Citius, altius, fortius – wohin treibt der olympische Spitzensport?

Der moderne Hochleistungssport zeichnet sich durch eine schillernde Bedeutungsvielfalt aus. Ob Staat oder Wirtschaft, ob Kirchen oder Gewerkschaften, ob Kunst oder Musik, ob Massenmedien oder private Kommunikation, in allen Bereichen unserer Gesellschaft lässt sich ein mehr oder weniger intensiver Bezug zum Hochleistungssport beobachten. Im Olympiajahr 1996 rückte er ganz besonders ins Interesse der Öffentlichkeit. 1996 war kein normales Olympiajahr. Die Olympischen Spiele der Neuzeit feierten Jubiläum: 100 Jahre zuvor hatte Baron Pierre de Coubertin die Olympischen Spiele der Neuzeit in Athen ins Leben gerufen. Solche Anlässe legen Nachdenklichkeit, aktuelle Analyse und Vorausschau nahe. Die modernen Olympischen Spiele sind nunmehr 122 Jahre alt, und es stellt sich die Frage: Wie lange werden sie noch leben?

Diese Frage ist naheliegend, wenn die aktuelle Situation des Hochleistungssports in einen Vergleich einbezogen wird, wie es der Schweizer Sportwissenschaftler Kaspar Wolf getan hat: Die Olympischen Spiele der Antike dauerten 1.000 Jahre, bis sie degeneriert aus der Geschichte verschwanden. Die mittelalterlichen Ritterturniere währten 500 Jahre bis zu ihrem Verfall, und die Zukunft des modernen Hochleistungssports wird bereits nach seinem 100. Geburtstag in Frage gestellt.

Welche positive Bedeutung kommt dem modernen Hochleistungssport heute jedoch noch zu? Wodurch wird diese Bedeutung gefährdet? Welche Chancen eröffnen sich?

Im Folgenden wird versucht, auf diese und weitere Fragen eine Antwort zu finden. Zu diesem Zweck wird zunächst der aktuelle Stand des modernen Hochleistungssports in Deutschland skizziert. Anschließend werden Probleme und Krisen, aber auch die Bedeutung des Hochleistungssports als Kulturgut beschrieben, am Ende werden Perspektiven für die Zukunft des Hochleistungssports in Deutschland aufgezeigt. Dabei wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben. Es kann sich nur um eine exemplarische Darstellung handeln, in der auch persönliche Sichtweisen eine Rolle spielen.

Die aktuelle Situation des modernen Hochleistungssports

Will man heute die Frage nach dem Sinn des Hochleistungssports beantworten, so ist es wichtig, zunächst seine aktuelle Situation darzustellen. Wenn man vom Hochleistungssport spricht, denkt man nahe liegender Weise an die Athletinnen und Athleten, die in den Stadien und Arenen herausragende sportliche Leistungen vollbringen. Die Namen Federer, Nowitzki oder Harting sind dabei Synonyme für den Begriff Hochleistungssport. Dies ist jedoch nur die halbe Wahrheit. Der Hochleistungssport ist heute eine moderne Institution, in der die Handlungen der Athleten nur einen Platz unter vielen einnehmen. Die anderen Plätze werden von einer Vielzahl von Personen, Gruppen und Organisationen eingenommen. Dazu gehören die Trainer, Manager und Funktionäre des Sports. Es gehören dazu aber auch die Sportartikelindustrie, die Hersteller von Sportgeräten, die Wissenschaftler, die Zuschauer in den Stadien, nicht zuletzt auch die Massenmedien, die Wirtschaft und die Politik. In diesem Gefüge stellt sich der Hochleistungssport zur Zeit als eine Wachstumsbranche erster Ordnung dar.

Dieses Wachstum wird durch den Sachverhalt begünstigt, dass es heute eine große gesellschaftliche Nachfrage nach sportlicher Leistungssteigerung gibt. Nachgefragt wird dabei in erster Linie durch die Konsum- und Unterhaltungsindustrie, die damit dem Unterhaltungs- und Konsumbedürfnis einer wachsenden Zahl von Menschen in nahezu allen Ländern der Welt entspricht. Diese Entwicklung wird in Deutschland beschleunigt durch eine noch immer wachsende Freizeit, durch relativ hohe Einkommen eines großen Teils unserer Bevölkerung und durch ein vermehrtes Interesse an Fitness, Gesundheit und aktiver Körperlichkeit. Eine Folge dieser Entwicklung ist, dass sich heute der Breitensport vom Spitzensport nahezu völlig abgelöst hat. Der Spitzensportler weist heute selbst mit jenem Sportler nur wenig Gemeinsamkeiten auf, der Woche für Woche in seinem Verein einen Trainingsabend besucht, am Wochenende an einem Wettkampf teilnimmt, um dabei den Aufstieg in die nächsthöhere Spielklasse zu erreichen. Fast keine Gemeinsamkeiten sind zwischen den Spitzensportlern und jenen Menschen zu erkennen, die sich in einer Freizeitgruppe mit Volleyball, Gymnastik oder anderen körperlichen Aktivitäten beschäftigen und sich im Anschluss an ihre Übungsabende in einem Vereinsheim treffen.

Probleme der Logik des Systems

Will man die Qualität und die Reichweite der Probleme im deutschen Hochleistungssport erfassen, so ist es notwendig, die Logik des Systems zu betrachten, die für den Hochleistungssport in weiten Teilen gilt. Die Logik des heutigen Hochleistungssports beruht im Wesentlichen darauf, dass Athletinnen und Athleten bemüht sind, Siege zu erringen, ihre Leistungen zu steigern und die erbrachten Siegleistungen und Rekorde im Sinne einer Ware in ein Tauschverhältnis mit der Wirtschaft einzubinden. Der Spitzensportler hat somit heute viel mit einem industriell Produzierenden gemein. Er befindet sich in einem engmaschigen Planungssystem: Langfristige Trainingspläne, präzise kalkulierte Zeitbudgets, wiederkehrende Checks für Körper und Gerät, finanzielles Kalkül der Teilnahme an großen Wettkämpfen, Orientierung an festen Verbandsregeln; das sind die Kennzeichen und Merkmale der Tätigkeit des Spitzensportlers.

Die ökonomischen Gewinne der Athleten werden über körperliche Leistungen angestrebt, und diese verteilen sich nach dem Prinzip „Sieg“ bzw. „Niederlage“. Das System des Hochleistungssports ist somit auf Steigerung, in gewissem Sinne auf Wachstum ausgerichtet. Wie alle Systeme, die auf Wachstum und Steigerung ausgerichtet sind, befindet sich jedoch auch das System des Hochleistungssports in der Gefahr, sich selbst in Frage zu stellen. Folgt man der Logik des Hochleistungssports, so ist in diesem ein Prozess der Selbstzerstörung angelegt. Dieser Prozess wird von teilweise noch gefährlicheren Einflüssen überlagert, die von außen auf den Sport einwirken. Besonders gefährlich sind dabei die Einflüsse aus den Bereichen Staat, Wirtschaft und Massenmedien. Das Steigerungsprinzip hat dazu geführt, dass enorme Trainingsleistungen zum Erreichen sportlicher Erfolge erforderlich sind, die Kalkulation dieser sportlichen Erfolge jedoch immer schwieriger geworden ist. Der Grenznutzen des sportlichen Trainings wurde immer weiter verringert. Bei immer größeren Trainingsaufwendungen sind nur noch geringe Leistungssteigerungen erreichbar. Insbesondere in jenen Sportarten, die im Sinne der olympischen Maxime „citius, altius, fortius“ auf die Steigerung oder Minimierung von Zentimetern, Gramm oder Sekunden ausgerichtet sind, besteht deshalb zunehmend die Gefahr der unerlaubten Grenzmanipulation. Doping ist deshalb nicht in erster Linie ein individuelles moralisches Problem, es ist vielmehr ein Problem, das im Wesentlichen durch den Code des Systems Hochleistungssport hervorgerufen wird. Aber auch Verstöße gegen das selbstregulierende Prinzip des Fair Play, insbesondere die Zunahme von Aggression und Gewalt bei Ereignissen des Hochleistungssports werden mit Blick auf den Grenznutzen des Trainings und der angestrebten ökonomischen Gewinne über den Systemcode nahegelegt.

Paradoxien in der aktuellen Sportentwicklung

Die Tendenz zur Selbstzerstörung des Hochleistungssports wird auch deutlich, wenn wir einige der Paradoxien beobachten, die den Hochleistungssport heute kennzeichnen.

Eine erste Paradoxie zeigt sich in der ständig zunehmenden Attraktivität des Hochleistungssports für die Massenmedien. Die Menschen sind an spektakulären Leistungen im Sport interessiert; sportliche Höchstleistungen haben für viele Menschen einen großen Unterhaltungswert. Der Unterhaltungswert ist dabei in erster Linie an die Ressource „interessanter“ bzw. „erfolgreicher“ Athlet gebunden. Diese Ressource wird jedoch zumindest in der Bundesrepublik, aber auch in anderen Industriegesellschaften und damit in den Mutterländern des Hochleistungssports, immer knapper. In konsumorientierten Industriegesellschaften wird es immer weniger wahrscheinlich, dass junge Menschen den langen und teilweise sehr aufopferungsvollen Weg in den Hochleistungssport finden. Dies gilt nicht für alle Disziplinen gleichermaßen, einige der traditionellen Sportarten sind jedoch in Bezug auf die Knappheit der Ressource Athlet vehement betroffen.

Eine zweite Paradoxie verweist auf die ökonomische Lage des Hochleistungssportsystems. Da wird von immer weniger Athletinnen und Athleten immer mehr Geld verdient. Bei spektakulären Ereignissen sind Antrittsgelder, Gewinnprämien, Sponsoringverträge in Größenordnungen üblich geworden, die den üblichen Prinzipien einer Leistungsgesellschaft und den in ihr geltenden Prinzipien zur Dotierung von menschlichen Leistungen widersprechen. Bei Millioneneinnahmen für Wenige kommt es jedoch gleichzeitig zu einer riskanten Finanzierung aller Übrigen, die mit ihren Leistungen die Grundlage für die Millioneneinnahmen liefern. So ist die Finanzierung der Vereinsarbeit ebenso gefährdet, wenn es um den Hochleistungssport geht wie die Finanzierung der regionalen und übergeordneten Verbandsarbeit. Besonders gefährdet sind dabei all jene Athletinnen und Athleten, die nicht zu den Privilegierten zählen, denen es somit nicht gelingt, über sportliche Leistungen jene Gewinne zu erzielen, die zu ihrer sozialen Absicherung führen.

Eine dritte Paradoxie verweist auf den Zusammenhang von Ehren- und Hauptamt. Bei erhöhter ökonomischer Bedeutung des Hochleistungssports ist es naheliegend, dass effizientes Organisieren, effizientes Wirtschaften und effizientes Kommunizieren von den Organisationen des Hochleistungssports verlangt wird. Die ökonomischen Erfolge des Hochleistungssports basieren jedoch fast ausschließlich auf unökonomischem ehrenamtlichem Handeln, auf meist ineffizienter Organisation und Kommunikation und nicht selten auch auf ineffizienter finanzwirtschaftlicher Arbeit. Sie basieren vor allem auf gemeinnützigem Tun und stehen somit im Widerspruch zur privaten Nutzenmaximierung des wirtschaftlichen Systems, das sich der Ware Sport bedient.

Sind dies alles bereits Hinweise, dass der Spitzensport ohne positiven Sinn ist? Ist der Spitzensport gar in Gefahr? Allein die hier skizzierten Paradoxien im System des Hochleistungssports verweisen auf einige Probleme, deren Lösung dringend erforderlich ist, will sich der Hochleistungssport nicht selbst existentiell gefährden.

Welche Probleme sind es nun, die die derzeitige Entwicklung des Hochleistungssports prägen und deren Lösung zwingend notwendig ist, soll er in qualitativer und quantitativer Hinsicht weiterhin jene Rolle spielen, die er bislang haben konnte? Acht Probleme sollen besonders herausgestellt werden.

Problemanalyse

Das Problem der Grenzen sportlicher Leistung

Die Frage nach der Grenze der sportlichen Leistung stellt sich heute auf verschiedenen Gebieten. Vor allem stellt sie sich für die Athleten, die immer häufiger erkennen müssen, dass die Relation zwischen sportlichem Training und möglicher Wettkampfleistung immer fragwürdiger wird. Die Leistungsansprüche, die von außen an den Athleten herangetragen werden, haben in einigen Sportarten zu einem derart großen Aufwand an Training, wissenschaftlicher, technischer, sportpraktischer sowie medizinischer und psychologischer Betreuung geführt, dass man sich fragen muss, ob dabei der Aufwand in Relation zum Ergebnis noch zu verantworten ist. Mit Blick auf die dabei zunehmende Gefährdung des Athleten ist diese Entwicklung äußerst gefährlich. Der Athlet muss – und sei es nur in kleinen Steigerungsschritten – immer höhere Risiken von physischen, psychischen, sozialen und auch finanziellen Belastungen, Unfallgefahren, Dauerverletzungen und Spätschäden hinnehmen, um einen immer geringeren Leistungszuwachs in einer speziellen Fertigkeit zu erreichen. Begünstigt wird solch eine fragwürdige Entwicklung durch eine Sportmedizin, in der es Personen gibt, die bereit sind, mit medizinischen Mitteln die sportliche Höchstleistung zu manipulieren, ohne sich darauf zu besinnen, dass ihnen als Ärzte eigentlich eine völlig anders geartete Aufgabe zukommt. Die Grenzen des Spitzensports sind jedoch nicht nur biologischer Natur. Sie werden auch durch die Sportregeln, damit durch die Ideen des Sports, durch das olympische Ethos vorgegeben. Selbst dann, wenn z.B. Doping aus medizinischer Sicht ungefährlich wäre, so rechtfertigen allein das Prinzip der Chancengleichheit und der Chancengerechtigkeit das bestehende Doping-Verbot.

Das Legitimationsproblem

Will man die derzeit vorherrschende öffentliche Meinung über den organisierten Hochleistungssport wiedergeben, sind Attribute wie „unglaubwürdig“, „heuchlerisch“, „verlogen“ oder „unfähig“ zu zitieren, wobei damit in erster Linie Funktionäre, Trainer, Mediziner und Wissenschaftler gemeint sind. Die öffentliche Meinung ist in ihrer Bewertung des Sportsystems und des Hochleistungssports gewiss von Vorurteilen geprägt. Doch Vorurteile basieren oft auf einem realen Sachverhalt. Der Hochleistungssport in Deutschland ist in der Tat in mancher Hinsicht unglaubwürdig geworden, er steckt in einer Legitimationskrise, die verschiedene Ursachen hat.

Eine erste Ursache könnte darin liegen, dass der Sport heute zunehmend instrumentalisiert und als Reaktion auf vielfältige Problemlagen in unserer Gesellschaft genutzt wird. Dabei ist es vor allem zu einer Ausweitung des Freizeitsports und sogenannter gesundheitsorientierter Sportangebote gekommen, die sich in Abgrenzung zum Hochleistungssport, teilweise sogar in Gegnerschaft zum Spitzensport entwickeln. Der Spitzensport wird dabei immer mehr zum „Krankheitssport“, und Diskussionen, wie sie in Kranken- bzw. Gesundheitskassen geführt werden, ob zukünftig zwischen Bonus- und Malussport zu unterscheiden sei, sind ernstzunehmende Symptome für eine Gefährdung der gesellschaftspolitischen Legitimation des Hochleistungssports. Ein Spitzensport, der vorwiegend krank macht und damit finanzielle Belastungen für unsere Gesellschaft erzeugt, ist kaum noch zu legitimieren.

Eine zweite Ursache für die diagnostizierte Legitimationskrise ist darin zu sehen, dass im Hochleistungssport von heute egoistische finanzielle Interessen weniger auf dem Rücken vieler ausgetragen werden. In einem gewissen Sinne muss deshalb von einer Schmarotzersituation gesprochen werden, die in den heute üblichen Formen von penetranter Schleichwerbung ihren treffenden Ausdruck findet. Diese Situation legt die Frage nahe, ob ein staatlich finanziertes Sportsystem weiterhin akzeptiert werden kann, wenn innerhalb dieses Systems auf undurchsichtige Weise private Gewinne in oft inflationärer Höhe erzielt werden?

Eine dritte Ursache für die Legitimationskrise könnte auch darin gesehen werden, dass dann, wenn der sportliche Erfolg zu einer Frage des finanziellen und materiellen Gewinns bzw. Verlusts wird, das Anwachsen von Aggression und Gewalt im Hochleistungssport kaum noch überraschen kann. Gerade in den vergangenen Jahrzehnten ist es zu einer schleichenden Zunahme instrumenteller Gewalthandlungen mit steigendem Leistungsniveau gekommen. Lässt sich diese Art von Sport öffentlich legitimieren? Hat solcher Sport eine positive kulturelle Bedeutung?

Das Nachwuchsproblem

Ein weiteres, sehr ernst zu nehmendes Problem des modernen Hochleistungssports ist der Mitgliederrückgang im Bereich der Kinder und Jugendlichen, besonders in den traditionellen Ball- (z.B. Fuß-, Hand-, Volley- und Basketball) und Individualsportarten (z.B. Schwimmen, Leichtathletik, Gerätturnen). Verursacht wird dieser Rückgang u.a. durch neue Konkurrenzsportarten, die als sogenannte „Fun-Sportarten“ wie Streetball, Beach-Volleyball oder Snowboard für viele Kinder und Jugendliche besonders attraktiv zu sein scheinen. Die Talentfindung und -förderung, die für das Überleben des Systems des Hochleistungssports ein unverzichtbares Fundament darstellen, sind angesichts solcher Konkurrenz zu einem kaum noch zu bewältigenden Unterfangen geworden. Hinzu kommt, dass die Basis im Schulsport, die einige dieser Sportarten in der Vergangenheit besaßen, immer mehr gefährdet wird.

Das Dopingproblem

Das noch immer ungelöste Dopingproblem hat die positive Bewertung, die weit verbreitete Zustimmung zum Sport und dessen gesellschaftspolitische Wertschätzung in Frage gestellt. Angesichts des über Jahre stattfindenden Betrugs, der teilweise von Funktionären, Sponsoren, Politikern, Ärzten und Trainern geduldet bzw. aktiv gefördert wurde, hat der Hochleistungssport für große Teile der Bevölkerung seine Glaubwürdigkeit verloren.

Das Dopingproblem in seiner Gesamtheit betrachtet ist nach wie vor ein ungelöstes Problem des nationalen und internationalen Hochleistungssports. Hinreichende Belege für das Problem existieren dahingehend, dass nach wie vor positive Dopingproben bei Kontrollen erfasst werden. Hinzu kommt, dass Athleten, Trainer und weitere Sportexperten in vielen Gesprächen in Form von Andeutungen, Gerüchten, Vermutungen und Anschuldigungen über das Thema Doping sprechen. Die Mehrzahl der dabei gemachten Aussagen ist nicht verifizierbar, es muss jedoch davon ausgegangen werden, dass national und international nach wie vor in vielen Sportarten gedopt wird. Ob insgesamt mehr oder weniger im Vergleich zu früheren Jahren gedopt wird, kann nur vermutet werden. Als gesichert hingegen muss gelten, dass der Kampf gegen Doping nahezu auf allen Feldern, auf denen er geführt wird, unzureichend ist. Betrachtet man das Dopingproblem in einem systematischen Überblick, so kann man erkennen, dass die Dopingkontrolle das nahezu einzige Instrument im Kampf gegen Doping ist, das mehr oder weniger konsequent eingesetzt wird. Alle übrigen möglichen und notwendigen Instrumente werden hingegen gar nicht oder nur halbherzig eingesetzt. Doping findet heute in einem Netzwerk von interagierenden Personen statt, in dessen Mittelpunkt der Athlet steht. Das Doping-Kontrollsystem wendet sich derzeit lediglich an den Athleten, alle übrigen Beteiligten werden von diesem Instrument des Anti-Doping-Kampfes nicht erfasst. Weitere Möglichkeiten im Kampf gegen Doping wie z.B. Entzug der staatlichen Förderung bei nicht ausreichendem Anti-Doping-Kampf, umfassende Erziehung und Aufklärung von Athleten, Ausschluss von Verbänden bei internationalen Wettkämpfen, die kein ausreichendes Anti-Doping-Instrumentarium aufweisen, abschreckende Strafen für das Umfeld des Athleten, das den Dopingmissbrauch des Athleten begünstigt, all diese weiteren Möglichkeiten werden derzeit gar nicht oder nur völlig unzureichend genutzt.

Besonders schädlich wirkt sich der Sachverhalt aus, dass von der pharmazeutischen Industrie kontinuierlich Medikamente entwickelt und auf den Markt gebracht werden, ohne den Sport über ein entsprechendes Vorwarnsystem auf die möglichen Probleme, die diese Medikamente aufwerfen, aufmerksam zu machen. Auf diese Weise ist das ohnehin entstandene „Hase-Igel-Rennen“ zu einem erfolglosen Unterfangen der Doping-Analytiker geworden. Erschwerend kommt hinzu, dass die Frage nach der Qualität der wissenschaftlichen Befunde, die den Doping-Sanktionen zu Grunde liegen, nur unbefriedigend beantwortet wird. Immer häufiger wird deutlich, dass die naturwissenschaftlichen Expertenmeinungen in gleicher Weise variabel sind, wie dies für wissenschaftliche Meinungen im Allgemeinen gilt und sich deshalb viele Sanktionen vor ordentlichen Gerichten als nicht durchsetzbar erweisen.

Ärgerlich und schädlich sind aber vor allem die ungleichen Bedingungen, unter denen in den verschiedenen Sportverbänden national und international gegen das Problem des Dopings gekämpft wird. Wer wirklich bereit ist, konsequent gegen das Unwesen des Dopings zu kämpfen, der muss auch bereit sein, sich einem Doping-Kontrollsystem zu unterwerfen, so wie es in Deutschland etabliert ist, und er muss auch ferner bereit sein, seine Strafen so den international anerkannten Maßstäben anzugleichen, dass innerhalb der deutschen Sportverbände gleiche Delikte mit gleichen Strafen einhergehen. Dies ist aber nicht der Fall. Nahezu sämtliche Bemühungen, die der Deutsche Olympische Sportbund auf diesem Gebiet veranlasst hat, sind bis heute nur teilweise oder gar nicht erfolgreich gewesen. Nach wie vor gibt es auf nationaler Ebene eine Bandbreite an differierenden Strafen, die nahezu jeglicher juristischer Begründung entbehrt. Auf internationaler Ebene ist die Situation noch viel bedenklicher. Hier ist zu erkennen, dass sich der Kampf gegen Doping oft nur in öffentlichen Reden ereignet. Die alltägliche Praxis der internationalen Verbände wird hingegen von solchen Reden nicht erreicht. Von den olympischen Sportarten weist nur eine kleine Minderheit Doping-Kontrollsysteme auf, die den Namen verdienen, und nach wie vor treten bei Olympischen Spielen Athleten an den Start, die in ihren Sportarten nicht kontrolliert werden, wobei teilweise nicht einmal Wettkampfkontrollen durchgeführt worden sind.

Das wohl wichtigste Problem aus Athletensicht ist deshalb die nach wie vor existierende Chancenungleichheit, die sich z.B. sowohl innerhalb der Leichtathletik als auch im Verhältnis der Leichtathletik zu anderen Sportarten beobachten lässt. Gerade vor dem Hintergrund dieser Chancenungleichheit ist die Frage nach den Nominierungskriterien deutscher Athleten ungelöst. Wer deshalb deutschen Athleten, die sich in einem komplizierten Qualifikationssystem als Beste erwiesen haben, zu Touristen deklariert, nur weil sie in Disziplinen, die in hohem Maße vom Doping beeinträchtigt sind, nicht mehr konkurrenzfähig sein können, der muss sich fragen, welchen Hochleistungssport er in Deutschland und in der weiteren Zukunft haben möchte.

Regelverstöße durch Doping sind in vielen Sportarten zu einem Problemberg angewachsen, dem immer mehr Verantwortliche im Sport ohnmächtig gegenüberstehen. Die Gefährdung der Unversehrtheit und Würde der Athleten ist dabei offensichtlich. Die Gefährdung des Fairness-Gebotes des Systems des Hochleistungssports kann nicht übersehen werden, und der Verlust der klassischen Sinngebung des Hochleistungssports, der Verlust der Coubertinschen olympischen Prinzipien kann auch nicht von jenen verdeckt werden, die sich im System des Sports allzu häufig durch Übersehen, Verdrängen und Nicht-Hinsehen auszeichnen. Vielmehr ist es gerade deshalb angebracht, dass wir von einer schwelenden Sinnkrise des Hochleistungssports zu sprechen haben.

Das Personalproblem

Als problematisch muss auch das im Hochleistungssport handelnde ehrenamtliche und hauptamtliche Personal bezeichnet werden. Teilweise ist es noch an einem Wertesystem orientiert, das dringend der Erneuerung bedarf. Teilweise mangelt es an fachlicher Kompetenz, und immer seltener lassen sich Führungspersönlichkeiten finden, die auch auf eine Anerkennung außerhalb des Sports verweisen können.

Wollen die Verantwortlichen im organisierten Sport, allen voran im DOSB, ihre Glaubwürdigkeit als grundlegende Basis für ihr zukünftiges Handeln im Sport zurückgewinnen, so scheint eine personelle Erneuerung als unverzichtbar. Folgt man der Meinung kritischer Journalisten, so befinden sich die Organisationen des deutschen Hochleistungssports schon seit längerer Zeit in einer Imagekrise. Diese Krise wird nicht zuletzt durch teilweise verkrustete, ineffiziente Organisationsstrukturen bedingt. In vielen Verbänden wird es deshalb wichtig sein, die Organisationsstruktur der Verbandsarbeit neuen Anforderungen anzupassen. Viele Versäumnisse der Vergangenheit, gerade auch im Zusammenhang mit dem Dopingproblem, sind auf das ungeklärte Verhältnis zwischen Haupt- und Ehrenamt zurückzuführen. Viele Aufgaben, die heute noch von Ehrenamtlichen zu bewältigen sind, so z.B. wenn sie die Steuerung des Leistungssports als ihren zentralen Aufgabenbereich zu verantworten haben, lassen sich mittel- und langfristig nur noch in hauptamtlicher Professionalität lösen.

Als ein Aspekt des Personalproblems ist auch die Öffentlichkeitsarbeit der Verbände anzusehen, die angesichts der notwendigen neuen Wege zu einem besseren Leistungssport gewiss nicht nur aus reaktiven Tätigkeiten bestehen darf. Perspektivische Öffentlichkeitsarbeit setzt jedoch eine spezifische kommunikative Kompetenz voraus, die bis heute in fast keinem der Spitzenverbände anzutreffen ist. Eine kontinuierliche Perspektivplanung, die für den modernen Hochleistungssport zwingend erforderlich wäre, hat nur wenige Verbände erreicht und findet in ihnen meist nur in nebengeordneten Kommissionen statt. Die Präsidien vieler Sportfachverbände handeln dessen ungeachtet von der Hand in den Mund, d.h. von einem Wettkampfereignis zum nächsten. Nicht zuletzt deshalb sind sie resistent gegenüber zwingenden Neuerungen und neigen zu Feuerwehrmaßnahmen in der Regel immer erst dann, wenn es bereits zu spät ist.

Für die weitere Entwicklung des deutschen Spitzensports wird aber auch die Antwort auf die Frage entscheidend sein, welche Rolle deutsche Sportfunktionäre zukünftig in internationalen Sportgremien einnehmen werden. Auch diese Frage kann nicht mehr dem Belieben einzelner Funktionäre überlassen werden. Vielmehr muss die internationale Repräsentanz des deutschen Sports strategisch vorbereitet und mit fachlicher Kompetenz bereichert werden. Es bedarf aber auch einer Rückbindung der internationalen Mandate an die Sportorganisationen, so dass auch die Sportorganisationen und deren Präsidien selbst Einfluss auf die internationale Politik nehmen können.

Das Finanzproblem

Ein gravierendes Problem ist die ungesicherte Finanzierung der Verbandsarbeit durch den Staat und eine unzureichende Unterstützung durch Sponsoren. Die staatliche Förderung des Hochleistungssports stagniert. Bestehende Kooperationen mit der Wirtschaft sind für viele Sportfachverbände gefährdet, neue Vereinbarungen sind nur noch mit leistungsstarken Angeboten zu schaffen. Darüber hinaus ist eine entsprechende Repräsentanz vieler Fachverbände im Fernsehen nicht mehr gewährleistet, was meist dazu führt, dass das Interesse von zahlenden Zuschauern bei den nationalen Wettbewerben vieler Sportarten stagniert oder rückläufig ist und das Sponsoreninteresse an solchen Sportarten abnimmt oder bereits gar nicht mehr vorhanden ist.

Eine Schlüsselfrage für den Fortbestand des Sportsystems wird die Frage der gerechten Bezahlung der sportlichen Leistung einnehmen. Derzeit neigt das Sportsystem dazu, inflationäre Bezahlungen zu Gunsten weniger Athleten zu akzeptieren und die Mehrheit der Athleten von einer Bezahlung auszuschließen. Sollte diese Lösung beibehalten werden, so wird das System des Hochleistungssports als Ganzes kaum eine Überlebenschance haben. Die Leistungsgesellschaft als demokratische Gesellschaft wird dadurch in Misskredit gebracht. Vergütungen, wie sie derzeit Stars wie Messi oder Ronaldo für ihre sportlichen Erfolge erhalten, stehen in krassem Widerspruch zu einer gerechten Honorierung menschlicher Leistungen. Unter dem Aspekt der sportlichen Gerechtigkeit muss gefragt werden, ob es akzeptabel ist, dass in jenen Sportarten, die nicht in der Gunst der Medien und des IOC stehen, Athleten hohe materielle und menschliche Risiken einzugehen haben, wollen sie Höchstleistungen erbringen, in den medien- und IOC-begünstigten Sportarten hingegen sich die Risiken für die Athleten als relativ gering erweisen. Es muss auch gefragt werden, ob es weiter erlaubt sein kann, dass die sportliche Höchstleistung eines Athleten vom Übungsleiter, von Betreuern und vom Verein gleichsam genossenschaftlich vorbereitet und ermöglicht wird, hingegen der erfolgreiche Athlet mit der Unterstützung von Managern und der Wirtschaft seinen sportlichen Erfolg privatwirtschaftlich vermarktet.

Das Problem der Fremdbestimmung

Die Gefährdung der Autonomie des Spitzensports resultiert in erster Linie aus einer vermehrten Einflussnahme der Massenmedien, des Staates und der Wirtschaft. In den Massenmedien kommt es zu einer Verkürzung des Spitzensports auf wenige publikumswirksame Sportarten, auf Starkult, Show, Sensation, human touch und Nervenkitzel. Dabei geht die Einflussnahme der Massenmedien so weit, dass sie zumindest in einigen Sportarten wesentliche Regeln bestimmt haben bzw. Regelveränderungen veranlassten. Die Einflussnahme des Staates zeigt sich in einer zunehmenden zentralistischen Steuerung des Hochleistungssports unter dem Aspekt der nationalen Repräsentation durch sportliche Leistung. In dem Bemühen, über sportliche Erfolge das politische System zu legitimieren, ist vermehrt ein Abhängigkeitsverhältnis zum Staatsetat entstanden. Über die Wirtschaft und deren Kommerzialisierungsmaßnahmen in die Bereiche des Hochleistungssports hinein ist es zu einer Relativierung der inneren Autonomie der Verbände gekommen. Ihre Werte wurden durch die Kommerzialisierung relativiert, es entsteht eine Rationalität des Marktes, der Warenästhetik und des Geldes.

Das Solidaritätsproblem

Die sozialen Belastungen der Athleten können auch im Zusammenhang mit einer zunehmenden Entfremdung der Athleten von ihrer Vereinsbasis gesehen werden. Der Trend zur Zentralisation des Hochleistungssports, der in der Bundesrepublik unübersehbar geworden ist, der Versuch der Abstützung der sportlichen Höchstleistung durch zentrale Steuerungsmaßnahmen und zentrale institutionelle Serviceleistungen, wie z.B. durch Olympiastützpunkte, hat die Athleten vermehrt von ihren Mitathleten entfremdet, und insbesondere besteht die Gefahr, dass der Hochleistungssport von den Vereinen abgekoppelt wird. Die Solidaritätsidee des Vereins kommt auf diese Weise im System des Hochleistungssports immer weniger zur Wirkung, der Generationenvertrag zwischen aktivem Kinder- und Jugendsport und Wettkampfsport und ehrenamtlicher Hilfe durch ehemalige Athleten ist längst in Frage gestellt bzw. unwirksam geworden.

Der Hochleistungssport als bedeutsames Kulturgut

Angesichts der exemplarisch dargestellten Probleme des modernen Hochleistungssports mag es als überraschend empfunden werden, wenn ich weiterhin die Auffassung stärken möchte, dass auch heute noch im Hochleistungssport ein kulturell bedeutsamer Sinn liegen kann. Trotz aller Gefahren, die sich im Hochleistungssport beobachten lassen, kann er nach wie vor als ein Idealmodell für unsere Konkurrenzgesellschaft betrachtet werden. In ihm werden die Prinzipien einer Leistungsgesellschaft, das Leistungs- und Konkurrenzprinzip und das Prinzip der Chancengleichheit symbolträchtig am Genauesten verwirklicht.

Von symbolischer Bedeutung ist auch die Tatsache, dass es im Hochleistungssport um das Erlernen und Einüben schwieriger Bewegungsformen und Könnensmuster geht. Es braucht oft monatelanges, manchmal auch jahrelanges Üben, bis ein Athlet eine Fertigkeit beherrscht, bis er zum Könner wird. Sportbewegungen müssen im wahrsten Sinne des Wortes erleistet werden, und solche erleisteten Bewegungen werden zu einem Ausdrucksmittel der menschlichen Persönlichkeit.

Die symbolische Darstellung des Leistungsprinzips im Hochleistungssport ist nach wie vor als wichtig für unsere Gesellschaftsordnung anzusehen, da im Leistungsprinzip das zentrale Kriterium für die Verteilung individueller Chancen und möglicher Gratifikationen liegen sollte. Nicht Erfolgsprinzip, Vetternwirtschaft, Alter, Geburt, Geschlecht und Erbprivilegien, Zufall, Glaube, Rasse oder Hautfarbe sollten in unserer Gesellschaft über die Positionierung des Individuums bestimmen. Für eine aufgeklärte demokratische Gesellschaft kann es für das Leistungsprinzip, das selbstredend einer sozialen Absicherung und einer ethischen Fundierung bedarf, keine Alternative geben. Zur Pflege dieses Prinzips bedarf es Formen symbolischer Tradierung und Vermittlung, und der Leistungssport kann dabei ein besonders geeignetes Beispiel zur Verfügung stellen.

Ist diese Beurteilung des Leistungsprinzips und des Leistungssports angemessen, so ist es zu begrüßen, dass Menschen im Sport dieses Prinzip symbolisch zur Darstellung bringen. Der Hochleistungssport kann somit eine förderungswürdige Sache sein, und er kann einem notwendigen gesellschaftlichen Interesse entsprechen. Deshalb sollte auch zukünftig eine Förderung des Leistungssports angestrebt werden, ohne jedoch die Probleme und Gefahren, die im Hochleistungssport liegen, von der Hand zu weisen.

Die aktuellen Bedingungen sportlicher Höchstleistungen sind häufig so, dass sie die Symbolkraft des Sports verhindern, zumindest aber mindern. Die in vielen Sportarten zu beobachtenden Verstöße gegen ethische Prinzipien im Sport schwächen den kulturellen Wert des Leistungssports, und es kann nicht übersehen werden, dass das Konkurrenzprinzip im Spitzensport vermehrt inhumane Zustände erzeugt: Wenn Sporterfolge auf Manipulation und Betrug beruhen, wenn Erfolge weniger Top-Athleten nur noch auf Kosten einer Masse von Verlierern erreicht werden können, wenn der sportliche Erfolg über die Leistung dominiert, dann ist die Symbolkraft des Leistungssports gemindert oder gefährdet. Wenn der Zeitaufwand für die Erbringung sportlicher Leistungen so umfassend wird, dass dabei eine einseitige Persönlichkeitsentwicklung des Athleten in Kauf genommen werden muss, so ist der Athlet nur noch bedingt Träger positiver symbolischer Werte. Wenn die Intervention von Staat, Wirtschaft und Medien zu einer Fremdbestimmung und zu einem verantwortungslosen Handeln des Athleten führen, dann hat der Hochleistungssport seinen Sinn verloren. All diese Gefahren liegen auf der Hand, ihnen gilt es entgegenzutreten, will man den Sinn des Hochleistungssports weiter erhalten. Dazu ist erforderlich, dass man sich den Problemen stellt, die heute den Hochleistungssport gefährden.

Perspektiven für die Zukunft des Hochleistungssports

Die Planung der zukünftigen Perspektiven eines besseren Leistungssports sollte vor allem dahin gehen, die Kultur der Wettkämpfe, in der sich der Hochleistungssport ereignet, neu zu gestalten. Es wird eine neue Wettkampfphilosophie benötigt, in der der Athlet im Mittelpunkt steht und bei der die sich immer stärker auf den Athleten hin orientierten Umfeldeinflüsse (wie Medizin, Technologie, Trainingswissenschaft, Wirtschaft, Politik) zurückgedrängt werden. Zu überdenken ist dabei die Rolle der Wissenschaft als unterstützendes System für die sportliche Leistung, die Rolle der Technologie und insbesondere die Organisation der Wettkampfereignisse selbst. Sportliche Erfolge müssen dabei in erster Linie dem Athleten zuzuschreiben sein. Die noch immer wachsende Bedeutung, die Ärzte, Ingenieure, Physiotherapeuten, Biomechaniker, Trainingswissenschaftler und Psychologen am sportlichen Erfolg haben, muss eingedämmt werden. Wer glaubhaft dem Prinzip des Fair Play in seiner Wettkampfkultur entsprechen will, der darf nicht zulassen, dass der Ingenieur im Windkanal über den Gewinn einer Goldmedaille entscheidet, dass der Arzt sich verantwortlich zeichnet für das Überbieten eines Weltrekordes und dass die Geheimproduktion von Geräten und Medikamenten letztendlich Ursache für den sportlichen Erfolg sind.

Zu einer neuen Wettkampfkultur, in der die Leistung des Athleten im Mittelpunkt steht, gehört auch die Forderung, dass zukünftig die Anzahl der internationalen Wettkämpfe zu reduzieren ist. Nur so kann dem dringenden Regenerierungsanspruch der Athleten entsprochen und der Gefahr der künstlichen Manipulation des Regenerierungsbedürfnisses begegnet werden. Die Wettkämpfe selbst müssen eine neue Dramaturgie erhalten. Diese muss in erster Linie jenen gerecht werden, die authentisch am Wettkampf teilnehmen, den Zuschauern im Stadion und den Athleten. Wenn zum Beispiel bei Europacup-Wettbewerben in der Leichtathletik per Videowand die Zuschauer verleitet werden, nicht mehr den 400m-Lauf auf der Bahn zu verfolgen, sondern den Videofilm auf der Projektionswand zu betrachten und sich dabei an eingeblendeten olympischen Rekorden, Europarekorden und Weltrekorden zu orientieren, der darf sich nicht wundern, dass bei einer derartigen Rekordorientierung das Wettkampfereignis selbst auf der Strecke bleibt und eine ausschließlich an Rekorden orientierte Leichtathletik die Gefahr der Manipulation der sportlichen Leistung in sich birgt.

Schließlich müsste auch von jenen vielgepriesenen neuen Sportmanagern (was man meist dadurch wird, dass man sich selbst so bezeichnet), aber auch von jenen (zu jeder opportunistischen Anpassung bereiten) Sportfunktionären begriffen werden, dass zukünftiger Leistungssport ohne einen pädagogisch verantwortbaren Kinder- und Jugendsport nicht gedacht werden kann. Nicht nur organisatorische und ökonomische Überlegungen legen diese Annahme nahe. Es sind vor allem kulturelle und sozialpolitische Sachverhalte, die diese Position zwingend machen. Wer den bequemen Weg geht und den Leistungssport als grenzenlosen „Zirkussport“ akzeptiert, der gibt verantwortungslos die wichtige Idee der Einheit des Sports auf, ohne eine tragfähige Alternative für die Zukunft des Leistungssports zu benennen.

Der Einwand, dass sich diese Entwicklung kaum aufhalten lasse, ist nur dann richtig, wenn der organisierte Sport tatenlos bleibt. Wird er aktiv, so kann er durch autonome Regelsetzungen diese Entwicklung beeinflussen. Dies gilt für die Frage der Grenzen der sportlichen Höchstleistung ebenso wie für die Frage der Kommerzialisierung.

Der Sport muss aber auch den Mut zu klaren Sanktionen haben. Er benötigt dazu ein fundiertes Kontrollsystem, und er benötigt wirksame Strafen. Die Athleten müssen begreifen, dass sie in ihrer Zukunft auf die Kontrollen des Verbandes angewiesen sind. Die Verbände müssen wiederum akzeptieren, dass die Athleten für ihre soziale Absicherung eine kollektiven Interessenvertretung benötigen.

Die Verbände müssen Bezahlungssysteme für ihre Athleten entwickeln, die im Vergleich zur Bezahlung von vergleichbaren Arbeitsleistungen akzeptabel sind und die zu einem Ausgleich zwischen jungen Athleten, Siegern, Verlierern und ausgeschiedenen Athleten führen. Gerade deshalb dürfen die Sportfachverbände das Austauschverhältnis mit der Wirtschaft nicht Privatagenturen oder allein den Athleten überlassen. Vor allem dürfen die Sportverbände nicht verkennen, dass sie letztlich ihre Basis nach wie vor nur in den Vereinen und in den Schulen haben.

Die Sportverbände müssen aber auch lernen, zielorientiert und leistungsorientiert zu denken und zu handeln. Es bedarf überprüfbarer Indikatoren zur Zielkontrolle. So wie von den Athleten Leistung verlangt wird, so ist das Leistungsprinzip auch auf alle anderen Tätigkeiten in den Sportorganisationen und im Umfeld der Athleten anzuwenden. In den Sportorganisationen sollte deshalb auch das haupt- und ehrenamtliche Personal nach Leistung positioniert werden. Gratifikationen und Sanktionen sollten in Abhängigkeit von Leistung erfolgen.

Hierzu gehört auch eine ständige Erneuerung der Technologien in den Verbandsorganisationen und eine ständige Weiterqualifikation des haupt- und ehrenamtlichen Personals. Und dazu gehört aber auch, dass der Umgang des in den Sportorganisationen handelnden Personals durch Offenheit und Klarheit geprägt wird, dass Einfühlungsvermögen in die Rollen der Partner, aber ebenso auch Kritikfähigkeit im Umgang miteinander zum alltäglichen Merkmal der Verbandsarbeit werden. Es muss erreicht werden, dass die bestehenden Gremien in den Sportverbänden kommunikationsfähig werden. Die fachliche Kompetenz des haupt- und ehrenamtlichen Personals muss gestärkt werden, was zumindest zu einer teilweisen Neurekrutierung des ehrenamtlichen Personals, aber auch zu einer Ergänzung der hauptamtlichen Kompetenz führen muss. Ferner muss die Kommunikation zwischen Haupt- und Ehrenamt effizienter gestaltet werden, und das alles muss vor allem zu einer Kostensenkung der Arbeit führen. Dies ist deshalb notwendig, weil nicht erst seit heute erhebliche bürokratische Tendenzen in den Sportorganisationen zu beobachten sind, die enorm kostenträchtig geworden sind.

Diese Anregungen bedürfen der Ergänzung, das Angeregte selbst bedarf der Kritik. Es ist aber zwingend erforderlich, dass eine Neubesinnung hinsichtlich der Bedeutung des Hochleistungssports erfolgt. Systematische Nachdenklichkeit möglichst aller im Sport verfügbaren Expertinnen und Experten ist angeraten. Intensive Forschungsarbeiten sind vonnöten. Modellhafte Erprobung zukünftiger Sportpraxis ist zu empfehlen. Nur dann kann die Suche nach einem besseren Hochleistungssport erfolgreich sein. Es bedarf auch neuer Wege, die zu suchen und zu begehen sind. Wenn von einem Einzelnen Probleme des Hochleistungssports skizziert werden, so kann eine solche Skizze immer nur ausgewählte Aspekte der Sportentwicklung berücksichtigen. Vor allem bedarf eine solche Skizze der Einordnung in gesamtgesellschaftliche Prozesse, die für die Deutung der Probleme des Sports von besonderer Bedeutung sind. Gesellschaftliche Entwicklung und Sportentwicklung sind eng miteinander verknüpft, ihre Interdependenz ist unübersehbar.

Erweitert man den Blick auf die Probleme der Gesellschaft, so wird die Komplexität des Sports erkennbar. Manche der hier diskutierten Lösungsmöglichkeiten sind dabei zu relativieren, und mancher Vorschlag ist aus dieser Perspektive auch in Frage zu stellen. Je höher die Komplexität einer Betrachtungsweise wird, desto eher besteht jedoch auch die Gefahr, dass man sich der hausgemachten Probleme entzieht und mögliche Lösungen auf diese Weise unmöglich werden. Deshalb ist eine Beschränkung bei der Diskussion der Probleme des Hochleistungssports in Deutschland sinnvoll und notwendig, wenn es auf diese Weise gelingt, dass im Interesse unserer Athletinnen und Athleten und zukünftiger Generationen von Leistungssportlern die Probleme, die sich heute stellen, möglichst schnell gelöst werden, um die besondere kulturelle Bedeutung, die der Hochleistungssport für unsere Gesellschaft nach wie vor besitzt, mit Überzeugungskraft herauszustellen.

Unsere Gesellschaft ist angewiesen auf Eigenmotivation und Leistungsbereitschaft. Beide Eigenschaften müssen nachdrücklich gefördert werden. Im Hochleistungssport können diese Eigenschaften symbolisch zur Darstellung kommen. Sie können aber ebenso diskreditiert werden. Dies ist heute nicht selten der Fall. Sportethische Fragen werden deshalb die zukünftige Entwicklung des Hochleistungssports wesentlich beeinflussen. Sie sind ebenso eine Herausforderung für die Athleten wie für die Übungsleiter, Trainer und Funktionäre. Aus erzieherischen und ethischen Gründen benötigen wir einen Hochleistungssport, der das vernünftige Maßhalten gelernt hat, der nicht zu Gunsten der Faszination der Höchstleistung seine Prinzipien aufgibt. Dazu sind Funktionäre, Übungsleiter, Trainer, Sportlehrer, Athleten und Athletinnen notwendig, die sich einem sportlich-olympischen Ethos verpflichtet fühlen und ihren Einfluss geltend machen, um im Hochleistungssport jene Erfahrungen zu ermöglichen, die für die weitere Entwicklung unserer Gesellschaft bedeutsam sind.

Letzte Überarbeitung: 21.03.2018

Erstveröffentlichung: Citius, altius, fortius – wohin treibt der olympische Spitzensport. In: Grupe, O. (Hrsg.): Olympischer Sport – Rückblick und Perspektiven. Schorndorf 1997, 85-98. / Citius, altius, fortius – wohin treibt der olympische Spitzensport. In: Digel, H. (Hrsg.): Nachdenken über Olympia. Über Sinn und Zukunft der Olympischen Spiele. Tübingen 2004, 117-131.