Der „Zeitgeist“, die Welt und der Sport

Das deutsche Wort „Zeitgeist“ ist über das Englische in viele Sprachen dieser Welt übernommen worden. Beim Phänomen des „Zeitgeists“ scheint es sich offensichtlich um etwas typisch „Deutsches“ zu handeln. Herder sah im Zeitgeist etwas Einschränkendes. Er war für ihn ein Verzicht auf die Freiheit des Denkens. Non-konformes Denken wird dabei ausgegrenzt. Er enthält Annahmen, Verhaltenserwartungen, Moralvorstellungen, Tabus und Glaubenssätze, die sich regulierend auf das Verhalten des Individuums auswirken. Auch Goethe zeigte uns seine Skepsis gegenüber dem „Zeitgeist“, wenn er im „Faust“ schreibt: „Was ihr den Geist der Zeiten heißt, das ist im Grund der Herren eigner Geist, in dem die Zeiten sich bespiegeln“. Im Philosophischen Wörterbuch wird Goethe mit folgendem Zitat ausgewiesen: „Wenn eine Seite nun besonders hervortritt, sich der Menge bemächtigt und in dem gerade triumphiert, dass die entgegengesetzte sich in die Enge zurückziehen und für den Augenblick im Stillen verbergen muss, so nennt man jenes Übergewicht den Zeitgeist, der denn auch eine Zeitlang sein Wesen treibt“. Zu den wohl radikalsten Beurteilungen des Zeitgeistes gehört die Aussage von Hans Magnus Enzensbergers: „Etwas Bornierteres als den Zeitgeist gibt es nicht. Wer nur die Gegenwart kennt, muss verblöden“.
Der „Zeitgeist“ einer Gesellschaft spiegelt sich in erster Linie in der öffentlichen Meinung der großen Mehrheit wider, die vor allem vom Bildungssystem, von den Massenmedien und in jüngerer Zeit ganz intensiv von den sozialen Medien geprägt wird. Weiterlesen

Heuchelei anstelle von verantwortungsvoller internationaler Politik

Einmal mehr steht die Frage eines Boykotts von Olympischen Spielen auf der Tagesordnung der Weltpolitik. Diesmal geht es nicht um den sportlichen Boykott der Olympischen Winterspiele, die im Februar in Peking stattfinden werden. Es wird viel mehr über einen „diplomatischen Boykott“ der Winterspiele gesprochen. Angeführt von den Vereinigten Staaten haben sich auch Großbritannien, Australien und Kanada bereits für diese Boykottform ausgesprochen, die in vieler Hinsicht etwas eigenartig ist. Aus sprachwissenschaftlicher Sicht kann man diese neue Wortschöpfung als „paradox“ bezeichnen, denn nichts ist weniger diplomatisch als ein Boykott. Wie kann man von einem „diplomatischen Boykott“ der Spiele sprechen, wenn die Politiker¹ und Diplomaten sich gar nicht als vom IOC eingeladene Gäste betrachten können, denn der offizielle Gast der Spiele sind die Nationalen Olympischen Komitees mit ihren Athletinnen und Athleten aus 204 Nationen. Bleibt man von einem Geburtstag fern, zu dem man gar nicht eingeladen ist, so kann man doch vermutlich auch im Alltag nicht davon sprechen, dass der nicht eingeladene einen Geburtstag „boykottiert“ hat. In Bezug auf die bevorstehenden Winterspiele ist es also so, dass es jedem Politiker und jedem Diplomaten freigestellt ist, ob er die Olympischen Spiele in Peking besucht und die Athletinnen und Athleten seines Landes begleitet oder ob er zu Hause bleibt. Angesichts der Corona-Pandemie war es vermutlich ohnehin nicht die Absicht allzu vieler Politiker und Diplomaten bei den schwierigen Auflagen und Einreisebedingungen durch die chinesische Sicherheit – und Gesundheitspolitik und der erforderlichen Quarantänezeiträume, die Spiele in Peking zu besuchen. Sich bei diesen Spielen für einen „diplomatischen Boykott“ auszusprechen ist somit etwas äußerst Leichtes und Bequemes. Auch in Tokyo waren vergleichsweise wenige Politiker und Diplomaten bei den Spielen anwesend. Doch von einem Boykott hat dabei in Bezug auf die Abwesenden niemand gesprochen. Weiterlesen