Entwicklungszusammenarbeit im Sport – Ungleichzeitigkeit als Herausforderung

von Helmut Digel

  1. Vorbemerkungen

Das Thema dieses Essays ist faszinierend und schwierig zugleich. Schwierig ist es, weil man bei der Behandlung des Themas auf nur wenige Vorarbeiten zurückgreifen kann, man also in gewisser Weise Neuland betritt. Faszinierend ist das Thema vor allem deshalb, weil das Phänomen der Ungleichzeitigkeit unter kulturwissenschaftlichen und soziologischen Gesichtspunkten ohne Zweifel eine besondere Faszination ausübt. Würde sich alles zur gleichen Zeit ereignen, so wären unsere Kulturen und unsere Gesellschaften uniforme und konforme Entitäten. Unsere Welt, in der wir leben wäre langweilig und eintönig. Ungleichzeitigkeit ist deshalb vermutlich die Bedingung, dass wir jene Vielfalt erfahren können, durch die sich menschliche Kulturen auszeichnen.
Es scheint deshalb eine besondere Paradoxie zu sein, dass man sich mittels politischer Maßnahmen von der Ungleichzeitigkeit verabschieden möchte und einen Zustand der Gleichzeitigkeit anstrebt, der jedoch nicht nur unter anthropologischen Gesichtspunkten niemals erreicht werden kann. Er erscheint auch aus einer normativen Perspektive kaum als wünschenswert. Wer wie ich sich nunmehr über mehr als 40 Jahre im Feld der Entwicklungszusammenarbeit des Sports bewegt hat, für den hat das Phänomen der Ungleichzeitigkeit den Charakter einer alltäglichen Realität. Ungleichzeitigkeit wird dabei im Alltag der Entwicklungszusammenarbeit meist als störend empfunden, ohne dass erkannt wird, dass im Phänomen der Ungleichzeitigkeit möglicherweise die entscheidende Chance für eine wünschenswerte Entwicklungszusammenarbeit liegen könnte. Damit wir dies verstehen, ist es notwendig, dass wir uns etwas genauer mit dem Phänomen der Zeit auseinandersetzen.

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Afrikanische Impressionen

1991: Ich habe den Auftrag, einen zehntägigen IAAF-Fortbildungslehrgang für afrikanische Leichtathletiktrainer¹ in Ghana zu evaluieren. Ich wohne in einem First-Class Hotel in Accra: europäischer Besitzer, beste europäische Küche, freundliches Personal. Wie es in Afrika fast überall üblich ist: mit Ausnahme eines weißen Hotelmanagers nur schwarzes Personal auf der einen und nur weiße Gäste auf der anderen Seite. Beim Frühstück herrscht europäische Geschäftsatmosphäre. Müsli und Cornflakes sind auch hier in Ghana in derartigen Hotels mittlerweile die Regel. Importierte Butter aus Frankreich, Marmelade und Honig aus Belgien. Vermutlich sind nur Ananas, Bananen, Papaya und Melonen jene Produkte, an denen die Ghanaer selbst verdienen. Gebildete kritische Europäer mögen diesen Zustand beklagen. Doch fast alle besseren Hotels in Afrika sind auch heute noch „europäische Inseln“ in einer fremden Welt. Weiterlesen

Sport als Medium interkulturellen Lernens und internationaler Verständigung

Von kulturellem Lernen, von interkultureller Kommunikation soll im Folgenden die Rede sein. Angesichts der komplexen Kommunikationsprobleme, die bei den vielen Versuchen internationaler Verständigung nahezu täglich zu beobachten sind, kann dieses Thema eine besondere Bedeutsamkeit für sich beanspruchen. Nicht erst seit heute ist ein Dialog zwischen den verschiedenen Kulturen gefordert. Wer in diesen Dialog eintreten will und wer zum Lernen bereit ist, kann dies nicht ohne eine aktive Auseinandersetzung mit jener fremden Kultur tun, mit der er in den Dialog eintreten möchte. Ob durch Konfrontation, ob durch Vergleich, ob durch Anpassung oder durch Imitation, ob bewusst organisiert vollzogen oder unterschwellig unbewusst mitlaufend, es geht in diesem Prozess interkultureller Kommunikation immer um das „Eigene“ und das „Fremde“ und es geht um die Frage des „anderen“. Wenn vom Sport in diesem Zusammenhang die Rede sein soll, wenn gefragt werden soll, ob der Sport ein geeignetes Medium interkulturellen Lernens und interkultureller Verständigung sein kann, und wenn dabei nach der Rolle der traditionellen Bewegungskulturen gefragt wird, so sollte im Sinne einer vorsichtigen Warnung eines bedacht sein: Die Geschichte des Sports ist vorrangig eine Geschichte ideologischer Diskussionen über den Sport. Sie ist eine Geschichte der Überschätzung der Funktionen, die dem Sport zugeschrieben werden. Gerade, wenn heute über die Rolle des Sports unter kommunikationspolitischen Gesichtspunkten nachzudenken ist, so sind diese Diskussionen zu beachten. Wenn der Sport eine wichtige Rolle in Situationen spielen soll, wo interkulturelles Lernen stattfinden könnte, so müssen eben jene Situationen gekennzeichnet sein, in denen die Menschen in alltägli­cher Weise kommunizieren. Der Begriff des „Alltags“ ist dabei das geflügelte Wort, wobei jedoch meist verkannt wird, dass gerade im Alltagsleben ein wirres Durcheinander von Konventionen, Einbildungen, Vorurteilen, Machtkämpfen, Nützlichkeitskalkülen und Rollen- und Identitätsspielen existiert.

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Die „Geopolitik“ des Weltsports verändert sich

2008 fanden die Olympischen Spiele zum ersten Mal in China statt. Zum Zeitpunkt der Vergabe der Spiele war China noch ein Entwicklungsland, dem Deutschland Entwicklungshilfe gewährte, aber auch heute noch im Rahmen von gemeinsamen Projekten gewährt. Mittlerweile ist es die zweit-mächtigste Industrienation und vieles spricht dafür, dass die politische Bedeutung Chinas in den nächsten Jahren noch wachsen wird. Im Jahr 2010 fanden erstmals Fußballweltmeisterschaften auf dem afrikanischen Kontinent statt. Südafrika war Gastgeber und das ganze Land war mit Stolz er-füllt, dass man das medial wichtigste Sportereignis der Welt auf dem afrikanischen Kontinent aus-richten durfte. 2016 fanden zum ersten Mal die Olympischen Spiele auf dem südamerikanischen Kontinent statt. Weiterlesen