Lässt sich Sportentwicklung aktiv steuern?

Zum Problem der passiven Anpassung in Vereinen und Verbänden

1. Hinführung zum Problem

Versteht man den Deutschen Olympischen Sportbund als eine offene Organisation, die sich in einem Austausch mit ihrer Umwelt und deren verschiedenen Teilsystemen befindet, so z.B. mit den Massenmedien, der Wirtschaft, der Kirche, dem Staat, den Gewerkschaften und dem Erziehungswesen, so kann der Deutsche Olympische Sportbund wie jede andere Großor­ganisation auch, seinen Bestand eher dann erhalten bzw. weiterentwickeln (wachsen), wenn er möglichst negative Austauschprozesse mit seiner Umwelt vermeidet. In der Sprache der Organisationssoziologie ausgedrückt heißt das: Es sollte in den Aus­tauschprozessen vermieden werden, dass die Abgabe von Organisationsleistungen und die dadurch verursachten Kosten nicht größer sind als die Erlöse, welche der Organisa­tion zufließen. Dieser Grundsatz gilt vor allem für das Austauschverhältnis des Sports mit dem Staat, den Medien und der Wirtschaft.

In der Vergangenheit ist es dem DOSB und seinen Vereinen und Verbänden mehr oder weniger gut gelungen, die interaktiven Beziehungen zu den genannten Partnern so zu gestalten, dass quantitatives Wachstum möglich war und dass dem Teilsystem Sport von allen übrigen Systemen in unserer Gesellschaft (vor allem von den Medien, der Wirt­schaft, dem Staat und den Kirchen) eine noch immer wachsende Bedeutung zugemessen wurde. Schon seit längerer Zeit werden jedoch Mahnungen hörbar, dass der Sport angesichts seines Wachstums immer unübersichtlicher wird, dass die Kosten-Nutzen-Bilanz nicht mehr in allen Bilanzbereichen des deutschen Sports positiv ist und vor allem in jüngster Zeit wird unter dem Aspekt der Steuerbarkeit des Sportsystems von einigen Experten bereits eine Spaltung des Sportsystems prognostiziert. Solchen Pro­gnosen kann begründet widersprochen werden. Doch eines scheint unzweifelhaft zum Problem zu werden. Für den Deutschen Olympischen Sportbund selbst stellt sich immer drängender die Frage, wie und mit welchen Mitteln er sich und seine Mitgliedsorganisationen erfolgreich steuern soll angesichts einer Entwicklung, die aus systemtheoretischer Sicht als (unendlicher?) Prozess der funktionalen Ausdifferenzierung beschrieben werden kann.

Die Verwendung des Begriffes der „Ausdifferenzierung“ ist mittlerweile in der Sportsoziologie, aber auch im Alltagssprachgebrauch üblich geworden. Was damit gemeint ist, wird vielfältig und meist sich wiederholend in einer ganzen Reihe von sportsoziologischen Analysen beschrieben. Übereinstimmend wird dabei zum Ausdruck gebracht, dass sich das Bild des Sports in den vergangenen drei Jahrzehnten ganz wesentlich verändert hat. Der organisierte Sport, d.h. der Sport in den Vereinen, hat seinen Monopolcharakter verloren. An die Stelle des Monopols ist ein vielfältiger Anbietermarkt getreten. Kom­merzielle, öffentliche und neue freiwillige Vereinigungen sind neben die traditionellen Vereinigungen des Sports getreten. Der Sport ist zu einer Ware in einer komplexen Freizeitindustrie geworden, in der verschiedene Organisationen um Kunden werben. Das, was Sport ist, was Menschen im Sport suchen, hat sich dabei vervielfältigt. Diejenigen, die Sport treiben, haben sich ebenso vermehrt, wobei die Zahl derjenigen, die unorganisiert Sport treiben, im Vergleich zu jener Zahl, die es organisiert tun, sehr viel schneller zugenommen hat. Selbst dort, wo der Sport noch nach Sportarten angebo­ten wird, vermischt er sich mit anderen Formen von Bewegung und Spiel. Deutet man dies als einen Prozess funktionaler Ausdifferenzierung, so kann hier resümiert wer­den, dass diese Ausdifferenzierung bereits spezifische ökonomische (neue Märkte), demographische (neue Bevölkerungsgruppen), psychologische (neue Motive), organisa­torische (neue Anbieterformen), berufliche (neue Sportberufe) Strukturen her­vorgebracht, und vor allem neue sportmotorische Muster und Sportgeräte als Merkmale aufweist. Die in der Beschreibung von sogenannten Sportmodellen zum Ausdruck gebrachte Annahme des dynamischen Wandels im Teilsystem des Sports scheint somit immer mehr an Plausibilität zu gewinnen.

Prozesse der Ausdifferenzierung können schleichend erfolgen, ihre Folgen sind dennoch früher oder später unübersehbar. In der Regel gehen sie z.B. mit Prozessen der Spaltung einher und werden nicht zuletzt unter Kriterien des Gewinns bzw. des Verlustes bilanziert, wenn die Ökonomie dabei eine besondere Rolle spielt. Für den Bereich des Sports trifft dies besonders zu und so kann es kaum überraschen, dass das Klima zwischen den verschiedenen Sportanbietern, vor allem zwischen den ehemals als Monopolisten fungierenden Vereinen und Verbänden und den vielfältigen neuen privaten und staatlichen Anbietern, eher feindlich geworden ist. Vor allem die auf ehrenamtlicher Mitarbeit basierenden Sportorganisationen befinden sich dabei derzeit in einer unsicheren Situation. Die Möglichkeiten, die sich den Vereinen und Verbänden durch die neue Marktsituation ergeben, sind ungewiss und wenig exakt bestimmbar. Dennoch verlangt eine derartige Situation Entscheidungen und Aktionen. Die Frage, was dabei angemessen, gefährlich, wünschenswert, pragmatisch ist, bedarf einer sorgfältigen Beantwortung. Geeignete Antworten sind derzeit kaum verfügbar. Auch die folgenden Ausführungen können hierbei keine weitreichende Hilfe sein. Sie sollen aber Grundlagen bereitstellen, die für die Suche nach Antworten möglicherweise hilfreich sein können. Es wird deshalb zunächst die Frage gestellt, wie es zu der aktuellen Situation aus der Sicht der Sportorganisationen gekommen ist, wie diese reagiert haben und wie sie derzeit auf die neue Herausforderung reagieren. Dabei sollen die Basis des organisierten Sports, die Vereine ebenso wie das Dach, der DOSB, beobachtet werden. In einem zweiten Schritt sollen die Reaktionen des organisierten Sports unter strategischen Gesichtspunkten bewertet und interpretiert werden. Abschließend sollen schließlich mögliche Perspektiven erörtert werden, die sich für die Vereine und Verbände des Sports in der weiteren Zukunft ergeben können. Als Bezugspunkt für solche Analysen sollte zunächst jedoch die Frage diskutiert werden, welche Möglichkeiten zur Steuerung freiwilliger Organisationen im Allgemeinen und denen des Sports im speziellen offenstehen bzw. verfügbar sind.

2. Möglichkeiten zur Steuerung

Will man eine Antwort auf die Frage finden, wie Vereine und Verbände des deutschen Sports in den vergangenen Jahren auf die Herausforderungen durch ihre Umwelt rea­giert haben, so kann die Beantwortung von einer eher grundsätzlichen Frage eine Hilfe sein. Es kann gefragt werden, welche Möglichkeiten Großorganisationen im allgemei­nen und dem DOSB im speziellen offenstehen, um sich selbst zu steuern. Dieselbe Frage sollte auch auf die kleinsten Einheiten von Großorganisationen im Allgemeinen und für die Abteilungen und die Turn- und Sportvereine im speziellen bezogen werden. Für den Steuerungseinfluss des Deutschen Olympischen Sportbundes und seiner Mitgliedsorganisationen kann zunächst in Bezug auf diese Frage festgestellt werden, dass dem DOSB und seinen Vereinen und Verbänden grundsätzlich dieselben Möglichkeiten offenstehen, wie sie für andere Organisationen zutreffen. Folgende lassen sich dabei unterscheiden:

  1. Der DOSB bzw. die Vereine können auf den Bestand der bestehenden Verhältnisse achten, ihr Organisationshandeln auf die Bewahrung des Bestehenden ausrichten, ihr Personal konsolidieren, ihre Vorschriften und Verfahrensregeln stabilisieren, ihre Leistungen und Programme beibehalten.
  2. Der DOSB bzw. die Vereine können danach trachten, die Austauschbeziehungen durch gestalteten Einfluss auf die Umwelt und deren Veränderung positiv zu gestalten, d.h. ihr Verhältnis zu ihrer Umwelt nehmen die Vereine und Verbände nicht lediglich rezeptiv wahr, sondern aktiv gestaltend. Sie haben dabei die Wahl, Partner und Konkurrenten aus der sie umgebenden Umwelt zu selegieren.
  3. Der DOSB bzw. die Vereine können sich in ihrer Ideologie, in ihren Leistungen, ihren Programmen, Vorschriften und Verfahrensregeln, Strukturen und Technologien sowie in ihrem Personal den sich wandelnden Bedingungen, die vor allem in ihrer Umwelt eingetreten sind, passiv anpassen. D.h., sie können auf die stattfindenden gesellschaftlichen Wandlungsprozesse reagieren. Der DOSB bzw. die Vereine lassen dabei die Effekte von außen auf die Organisation wirken, ohne dass sie steuernd ein­greifen. Die Ideologie, die Leistungen und Programme, Vorschriften und Verfahrensregeln, Technologien und das Personal verwandeln sich dabei möglicherweise schleichend.

Für den DOSB und seine Vereine lassen sich aus diesen drei sächlichen Möglichkeiten eine ganze Reihe von spezifischen Steuerungskonzepten ableiten. Reine Konzeptionen sind dabei ebenso möglich wie Vermischungen. Die Steuerung bzw. das Steuerungsde­fizit kann sich auch nur auf Programme und Leistungen beschränken, kann nur das Personal zum Ziel haben, oder sich nur auf die Strukturen und Technologien beziehen. Wandlung des einen und/oder Beibehaltung des anderen können sich auf vielfältige Weise darstellen.

Will man die abgelaufene und derzeit sich ereignenden passiven Anpassungsprozesse der Vereine und Verbände kennzeichnen und bewerten, so ist ferner zu beachten, dass es sich bei den Sportorganisationen um freiwillige Vereinigungen handelt, deren herausragendes kennzeichnendes Merkmal die Gemeinnützigkeit ist. Dieses Merkmal ist einerseits als positive Chance zu beschreiben. Es eröffnet finanzielle Möglichkeiten, über die Vereinigungen nicht verfügen, die dieses Merkmal nicht nachweisen können. Gleichzeitig wirkt der Status der Gemeinnützigkeit limitierend. Für Vereinigungen dieser Qualität ist nicht alles in den Auseinandersetzungen mit anderen Anbietern erlaubt, will man seinen besonderen qualifizierenden Status erhalten. Für freiwillige und gemeinnützige Sportvereinigungen gibt es u.a. vier Finanzierungsmöglichkeiten, um ihr Überleben als Sportorganisation mittel- und langfristig zu sichern:

Zunächst einmal sind es die Mitgliedereinnahmen, die die Ökonomie der freiwilligen Organisationen fundieren. Berücksichtigen wir hierbei neueste empirische Erkenntnisse zu dieser Möglichkeit, so kann festgestellt werden, dass die Mitgliedseinnahmen nach wie vor die tragende Finanzsäule der Sportorganisationen darstellen.

Zum zweiten erhalten freiwillige Organisationen dank ihrer Gemeinnützigkeit und ihrer aktiven Legitimationsarbeit gegenüber dem Staat und dank ihrer aktiven Beeinflussung der kommunalen und regionalen politischen Institutionen finanzielle Unterstützung. Diese Unterstützung gemäß dem Prinzip der Subsidiarität ist ebenfalls nach wie vor ein tragendes Element für die Arbeit in Sportvereinen.

Drittens gibt es für die freiwilligen Organisationen die Einnahmen durch Werbung oder Sponsoren. Jüngste Forschungsergebnisse machen deutlich, dass die damit sich eröff­nenden Einnahmequellen für die Sportvereine nur im Ausnahmefall eine geeignete Fundierung für eine solide Finanzierung der aktuellen und zukünftigen Vereinsarbeit sein kann. Günstiger ist diese Einnahmequelle aus der Sicht einiger Verbände und teil­weise auch aus der Sicht des DOSB zu beurteilen.

Viertens schließlich bieten der Verkauf und das Arrangement von Veranstaltungen eine wichtige Einnahmequelle. Auch diesbezüglich sind Vereine und Verbände differenziert zu bewerten, wobei erhebliche Unterschiede zwischen Vereinen und Verbänden und innerhalb der Organisationsformen auftreten können.

Beobachtet man die bislang erfolgten Anpassungsprozesse in den Vereinen und Verbän­den, so kann festgestellt werden, dass in jeder der vier genannten Möglichkeiten Ver­änderungsprozesse vollzogen werden. Die Wahl der Finanzierungsmittel scheint dabei das wichtigste Steuerungsinstrument der Vereine und Verbände zu sein. Doch auch diese Wahl, so wird im Folgenden vermutet, ist nicht als aktive selbstbestimmte Wahl zu kennzeichnen. Vielmehr wird die These vertreten, dass sich der DOSB ebenso wie seine Vereine und Verbände in einem passiven Anpassungsprozess befinden. Die oben auf­gezeigte dritte Möglichkeit wäre somit kennzeichnend für die derzeit sich ereig­nende Steuerungspolitik des DOSB und seiner Mitgliedsorganisationen.

Zu einer derartigen Kennzeichnung bisheriger Veränderungen und der aktuellen Situa­tion in den Sportvereinen und -verbänden ist jedoch eine differenziertere Vorgehens­weise angeraten. Zumindest sollte der DOSB und seine Dachorganisationen auf der einen Seite und die Abteilungen in den Vereinen bzw. die Vereine auf der anderen Seite unterschieden werden. Wird der DOSB und seine Vereine und Verbände als geschlossene und homogene Organisation betrachtet, so verdeckt diese verkürzte Betrachtungsweise vermutlich gerade jene Probleme, die in erster Linie das aktuelle Steuerungsdefizit im organisierten Sport hervorgerufen haben.

3. Reaktive Anpassung an der Basis

Die eigentliche Entwicklung des organisierten Sports findet schon immer in erster Linie in den Vereinen statt. Solche Entwicklung resultiert nur selten auf bewussten Überlegungen, auf Strategien mit Zielvorgaben, und aus klar definierten Aufgabenstellungen. Vielmehr sind es Alltagszwänge, spontane Einfälle, finanzielle Unwägbarkeiten, personelle Fluktuation und Wissensvarianz, die die Vereinsentwick­lung an der Basis eher als ein naturwüchsiges, zufälliges Phänomen erscheinen lassen. Seit mehreren Jahren ist diesbezüglich jedoch eine entscheidende Veränderung eingetreten. Immer häufiger und immer mehr werden Vereine und Verbände des Sports als Teil eines Sportmarktes definiert, der nach anerkannten ökonomischen Regeln verlaufen soll. Dabei wird jedoch kaum beachtet, dass diese Regeln nur für freie Märkte Gültig­keit beanspruchen, für die Regulation der Beziehungen von sogenannten freiwilligen Vereinigungen erheben sie hingegen keinen Geltungsanspruch. Von besonderem Inter­esse könnte in diesem Zusammenhang der Sachverhalt sein, dass die Vereine und Ver­bände des Sports zu dieser Neuorientierung nicht gezwungen wurden und auch heute lässt sich für diese Neueinrichtung keine besondere Notwendigkeit ausmachen. Die Vereine und Verbände lassen sich auf die neuen Regeln ohne inneren und äußeren Zwang ein. Sie definieren sich vielmehr selbst als Konkurrenten in einer Konkurrenz­situation; auch dann, wenn die angeblichen Konkurrenten, z.B. die Sportstudios und die Volkshochschulen, die Vereine gar nicht als ihre Konkurrenten betrachten. In der selbst definierten Konkurrenzsituation ist es nunmehr eine besonders wichtige Aufgabe, Organisationsstrategien zu entwickeln, um im Wettkampf auf dem Markt gegenüber den anderen Anbietern zu bestehen, um das eigene Produkt, das man in diesem Marktwett­bewerb anbietet, weiterzuentwickeln, und um neue marktangemessene Dienstleistungen konkurrenzfähig offerieren zu können. An Konkurrenten werden dabei sowohl die mitanbietenden Vereine und Verbände des Sports als auch die kommerziellen und kommunalen Sportanbieter aufgefasst.

Vor dem Hintergrund dieser Logik erweitern die Vereine ihr Aktivitätenpotential; das ehrenamtliche Personal wird nunmehr entsprechend dieser Logik ausgewählt; man bemüht sich, neues hauptamtliches Personal zu gewinnen; die Sportanlagen werden angepasst und nicht zuletzt entsteht eine neue finanzielle und vereinsrechtliche Struktur. Im Alltag der Vereine und Verbände bedeutete dies, dass nunmehr ein Fußballverein neben Fußball auch Volleyball und Gymnastik für Frauen offeriert. In großen Turn­vereinen wurden Fitness-Studios eingerichtet und Atemgymnastik wird in Sportvereinen in vergleichbarer Weise angeboten wie bei der Volkshochschule. Auch Vereine wollen nun ein Ort sein, wo man „in“ ist, wo etwas los ist, wo Fitness zu Hause ist, wo man (und frau) im neuesten Freizeitlook gesehen werden möchte. Turn- und Sportvereine wollen nicht mehr mit dem Geruch belastet sein, eine altmodische Organisation darzu­stellen. In der Tendenz werden zumindest Großvereine zum Supermarkt für Sportakti­vitäten, nicht wenige bezeichnen sich selbst als Dienstleistungsunternehmen. Einige dieser Vereine arbeiten mit Public-Relation-Konzeptionen der Werbebranche. Das Führungshandeln der neuen Ehrenamtsgeneration und der neuen Hauptamtlichen in solchen Vereinen folgt der Ideologie des Managements. Die „Sport-für-alle“-Idee, in neue Marketingstrategien verpackt, wird zum angeblich dringend erforderlichen Über­lebenskonzept. Zielgruppenangebote für das gesamte Lebensalter und für jede denkbare Gruppierung in unserer Gesellschaft werden eingesetzt. Immer mehr Vereine und Ver­bände glauben immer häufiger, dass sie aufgerufen und fachlich auch in der Lage sind, schwierige und bisher ungelöste soziale Probleme unserer Gesellschaft zu lösen bzw. zumindest zu mildern. Die Integration mittels Sport von Ausländern und von Behin­derten sehen sie dabei ebenso als ihre Aufgabe an wie die Rehabilitation und Prä­vention möglichst aller von Beeinträchtigungen betroffener Menschen. All diese Verän­derungen ereignen sich in den Vereinen eher zufällig. Ist dieser Wandel im günstigsten Fall im einzelnen Verein bzw. in einer Abteilung Resultat einer geplanten Vereinspoli­tik, die meist jedoch nur sehr kurzfristig orientiert ist und vor allem von der personel­len Konstruktion der jeweiligen Vereins- bzw. Abteilungsführung beeinflusst wird, so ist die dadurch eingetretene Veränderung bezogen auf die Gesamtheit der Turn- und Sportvereine kaum das Resultat eines geplanten und gegenseitig abgestimmten Konzep­tes. Vor dem Hinter­grund von zumindest teilweise auch historisch bedingten Differenzen zwischen Verei­nen, die heute möglicherweise allerdings nur schwach nachwirken, kooperieren auf kommunaler und regionaler Ebene Vereine höchst selten. Für die Verbände, vor allem für die Fachverbände, ist dieser Mangel noch drastischer zu erkennen. Konkurrenz kennzeichnet die Situation, auch dort, wo es nicht um sportli­chen Wettkampf geht. Lediglich wenn gemeinsame Interessen gegenüber der kommu­nalen Verwaltung zu vertreten sind, lassen sich Kooperationsformen beobachten; doch insgesamt ist nur in wenigen Fällen zu erkennen, dass die Vereine und Verbände über eine integrierte Strategie des Managements und der Organisationsentwicklung verfügen. Schon gar nicht scheint absehbar zu sein, dass sie eine gemeinsame Strategie gegenüber den privaten und öffentlichen Mitbewerbern im kommunalen Einzugsbereich ent­wickeln können. Notorische Klagen sind vielmehr die Regel. Volkshochschule und kommerzielle Anbieter werden verdächtigt, Übungsleiter abzuwerben, Mitglieder zu stehlen und Angebote der Vereinsarbeit zu kopieren. Die Klagen der Gegenseite sind ebenso auf der Tagesordnung.

Will man die gegenwärtige Situation zusammenfassend kennzeichnen, so kann behauptet werden, dass die Vereine derzeit kaum über eine hinreichend durchdachte Strategie verfügen, wie sie mittel- und langfristig ihr Handeln steuern sollen, wie sie den zukünftigen Herausforderungen gerecht werden können. Der Prozess, in dem sich die Sportvereine derzeit befinden, kann vielmehr als ein Prozess der passiven Anpassung beschrieben werden. Die Vereine übernehmen dabei vorrangig die Ideen und Absichten ihrer angeblichen Konkurrenten bzw. sie kopieren jene neuen Sportmuster, wie sie über den freien Sportmarkt oder im staatlichen Einflussbereich hervorgebracht wurden.

  • Zentral ist dabei das öffentlich vermittelte Bild von Gesundheit und Krankheit und das damit vermittelte Gesundheitsbewusstsein, von dem vor allem mittlere und höhere Schichten unserer Gesellschaft erfasst sind.
  • Nicht weniger von Bedeutung ist das öffentlich vermittelte Bild des Sports, so wie er im Fernsehen gezeigt wird, und wie dort über Sport gesprochen wird.
  • Wichtig sind auch die neuen Erscheinungsformen des Sports, wie sie bei den Konkur­renten der Vereine zu beobachten sind. Neue Sportarchitektur, neue Sportgeräte, neue Sportkleidung, und vor allem neue Sportangebote können dabei vermittelnde Effekte auslösen.

Dies alles hat bewirkt, dass die Autonomie des Vereins längst relativ geworden ist; sie wird überlagert von Einflüssen, die nur im Ausnahmefall reflexiv erfasst werden. Ein entsprechendes institutionelles Sensorium ist nicht vorhanden und in den bestehenden Entscheidungsinstanzen der Vereine mangelt es meist an Zeit, Kompetenz und Erfah­rung, um entsprechende Reflexionen zu gewährleisten. Schon gar nicht können die Entscheidungen der Vereine durch zentrale Vorgaben, Planungskonzeptionen und Stra­tegien der Dachverbände und des DOSB maßgeblich und direkt beeinflusst werden. Das Problem der Folgen und Nebenfolgen, die durch die Angebots-, Personal- und Finan­zierungsveränderungen hervorgerufen werden, konnte deshalb heute nicht ausreichend erfasst und schon gar nicht gelöst werden. Wenn die Umwelt sich rapide ändert, kann angenommen werden, dass Organisationen mit Wissen um den Zusammenhang zwischen Strategie und Struktur sich auf einen flexiblen Wandel ihrer Organisationsform ein­zustellen haben. Blickt man aus dieser Perspektive auf die Sportvereine, so muss man feststellen, dass ihre Veränderungen kaum Resultat einer bewussten strategischen Wahl sind. Sie sind vielmehr als Wachstums- und Anpassungsprozesse zu bezeichnen, die eher als passive Angleichung an die veränderte Umwelt denn als aktive Interaktion mit die­ser bewertet werden können. Die Frage, die sich aktuell und in Bezug auf die weitere Entwicklung der Vereine stellt, ist die Frage nach der Qualität und den möglichen Folgen dieser passiven Anpassungspolitik.

4. Anpassungsvorgänge in den Dachorganisationen

Wurde bislang in erster Linie der Prozess der Anpassung so beschrieben, wie er sich an der Basis in den freiwilligen Vereinigungen, in den Sportvereinen, ereignet hat, so sol­len im Folgenden die Wandlungen in den dazugehörigen Dachorganisationen beschrie­ben werden. Die Ausdifferenzierung des Sportsystems hat nicht nur einen Wandel des Sportangebotes in den Vereinen bewirkt, sondern auch eine schleichende Anpassung der Dachorganisationen bedingt. Anpassung als Folge von Differenzierung ist dabei auch für diese Organisationsebene kennzeichnend, wobei dieser Anpassungsvorgang auch als Rückzug oder als Entmachtung gedeutet werden kann. Diese Kennzeichnung wird vor allem dann nahegelegt, wenn man die vergeblichen Versuche beurteilen möchte, die der DOSB unternommen hat, den Sportbetrieb in seinen Organisationen in einen sportethischen Rahmen zu fügen, der vom Konsens aller Mitglieder getragen wird. Am Beispiel der Charta des Sports, der Grundsatzerklärung für den Spitzensport, der Diskussion über die Werbung am Mann, über Kinderhochleistungssport, über Doping und Gewalt im Sport; aber auch am ungeklärten Verhältnis des Bundesausschuss Leistungssport zum Bundesausschuss Breitensport und deren konträre Programmatik, Arbeitsweisen, Zielsetzungen und Personal kann deutlich gemacht werden, warum es dem DOSB vermutlich auch zukünftig kaum gelingen kann, den Zusammenhang seiner Teilsysteme dadurch zu erreichen, dass das Handeln in den einzelnen Teilbereichen an einer gemeinsamen Idee von Sport orientiert wird, dass es ein gemeinsames sinnstiften­des Sportideal gibt. Alle nachträglichen Koordinierungsversuche zugunsten einer ein­heitlichen Sportidee scheinen immer wieder erneut fehlzuschlagen. Immer deutlicher wird, dass durch ideelle Regelungen eine Einheit in einer komplexen Organisation wie der des Sports nicht mehr entstehen kann. Die Einheit einer Organisation kann allen­falls über zeitlich begrenzte rationale Regelungen mit geringer Reichweite festgelegt sein. Doch auch solche Regularien können kaum verhindern, dass in jenem Sport, der zum Einflussbereich des Deutschen Olympischen Sportbundes zählt, immer deutlicher wird, dass eine fortschreitende Modernisierung und bloßes quantitatives Wachstum des Sports nicht notwendig zu höherer Modernität und zu einer Verbesserung der Lebens- und Handlungsbedingungen in den Organen des Sports im Sinne einer gewünschten Werteorientierung beiträgt. Immer deutlicher wird, dass aufgrund der zunehmenden Einflussnahmen von außen, die vor allem aus der weiteren Ausbildung von Teilsystemen erwachsen sind, die intendierten Kapazitäts- und Autonomiesteigerungen des Gesamt­systems häufig zunichtegemacht werden. Gewiss führte die funktionale Ausdifferen­zierung des Sports zu einer Leistungssteigerung in der Erfüllung der jeweiligen Funk­tionen. Gleichzeitig nehmen aber die Reibungsverluste immer mehr zu, weil die Abstimmung der Funktionsleistungen kaum mehr gelingt. Auch im Deutschen Olympischen Sport­bund zeigt sich somit die Krise der gesellschaftlichen Arbeitsteilung. Die Teilsysteme des Sports entwickeln ihre eigene Logik, ihre eigene Sportidee, das für sie typische Personal und die für sie typischen Kommunikationsmedien. Dies erzeugt Differenz und untereinander werden die verschiedenen Teilbereiche des Sports zunehmend unverträglicher. Konflikte sind dabei naheliegend und Konsensfähigkeit ist gefordert. Dabei wird jedoch immer deutlicher, dass Verstehen und Konsens in den unteren Etagen des Sportgebäudes erreichbar sind, im Hauptgebäude und dessen Zentrale hingegen immer unwahrscheinlicher werden.

Die derzeit beobachtbare Unfähigkeit zur ideellen Steuerung in den Grenzen des DOSB ist je nach Standpunkt beklagenswert oder wünschenswert; meistens werden sie gar als Konsequenzen einer ohnehin nicht aufzuhaltenden Entwicklung bezeichnet. Dabei wird jedoch verkannt, dass die heutige Situation immer auch – und meines Erachtens vorrangig – ein kennzeichnendes Indiz und damit auch Resultat einer „reagierenden Sportpolitik“ ist, wie sie schon seit längerer Zeit für den DOSB typisch zu sein scheint. Reagiert wird dabei auf vielen Ebenen, agiert wird hingegen höchst selten. Rekonstruktiv lassen sich dabei für die DOSB-Politik u.a. folgende Reaktionsmuster beschreiben:

1. Das Muster der institutionalisierten Differenzierung und des Delegierens.
Der Sport befindet sich nicht nur unter funktionalen Gesichtspunkten in einem all­gemeinen Prozess der Ausdifferenzierung. Er wird vielmehr intentional durch gezielte Politik differenziert. Auf der Ebene des DOSB erfolgt dies immer dann, wenn auftauchende Probleme Entscheidungen nahelegen würden. Die Entscheidungen erhofft man sich dadurch zu erreichen, dass man neue organisatorische Einheiten schafft oder bestehende erweitert. Ein beliebtes Instrument ist dabei die Einrichtung von Kommissionen (Medienkommission, Dopingkommission, Kommission Behinder­tensport etc.), von Ausschüssen (Bundesausschuss Frauen im Sport) und von Arbeits­gruppen. In wichtigen Fragen scheint auch die Gründung neuer Organisationen mit­tels einer GmbH ein probates Mittel zu sein. Organisatorische Kom­plexität am Dach ist dabei eine kaum mehr übersehbare Folge dieser Politik; das Aufschieben von dringenden Entscheidungen scheint eine zweite Konsequenz dieser Politik zu sein. Ausschüsse, Kommissionen und Arbeitsgruppen sind Folge einer Führungsarbeit, die sich mittels der Delegation über Wasser hält. Delegieren im Sinne einer erfolgreichen Arbeitsteilung könnte ein sinnvolles Führungsprinzip sein; Delegieren im Sinne eines Aufschubs dringender Entscheidungen kann jedoch auch Leerlauf zur Folge haben. Betrachtet man die Effizienz der Arbeit der DOSB-Kommissionen, Ausschüsse, Beiräte und Arbeitsgruppen, so kann die letztere Kennzeich­nung kaum ausgeschlossen werden. Viele Ausschussarbeiten sind folgenlos bzw. werden oft genug einmal vereinbarte Beschlüsse keiner Kontrolle unterworfen, ob sie auch durchgeführt werden. Insge­samt kann das bestehende Arbeitsverfahren als äußerst kostenintensiv bezeichnet werden. Es wäre deshalb zu empfehlen, die ständigen Ausschüsse auf ein Minimum zu reduzieren, dabei ausgehend von einer umfassenden Problemanalyse und einer entsprechenden hierarchischen Festlegung der bedeutsamsten Probleme (die in regelmäßigen Abständen zu wiederholen sind) nur solche Ausschüsse auf Zeit mit Aufgaben zu betrauen, die in den nächsten Jahren als möglich und wahrscheinlich zu betrachten sind. Notwendig wäre auch, dass vermehrt Aufträge an Experten ver­geben werden. Dies alles macht allerdings nur dann Sinn, wenn das Präsidium hauptamtlich oder ehrenamtlich auch in der Lage ist, entsprechende Resultate zu verarbeiten, d.h. die Zeit zu finden, die erarbeiteten Ergebnisse zu registrieren, zu reflektieren und in sportpolitisches Handeln umzusetzen. In der Vergangenheit war dies nur selten zu erkennen. Deshalb scheint es zwingend notwendig zu sein, dass insgesamt das Präsidium der Dachorganisationen vermehrt von Alltagsaufgaben entlastet wird (d.h. es sollte sich nicht in jedes kleine Problem einmischen), um sich den wirklichen Führungs­problemen und -aufgaben widmen zu können.

2. Das Muster der Image-Pflege (Public-Relation).
Ein immer üblicher werdendes, dabei jedoch auch meist überschätztes Politik-Muster freiwilliger Vereinigungen und Verbände ist die Anwendung einer Public-Relation-Technologie. Konstruieren Massenmedien Realität, so bedingen sie auch den gesell­schaftspolitischen Standort und die Relevanz einer Großorganisation wie des DOSB. Bei der Anwendung von PR-Mitteln geht es dem Deutschen Olympischen Sportbund und seiner wichtigsten Mitgliedsverbände deshalb schon seit längerer Zeit um die Erzeugung eines guten Images und einer positiven öffentlichen Erscheinung von sich selbst und seinen Verbänden und Vereinen. Mit einer gezielten Werbe- und Pressearbeit wird versucht, sowohl den staatlichen als auch den privaten Sektor für sich zu gewinnen. Gleichzeitig wird mit dieser Medienarbeit der Versuch unternommen, neue Mitglieder für die Vereine und eventuell auch neue ehrenamtliche freiwillige Mitarbeiter, bedingt durch die gute Reputation, für die Vereine und Verbände zu gewinnen. Das Muster der Ima­gepflege findet sich für den Bereich des DOSB in erster Linie in Werbekampagnen für Sport für alle-Aktionen, aber auch die Fair-play-Kampagne kann diesem Muster zugeordnet werden. Dazu gehören auch die regelmäßig erscheinenden DOSB-Pressemitteilungen, und die auffällig sich häufenden Pressekonferenzen und Pressegespräche führender DOSB-Repräsentanten.

3. Das Muster der selektiven Ehrenamtsrekrutierung.
Beobachtet man die Diskussionen über die Besetzung wichtiger ehrenamtlicher Posi­tionen in den Sportfachverbänden und im DOSB, so ist schon seit einigen Jahren eine Strategie der selektiven Ehrenamtsrekrutierung ersichtlich. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass man wichtige Personen, vorrangig aus der Wirtschaft, aber immer häufiger auch aus der Politik, und relevante gesellschaftliche Organisatio­nen in die Verbands- und Vereinsführungsgremien einbinden möchte. Auf diese Weise – so wird angenommen – sollen die politischen Entscheidungsprozesse von den Gruppen, aus denen die kooptierten Personen stammen, beeinflusst werden. Weiter wird angenommen, dass solche Personen sich zunehmend verantwortlich für ihre neue Aufgabe fühlen und damit Teil und Aufgabe der eigenen Organisation werden. Ihre auf sportfremdem Gebiet ausgewiesene Kompetenz soll nun auch dem Sport zugutekommen. Die Suche nach Kooptation soll dabei die Unsicherheit des tradier­ten Sportsystems gegenüber dessen Umwelt reduzieren. Sie soll einen Einstieg in die verzweigten Netzwerke politischer Macht ermöglichen. Dies kann positive Effekte zur Folge haben, negative sind jedoch ebenso wahrscheinlich. Immer deutlicher wird nämlich, dass dem DOSB und den Sportfachverbänden die selektive Ehrenamtsrekrutierung nur selten gelingt. Meist muss er sich mit der sogenannten „2. Wahl“ begnügen und Kooptation scheint sich oft genug auf das nachgeordnete Personal der Parteipolitik zu beschränken, was dazu führte, dass die Mehrzahl der führenden Ehrenämter im Sport Parteibuchbindung aufweisen.

4. Das Muster der Ehrenamtspropaganda.
Dieses Muster kann nur von freiwilligen Vereinigungen angewendet werden, da das Prinzip des Ehrenamtes das grundlegende Führungsprinzip freiwilliger Vereinigun­gen darstellt. Als Muster kommt es dann zum Tragen, wenn sich die Verbände und Vereine im sozialen und kulturellen Sektor engagieren und bei diesem Engagement ihr ehrenamtliches Element besonders herausstellen. Analysiert man die Reden füh­render Sportpolitiker, so wird ersichtlich, dass dieses besondere Herausstellen zu einem wichtigen Legitimationsinstrument des DOSB und seiner Verbände geworden ist. Dabei wird jedoch verkannt, dass das klassische Ehrenamtskonzept meist nur noch in den Vereinen, in deren Abteilungen und im täglichen Übungs- und Wett­kampfbetrieb zum Tragen kommt, in den mittleren und höheren Dachorganisationen des Sports vielmehr oft jene Personen Ehrenämter ausüben, die in der Regel über eine relativ flexible Arbeitszeit verfügen bzw. wesentliche Aufgaben des Ehrenamtes während ihrer Arbeitszeit ableisten. Unter Legitimationsgesichtspunkten scheint das sportpolitische Muster der Ehrenamtspropaganda dennoch effektiv zu sein. Dies zei­gen entsprechende Reaktionen aus dem Bereich der Politik und der Wirtschaft. Pro­blematisch ist hingegen die Beurteilung dieser Propaganda vor dem Hintergrund der tatsächlich sich ereignenden ehrenamtlichen Führungsarbeit im DOSB. Ehrenamtliche DOSB-Führungsarbeit ist wie in vielen Sportorganisationen „Feierabend-Führungsarbeit“; findet für die meisten der Führungskräfte lediglich in Wochenend-Sitzungen statt. Überfüllte Tagesordnungen in übergroßen Gremien und Ausschüssen verhindern dabei fun­dierte Erörterungen und verantwortungsvolle Entscheidungen. Das Vertagen ist dabei ebenso üblich wie das Delegieren. Hierbei wird deutlich, dass solche Ehrenämter nur im Ausnahmefall nach dem Kriterium der fachlichen Kompetenz und den tatsächlich vorhandenen Möglichkeiten zur aktiven Mitarbeit besetzt wer­den. Das besondere Problem der ehrenamtlichen Funktionäre im Sport ist vielmehr, dass für die Positionen der führenden Ehrenämter kein Bewerbungsverfahren, aber auch kein Berufungsverfahren möglich ist. Bringt sich eine Person selbst ins Spiel, so ist sie meist diskreditiert. Wird sie in das Personalkarussell zu früh hineingebracht, so sinken ihre Chancen. Bei der Besetzung von wichtigen Ämtern ist deshalb oft nicht zu erkennen, wie fachliches Können und die erforderlichen Persönlichkeitsstruktu­ren eine zentrale Rolle spielen. Eine genaue Aufgabenbeschreibung liegt für die Position in der Regel nicht vor und schon gar nicht werden Eingangsqualifikationen definiert. Auf diese Weise spielen Beziehungen, Vetternwirtschaft, Parteibuch und vieles mehr noch immer die zentrale Rolle bei der Besetzung der wichtigsten Funk­tionärs-Positionen. Besonders belastend scheint dabei zu sein, dass in erster Linie die Frage eine Rolle spielt, ob eine betreffende Person in das bestehende Gefüge passt, ob sie „zu uns“ gehört. Hier wird auf eklatante Weise das Phänomen des Stallgeruchs überbewertet. Angesichts der anstehenden Führungsarbeit in den Sportorganisationen des deutschen Sports zeichnet sich die aktuelle Situation der ehrenamtlichen Führung durch Überforde­rung aus. Bei der Diskussion zur Lösung der anstehenden Probleme im Bereich der ehrenamt­lichen Führung wäre es wünschenswert, wenn über neue Modelle der ehrenamtlichen Führung (z.B. Aufsichtsratsmodell) nachgedacht würde. Denkbar wäre auch eine verstärkte hauptamtliche Führung über ein mehrköpfiges Führungsgremium, das von einer kleinen ehrenamtlichen Gruppe überwacht wird. Möglicherweise ist zu empfehlen, dass auch zukünftig der Deutsche Olympische Sportbund von einer Person geführt wird. Es stellt sich aber die Frage, ob diese haupt- oder ehrenamtlich sein muss.

5. Das Muster der rettenden Hauptamtlichkeit.
Angesichts der Defizite, die das Prinzip der ehrenamtlichen Führung in freiwilligen Vereinigungen aufzuweisen hat, kann es nicht überraschen, dass man in den meisten Dachorganisationen des Sports sein Glück in einer verbesserten hauptamtlichen Führungsarbeit sucht. Manager sind gesucht, Managementfähigkeiten sind die Bewerbungsformel der Stunde. Jeder orga­nisatorische Teilbereich der jeweiligen Sportverwaltung erhebt personelle Ansprüche, neue Abteilungen scheinen notwendig zu werden und das bestehende hauptamtliche Per­sonal fordert erweiterte Kompetenzen. Auch hier klaffen jedoch Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander. Gehaltsansprüche und berufliche Tätigkeiten diver­gieren ebenso wie die personellen Stärken und die hervorgebrachten Leistungen der verschiedenen Arbeitsbereiche. Bei der Einstellung von hauptamtlichen Personen ist nicht zu erkennen, wie den Einstellungen ein mittelfristiges Personalentwicklungs­konzept zugrunde liegt, welche Qualifikationskriterien für die Einstellung ausschlag­gebend sind und wie nach Einstellung eine entsprechende Karriereentwicklung des Personals geplant ist. Die Rolle des Generalsekretärs hat sich bislang in ihren Füh­rungsmöglichkeiten nach innen als ungenügend erwiesen. Die Geschäftsführer sind mit Personalführungsproblemen teilweise nicht vertraut, das geführte Personal unterliegt keinen Leistungskriterien, die Kontrolle über die erbrachten Leistungen findet nur im Ausnahmefall statt. Das Problem der Rekrutierung wie es bei den Ehrenamtlichen beobachtet werden kann, wiederholt sich somit bei den Hauptamt­lichen. Stallgeruch scheint wichtiger als Kompetenz und Kontrolle der Arbeit scheint ebenso fremd zu sein wie in jenem Bereich, aus dem die Mehrheit dieser Hauptamt­lichen kommt: Aus den Universitäten, aus dem Bildungswesen und aus nachgeordneten Sportorganisationen. Ein Personal mit dem Stigma der „2. Wahl“ ist die not­wendige Konsequenz solcher Personalpolitik. Soll das damit verbundene Problem gelöst werden, so bedarf es neuen Personals, einer eindeutigen hierarchischen Führungsstruktur und eines ausgewogenen Gratifi­kationssystems. Außerdem müssen die Sportverwaltungen dringend den Anschluss an moderne Technologien im Bürosektor finden und das Fortbildungsproblem der Hauptamtlichen müsste gelöst werden.

5. Konvergenzpolitik und deren mögliche Folgen

Nachdem die Veränderungen an der Basis und am Dach des Sports in den sie meines Erachtens kennzeichnenden Merkmalen beschrieben wurden, ist es notwendig, die Frage nach der Qualität dieser Veränderungen ebenso wie die Frage nach möglichen Alternativen zu stellen. Die wesentlichen Merkmale des bisher für die Verbands- und Vereinsentwicklung Beschriebenen lässen sich auf folgenden Nenner bringen:

Das Dach und die Basis des Sports verfolgen gewollt und ungewollt eine Politik der Konvergenz bzw. der reaktiven Anpassung. Die Basisorganisationen, die in unserer Gesellschaft Sport anbieten, werden sich immer ähnlicher. Dies gilt sowohl für deren Organisationsform als auch für deren Inhalte bzw. Angebote. Dies wird sichtbar, wenn man die freiwilligen Vereinigungen, d.h. die Turn- und Sportvereine und Verbände untereinander vergleicht. Besonders deutlich wird es jedoch, wenn man die Turn- und Sportvereine mit den privaten Anbietern und den kommunalen und staatlichen Sport­organisationen einem Vergleich unterzieht. Während früher die Sportfachverbände und die entsprechenden Sportvereine sich dadurch auszeichneten, dass sie höchst unter­schiedliche Sportangebote ihren Mitgliedern offerierten, die sich jeweils durch ver­schiedene Ideologien und Werteorientierungen unterscheiden ließen und relativ homo­gene Mitgliederstrukturen zur Folge hatten, haben nunmehr die Differenzierung des Sportsystems im allgemeinen und die Anpassungsprozesse in den Sportorganisationen, die in erster Linie durch eine Ausweitung des Sportangebotes und der Hinzunahme neuer sportiver Dienstleistungen zu kennzeichnen ist, dazu geführt, dass die Differen­zen immer weiter vermischt werden, die zwischen den Turn- und Sportvereinen und den übrigen Sportanbietern bestanden haben.

Will man die verschiedenen Muster, die für den Deutschen Olympischen Sportbund und dessen Ver­bände rekonstruiert wurden, bewertend und zusammenfassend beurteilen, so kann fol­gendes festgestellt werden: Die Anwendung des Musters der Differenzierung und der Delegierung und damit der Diversifikation, die Anwendung der Strategie der Koopera­tion bzw. der Kooptation mit Wirtschaft und Staat, die Strategie des Public-Relation und die Strategie der Heraushebung der ehrenamtlichen Qualität zielen auf markt- und/oder staatsähnliche Mechanismen. Marktähnliche und staatsähnliche Mechanismen sind somit die wesentlichen Merkmale, die die Reaktion und Strategie der freiwilligen Organisationen im Bereich des Sports kennzeichnen. Damit deuten auch die von den Dachorganisationen des Sports gewählten Handlungsmuster darauf hin, dass sie sich durch das Merkmal der Konvergenz, d.h. der Anpassung und Imitation auszeichnen.

Die Strategie der Vereine und Verbände, vermehrt mittels öffentlicher Unterstützung und privater Sponsoren ökonomische Sicherheit zu erzielen, hat die Vereine und Ver­bände in eine Lage gebracht, dass immer deutlicher die Mechanismen zum Tragen kommen, die für Staat und Markt typisch sind. In gewisser Weise ist damit eine para­doxe Situation eingetreten. Die Ausdifferenzierung des Sportsystems hat zur Konver­genz der Anbieter geführt. Hätten die Sportorganisationen den Weg der Divergenz gewählt, so hätten sie auf das zu achten gehabt, was sie als einzigartig in der Konkurrenzsituation des öffentlichen Marktes kennzeichnet. Dies ist z.B. ihr Kinder-und Jugendsport, ihr ausdifferenziertes Wettkampfsportangebot, die Kombination von Wettkampf und Geselligkeit, das Konzept der solidarischen Finanzierung gemeinnützi­ger Leistungen mittels differenzierter Mitgliedsbeiträge etc. Nun sind sie schon seit längerer Zeit auf dem Wege, eben diese kennzeichnenden Merkmale zu verlieren und man kann dabei zu dem Urteil kommen, dass die strategische Wahl und die organisatorische Ent­wicklung, die den Sportorganisationen von heute zugrunde liegen, kaum das Resultat einer sorgfältigen Analyse und einer bewussten Entscheidung zwischen verschiedenen Strategien war. Der Weg, in welchem sich die organisierten freiwilligen Vereinigungen des Sports befinden, ist eher jener der reaktiven Anpassung. Sportentwicklung in den Vereinen und Verbänden bedeutet somit eher zügelloses Wachstum. Dazu gehört die Imitation dessen, was anderswo bereits erprobt wird und die Steuerung dieses Wachstums ist geprägt vom „Hand-in-den-Mund-Handeln“.

Welche Konsequenzen lassen sich angesichts dieser neuen Situation erkennen bzw. welche werden sich vermutlich abzeichnen? Eine sichere Antwort auf diese Frage ist nicht möglich. Schon heute sind jedoch einige Folgen, die sich aus der Konzeption der Konvergenz der freiwilligen Vereinigungen und Verbände im Bereich des Sports erge­ben können und die als gravierend, teilweise als gefährlich bezeichnet werden können.

  • Eine Folge könnte z.B. jene sein, dass die freiwilligen Organisationen, die früher relativ unabhängig waren, auf der Grundlage der passiven Anpassung in immer stärkere Abhängigkeit zu externen Gruppen geraten.
  • Zum Zweiten könnten aufgrund der Konvergenzpolitik in den freiwilligen Organisatio­nen des Sports neue Formen von Rationalität für Entscheidungsprozesse und somit auch neue Führungsstile entstehen, die den bestehenden demokratischen Verfahren und Kontrollen entgegenstehen.
  • Drittens scheint die Gefahr naheliegend zu sein, dass das bisherige selbstlose Selbstbild der freiwilligen Sportorganisationen, nämlich ohne eigennützige Gewinnmotive zu arbeiten, nur noch mit Schwierigkeiten aufrechterhalten werden kann.
  • Viertens werden vermutlich die Sportorganisationen immer stärker abhängig vom Ver­kauf der Waren und Dienstleistungen auf dem Markt, sie werden damit abhängig vom Wandel des Marktes. Das heißt, sie müssen denken, wie private, gewinnorientierte Organisationen. Die freiwilligen Organisationen müssen die Marktsituation analysieren und sie müssen Entscheidungen strategischer Art in kontinuierlicher Abfolge treffen. Investitionen müssen nunmehr bedacht werden, Zeit, Effizienz und Gewinn werden zu entscheidenden Handlungskriterien.

Die Strategie der Konvergenz kann am deutlichsten am Beispiel der in vielen Vereinen eingerichteten Fitness-Studios beschrieben werden. Sie werden meist eingerichtet, um in der Konkurrenz mit den privaten Fitness-Studios bestehen zu können. Die Vereins-Studios sind in der Regel profitorientiert, werden von einem hauptamtlichen Manager geleitet und als eigenständige Organisation in den bestehenden Vereinsrahmen integriert. Die Vereine verfolgen dabei eine Mischstrategie zwischen Tradition und Wettbewerb. Einerseits wird die Organisation in Richtung Markt gedrängt, andererseits möchte man mit gezielten Stützmaßnahmen traditionelle Werte des Vereins erhalten. Was wird an diesem Beispiel klar? Diese Strategie ist weder in Einklang zu bringen mit den traditionellen Werten und der traditionellen Zielorientierung des Vereins, noch wird sie den beabsichtigten Effekt in der Auseinandersetzung mit jenen neuen Kon­sumgruppen haben, die die privaten Studios bevorzugen. Gleichzeitig wird diese Strate­gie jedoch unbeabsichtigte Konsequenzen haben, die die Identität der Vereine in Frage stellen. Bei dieser Strategie wird es nicht zu einem Wettbewerb über die Werte kom­men, es wird sich ausschließlich ein Wettkampf nach den Prinzipien des Marktes durchsetzen. Das neue Fitness-Zentrum in einem Verein wird vermutlich kaum zu sozialen und kulturellen Aktivitäten führen, die nicht auf eine direkte oder indirekte Weise profitorientiert sind.

Was sind nun aber die Folgen, die möglicherweise durch solche neuen Vereinsintentio­nen nötig werden? Zu Beginn ist abzusehen, dass durchaus noch Übereinstimmung zwischen den verschiedenen Gruppen und Meinungen bezogen auf die neue Institution des Vereins besteht. Aber mittel- und langfristig werden die zwei Säulen des Vereins, das Fitness-Center und die freiwillige, ehrenamtlich organisierte Sportarbeit unter­schiedliche Wege gehen. Ihre grundlegenden Rationalitäten sind konträr. Zunächst kön­nen sie sich gegenseitig ergänzen, aber langfristig werden Auseinandersetzungen kaum zu vermeiden sein. Es kommt zu politischen, administrativen und strategischen Rivali­täten zwischen den verschiedenen Kräften, die in unterschiedliche Richtungen tendie­ren. Es mag sein, dass in einigen Vereinen langfristig politische und administrative Arrangements gefunden wurden, die diese Konflikte meistern. Dennoch wird sich dann auch deren Organisation geändert haben. Das Profil der freiwilligen Vereinigung wird sich durch die zwei konträren Gliederungen verändert haben. Am Ende wird die freiwillige Vereinigung ihre frühere Identität verloren haben, sowohl aus der Sicht der Mitglieder als auch im öffentlichen Image. Dies wird die Einstellung sowohl gegenüber der öffentlichen Unterstützung als auch den privaten Sponsoren verändern.

Stimmen diese Vermutungen, so kann der Prozess, in dem sich derzeit die Vereine und Verbände des Sports befinden, als ein Transformationsprozess bezeichnet werden, in dem diese in eine neue Organisationsform überführt werden. Die Vereine und Ver­bände des Sports scheinen dabei zu sein, sich vom Sektor der gemeinnützigen freiwilli­gen Vereinigung weg und zum Sektor des Marktes mit seinen Wirtschaftsunternehmen hin zu bewegen, wenn sie ihrem Handeln zunehmend Marktmotive zugrunde legen. Sie sind aber auch dabei, zu einer Staatsinstitution zu werden, wenn sie immer mehr vom öffentlichen Sektor kooptiert werden. Ein solcher Wechsel muss nicht notwendig zu Imageproblemen oder gar zu einer Identitätskrise führen. Naheliegend ist es jedoch, dass dieser Transformationsprozess kaum ohne Friktionen verlaufen kann. Dabei ist es durchaus möglich, dass die in diesem Beitrag rekonstruierte Politik der Konvergenz durchaus ihre Erfolge aufzuweisen hat. Mittelfristig, so scheint es, kann diese Strategie den Vereinen helfen, sich ökonomisch zu konsolidieren, was freilich auch mit einer Instabilität der Mitgliederorganisation einhergehen kann. Die Bindung an den Verein – so scheint es zumindest – wird in der weiteren Zukunft eher locker sein.

Die entscheidende Frage jedoch dürfte sein, was mit der Identität der Vereine und Verbände in der nächsten Zukunft geschieht. Mehrere Veränderungen sind dabei denk­bar. Folgen die Vereine und Verbände auch weiterhin der Strategie der reaktiven Anpassung, so ist anzunehmen, dass in der Vereins- und Verbandsarbeit die politische Lobbyarbeit, das Netzwerk-Management und die Frage nach der finanziellen Effizienz der eingesetzten Mittel zentrale Maximen zur Beurteilung der Führungsarbeit werden. Dies alles kann ohne Zweifel der Bedürfnisbefriedigung der Vereinsmitglieder dienen. Es besteht aber auch die Gefahr, dass solches Engagement Selbstzweckcharakter gewinnt. Diese Art von Vereins- und Verbandsarbeit dient dann wohl den Interessen der sie leistenden Vereins- und Verbandsfunktionäre haupt- und ehrenamtlicher Art und sie ist auch im Interesse jener Außeninteressierten, die von solchen Aktivitäten profitieren; sie gerät jedoch in Widerspruch zu den Nöten und Wünschen der Vereins­mitglieder selbst. Dies wiederum könnte bedeuten, dass die gemeinnützigen freiwilligen Vereinigungen des Sports, die einst in der Absicht gegründet wurden, keine anderen Zwecke zu verfolgen als jene, die über die Interessen der Mitglieder vorgegeben sind, sich immer weiter weg von dieser Ausgangsposition entwickeln. (Diese Gefahr ist frei­lich auch schon in den traditionellen Konzeptionen der freiwilligen Vereinigungen des Sports anzutreffen und sie haben auch dort zu beträchtlichen Diskrepanzen zwischen den Interessen der Mitglieder und der Vereinsführung geführt. Betrachtet man unter diesem Aspekt die zahlreichen empirischen Untersuchungen zur aktuellen Situation der Sportvereine, zur Bedürfnislage ihrer Mitglieder, auch im Vergleich zu kommerziellen Sportanbietern, so wird dabei vor allem deutlich, dass die Interessen der Mitglieder in den Sportvereinen im Wesentlichen geprägt sind durch die Kennzeichen Gesundheit und Geselligkeit, wobei vor allem die Kombination dieser Elemente die Bedürfnislage der Vereinsmitglieder prägt. Dabei muss jedoch davon ausgegangen werden, dass die freiwilligen Organisationen des Sports keine homogenen Gebilde mehr sind. Je nach Sportart und Angebot unterscheiden sich die Mitgliedschaften erheblich und damit auch die Bedürfnislagen.) Relativ neuartig ist in diesem Zusammenhang hingegen das Problem, dass die zum Selbstzweck gewordene Aktivität der Vereinsführung möglicherweise den Verein in finanziell riskante Abhängigkeiten drängt.

Entscheidender unter dem Aspekt der gefährlichen Folgen ist jedoch die Frage nach der kennzeichnenden Identität der Sportvereine und Verbände. Im Gegensatz zu den privaten und staatlichen Sportanbietern ist es für die Vereine überlebensnotwendig, dass sie sich eine spezifische Identität erhalten. Die Turn- und Sportvereine haben im Gegensatz zu den übrigen Sportanbietern eine historisch bedingte Identität, aus der sie sich meines Erachtens nicht ohne Not verabschieden sollten. Die historische Bedingtheit der aktuell herrschenden Verhältnisse in den Vereinen kann meist nur auf eine relativ abstrakte Weise nachempfunden werden. An einem Punkt ist sie jedoch auch heute noch äußerst konkret und damit auch folgenreich für die Vereinspraxis. Sie bezieht sich auf die Mitgliedschaft im Verein im Vergleich zum Mitmachen in einer Volkshoch­schulgruppe oder bei einem privaten Sportanbieter. Aus einer privaten oder staatlichen Organisation kann man austreten, wenn einem das Angebot nicht mehr passt. Dies hat in erster Linie zur Konsequenz, dass man die Bezahlung der Kosten für die erbrachten Leistungen einstellt. In freiwilligen Turn- und Sportvereinen ist hingegen anstelle des durchaus möglichen Austritts etwas Anderes in dieser Situation gefragt: Das betroffene Mitglied sollte zur Artikulation seiner Interessen verpflichtet sein, die Wortmeldung ist somit gefragt, die auch die Loyalität der Mitglieder untereinander prägen sollte. Das wesentliche ist also, in welcher Beziehung sich die Mitglieder eines Turn- und Sport­vereins zueinander befinden, wenn man die Frage nach der Identität der Vereine beantworten möchte. Haben sie als Mitglieder noch eine Beziehung der gegenseitigen Loyalität und Solidarität, oder zeigt sich in den Vereinen bereits, dass sich die Mitglie­der wie Kunden in einem Supermarkt begegnen. Für das Überleben der Vereine scheint deren Identität, basierend auf Loyalität und Solidarität, überlebensnotwendig zu sein. Dabei ist durchaus denkbar, dass sich die Prinzipien der Loyalität und Solidarität lediglich auf Teile des Vereins beziehen. Notwendig scheint jedoch zu sein, dass wesentliche Teile der Mitglieder einer Gemeinschaft angehören, die mehr ist als die Addition der einzelnen Mitglieder. Gerade deshalb wird auch heute noch meist dann vom „guten Verein“ gesprochen, wenn die Mitglieder sich gegenseitig kennen, die gewählten Vereinsfunktionäre persönlich bekannt sind und wenn es ein Vereinsleben gibt, das sich auch außerhalb der bloßen Sportangebote bewährt.

6. Auf der Suche nach der angemessenen Steuerung

Die bislang gemachten Ausführungen hatten u.a. zum Ziel, die aktuell bestehende Steuerungsproblematik der Sportorganisationen und Vereine deutlich zu machen und dabei eine Antwort auf die Frage zu suchen, was die angemessene Steuerung für die zukünftige Entwicklung des Sports im Deutschen Olympischen Sportbund sein könnte. Zur Beant­wortung dieser Frage können organisationssoziologische Erkenntnisse über das Steue­rungsproblem eine wichtige Hilfe sein. Sie lassen sich nur begrenzt auf das System des Sports übertragen. Stimmt man der Kennzeichnung der in diesem Beitrag postulierten allgemeinen Trends, insbesondere der These vom derzeit sich ereignenden Transforma­tionsprozess im Sportsystem zu, so lassen sich jedoch in Anlehnung an solche Erkennt­nisse eine ganze Reihe von Möglichkeiten beschreiben, wie zukünftig die Steuerung erfolgen könnte. So könnte z.B. die Steuerungsleistung in den einzelnen Teilsystemen des Sportsystems gesteigert werden, und damit die Trennung der Teilsysteme möglichst vollständig zugunsten einer Steigerung der Teilsystemleistung vollzogen werden. Dabei wäre zu beachten, dass angesichts der noch immer vorherrschenden Absicht in den Führungsgremien des DOSB, die sogenannte Einheitssportbewegung zu erhalten, eine Steigerung der Steuerungsleistungen in Subsystemen diesem Ziel entgegensteht, weil gerade die Abstimmung zwischen den Steuerungsleistungen das zentrale Problem der Dachorganisation ist. Es könnten aber auch die Teilsysteme des Sports untereinander stärker vermischt werden, so dass eine stärkere integrative Steuerungsleistung durch die Dachorganisation erforderlich wäre. Schließlich könnte auch eine Entlastung der Teil­systeme dadurch angestrebt werden, dass man die Rücknahme der Ausdifferenzierung einleitet, d.h. es könnte ein Prozess der Devolution mit Hinführung zu einer geringeren Komplexität beabsichtigt werden. Diese Möglichkeit scheint derzeit die radikalste zu sein. Sie steht allerdings im Widerspruch zu allen offiziellen Positionen, die bis heute vom DOSB eingenommen werden.

Die Angemessenheit dieser verschiedenen Steuerungsmöglichkeiten kann nur über eigene Analysen überprüft werden. Dabei müsste vor allem beachtet werden, dass eine Mischung der Teilsysteme nur dann möglich ist, wenn es keine Rivalitäten zwischen den  Subsy­stemen gibt. Da diese jedoch mittlerweile vermutlich bereits bestehen, scheint eine Mischung der Subsysteme kaum mehr möglich zu sein.

Gewiss kann die Frage gestellt werden, ob der DOSB angesichts seiner unübersehbaren quantitativen Erfolge (Mitglieder- und Vereinswachstum) eine Hinwendung zu einer intensiveren Steuerungspolitik überhaupt benötigt. Der bislang erfolgte Prozess wildwüchsiger Ausdifferenzierung hat dem organisierten Sport in der Bundesrepublik eher genutzt als geschadet. Es ist heute nicht abzusehen, dass sich dieser Vorgang in sein Gegenteil verkehren wird. Hinzu kommt, dass es immer schwieriger geworden ist, dasjenige Wissen zentral zu gewinnen bzw. bereitzustellen, das für vernünftige organisatorische Steuerung notwendig ist. Es spricht deshalb vieles dafür, dass der Deutsche Olympische Sportbund eher wenig, aber das dann richtig steuern sollte. So könnte empfohlen werden, dass er sich z.B. nicht auf eine kategoriale Bestimmung einzelner Sachverhalte einlassen sollte, sondern nach wie vor die regulative Bestimmung des „Allgemeinen“ anstreben und durchsetzen musste (vgl. Charta des Deutschen Sports). Mit einer derartigen engen Auffassung von Steuerungskompetenz lassen sich jedoch die hier dargestellten Probleme kaum lösen.

Das Problem des Wachstums, verbunden mit der Maxime „Sport für alle“ kann nur mit gezielter Steuerung gelöst werden. Dadurch ausgelöste ökologisch gefährliche Entwick­lungen müssen verhindert werden. Hierzu sind Stoppregeln vonnöten, deren Einhaltung durch die Dachorganisationen des Sports zu sichern ist. Dazu gehört aber auch, dass das zukünftige Sportwachstum zugunsten wohnnaher Sportgelegenheiten gelenkt werden muss.

Die sich dem System des Sports stellenden Fragen nach dem Selbstverständnis der Sportorganisation, nach deren Zielen und Wertvorstellungen, kann nur glaubhaft beantwortet werden, wenn der Sport selbst zum Erhalt seiner humanitären Ziele und Grundsätze aktive Steuerungsleistungen erbringt. Dazu sind vor allem kodifizierte Vor­gaben und auch kodifizierte Sanktionen erforderlich.

In der Praxis vergleichbarer Organisationen hat es sich erwiesen, dass es einen optima­len Grad der Arbeitsteilung und damit auch der Differenzierung gibt. Wenn dieser Grad überschritten ist, führt die Überdifferenzierung zu Funktionsverlusten bzw. extremer Anfälligkeit gegen Störungen. Das heißt, die Ausdifferenzierung kann nicht zur Volldifferenzierung gehen, ohne dass ein Verlust an Lebendigkeit und Robustheit eintritt. Für die Subsysteme des Sports heißt dies, dass auch sie Funktionen für die anderen Subsysteme immer mit zu erfüllen haben. Sie dürfen nicht monofunktional wer­den. Ist diese Annahme richtig, so bedarf es einer gezielten Steuerung und Vermittlung der Subsysteme untereinander. Es müssen somit die Subsysteme und deren Medien vermischt werden. Steuerung in diesem Sinne würde bedeuten, dass man im Deutschen Olympischen Sportbund nicht die funktionale Differenzierung weiter betreibt, sondern stärker eine institutionelle Differenzierung im Auge hat. Polyfunktionale und polyva­lente Institutionen und ein entsprechendes Personal wären dabei deren Folge.

Eine Entscheidung über die Frage, welche Strategie sinnvoll ist, wird in einer komple­xen Organisation wie der des Deutschen Olympischen Sportbundes nicht ohne Konflikte zu erreichen sein. Jede Veränderung bedeutet nämlich eine Veränderung der bestehenden Macht­strukturen, der individuellen Spielräume und Handlungschancen sowie möglicherweise auch der den verschiedenen Personen und Personengruppen zukommenden Ein­flusspotentiale, notwendigerweise oft auch Verzicht bzw. Austausch von Personal und Neuverteilung der Organisationsgewinne.

Der entscheidende Konfliktpunkt könnte dabei die Frage sein, ob eine Organisation wie der Deutsche Olympische Sportbund im Interesse seines Überlebens Wachstum benötigt, wie dies für fast alle expandierenden Wirtschafts- und gesellschaftlichen Teilsysteme gilt, und dort Bedingung für Bestandserhaltung und Überleben ist, oder ob der Deutsche Olympische Sportbund überleben kann, ohne dass er einer Wachstumsmaxime unterliegt. Will der Deutsche Olympische Sportbund in der Frage der Steuerung seiner Vereine und Verbände einen wesentlichen Schritt weiterkommen, so ist zur Lösung dieses Problems ein normativer Diskurs vonnöten, bei dem die unterschiedlichsten Interessen innerhalb der Sportorga­nisation offengelegt werden. Die Varianz der zugelassenen Normen wird dabei die Gewähr bieten müssen, dass trotz normativer Pluralität ein Minimalkonsens für das Führungshandeln in den Organisationen des Sports möglich wird. Dieser Diskurs hat bislang in aller Offenheit in den Organisationen des Sports nicht stattgefunden. Die Normen und Werte fluktuieren vielmehr in den Organisationen des Sports schleichend, sie werden allenfalls über Personalkonflikte sichtbar. Ohne einen handhabbaren Kon­sens über das, was den Sport innerhalb der Organisationen des Deutschen Olympischen Sportbundes kennzeichnet, ohne eine Verpflichtung auf den Gemeinnützigkeits- und Gemein­wohlcharakter und ohne entsprechende Instrumentarien in neu zu entwickelnden Beobachtungs- und Kontrollinstanzen, die die Erhaltung dieser konzeptualen Festlegung möglich machen, ist auf Dauer nicht abzusehen, wie der Deutsche Olympische Sportbund verantwortlicher Träger der Sportbewegung sein kann. Gerade deshalb hat sich der Sport einer sinnvollen Zielorientierung zu vergewissern, er muss Wege aufzeigen, wie sich diese Ziele verwirklichen lassen. Er benötigt Maßnahmen zur Integration seiner Teile. Darüber hinaus sind Kontrollen über die Einhaltung sämtlicher Verfahrensregeln zu gewährleisten. Er hat aber auch darauf zu achten, dass die handlungsleitenden nor­mativen Muster der Organisation und die Motivation der Mitglieder*Innen und der Mitarbei­ter*Innen erhalten bleiben.

Will sich der DOSB um intensivere Steuerung bemühen, so muss die Frage beantwortet werden, ob es neben seinen Führungsgremien (dem Präsidium, dem Geschäftsführenden Präsidium, dem Hauptausschuss und den darunter angesiedelten Steuerungsinstanzen) neue Beobachtungs-, Reflexions- und Steuerungsinstitutionen geben muss, um die zen­trale Steuerungsleistung im Deutschen Olympischen Sportbund zu unterstützen. Erfahrungen mit anderen Organisationen deuten darauf hin, dass zumindest eine Beobachtungsinstitution außerhalb der Organisation hilfreiche Steuerungsimpulse geben kann. Das System des Sports birgt die Gefahr in sich, wie in andere Organisationen auch, dass es relativ blind gegen­über seinen eigenen dunklen Stellen und Lücken ist. Hier könnte Licht von außen eine große Hilfe sein.