IOC-Präsident Bach auf dem Prüfstand

Am 10.09.2013 wurde Thomas Bach als Nachfolger von Jacques Rogge zum neuen IOC-Präsidenten gewählt. Die 125. IOC Session von Buenos Aires war für ihn das wohl wichtigste Ereignis, das er über Jahrzehnte vor Augen hatte und mit großem strategischem Geschick und mit einer außergewöhnlichen Professionalität vorbereiten konnte. Thomas Bach wurde für acht Jahre gewählt. Auf die ersten vier Jahre seiner Amtszeit kann er nun zurückblicken. Die IOC Session von Lima, die am 15.09.2017 zu Ende ging, war hierzu geeigneter Anlass. Mit seiner Wahl zum IOC-Präsidenten hat Bach ein Amt übernommen, dessen Ausübung schon immer schwierig gewesen ist, das aber noch nie mit so vielen Problemen überlastet war, wie dies seit Buenos Aires der Fall ist. Von seinem Vorgänger musste er Probleme übernehmen, die sich bis heute als schwer lösbar erwiesen. Bach hat Altlasten abzuarbeiten, die er ohne Zweifel persönlich nicht zu verantworten hat, deren Beseitigung aber zwingend ist.

Ist man an einer fairen Halbzeitbilanz interessiert, so ist zunächst zu konstatieren, dass die von Bach initiierte „Agenda 2020“ längst überfällig gewesen ist und dass diese Agenda die bestmögliche strategische Roadmap für die Zukunft der Olympischen Bewegung wurde. Ziel ist dabei die Einzigartigkeit der Olympischen Spiele zu sichern und die Rolle des Sports in den unterschiedlichsten Gesellschaften zu stärken. Auf der Grundlage dieser Roadmap gelang es Bach in seinen ersten vier Amtsjahren, bedeutsame neue Partnerschaften einzugehen, die Grundlage für eine verbesserte Glaubwürdigkeit der Olympischen Bewegung sein können.

  • Dass Bach Ban Ki-moon für den Vorsitz der IOC-Ethikkommission gewinnen konnte ist ohne Zweifel ein diplomatischer Erfolg. Gleiches gilt für ein Memorandum, welches das IOC mit den Vereinten Nationen unterzeichnet hat. Das IOC erhielt dabei für das Erreichen der UN-Entwicklungsziele unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit den Status eines „important enabler“. In dem Memorandum wird auch der Friedensauftrag des IOC für die weitere Zukunft unterstrichen, ebenso wird dabei das IOC zu einem besonderen Beitrag zur sozialen und gesundheitlichen Entwicklung verpflichtet.
  • Unter Führung von Bach ist mittlerweile eine finanzielle Transparenz des IOC möglich geworden, wie sie in keiner anderen internationalen Sportorganisation angetroffen werden kann. Damit ist eine wichtige Grundlage für eine verlässliche Glaubwürdigkeit des IOC entstanden. Das IOC unterliegt mit seinen Finanzen einem international anerkannten „Reporting Standard“ (IFRS). Dieser Standard ist sehr viel höher, als der Gesetzgeber es für NGO’s vorschreibt. In einem jährlichen Bericht werden alle IOC Finanzen und die entsprechenden Tätigkeiten offengelegt. Das IOC legt auch, wie kein anderer Verband, Aufwandsentschädigungen für seine Mitglieder offen, auch die des Präsidenten werden bis ins kleinste Detail im Jahresbericht bereitgestellt.
  • Erfolge kann Bach auch in Bezug auf die Gleichheit der Geschlechter aufweisen. In den IOC-Kommissionen arbeiten heute 70% mehr Frauen, als dies vor der Amtszeit von Bach der Fall war und bei den Olympischen Jugendspielen in Buenos Aires 2018 wird es zum ersten Mal eine völlige Geschlechtergleichheit bei den Athletinnen und Athleten geben. Auch bei den Spielen in Tokio kommt es mit 48,8% zu einer weiblichen Rekordbeteiligung.
  • Der wohl wichtigste Erfolg den das IOC innerhalb der Amtszeit von Thomas Bach in den ersten vier Jahren erreicht hat, bezieht sich auf die Durchführung der Olympischen Spiele selbst. Die Programmreform hat begonnen, erste glaubwürdige Schritte sind zu erkennen und eine Modernisierung des Programms ist absehbar. In Tokio werden fünf neue Sportarten vorläufig in das olympische Programm aufgenommen (Surfen, Sportklettern, Skateboard, Baseball und Karate) und einige neue Disziplinen innerhalb der bewährten Sportarten (3:3 Basketball, gemischte Triathlonstaffel, etc.) werden das zukünftige olympische Programm bereichern, ohne dass die Gesamtteilnehmerzahl erhöht wird.
  • Bach hat sich auch der Frage gestellt, wie man das Interesse zukünftiger Ausrichter von Olympischen Spielen sichern kann, wie man es möglich machen kann, dass in möglichst vielen Nationen auf allen Kontinenten die Durchführung Olympischer Spiele möglich sein wird. Die Nutzung bestehender und der Gebrauch provisorischer Sportanlagen, die nach den Spielen wieder entfernt werden können, bilden in diesem Zusammenhang einen wichtigen Baustein zur Organisation zukünftiger Spiele.
  • Der Bewerbungsprozess selbst wird nun in der Zukunft kürzer sein als dies in der Vergangenheit der Fall war und die Bewerbungskosten werden für die Bewerberstädte erheblich reduziert. Hinzu kommt, dass die Zuschüsse für die Durchführung der Olympischen Spiele in den letzten Jahren erheblich gesteigert werden konnten.
  • Als ein ganz persönlicher Erfolg von Bach kann die Einführung des olympischen Kanals bewertet werden. Mit dem olympischen Kanal ist dem IOC eine ganz neue Möglichkeit der Nutzung von Social Media eröffnet worden und der olympische Sender scheint eine Chance zu sein, den Kontakt mit den jungen Menschen nicht zu verlieren, wie es sich in den traditionellen Medien abgezeichnet hat.
  • An dieser Stelle muss auch der neue „Olympic Athletes‘ Hub“, das neue Athletenzentrum erwähnt werden, das 2016 eröffnet wurde und in dem sich die olympischen Athleten über alles Wichtige rund um die Spiele informieren können. Die Inhalte dieses „Hubs“ reichen vom Anti-Doping-Thema über die Prävention von Verletzungen bis hin zu Auseinandersetzungen mit den Gefahren des Wettbetrugs und des match fixing. Im ersten Jahr hatte dieses neue Medium 1,7 Millionen page views und 137.085 Nutzer.
  • Von Bach wurden in seinen ersten vier Amtsjahren auch einige ungelöste Probleme der Olympischen Jugendspiele angegangen. Es wurde zum Beispiel das Qualifikationssystem für diese Großveranstaltung ganz wesentlich verbessert, die Teilnehmerzahl für die Spiele wird in Buenos Aires um 70% höher sein. Kiteboarding, Beachhandball, BMX Freestyle, Breakdance und Sportklettern werden in das Programm aufgenommen. Die Eröffnungsfeier wird zum ersten Mal mitten in der Stadt, in der Nähe des bekannten Obelisken von Buenos Aires stattfinden. Der Eintritt wird frei für Jedermann sein, eine große Zuschauerresonanz ist dabei zu erwarten. In Lausanne bei den Jungendwinterspielen werden Big Air, Eishockey 3:3 und Ski Mountaineerung unter den Disziplinen sein.
  • Müsste Bach nach seinen ersten vier Jahren Rechenschaft ablegen, so ließen sich noch weitere interessante Leistungen dokumentieren. So wurde unter Führung von Bach das Flüchtlingsteam für die Olympischen Spiele von Rio 2016 zugelassen, ein Notfallfonds wurde für die vom Hurrikan Irma betroffenen NOKs eingerichtet und der in der Vergangenheit äußerst belastende Stimmenhandel bei der Wahl der Ausrichterstädte für zukünftige Olympische Spiele wurde mit der Doppelentscheidung zugunsten von Los Angeles und Paris zumindest für einen begrenzten Zeitraum außer Kraft gesetzt.

Bach’s Arbeit der letzten vier Jahre kann sich somit durchaus sehen lassen. Wer ihn kennt, der weiß, wie unermüdlich und engagiert er sich in sein neues Amt eingearbeitet hat, wie schnell er relevante Partner in verschiedensten Teilsystemen der modernen Gesellschaften kontaktierte, wie durchdacht er ein kommunikatives Netz aufbaute, um die von ihm begründete „Agenda 2020“ mit Leben füllen zu können.

Bach selbst weiß, dass nach wie vor die wichtigsten Probleme, mit denen er zu Beginn seiner neuen Amtszeit konfrontiert wurde, auch heute noch nicht gelöst sind. Der gefährlich schwelende Korruptionsbrand, von dem mehrere Mitglieder seiner Komitees betroffen sind, gefährdet das Komitee in seiner Gesamtheit. Der Dopingbetrug, dem Bach während seiner gesamten Funktionärstätigkeit konsequent und in aller Entschiedenheit entgegengetreten ist, hat sich mit dem russischen Skandal zu einer Epidemie entwickelt, die größer und gravierender nicht sein kann. Das Strukturproblem, das sich über die Mitglieder des IOC zeigt, wird bis heute noch nicht erkannt. Alternative Strukturmodelle werden zumindest öffentlich noch nicht einmal diskutiert. Die Effizienz und die Professionalität der viel zu vielen Kommissionen ist anzuzweifeln und in Bezug auf das wohl wichtigste Anliegen, die Reform des olympischen Programms, die Modernisierung der Spiele selbst, können allenfalls erste Schritte beobachtet werden. Dennoch, die Halbzeitbilanz von Bach ist beachtenswert und blickt man zurück auf die Wahlen von Buenos Aires von vor vier Jahren, so muss wohl selbst von den schärfsten Gegnern Bachs konstatiert werden, dass angesichts der Konkurrenten bei der damaligen Wahl die Entscheidung zugunsten von Bach zu den klügsten Entscheidungen des IOC zählt. Bedenkt man, dass für das IOC-Präsidentenamt nur Mitglieder des IOC gewählt werden können, so müsste noch klarer sein, dass es derzeit für IOC-Präsident Bach keine Alternative gibt.

Um so mehr muss allerdings überraschen, welches Bild in der medialen Öffentlichkeit von Bach existiert. Es muss gefragt werden, wie es möglich wurde, dass Bach zumindest in deutschen, aber auch in englischen Massenmedien zu einem Feindbild werden konnte, dessen Hintergründe allerdings mehr als fragwürdig sind. Folgt man der Berichterstattung über das IOC und insbesondere den Kommentaren über Thomas Bach, so ist dieser längst zum Totengräber des modernen Olympismus mutiert. In Bezug auf den russischen Dopingskandal wird ihm Kameraderie mit dem russischen Präsidenten Putin unterstellt. In Bezug auf die Korruptionsfälle wirft man ihm Tatenlosigkeit vor. Seine erfolgreiche berufliche Vergangenheit wird grundlos infrage gestellt. Ohne überprüfbare Belege wird davon ausgegangen, dass bei seiner Wahl zum IOC-Präsidenten eine Manipulation der Stimmenpakete stattgefunden hat. Vorgetragen wird solche Kritik meist in den großen Tageszeitungen. Von den Agenturen werden die zentralen Topoi dieser Kritik ständig wiederholt und es kann deshalb auch kaum überraschen, dass selbst das öffentliche Fernsehen mit frechen und kessen „Bach-Kommentaren“ dieser Kritik folgt. Einer genauen Prüfung hält diese Kritik jedoch kaum stand. Beispielhaft lässt sich dies an der jüngsten Berichterstattung über die IOC Session von Lima zeigen.

Aumüller schreibt zum Beispiel in der SZ am 13.09.2017, dass Bach’s Aussage, „das Ganze (die Korruptionsbeschuldigungen zu Rio 2016) sei eine ernstzunehmende Sache und man möge, ob der Fehlverhalten einzelner, nicht gleich die gesamte Institution verteufeln“, einer Blendung gleichkommt. „Bach und die Seinen wollen das Publikum weiter blenden“, so Aumüller. Was dabei Blendung des Publikums sein soll, ist allerdings in diesem Beitrag nicht zu erkennen. Bach hat vielmehr zu Recht darauf hingewiesen, dass jeder Korruptionsfall einzeln zu untersuchen ist und dass bei einem entsprechenden Schuldspruch abschreckende Strafen zwingend erforderlich sind. Vom Einzelfall auf die gesamte Institution zu schließen verbietet sich hoffentlich auch für Herrn Aumüller, auch wenn von 100 Mitgliedern mehr als nur die in der Presse genannten Personen Diack, Nuzman und Hickey davon betroffen sind. Dass die Einzelfälle ohne Zweifel auf ein strukturelles Problem verweisen ist offensichtlich, wurde jedoch von Bach selbst herausgestellt und erste Schritte dagegen wurden bereits eingeleitet. Aumüller unterstellt Bach, er hätte etwas mitbekommen müssen von all den Korruptionsfällen im IOC, da er ja immerhin Chef der Prüfungskommission von Salt Lake City gewesen ist. Für diese Berichterstattung ist typisch, dass es immer dieselben Ereignisse sind, die unendlich häufig wiederholt werden, ohne dass neue Erkenntnisse damit verbunden sind. Zu fragen wäre, warum der Chef einer Prüfungskommission zukünftiger Bewerberstädte von Vorgängen der Korruption etwas mitbekommen muss? Wie arbeitet eine Prüfungskommission und wie wäre es bei dieser Arbeit möglich, über Korruptionsfälle informiert zu werden? Auf diese Fragen findet Aumüller jedoch keine Antwort.

In der Badischen Zeitung vom 13.09.2017 wird Bach vorgeworfen, dass er „Fair Play“ und „Ehrlichkeit“, die wichtigsten Werte der Gründer der Olympischen Bewegung, über den Haufen geworfen hat. „Bach spricht ständig von diesen Werten, aber wenn es hart auf hart kommt, wirft er sie über den Haufen“. Diese Art von Pauschalisierung legt die Frage nach, welchen Wert Bach „über den Haufen geworfen hat“ und warum? Hat er sich nicht gerade in der Auseinandersetzung mit dem russischen Dopingskandal vorbildlich für das Prinzip des Fair Play eingesetzt? Ist es wirklich ein ehrliches Vorgehen, wenn Athleten einer olympischen Sportart durch eine Kollektivstrafe von den nächsten Olympischen Spielen ausgeschlossen werden, ohne dass sie selbst jemals des Dopings bezichtigt bzw. eines Dopingvergehens überführt wurden? Für Strepenick ist es klar, dass Bach „Hintertürchen für Russland“ sucht und er eine „Aufklärung über den angeblichen Korruptionsskandal bei den Olympischen Spielen in Rio 2016 verhindern möchte“. Diesen Behauptungen fehlt jedoch jeglicher Beleg. Es werden vielmehr Vermutungen wiederholt, wie sie zuvor in anderen Medien bereits ohne tragfähige Begründung artikuliert wurden.

Simeoni meint am 14.09.2017 in der FAZ, dass Bach in seiner Auseinandersetzung mit den Korruptionsvorwürfen, die im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen Rio 2016 erhoben werden, von einem bewährten Konzept nicht abweicht: „Der Distanzierung und Individualisierung, auf die sich die Sportorganisationen auch gerne zurückziehen, wenn es um Dopingfälle geht.“ FAZ mit Simeoni gehört mit zu jenen Medien, die seit der Veröffentlichung des McLaren Reports, eine kollektive Bestrafung Russlands durch das IOC gefordert haben. Frau Simeoni müsste man allerdings in Bezug auf ihre Berichterstattung zu den neuesten Vorgängen fragen, was sie anstelle von „Distanzierung“ und „Individualisierung“ gerne setzen möchte. Es ist das gute Recht, vor allem aber ist es auch die Pflicht des IOC-Präsidenten Bach, sich von den Vorgängen in Rio zu distanzieren und als Jurist beansprucht er zu Recht die Prüfung jedes Falles in seiner je spezifischen Individualität. Anstelle von Individualisierung steht die „Kollektivierung“, anstelle von Distanzierung würde „Nähe“ das Gegenteil sein. Bleibt zu hoffen, dass Frau Simeoni beides von verantwortungsvollen Funktionären des Sports nicht erwartet.

In der Stuttgarter Zeitung vom 14.09.2017 wird Bach vorgeworfen, dass er die Ziele seiner „Agenda 2020“ zur Halbzeit nicht erreicht hat. Als Belege für diese Behauptung dienen der Sachverhalt, dass es für 2024 am Ende nur zwei Kandidaten gewesen sind, die sich um die nächsten Spiele bewerben, dass gegen das Exekutivmitglied Hickey Ermittlungen laufen und dass das brasilianische IOC-Ehrenmitglied Nuzman der Korruption bezichtigt wird. „Nachhaltigkeit und Glaubwürdigkeit waren die beiden Waffen der Reform, doch das Gegenteil ist eingetreten.“ Auch hier muss man fragen, ob die ohne Zweifel existierende kritische Entwicklung in Bezug auf die zukünftige Ausrichtung der Spiele und die Anklagen gegen Hickey und Nuzman etwas mit den Zielen der Agenda 2020 zu tun haben. Betrachtet man diese Ziele und einige der bereits durchgeführten Maßnahmen, so muss man vielmehr erkennen, dass mit der bislang geleisteten Arbeit genau solchen Verfehlungen, wie den genannten, zukünftig vorgebeugt werden soll.

Auch in dem auf die Olympischen Spiele ausgerichteten Newsletter „inside the games“ vom 13.09.2017 wird Bach von einer für den englischen Journalismus typischen Kritik nicht verschont. Rogge werden die Erfolge der Olympischen Bewegung zugemessen, Bach ist hingegen der Schuldige, warum nur noch wenige Städte und Regionen ein Interesse an zukünftigen Olympischen Spielen finden. Im Gegensatz zu deutschen Journalisten wertet Owen Bachs Halbzeitbilanz allerdings äußerst differenziert. Die Erfolge in Bezug auf ethische Fragen und Transparenz und die ökonomischen Erfolge unter Bach werden bilanziert und bewertet. Auch die diplomatischen Bemühungen von Bach in Bezug auf die politischen Konflikte in Korea werden beachtet. Doch wird in Bezug auf die ersten vier Amtsjahre festgestellt, dass Bach hätte mehr erreichen können und dass er in seinem Zeugnis in den Fächern „Doping“, „neue Initiativen“ und „ordentliches Auftreten“ nur schlechte Noten erreichen kann. Immerhin wird ihm zugebilligt, dass er über einen außergewöhnlichen Instinkt zur Selbsterhaltung verfügt, dass er den Konflikt mit SportAccord Boss Marius Vizer elegant gelöst hat und dass er ein Arbeitstier ist. Liam Morgan vom selben Magazin unterstellt Bach am 17.09.2017 Unglaubwürdigkeit im Anti-Doping-Kampf, nur weil dieser zugegeben hatte, dass er bislang keine Zeit fand, eine amerikanische Dopingdokumentation anzusehen, von der Herr Morgan glaubt, dass sie ein Pflichtprogramm für IOC-Mitglieder sein muss. Dabei hatte die Dokumentation nur längst bekanntest zum Inhalt. Michael Pavitt titelt in „inside the games“ vom 18.09.2017 „All Bach and no bite“, ohne allerdings zu belegen, welchen Biss er von Bach erwarten würde.

Derartige Beispiele der Berichterstattung über Bach lassen sich nicht nur aus Anlass der Session in Lima finden, sie begleiten die gesamte Amtszeit von Bach. Mit Richard Pound haben die Medien ihr Lieblingsmitglied im IOC gefunden, er ist zur Inkarnation des guten Funktionärs geworden. Ganz gleich wie durchdacht seine Diskussionsbeiträge sind, sie erhalten den Beifall der Journalisten. Thomas Bach ist hingegen die Ausgeburt des Bösen. Was immer er tut, es wird ihm List und Hinterhältigkeit unterstellt, auch wenn sämtliche Fakten für ihn sprechen. NADA und WADA erhalten Applaus für jede öffentliche Äußerung, die auf eine Verurteilung Russlands abspielt, ohne dass dabei berücksichtigt wird, dass es genau jene Organisationen sind, die ganz wesentlich den größten olympischen Dopingskandal bedingt haben und es genau diese Institutionen sind, die nun ständig ihren eigentlichen Auftrag überschreiten. Anspruchsvolle Kontrollen und wirkungsvolle Prävention müssten ihre zentralen Aufgaben sein, über Schuld und Unschuld haben unabhängige juristische Institutionen zu entscheiden. Bach, der wie kein anderer die juristischen Implikationen eines tragfähigen Anti-Doping-Kampfes kennt, der entschieden für eine Trennung in Judikative, Exekutive und Legislative eintritt, wird hingegen als Kollaborateur mit Betrügern denunziert, ohne dass entsprechende Nachweise erbracht werden.

IOC-Präsident Bach befindet sich ohne Zweifel in einem massenmedialen Dilemma, zumindest was Teile Europas betrifft. Ein Ausweg aus diesem Dilemma ist derzeit nicht in Sicht. Es muss deshalb die Frage gestellt werden, was die Gründe für diese besondere Situation sein können. Meines Erachtens lohnt es sich dabei, noch einmal einen Blick auf die Biografie von Bach zu werfen.

Thomas Bach kann auf eine Bilderbuchkarriere zurückblicken: aufgewachsen im fränkischen Bayern, gut bürgerlich erzogen, Abitur, Karriere im Sport, Studium der Rechtswissenschaft, Olympiasieg, Promotion, Heirat mit seiner Jugendfreundin, erste Meriten in der kommerziellen Welt des Sports im Hause adidas, väterliche Betreuer an seiner Seite – zunächst Adi Dassler, dann Juan Antonio Samaranch – so schnell hat noch selten jemand Karriere in der Welt des Sports gemacht. Auch Willi Daume sah in dem aufstrebenden jungen Anwalt einen zukunftsfähigen Experten für den olympischen Sport – deshalb wurde er 1981 Gründungsmitglied der IOC-Athletenkommission. Er wurde Mitglied des Nationalen Olympischen Komitees für Deutschland, dann IOC-Mitglied, 2006 wurde er erster Präsident des neu gegründeten Deutschen Olympischen Sportbunds und seit 2013 ist er Präsident des Internationalen Olympischen Komitees. Solch eine Karriere ist nicht voraussetzungslos. Wer diesen Weg gehen will, muss über eine pragmatische Intelligenz verfügen, muss zielstrebig sein, Cleverness ist dabei von Nöten, manchmal auch Rücksichtslosigkeit, vor allem muss dabei die Kunst der Taktik beherrscht werden. Und genau darin hat es Bach zur höchsten Meisterschaft gebracht. Bach hat sich nie mit Nebensächlichkeiten beschäftigt, er wusste Prioritäten zu setzen. An der Basis zu arbeiten war ihm fremd. Sich für einen Verein zu engagieren, ehrenamtlich mitzuarbeiten, Kinder und Jugendliche zu trainieren, für das hatte er nie Zeit. Selbst das Amt des DOSB-Präsidenten hat er lange vor sich hergeschoben, eigentlich wollte er keine Verbandsverantwortung übernehmen. Schon gar nicht wäre er bereit gewesen, einem Spitzenfachverband vorzustehen. Bach war sich in seinen Zielsetzungen schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt klar. Das IOC und die Olympischen Spiele sollten sein Politikfeld für sein ehrenamtliches Engagement sein, und das Amt des IOC-Präsidenten war das höchste Ziel, das er anzustreben versuchte. Bach war und ist dabei ohne Zweifel ein Mann des Sports. Er kennt den Sport in allen Einzelheiten, seine Athletennähe zeichnet ihn aus, ein gutes Verhältnis zu den erfolgreichen Athleten ist für ihn ein wichtiges Anliegen. Seine juristischen, ökonomischen oder politischen Kompetenzen sind vergleichsweise vorbildlich. Angesichts seiner personellen Umwelt im IOC, die gewiss nicht als intellektuell zu bezeichnen ist, sind seine Kompetenzen in jeder Hinsicht mehr als ausreichend. Ja, sie machen ihn zu einem Wissensexperten, wie sie im IOC nur sehr selten anzutreffen sind. Hinzu kommt, dass er mehrere Sprachen spricht. Bach sieht die Komplexität des Systems des Sports, die Interdependenzen zur Wirtschaft, zur Politik, zu den Massenmedien, zum Fernsehen, zu den neuen Medien, er weiß auch auf dem Klavier der olympischen Ideologie zu spielen, wohlwissend ,dass die olympische Ökonomie die höchste Priorität hat. Seine juristische Kompetenz führte ihn in die Disziplinarkommission des IOC. Seine ökonomische Kompetenz machte ihn zum Verantwortlichen für alle Fernsehlizenzfragen und seine politische Kompetenz legte ihm nahe, sich mit der FDP auf das Engste zu verknüpfen, um auf diese Weise im ständigen Kontakt zur Wirtschaft zu stehen. Seine Wirtschaftsnähe und seine Gewerkschaftsferne waren für seine Karriere kennzeichnend. Dies ermöglichte ihm den Aufbau einer Wirtschaftskanzlei, die für viele Großunternehmen Deutschlands tätig ist. Sie ermöglichte ihm, die Kontakte zur arabischen Politik und Wirtschaft im Interesse deutscher Wirtschaftsunternehmen zu pflegen und diese machten ihn zum Vorsitzenden der Deutsch-Arabischen Gesellschaft. Den damit verbundenen Interessenskonflikten war sich Bach immer bewusst, weshalb er auch bei seiner Wahl zum IOC-Präsidenten die davon betroffenen Ämter niederlegte. Zur Erfüllung seiner eigenen Interessen hat Bach ein globales Netzwerk aufgebaut und verfügt über ein anspruchsvolles Kommunikationssystem. Als Mensch ist er sympathisch und freundlich. Er beherrscht die Meisterschaften des Händeschüttelns, der Umarmung, des Small-Talks und der folgenlosen Unterhaltung, wie sie in allen Sportgremien anzutreffen sind. Die Welt der Literatur, Kunst und der Wissenschaft können ihn durchaus interessieren. Dabei ist eine umfassende Bildung erkennbar, die ihm Zutritt zu allen gesellschaftlichen Bereichen eröffnet. In seiner Karriere wusste Bach sehr genau, wann Zurückhaltung und Bescheidenheit angebracht und wann Durchsetzungsvermögen und Dominanz von Nöten sind.

In seinen frühen Funktionärsjahren erlebte ich ihn als Mitglied des Nationalen Olympischen Komitees und ich konnte ihn dabei über einen Zeitraum von acht Jahren an meiner Seite beobachten. Sein Engagement war eher zögerlich, seine Wortmeldungen beschränkten sich zumeist auf eine Protokollierung seiner Aktivitäten in der Athletenkommission im IOC. Ging es um schwierige Fragen, so war er eher abwartend, um zu erkennen wohin die Mehrheit der Mitglieder tendiert, um dann bei den entsprechenden Abstimmungen an der Seite der Mehrheit zu sein. Schon früh wurde dabei klar, dass NOK-Präsident Walther Tröger, im Gegensatz zu dessen Vorgänger Willi Daume, gewiss nicht ein Freund an der Seite Thomas Bachs sein würde. Tröger, ehemaliger Sportdirektor des IOC, sah in Bach einen Aufsteiger, dem er sein Vertrauen gewiss niemals schenken würde. Bach musste schon sehr früh ein besonderes Ausmaß an Toleranz aufbringen, um den Anfeindungen seiner Gegner zu widerstehen. Auf diese Weise lernte Bach auch schon sehr früh wie mit Gegnern umzugehen ist. Bach wusste und weiß immer sehr genau, ob und wem er vertrauen kann und wem er misstrauen muss und er wusste und weiß sehr genau Freund und Feind zu unterscheiden. Dies galt und gilt im IOC gleichermaßen wie in seinem Umgang mit den Massenmedien. Bach bediente sich dabei durchaus auch zweifelhafter Freunde, immer hatte er im Blick Mehrheiten zu seinen Gunsten zu schaffen. Bach war und ist in jeder Hinsicht ein Pragmatiker. Vorsichtig abtastend kommt er zu seinen Entscheidungen. Laute Kritik ist ihm fremd. Er glaubt, selbst die Kunst der Diplomatie zu beherrschen. Reformen sieht er als notwendig und sie müssen vorsichtig und langsam vollzogen werden. Wird Bach von einem Gegner getroffen, so weiß er durchaus zurückzuschlagen. Bach ist misstrauisch, sichert alles mehrfach ab. Er ist kein Freund einer offensiven Kommunikation und Selbstkritik ist ihm fremd. Die Fähigkeit des Zuhörens, über die sein Lehrer Samaranch in außergewöhnlicher Weiße verfügte, ist ihm nur bedingt gegeben. Er hört wohl zu, doch weiß er meist bereits wohin er selbst will und welches Ziel er vor Augen hat. Eine fragwürdige Personalpolitik, wenn es um die Auswahl des ehrenamtlichen Personals geht, wie sie schon während seiner DOSB Präsidentschaft zu erkennen war, lässt sich auch in seiner neuen Funktion als IOC-Präsident beobachten. Bei der Berufung der IOC-Kommissionen und Komitees, setzte und setzt er nahezu ausschließlich auf veraltetes und längst verbrauchtes Personal, was sich schon seit längerer Zeit eher durch Ideenlosigkeit als durch ein besonderes Engagement auszeichnet. Bach nimmt für sich in Anspruch, dass er sich den immer drängenderen Reformfragen des IOCs stellt. Die erste IOC-Sitzung unter seiner Leitung wurde allein deshalb als eine Revolution wahrgenommen, weil Bach zwei Tage lang den Mitgliedern Zeit zum Erfahrungsaustausch gegeben hat, und Wortmeldungen von manchem Beobachter mit einer demokratischen Erneuerung verwechselt wurden. Eine genauere Lektüre seiner Agenda 2020 zeigt jedoch, dass diese nur ein dringend notwendiger erster Schritt sein kann. Anstelle einer groß angelegten Reform ist es nun zu kleineren Korrekturen gekommen, das Bewerbungsverfahren wird gewiss noch einfacher werden und Bach wird bemüht sein, ein weiteres Wachstum der Spiele zu verhindern. Zunächst wird dieser Weg jedoch ausschließlich durch eine ökonomische Logik geprägt sein. Bach ist und bleibt der ökonomische Macher. Darüber hinaus wird es eine Olympische Bewegung ohne modernen Olympismus geben, der ethische Verlust des Olympismus wird vermutlich unter Bach kaum aufzuhalten sein. Doping und Manipulationen olympischer Höchstleistungen sind ebenso der ständige Wegbegleiter von Bach, wie die immer zahlreicheren Vorgänge der Korruption und Manipulation. Der Materialismus ist das kennzeichnende Merkmal des IOC und für die derzeit Beteiligten ist Idealismus eher ein Fremdwort.

Die Olympischen Spiele von Rio de Janeiro waren die ersten Spiele, die unter der Verantwortung des IOC-Präsidenten Bach stattgefunden haben. Es waren Spiele, die sich bereits im Vorfeld durch nicht enden wollende Probleme auszeichneten. Bach war diesen Herausforderungen zwangsläufig, angesichts der Altlasten die er übernommen hatte, nur bedingt gewachsen. Die kumpelhaften Beziehungen innerhalb des IOC wurden ihm dabei ebenso zum Verhängnis wie dessen halbherziger Anti-Doping-Kampf. Die Inkompetenz einiger IOC-Mitglieder bei der Auswahl olympischer Städte wurde am Beispiel von Rio mehr als deutlich und der grenzenlose Materialismus der IOC-Familie stand im krassen Gegensatz zu den Entwicklungsproblemen einer brasilianischen Bevölkerung, die in ihrer großen Mehrheit in Armut und Unterentwicklung zu leben hat.

Bei der Behandlung des russischen Dopingskandals zeichnete sich Bach’s Haltung jedoch durch seine besondere Besonnenheit aus. Seine Bedenken gegenüber einer Kollektivstrafe und Kollektivverantwortung sind nachvollziehbar und das Prinzip des Fair Play und der Gerechtigkeit sind für ihn besonders schützenswerte olympische Güter. Dies hatte er bereits als Vorsitzender der Disziplinarkommission mehrfach gezeigt, wie überhaupt seine Rolle im Anti-Doping-Kampf konsequent und glaubwürdig ist. In seiner neuen Position als IOC-Präsident ist er dieser Haltung treu geblieben. Ihm geht es vorrangig um die Freiheit und die Interessenvertretung der Athleten. Seine Schutzbemühungen sind durchaus auf den sauberen Athleten ausgerichtet. Bach eine besondere Abhängigkeit zum Präsidenten Russlands zu unterstellen, kommt einer Verleumdung gleich, die besonders in Deutschland über mehrere Jahre gepflegt wird. Die in den Medien geäußerte Bach-Kritik, deren Grundlage eine besondere Form des Verfolgungsjournalismus ist, ist zu einer deutschen Unart geworden, der sich nahezu alle Medien konform angeschlossen haben. Fachlich ist diese Kritik weder haltbar noch fundiert.

Das von den Medien gepflegte „Feindbild Bach“ hat vermutlich mehrere Ursachen. Das von Bach entwickelte Führungssystem bleibt den meisten Journalisten verschlossen, es ist zu komplex und es entzieht sich des Spektakels, das von den Medien so gerne inszeniert wird. Bachs Führungsarbeit ist langatmig, wie auch seine Strategie zur Weiterentwicklung des Olympismus eher undurchsichtig, als für Jedermann nachvollziehbar ist. Seine erfolgreiche Karriere und seine geradlinige Biografie sind fast zu mustergültig, als dass man sie bewundern könnte. Vielleicht hinterlässt sie auch bei einigen Neid und Respektlosigkeit. Schließlich ist es vermutlich auch die mangelhafte Professionalität der Medien selbst, die verhindert, dass die Arbeit von Bach von den Massenmedien vorurteilsfrei und sachangemessen begleitet wird. Wenn Journalisten Meinungen und Urteile von journalistischen Kollegen und Agenturen ungeprüft übernehmen, wenn Redundanz und die ständige Wiederholung der gleichen Sachverhalte anstelle von Aufklärung tritt, so ist dies gewiss kein Ruhmesblatt für den Berufsstand der Journalisten.

Dass ein Deutscher in das höchste olympische Amt berufen wurde, ist nicht nur für Bach selbst ein besonderer Erfolg. Es ehrt auch den Deutschen Olympischen Sportbund, dessen Mitglieder und alle olympischen Athletinnen und Athleten. Seine Halbzeitbilanz ist beachtenswert, sie lässt hoffen, dass Bach sich weitere vier Jahre den schwierigen Herausforderungen stellt, von denen die Olympische Bewegung betroffen ist.

Verfasst: 20.09.2017