgerinnen meist nicht sehr weitreichend und erfolgreich sind und die Einsicht in dringend notwendige Veränderungen oft nicht lange anhält. Nahezu jeder von uns hat nach einem Krankenhausaufenthalt und nach der klugen Belehrung durch die ihn behandelnden Ärzte gute Vorsätze mit nach Hause genommen: Sich täglich in der frischen Luft bewegen, weniger essen, weniger Alkohol, gesündere Ernährung, weniger Fernsehen, weniger Smartphone, öfter gesellig mit anderen zusammen sein, ausreichend lang schlafen etc. Vielleicht hat der eine oder andere sich auch vorgenommen, endlich wieder mehr Sport zu treiben und nicht seine wertvolle Freizeit mit „E-Sport“ an Spielkonsolen zu verschwenden.

Doch bereits nach wenigen Wochen ist von diesen guten Vorsätzen nichts oder nur noch sehr wenig übriggeblieben.

Der „Alltagstrott“ ist dominant und auch sehr wirkungsvoll. Alte Gewohnheiten, die der eigenen Gesundheit nicht besonders zuträglich sind, gewinnen immer wieder von neuem die Oberhand. Wobei der Einzelne bei seinen Bemühungen um eine bessere Gesundheit oft auf sich selbst gestellt ist.

Was ist daraus zu lernen?

Es reicht offensichtlich nicht aus, dass man den einzelnen Bürgern und Bürgerinnen zwar die Notwendigkeit einer Verhaltensänderung im Sinne der Prävention vermittelt, sie dann aber bei der Umsetzung allein lässt und sie nicht fachlich begleitet. Ganz offensichtlich muss auch das „System“ gestärkt werden, in dem das Individuum arbeitet und lebt. Für eine Gemeinde wie Unterwössen, in der ich seit zehn Jahren lebe, heißt das, die gesundheitsbezogene dörfliche Verwaltungs- und Infrastruktur weiterhin zu stärken und dabei stets deren Weiterentwicklungsnotwendigkeiten und – Möglichkeiten im Blick zu behalten. Eine „systemische Perspektive“ – so die einhellige Meinung der führenden Gesundheitswissenschaftler in Deutschland – darf nicht nur das einzelne Individuum im Blick haben und ihm die gesamte Verantwortung für seine Gesundheit auferlegen, sondern muss vielmehr auch auf die konkreten „Lebenswelten“ in Gemeinden, Städten und Landkreisen ausgerichtet sein, sollen die Menschen, die in diesen sozialen „Räumen“ leben,  möglichst lange ihre Gesundheit erhalten können.

Eine „systemische Perspektive“ des Gesundheitswesens beruht somit auf dem Entscheidungsverhalten politischer Akteurinnen und Akteure in den Städten und Gemeinden. Mit ihren politischen Entscheidungen ermöglichen oder verhindern sie, dass die in ihrem Gemeinwesen lebenden Bürgerinnen und Bürger ihren je individuellen Weg zu ihrer eigenen Gesundheit finden können.

Bei diesem Ansatz geht es also darum, dass es Aufgabe von Politik und Verwaltung ist, die „Möglichkeitsräume“ für ein individuelles Verhalten so zu gestalten, dass sie geeignet sind, die Erkrankungs-Risiken zu senken. Dazu gehört auch, dass in den bestehenden und noch neu zu schaffenden „Möglichkeitsräumen“ einer Gemeinde – wie z.B. in meiner Heimatgemeinde Unterwössen – für die Freiheitund die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger vor den Gefahren des sich schon seit längerer Zeit abzeichnenden Klimawandels Vorsorge getroffen wird. Dazu gehört aber auch, dass man an notwendige „Schutzräume“ denkt, die den Bewohnern zur Verfügung stehen werden, sollte es zu einem – hoffentlich nie eintretenden – Katastrophenfall mit den unterschiedlichsten Ursachen kommen.

Jede Gemeinde steht schon heute vor vielfältigen Herausforderungen, die alle (möglichst) gleichzeitig zu bewältigen sind. Einige dieser Herausforderungen sind bereits vor Ort zu beobachten, andere sind indirekter Natur und werden durch Ereignisse und Gefahren in anderen Ländern oder auf anderen Kontinenten bereits sichtbar.

Dazu gehören:

  • die Klimakrise mit längeren Regen und Trockenperioden
  • Fluchtbewegungen in Folge von Hitze und Dürre,
  • Kriege, die Flüchtlingsströme zur Folge haben,
  • Energiekrisen,
  • Artensterben und Reduktion der Artenvielfalt,
  • Bodenerosion,
  • der demographische Wandel,
  • immer häufiger anzutreffende Viruserkrankungen

Es geht für uns alle darum, das Geflecht zwischen Artenvielfalt, Klimawandel, Wasserressourcen, Ernährung und menschlicher Gesundheit zu erkennen. Wir müssen begreifen, wie all diese Fakten und Ereignisse miteinander interagieren und wie diese

für uns  alle als „Anzeichen“ von Krisen zu erkennen sind.

Die damit verbundenen Herausforderungen bedrohen in der letzten Konsequenz die Gesundheit eines jeden Gemeinwesens. Werden die damit verbundenen Probleme nicht angegangen, so werden den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeitsräume verstellt, sich gesund zu verhalten. Die mentale, seelische und körperliche Gesundheit des Einzelnen wird bedroht und das Gemeinwesen wird fragil, wenn die Menschen, die auf unserer Erde wohnen, und dazu gehört jeder von uns, die dringend benötigten Transformationswenden nicht schaffen und sie nicht zum Gelingen bringen. Jede einzelne Wende – die Klimawende, die Migrationswende, die Energiewende, die Mobilitätswende, die Wende im Wohnungsbau, die digitale Wende, die Wende in der industriellen Produktion – stellen dabei für jedes Gemeinwesen immer schwerer zu bewältigende Herausforderungen dar.

Was kann dies für eine Gemeinde, für deren Verwaltung und für die politischen Akteure dieser Gemeinde bedeuten?

Als Bürger von Unterwössen, einer kleinen Dorfgemeinde mit 3800 Einwohnern in den Chiemgauer Alpen, möchte ich im Folgenden einen Vorschlag unterbreiten, der nur als ein erster Anstoß verstanden werden sollte. Ich würde mich freuen, wenn er als hilfreich empfunden würde. Meines Erachtens könnte man der Verwaltung meiner Gemeinde und dessen Gemeinderat das folgende„Fünf-Schritte-Programm“empfehlen:

In einem ersten Schritt könnten der Gemeinderat und die Verwaltung alle die bereits in der Vergangenheit und bis heute geschaffenen Strukturen der Gemeinde in Bezug auf die Gesundheit ihrer Bürgerinnen und Bürger dokumentieren und über diese Errungenschaften die Einwohner umfassend informieren.

Dank der vorsorglichen Kommunalpolitik der letzten Jahre hat die Gemeinde bereits sehr viel unter dem Gesichtspunkt der Gesundheitsprävention zu bieten:

– Mit einem Bergbach verfügt die Gemeinde über die schönste, längste und beste „Kneipp- Anlage“ in Bayern und vermutlich auch darüber hinaus.

– Die Gemeinde verfügt über eine beispiellos schöne Almenlandschaft, die zu gut beschilderten Bergwanderungen mit einer Einkehr zu einer Brotzeit geradezu einlädt.

–  In der Umgebung des Dorfes gibt es ausreichende Möglichkeiten zum Schwimmen lernen, zum Schwimmen und zum Baden in Seen, die auch ausreichend gepflegt werden.

-Es wurden attraktive Wanderwege ausgebaut und sie werden ständig erweitert und verbessert.

– Die Qualität der Höhenluft in dem Gebirgsdorf entspricht höchsten gesundheitlichen Anforderungen.

– Die Wasserversorgung mit ausreichend gutem Wasser ist für die Bevölkerung mittel- und langfristig gesichert.

– Das Dorf bietet seinen Bürgern Freiheit und Sicherheit gleichermaßen. Es weist eine äußerst geringe Kriminalitätsrate auf, und auch die Verkehrsunfallsrate ist vergleichsweise niedrig.

Auf der Grundlage dieser Erfolge verpflichtet sich der Gemeinderat in einem zweiten Schritt, alle bislang ergriffenen gesundheitsfördernden Maßnahmen haushaltspolitisch abzusichern und für die weitere Zukunft fortzuschreiben. Ferner vereinbart er, bei steigendem Bedarf in erforderlichem Ausmaß weitere „Möglichkeitsräume“ für Wandern Joggen und Radfahren zu schaffen.

In einem dritten Schritt werden von der Verwaltung und vom Gemeinderat überprüft, inwiefern man „Neue Initiativen“ zu Gunsten einer aktiven Sport-, Spiel- und Bewegungskultur benötigt, die über das bestehende Angebot des örtlichen Sportvereins hinausgehen und die für alle Altersgruppen und Geschlechter offen zugänglich sind. Zu prüfen ist dabei auch, ob für das dringend benötigte neue Bewegungsprogramm ein bei der Gemeindeverwaltung angestellter lizensierter Übungsleiter finanziert werden kann. Das anzutreffende Sport-, Spiel- und Bewegungsangebot bedarf einer Evaluation. Das Angebot sollte unter Beachtung der vier Jahreszeiten überprüft werden und eine genaue Auswertung des Freiluftangebots im Vergleich zum Angebot in überdachten Räumen enthalten. Auf der Grundlage der Evaluation sollten Projekte zur Erweiterung des Spiel-, Bewegungs- und Sportangebots erarbeitet und umgesetzt werden. Die Gemeinde sollte sich u.a. auch der Förderung sportlicher Talente verpflichten und neue Formen der Würdigung sportlicher Leistungen in ihrer Gemeindekultur berücksichtigen. Auch der Durchführung von Sportveranstaltungen, die sich durch eine besondere aktive Mitmachkomponente auszeichnen, sollte sich der Gemeinderat mit seiner Gemeindeverwaltung verpflichtet fühlen (jährlicher „Spendenlauf für die Welthungerhilfe“ durch die gesamte Gemeinde, „Tag des Fahrrads“ auf den Straßen und Wegen von Unterwössen, „Jedermann und Jedefrau Fußballturnier“ für alle in der Gemeinde bestehenden Institutionen und Gruppierungen, „Tag des Sportabzeichen“ etc.).

Zu einem vierten Schritt gehört, dass die bereits ergriffenen Maßnahmen die Bürgerinnen und Bürger vor klimabedingten Hitzewellen, Kälteeinbrüchen und Überschwemmungen zu schützen, kontinuierlich ausgebaut werden.

Zum Schutz vor Unwetter und Stürmen sind auf Vorschlag von Experten ggfls. weitere Entscheidungen zu treffen.

Die Sicherung einer sauberen Atemluft für jeden Bürger hat für die Verantwortlichen der Gemeinde, für Gemeinderat und Verwaltung, weiterhin höchste Priorität.

Gleiches gilt für das Trinkwasser, das auch zukünftig höchsten gesundheitlichen Ansprüchen gerecht werden muss.

Ein sehr wichtiger fünfter Schritt der Gemeindeverwaltung und des Gemeinderats hat sich auf die zunehmend sich verschärfende Verkehrsproblematik zu beziehen. Inzwischen ist der hohe und weiterhin zunehmende Individualverkehr zu einer allgemeinen Gefährdung insbesondere von Kindern und älteren Menschen beim Überqueren von Straßen geworden.  Höchste Priorität muss daher der Schutz dieser Personengruppen, aber auch der Schutz der Radfahrerinnen und Radfahrer haben. Angesichts des Verkehrs im und durch das Dorf ist zum Gesundheitsschutz der Bevölkerung der Verkehrswege-Plan zu überprüfen und zu aktualisieren.  Eine neue Verkehrszählung ist hierzu erforderlich.

Mit diesem „Fünf Schritte Programm“ könnte die Gemeinde ihren Bürgerinnen und Bürgern die Chance bieten, sich individuell in Bezug auf deren Gesundheit und Wohlbefinden zu verwirklichen.

Zu empfehlen sind ferner kommunale Workshops unter Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger, in denen diese gemeinsam mit den Entscheidungsträgern in der Gemeinde die kommunalen Gesundheits- und Sicherheitsprobleme diskutieren, gemeinsam Wege und Lösungen suchen und damit die notwendigen Entscheidungen in den politischen Gremien in einer fundierten und nachvollziehbaren Weise vorbereiten. Ein einmal im Jahr stattfindender „Dorf- Dialog“ könnte hierzu ein geeignetes Format sein.

Im kommunalen Leitbild der Gemeinde sollte die Gesundheit ihrer Bürgerinnen und Bürger eine hohe Priorität erhalten. Ökologische und transformative Resilienz ist für jedes Gemeinwesen das Gebot der Stunde.

Es ist ein Glücksfall und in vieler Hinsicht auch sehr beruhigend für die Gemeinde, in der ich lebe, dass unter der aktuellen politischen Führung durch dessen Gemeinderat, durch den Bürgermeister und dessen Gemeindeverwaltung bereits wichtige Beschlüsse und Vorleistungen zu Gunsten unseres Dorfes erbracht wurden, die auch den Schutz der Bürgerinnen und Bürger berücksichtigen. Zur Fortführung seiner gesundheitsökologischen Politik ist den Verantwortlichen der Gemeinde zu empfehlen, die vom Land Bayern und vom Bund bereitgestellten finanziellen und personellen Hilfen zu nutzen, die es bereits heute in vielfältiger Weise für zukünftige Schutzmaßnahmen gibt. Es ist auch zu empfehlen, sich durch eine gutachterliche Expertise der zuständigen Landes- und Bundesbehörden sowie des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe und des Umweltbundesamtes beraten zu lassen.

Letzte Überarbeitung: 8.2.2025

Themenzuordnung: Gesellschaftliche Entwicklung und Sportentwicklung

[1] Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf „gendergerechte“ Sprachformen – männlich weiblich, divers – verzichtet. Bei allen Bezeichnungen, die personenbezogen sind, meint die gewählte Formulierung i.d.R. alle Geschlechter, auch wenn überwiegend die männliche Form steht.

Themenzuordnung: Allgemein

Beitrag zur Sportentwicklung

Entwicklungszusammenarbeit im Sport – Ungleichzeitigkeit als Herausforderung

von Helmut Digel

  1. Vorbemerkungen

Das Thema dieses Essays ist faszinierend und schwierig zugleich. Schwierig ist es, weil man bei der Behandlung des Themas auf nur wenige Vorarbeiten zurückgreifen kann, man also in gewisser Weise Neuland betritt. Faszinierend ist das Thema vor allem deshalb, weil das Phänomen der Ungleichzeitigkeit unter kulturwissenschaftlichen und soziologischen Gesichtspunkten ohne Zweifel eine besondere Faszination ausübt. Würde sich alles zur gleichen Zeit ereignen, so wären unsere Kulturen und unsere Gesellschaften uniforme und konforme Entitäten. Unsere Welt, in der wir leben wäre langweilig und eintönig. Ungleichzeitigkeit ist deshalb vermutlich die Bedingung, dass wir jene Vielfalt erfahren können, durch die sich menschliche Kulturen auszeichnen.
Es scheint deshalb eine besondere Paradoxie zu sein, dass man sich mittels politischer Maßnahmen von der Ungleichzeitigkeit verabschieden möchte und einen Zustand der Gleichzeitigkeit anstrebt, der jedoch nicht nur unter anthropologischen Gesichtspunkten niemals erreicht werden kann. Er erscheint auch aus einer normativen Perspektive kaum als wünschenswert. Wer wie ich sich nunmehr über mehr als 40 Jahre im Feld der Entwicklungszusammenarbeit des Sports bewegt hat, für den hat das Phänomen der Ungleichzeitigkeit den Charakter einer alltäglichen Realität. Ungleichzeitigkeit wird dabei im Alltag der Entwicklungszusammenarbeit meist als störend empfunden, ohne dass erkannt wird, dass im Phänomen der Ungleichzeitigkeit möglicherweise die entscheidende Chance für eine wünschenswerte Entwicklungszusammenarbeit liegen könnte. Damit wir dies verstehen, ist es notwendig, dass wir uns etwas genauer mit dem Phänomen der Zeit auseinandersetzen.

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Beitrag zur Sportentwicklung

Sport in der Risikogesellschaft

Helmut Digel

1 Leben in der Risikogesellschaft

Folgen wir Ulrich Beck, dem leider zu früh verstorbenen deutschen Gesellschaftswissenschaftler, so hat sich seit „Tschernobyl“ unser Wissen über Gesellschaftssysteme, deren Grenzen, interne Strukturen und Abhängigkeiten in ganz wesentlicher Weise verändert. „Alles Leid, alle Not, alle Gewalt, die Menschen einander zugefügt haben, kannte bisher die Kategorie der anderen: Juden, Schwarze, Frauen, Asylanten, Dissidenten, Kommunisten usw. Es gab Zäune, Lager, Stadtteile, Militärblöcke einerseits, andererseits die eigenen vier Wände – reale und symbolische Grenzen, hinter die die scheinbar nicht Betroffenen sich zurückziehen konnten. Dies alles gibt es weiter und gibt es seit Tschernobyl nicht mehr. Es ist das Ende der anderen, das Ende all unserer hochgezüchteten Distanzierungsmöglichkeiten, das mit der atomaren Verseuchung erfahrbar geworden ist“ (BECK 1986, 7). Die Natur – so scheint es – hat uns Menschen eingeholt. Zur Utopie einer künftigen besseren Welt ist längst die negative Utopie kommender Katastrophen getreten und über die Zukunft kann heute nur vernünftig geredet werden, wenn wir uns auch auf die Vorstellung einlassen, dass es diese Zukunft vielleicht gar nicht mehr gibt (vgl. Böhme 1986, 929). Allen Grenzziehungen zum Trotz leben wir plötzlich in einer „Risikogesellschaft“, in einem „Weltindustriesystem“. Bei dem Versuch, dieses System zu beherrschen, zeichnen wir Menschen uns momentan lediglich durch Hilflosigkeit aus. Die Natur, über Jahrzehnte nur noch über ihre technisch-industrielle Verwandlung wahrgenommen, ist zur unüberwindlichen Voraussetzung für die weitere Lebensführung in unserem modernen Industriesystem geworden. Der Markt und der daraus resultierende Massenkonsum stellen sich in neuartiger Weise als naturabhängig dar. „Tschernobyl“ – so scheint es – könnte einmal als Datum gesehen werden, an dem das Ende der klassischen Industriegesellschaft offenkundig wurde. Deren Vorstellungen von nationalstaatlicher Souveränität, von automatischem Fortschritt, von der Klassenstruktur der Gesellschaft, vom Leistungsprinzip, von der Verfügbarkeit der Natur, vom Nutzen wissenschaftlicher Erkenntnis, von der Übernahme von Verantwortung, vom Konsum und vom Markt scheinen brüchig geworden zu sein. Dies zeigt sich uns in vielen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens, in der Welt der Arbeit ebenso wie in der Welt der Freizeit, nicht zuletzt auch auf dem Gebiet des Sports.

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Beitrag zur Sportentwicklung

Der Weltsport im Olympischen Jahr 2024

Der Weltsport kann einen ökonomischen Systemerfolg im Jahr der Olympischen Spiele 2024 aufweisen wie es bei keinem anderen gesellschaftlichen Teilsystem der Fall ist. Die Olympischen Spiele in Paris können dabei als der zwischenzeitlich erreichte Höhepunkt bezeichnet werden, der sehr schnell durch den nächsten Höhepunkt, der weltweit größten Fußballshow im Jahr 2026, abgelöst wird. Die kapitalistische Devise „Wachstum“ gilt für dieses System wie für kein anderes und es werden trotz aller, oder gerade wegen aller politischen Krisen, höhere Umsätze und Gewinne erzielt als jemals zuvor. Die in diesem System handelnden Personen zeichnen sich vor allem durch eine unersättliche Geldgier aus. Dies gilt für die sportlichen Akteure¹, für die verantwortlichen Funktionäre, für die Veranstalter, für die Sponsoren und wirtschaftlichen Partner, für die begleitenden Massen- und sozialen Medien, d.h. für alle Beteiligten wohl nicht im gleichen Umfang aber doch in der anzutreffenden Ausrichtung gleichermaßen. Obszöne Transfersummen, überhöhte Gehälter, maßlose Antrittsgelder, fragwürdige Werbeverträge, noch immer anwachsende Kosten für Übertragungsrechte, rechtlich kaum nachvollziehbare Erlasse von Steuern rufen dabei nahezu täglich öffentliche Verwunderung hervor, ohne dass dabei infrage gestellt wird, dass diese Obszönität auf dem Rücken der Steuerzahler stattfindet.

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