Einmal mehr steht die Frage eines Boykotts von Olympischen Spielen auf der Tagesordnung der Weltpolitik. Diesmal geht es nicht um den sportlichen Boykott der Olympischen Winterspiele, die im Februar in Peking stattfinden werden. Es wird viel mehr über einen „diplomatischen Boykott“ der Winterspiele gesprochen. Angeführt von den Vereinigten Staaten haben sich auch Großbritannien, Australien und Kanada bereits für diese Boykottform ausgesprochen, die in vieler Hinsicht etwas eigenartig ist. Aus sprachwissenschaftlicher Sicht kann man diese neue Wortschöpfung als „paradox“ bezeichnen, denn nichts ist weniger diplomatisch als ein Boykott. Wie kann man von einem „diplomatischen Boykott“ der Spiele sprechen, wenn die Politiker¹ und Diplomaten sich gar nicht als vom IOC eingeladene Gäste betrachten können, denn der offizielle Gast der Spiele sind die Nationalen Olympischen Komitees mit ihren Athletinnen und Athleten aus 204 Nationen. Bleibt man von einem Geburtstag fern, zu dem man gar nicht eingeladen ist, so kann man doch vermutlich auch im Alltag nicht davon sprechen, dass der nicht eingeladene einen Geburtstag „boykottiert“ hat. In Bezug auf die bevorstehenden Winterspiele ist es also so, dass es jedem Politiker und jedem Diplomaten freigestellt ist, ob er die Olympischen Spiele in Peking besucht und die Athletinnen und Athleten seines Landes begleitet oder ob er zu Hause bleibt. Angesichts der Corona-Pandemie war es vermutlich ohnehin nicht die Absicht allzu vieler Politiker und Diplomaten bei den schwierigen Auflagen und Einreisebedingungen durch die chinesische Sicherheit – und Gesundheitspolitik und der erforderlichen Quarantänezeiträume, die Spiele in Peking zu besuchen. Sich bei diesen Spielen für einen „diplomatischen Boykott“ auszusprechen ist somit etwas äußerst Leichtes und Bequemes. Auch in Tokyo waren vergleichsweise wenige Politiker und Diplomaten bei den Spielen anwesend. Doch von einem Boykott hat dabei in Bezug auf die Abwesenden niemand gesprochen. Weiterlesen