Jugendliche – „Stiefkinder“ der Sportvereine?

Themenfragen sind rhetorisch und haben nur Reizcharakter, die Antwort ist längst bekannt, sie wird akzeptiert. Jugendliche sind „Stiefkinder“ in den Vereinen, zumindest was ihre finanzielle Unterstützung an­belangt und es besteht Einstimmigkeit in allen Vereinskreisen, die nicht als rückschrittlich gelten möchten, dass ein Verein nach außen hin offen sein muss. Die Frage, die wir uns zu stellen haben, muss deshalb eher lauten, warum gerade die Jugendlichen die „Stief­kinder“ der Vereine sind und was zu tun ist, dass Jugendliche gleich­berechtigte Mitglieder unserer Sportvereine werden. Auf beide Fragen sollten wir Antworten suchen.
Zunächst möchte ich aber auf einen wichtigen Anlass hinweisen, der in unmittelbarem Zusammenhang zu diesem Thema steht. Auf Bundesebene wurde des Öfteren – und manchmal vermutlich nicht ganz zu Unrecht – von verschiedenen politischen Jugendorganisationen der „Deutschen Sportjugend“ die Förderungswürdigkeit im Sinne einer Bildungsorganisation abgesprochen. Es war ja ein langer Weg bis verantwortungsvolle Funktionäre¹ des Sports dessen alleinige Einstufung als Mittel zur körperlichen Ertüchtigung bei den Politikern und bei einem Teil der Öffentlichkeit zu Gunsten einer Anerkennung auch seines Bildungs­auftrages und seiner gesellschaftspolitischen Bedeutung verändern konnten. Ein neues Wissen um neue Möglichkeiten im Sport wurde in die­ser Auseinandersetzung vermittelt. Eine neue Praxis allerdings hat sich daraus nur viel zu selten ergeben. Es kommt daher nicht von ungefähr, dass sportfremde Gruppen nicht immer mit Sachverstand aber mit viel Nach­druck auf die Kluft zwischen den großen (theoretischen) Sprüchen und der praktischen Wirklichkeit der sportlichen Jugendarbeit verweisen, in der eben doch nur die körperliche Ertüchtigung, der Wettkampf und das Training im Mittelpunkt stehen. Von einer Erziehungs- und Bildungsinstanz kann nach Auffassung dieser Kritiker demnach nicht gesprochen werden. Die DSJ wäre gemäß solcher Interpretation also nicht förderungswürdig.
Was hat dies mit unserem Thema zu tun? Was die angesprochene Kluft zwischen schlauen Sprüchen und der Vereinspraxis anbelangt glaube ich, dass man den Kritikern leider noch immer allzu oft zustimmen muss. Nur: Die Kluft scheint mir in erster Linie dadurch entstanden zu sein, dass diejenigen, die die meist notwendigen und richtigen schlauen Sprüche über die Jugendarbeit im Verein äußerten, sich um die Durchsetzung ihrer Empfehlungen nur selten kümmerten und letztlich die Jugendlichen und ihre Betreuer auf sich allein gestellt ließen. Sie wurden je nach Bedarf zur sport­politischen Argumentation eingesetzt, ansonsten aber waren und sind sie „Stiefkinder“ der bundesrepublikanischen Sportbewegung. Dieses Urteil muss begründet werden. Die Gründe für die Stiefkindstellung der Vereinsjugendlichen sind sehr verschiedenartig. Auf vier Gründe möchte ich im Folgenden eingehen.
Zum Ersten liegt es an den Jugendlichen selbst und deren besonderer Stellung in unserer Gesellschaft. Auf dem Weg zum Erwachsenendasein gelten Jugendliche in unserer Gesellschaft als Lernende, d.h. als unvollständig sozialisierte, als gleichsam unfertige Wesen, denen weder alle Rechte noch alle Pflichten der Erwachsenen zugebilligt werden können. Man glaubt, dass sie generell nur über Teilfähigkeiten, über Teilwissen und über eine Teilmoral verfügen, obgleich dies in vielen Bereichen kaum wissenschaftlich zu begründen ist und gerade althergebrachte Ideologien mit sozialisationstheoretischen Erkenntnissen und entwicklungspsychologischen Untersuchungen nicht Schritt halten können. Dennoch erweisen sich solche Ideologien und Vorurteile gegenüber wissenschaftlichen Erkenntnissen als sehr resistent. Wird der Jugendliche auf diese Weise als ein „Mängelwesen“ defi­niert, so sind die daraus abgeleiteten Maßnahmen leicht verständlich. In manchem Verein sieht man noch immer im Jugendlichen eine Person, die noch nicht vollständig „reif“ zur Mitbestimmung ist, einer besonderen pädagogischen Betreuung be­darf, auf Vorbilder zu blicken hat, noch nicht voll leistungsfähig ist, keine alkoholischen Getränke trinken, Sexualität nicht körper­lich erfahren, früh schlafen gehen soll und materiell nur über be­grenzte Mittel verfügen darf. Durch diese Zuweisungen ist der Jugend­liche im Verein gleichsam wehrlos, manchmal interessenlos, häufig unmotiviert und insgesamt nicht in der Lage, sich selbst aus der ihm aufer­legten Stiefkindrolle im Verein ohne fremde Hilfe zu befreien.
Der zweite Grund verweist auf die Erwachsenen im Verein. Erwachsene sehen häufig ihre Jugendzeit aus der Reminiszenzsperspektive. Die schöne Zeit der eigenen Jugend wird in der Erinnerung wachgehalten, teilweise auch verklärt und die unangenehmen Erfahrungen werden verdrängt. Jugendzeit wird als Übergangsphase angesehen die, wenn schon Probleme auftreten, ja ohnehin mal vorbeigehen werden. Probleme der Jugendlichen werden des­halb meist auf Organisations-, Ordnungs- und Disziplinprobleme redu­ziert. Die zeitliche Zuwendung der Vereinserwachsenen für ihre Jugendlichen ist in der Regel zu gering, oft glaubt man auch, dass mittels finanzieller Zuwendungen sich alle Probleme lösen lassen. Die Jugend­arbeit im Sportverein bewertet der übliche Vereinserwachsene in erster Linie an dem sportlichen Erfolg der jugendlichen Sportler. Jugend­arbeit gilt als gut, wenn die Jugendabteilungen gute Tabellenplätze, einen Kreismeister- oder einen Jugendrekord aufzuweisen haben. Übungsleiter gelten häufig dann als Versager, wenn ihre Jugendlichen über Jahre in der Mittelmäßigkeit verharren und aus der Jugend keine Talente für die aktiven Wettkampfmannschaften hervorgehen. Im Übrigen zeichnet sich das Verhältnis der Erwachsenen zu den Jugendlichen häufig durch Kontaktarmut, durch Kommunikationsbarrieren und durch ein hohes Maß an Uninformiertheit aus. Vorurteile und konservative Mythen beherrschen dabei die zum Teil konflikthaften Begegnungen zwischen den Jugendlichen und den Erwachsenen. Wobei solche Vorur­teile sowohl bei den Jugendlichen als auch bei den Erwachsenen anzu­treffen sind. Für beide Gruppen möchte ich zwei Beispiele nennen: Gibt es Konflikte mit Jugendlichen, so greifen Erwachsene häufig auf folgendes Argument zurück: “ Wer sich nicht einfügen will, hat in unserem Verein nichts verloren“ oder sollte ein Jugendlicher austreten wollen, so hört man des Öfteren den Einwand „Das war sowieso ein Schlawiner, ein Glück, dass der weggeblieben ist“. Jugendliche reagie­ren ebenso vorurteilhaft auf die Äußerungen der Erwachsenen: „Die sind doch verbohrt, mit denen kann man ja sowieso nicht reden“ oder befragt, ‚warum sie nicht teilnehmen an der Geselligkeit der Erwachse­nen, so antworten Jugendliche „Die können ja eh‘ nur saufen und Karten spielen, deshalb gehe ich nicht zu denen hin“. In beiden Fällen zeigen sich die Beteiligten wenig informiert über die tatsächlichen Situa­tionen, in denen ihre Partner im Verein handeln und es dürfte ein­sichtig sein, dass auch in Zukunft das Gespräch zwischen den Jugend­lichen und den Erwachsenen im Verein erschwert bleiben wird, wenn solche Vorurteile weiter ihre Gültigkeit behalten.
Kommen wir zu einem dritten, vielleicht dem wesentlichsten Grund. Jugendliche sind „Stiefkinder“ in ihrem Verein meist auch deshalb, weil die für die Jugendarbeit im Verein Verantwortlichen ihre jugend­lichen Mitglieder zu „Stiefkindern“ machen. Jugendleiter definieren sich selbst nur in den seltensten Fällen als ebenso wichtige Funktionäre im Verein wie die anderen Vorstandsmitglieder, Abteilungsleiter oder Geschäftsführer. Viele Jugend­leiter sehen die Jugendlichen ähnlich wie die übrigen Erwachsenen und gehen davon aus, dass das Jugendalter im Verein nur eine Zwischen­stufe bis zur aktiven Zeit im Vereinsleben bedeutet. Vorbereitung und Hinführung zum aktiven Wettkampfsport steht deshalb im Mittelpunkt. Jugendarbeit im Verein als ein unersetzbarer Selbstwert, Jugendalter als wichtiger Lebensabschnitt, der einen Eigenwert be­sitzt und nicht zur Vorbereitung funktionalisiert werden darf, wird von viel zu wenigen Jugendleitern im Sportverein zur Richtschnur ihres Handelns gemacht. In der Vereinspraxis wirkt sich diese Tatsache so aus, dass meist das Angebot in den Jugendabteilungen als ein Abklatsch des Erwachsenenangebots zu bezeichnen ist. Die Sportdisziplinen der Erwachsenen betreiben auch die Jugendlichen und sie tun dies meist nach den gleichen Prinzipien und Organisationsformen. Es geht also um Konkurrenz und Leistung, man trainiert und betreibt Wettkämpfe. Allenfalls für die Kleinen gibt es ein „unerwachsenes“, kindspezifisches Sportprogramm wie z.B. das Kinderturnen und auch im Bereich der Ver­einsgeselligkeit lassen sich von der Erwachsenenwelt abweichende Geselligkeitsformen wie Zeltlager (was die Erwachsenen freilich von den Jugendlichen wieder übernehmen könnten), Party oder Video­abend erkennen. Die Übungsleiter wissen dabei meist ebenso wenig wie die übrigen Vereinserwachsenen über Probleme, Tatbestände und Sachverhalte, die das Leben eines Jugendlichen prägen, dessen Einstellung zum Sport beeinflussen und verändern, seine Aktivität und Leistung im Verein letztlich bestimmen. Schulische Probleme, Lernschwierig­keiten, das Nichtversetztwerden etc. können für Jugendliche z.B. ebenso beeinflussend sein wie das Erwachen und Erfahren sexueller Bedürfnisse, die Begegnung mit dem ersten Freund bzw. der ersten Freundin, die Entwicklung neuer Interessen, wie z.B. das Spielen eines Musikinstru­mentes und das Bedürfnis zu lesen, bislang nicht Gewusstes oder Neues zu erfahren. All dies kann das Tun des Jugendlichen und seine Einstellung zu seinem Sportverein verändern, ihn in Distanz zu seinen Partnern bringen, seinen Jugendleiter oder Trainer aus einer veränderten Perspektive sehen lassen und letztlich ihn in einen Konflikt mit einer meist sehr bestimmt, ja manchmal auch sehr rigide definierten Vereinswirklichkeit bringen.
Dies führt uns zu einem vierten Grund. Nicht zuletzt sind es die organisatorischen und institutionellen Rahmenbedingungen, die eine Stiefkindrolle der Jugendlichen im Verein zur Folge haben. So sind es z.B. die ökologischen Voraussetzungen, d.h. die Umwelt der sport­lichen Jugendarbeit, die bislang in ihrer Wirkung auf das jugendliche Vereinsleben kaum beobachtet bzw. erkannt wurden. Aus anderen Berei­chen, so z.B. aus dem Arbeitsleben weiß man aber, wie entscheidend Umweltbedingungen das Verhalten von Menschen in Räumen beeinflussen. Die ökologischen Voraussetzungen in unseren Sportvereinen sind über­wiegend bedingt durch die Erfordernisse des Erwachsenen-Wettkampfsports. Die Hallen und übrigen Sportanlagen haben, wenn überhaupt, internationale Erwachsenenmaße. Die Sportgeräte werden an den Erwachsenen­sportgeräten ausgerichtet. Die Sportgaststätten sind in erster Linie die Begegnungsstätten für Erwachsene und so sind sie auch konzipiert. Auf einen Nenner gebracht heißt das: die Vereinswelt ist dominant erwachsen und zwar so dominant, dass davon selbst die Farbe der Wände, das Mobiliar, die Sitzordnung, die Musik bei den Vereinsgeselligkei­ten und das Essen in den Vereinslokalen bestimmt wird.
Vier Gründe wurden stellvertretend für viele genannt, sie sollten unter dem Aspekt der Plausibilität geprüft werden, Inwiefern sie stimmen, auf einen selbst bzw. auf den eigenen Verein zutreffen und zum Nachdenken anregen können. Für Zweifler, die möglicherweise glauben, dass diese Nennung von Gründen willkürlich ist, sollen nun noch ein paar Fakten aufgelistet werden, die meines Erachtens die Richtigkeit der angeführten Gründe unter­streichen. Erst dann möchte ich noch in einem dritten Schritt der Frage nachgehen, was man zur Entlastung der Stiefkindrolle der Jugend­lichen im Verein tun könnte. Harte Fakten erhält man vor allem aus der immer wieder geführten Diskussion und aus sportwissenschaftlichen Untersuchungen über die Gründe der Austritte Jugendlicher aus Sport­vereinen. Hier werden z.T. unvermeidbare, z.T. vermeidbare Tendenzen deutlich, die die Jugendarbeit in Zukunft beeinflussen werden und die es zu berücksichtigen gilt, will man die Ursachen für die Stief­kindrolle der Jugendlichen im Verein beseitigen. Im Rahmen dieser Ausführungen können nur wenige ausgewählte Befunde erwähnt werden:
Der Anteil der organisierten Vereinsjugendlichen ist im Vergleich zu den übrigen Vereinsaltersgruppen überdurchschnittlich hoch. Jeder zweite Jugendliche der BRD ist Mitglied in einem Sportverein. 80 % aller Kinder und Jugendlichen in Deutschland waren mindestens einmal Mitglied in einem Sportverein. Dies kann aber weder verdecken, dass die weiblichen Jugendlichen trotz enormer Zuwachsraten in den letzten Jahren noch immer unterrepräsentiert sind (auch verläuft die weibliche Mitgliederfluktuation anders als die männliche) und dass bestimmte jugendliche Sozialgruppen von den Sport­vereinen noch immer nicht ausreichend erfasst werden. Dort wo Vereine eine Normal­verteilung der Jugendlichen entsprechend der sozialen Gliederung des Vereinseinzugsgebietes (bzw. der Heimatgemeinde) aufweisen, sagt diese Normalverteilung in der Regel nichts darüber aus inwiefern eine soziale Schichtdifferenzierung zwischen den Abteilungen bzw. in den Abteilungen vorliegt. Also inwiefern es in Vereinen Abteilungen gibt, wo die „einfachen Leute“, die „Proletarier“, ihren Sport treiben (Ringen, Fußball, Boxen) und daneben Abteilungen für die „besseren Leute“ (Tennis, Volleyball, Golf) zu unterscheiden sind. Dies wird auch durch die Tatsache nahegelegt, dass eine unterschiedliche Fluktuation in den verschiedenen Sport­arten anzutreffen ist. In den Jugendabteilungen selbst wird nach wie vor von vielen Trainern und Jugendleitern nach sog. „echten Sportlern“ und sog. „Flaschen“ unterschieden. Nach wie vor verlieren die Sportvereine ca. 50-60 Prozent ihrer jugendlichen Mitglieder zwischen dem 14.- und 21. Lebenslahr, die sie zuvor zwischen dem 5. und 14. Lebensjahr für den Sport­verein gewinnen konnten. Der Verlust bei den weiblichen Jugendlichen ist dabei größer als bei den männlichen. Aus einer entwicklungspsychologischen Perspektive betrachtet, nimmt das Sportengagement vom 14. Lebensjahr an kontinuierlich ab. Dabei treiben immer mehr Jugendliche immer weniger Sport und messen ihm auch immer weniger Bedeutung zu. Nur eine immer kleinere Zahl verstärkt mit dem mit dem Alter ihr Engagement. Die sind vor allem die im Verein organisierten Leistungssportler (vgl. den jüngsten Deutschen Kinder – und Jugendsportbericht). Diese Zahlen sollten als Alarmsignale gedeutet werden, und jeder von uns müsste sich fragen, was er möglicherweise falsch gemacht haben könnte.
Ein gewisser Grad an Mitgliederfluktuation – auch zwischen Sportarten – muss als normal, ja in gewissem Sinne sogar als erwünscht betrachtet werden. Nicht jeder Austritt aus dem Verein sollte als ein Verlust bzw. als ein persönliches Ver­sagen der Übungsleiter betrachtet werden. Die Lebenswelten der Jugend­lichen nämlich differieren je nach Herkunft, Schule und Umwelt sehr stark. Dem entsprechend differieren auch die ihnen gemachten Frei­zeitangebote in ihrem Wert für die Jugendlichen. Vor allem ist dies von der Geschlechtszugehörigkeit abhängig. Folglich entwickelt sich auch das Sportinteresse der Kinder und Jugendlichen sehr unterschied­lich. Da die Konkurrenz der Freizeitangebote mit zunehmendem Alter der Jugendlichen größer wird, d.h. die Auswahl an Angeboten vielfältiger wird, werden die Jugendlichen auch immer öfter etwas „Neues“ ausprobieren und innerhalb der unterschiedlichsten Freizeitangebote immer wieder von neuem ihre Auswahl treffen. Die Fluktuation der Mit­gliedschaft tritt deshalb in der Regel in allen Jugendinstitutionen auf, sie ist eine normale, unvermeidbare Erscheinung. In diesem Zusammenhang erscheint mir besonders wichtig, auch darauf hinzuweisen, dass der Austritt Jugendlicher aus Sportvereinen in der Regel nicht auf ein einziges Ereignis innerhalb der Vereinsarbeit zurückzuführen ist. Meist ist es die Veränderung ihrer ganz persönlichen Lebens­welt, die den Austritt bedingt.
Im Rahmen dieser Ausführungen können nur einige markante Merkmale bezüglich dieser Veränderungen genannt werden. Einmal ist es der pubertäre Wachstums – und Entwicklungsschub, der bei Mädchen im Alter von 9-10 Jahren, bei Jungen im Alter von ca. 12 Jahren einsetzt und einhergeht mit der Ausbildung der primären und sekundären Geschlechtsmerkmale. Probleme, die dabei von den Jugendlichen zu lösen sind, sind z.B. eine schnellere oder langsamere Entwicklung im Ver­gleich zu den Gleichaltrigen, der sog. „peer-group“. Wie überhaupt während des Zeit­raums der Pubertät und auch danach die Gruppe der Gleichaltrigen für die Lebenswelt der Jugendlichen an Bedeutung gewinnt.
Meist fühlt sich, wer sich schneller entwickelt, als „Halb-Erwachsener“, die Angebote der Sportvereine werden aber eher nun als „kindliche Angebote“ empfunden, was nicht selten zur Distan­zierung von solchen Angeboten führt. Ebenso wichtige und markante Entwicklungsmerkmale während dieser Phase sind die Beendigung des Schulbesuchs unterschiedlicher Bildungsgänge (Hauptschule, Förderschule, Real –/Mittelstufenschule, Gymnasium) und der Eintritt ins Berufsleben, wovon jeweils große Anteile der jugendlichen Vereinsmitglieder betroffen sind. Das dabei jeweils erreichte Lebensalter unterscheidet sich von Absolventengruppe zu Absolventengruppe und hat in Bezug auf die Frage nach dem Verbleib im oder dem Austritt aus dem Verein eine erhebliche Bedeutung. Die Berufswahl, die heute immer schwieriger geworden ist, eine dreijährige Lehre, die unter enormen Lernan­forderungen steht, die Mittlere Reife oder das Abitur, die die Jugend­lichen in der heutigen Zeit in einer Weise in Anspruch nehmen wie dies  früher eher nur selten der Fall war; sie alle haben zur Folge, dass für die meisten Jugendlichen heute nur noch wenig Zeit für die sog. „freie Zeit“, für ihre „Freizeit“ zur Verfügung steht. Durch die zunehmenden Belastungen, mit denen die Jugendlichen in dieser Entwicklungsphase konfrontiert sind, kann die Pubertät für manchen Jugendlichen kri­tisch verlaufen, d.h. die Jugendlichen können in Konflikte mit – ihnen bislang vertrauten – Personen geraten. Einerseits wird dabei vom Jugendlichen das Verhalten eines Erwachsenen erwartet, andererseits gestehen die Erwachsenen ihm aber wichtige Aspekte des Erwachsenendaseins noch nicht zu. Die Statusunsicherheit führt zu Problemen, die auch für die Jugendarbeit im Sportverein bedeutsam sein können und sich dort entsprechend auswirken. Im Alter zwischen 12/14 und 18 Jahren verlassen viele Jugendliche den Verein, weil Sie einen Schulwechsel zu bewältigen haben oder die Schule ganz verlassen, aber auch weil ihnen das Angebot der Sportvereine nicht mehr gefällt. Häufigster Grund für den Austritt aus dem Sportverein in dieser Phase ist die Interessenver­lagerung der Jugendlichen im Freizeitbereich. Sie ändern ihre Sport­interessen und sie ändern Ihre sozialen Beziehungen (häufig bedingt durch Schul-, Berufs- oder Arbeitsplatzwechsel). Ein sportspezifisch markantes Merkmal ist dabei der Sachverhalt, dass sich in den Sportvereinen in dieser Phase ein eher all­gemein ausgeprägtes Sportangebot hin zu einem Disziplin spezifischem Angebot verändert. Diese Ausdifferenzierung und damit verbundene Spezialisierung ent­spricht aber nur den Interessen eines Teils der Jugendlichen. Einige Jugendliche betrachten dies als eine Veränderung gegen ihre eigenen Interessen und sehen in ihr deshalb häufig einen Grund für ihren Vereinsaustritt.
Bei den weiblichen Jugendlichen ist ein weiterer entscheidender Einschnitt in ihrem Leben im Sportverein zu beobachten. Die Mitgliedschaft im Sportverein ist bei weiblichen Jugendlichen in diesem Alter häufig nicht zu ver­einbaren mit dem geschlechtsspezifischen Selbstkonzept, das sie für sich entwickelt haben, und das ihnen auch teilweise von der Gesellschaft nahegelegt wurde. Mädchen werden zu „jungen Damen“ und für manche in dieser Altersgruppe gilt Sporttreiben nicht mehr als „chic“. Dies gilt vor allem für weibliche Jugendliche aus der Unterschicht und unteren Mittelschicht zwischen 11 und 14 Jahren. Die Peer-Groups und die sozialen Medien werden in dieser Phase oft normprägend, wobei sich vermutlich auch einige eher als „traditionell“ zu bezeichnenden Medien der Jugendkultur wie TV- Musikkanäle und Jugendzeitschriften, in denen der Sport nur eine geringe Rolle spielt, ebenfalls auswirken. Vieles deutet deshalb darauf hin, dass Jugendliche in vieler Hinsicht in dieser Phase den Erwartun­gen der Erwachsenen oft nicht entsprechen können. So können z.B. die Motive der Jugendlichen zum Sporttreiben völlig andere sein als jene, die die Erwachsenen für die „richtigen“ erachten. In der Liste der Sportmotive rangiert bei den Jugendlichen der Wunsch, sich sport­lich zu messen und an Wettkämpfen teilzunehmen, nur im unteren Drittel der Begründungen des Sportinteresses. Bei der Festlegung der sportlichen Angebote der Vereine sind aber nach wie vor überwiegend die Überbietungs- und Wettkampfmotive dieser Jugendlichen im Blick und nicht selten bilden deren Motive dann auch die einzigen Auswahlkriterien. Bei den Gründen für einen Vereinsaustritt stehen deshalb bei Jugendlichen die Kritik des Trainingsbetriebes und die nahezu ausschließliche Orientierung am Wettkampfsport mit Abstand an der Spitze. Weit seltener werden hingegen das „sportliche Leisten“ und ein „riskantes sportliches Tun“ abgelehnt. Die Jugendlichen wissen hier also durchaus zu differenzieren. Im Gegensatz zu den Erwachsenen ist für sie der Grund in den Verein einzutreten, in erster Linie das Motiv eine bestimmte Sportart zu betreiben, d.h. bei jugend­lichen Mitgliedschaften impliziert dies einen hohen Grad an eigener sportlicher Aktivität und ein hohes Interesse am aktiven Sport. Des­halb steigt auch die Mitgliedschaft der Jugendlichen im Verein an, wenn dieser das Angebot für die Jugendlichen im Bereich der Sport­disziplinen vergrößert.
Zwei weitere Befunde sollen diesen Teil der Ausführungen beschließen. Derzeit, so eigenartig dies klingt, ist der Sportverein die ent­scheidende Instanz, die die Verbreitung des Freizeitsports bei Jugendlichen hemmt. Das geschieht meist in den Vereinen ungewollt und ist in erster Linie darauf zurückzuführen, dass man im Verein zu wenig darüber Bescheid weiß, was  Jugendliche vom Sport erwarten, sich von ihm erhoffen. Dem Wunsch nach sportlichem Leisten kommt der Sportverein entgegen. Der Wunsch nach geselligen, spielerischen, leicht erlernbaren variations­reichen Sportarten einerseits und nach abenteuerhaftem, riskantem Tun andererseits, ist in allen Altersgruppen im Zunehmen begriffen. Skateboard, Windsurfing, Badminton, Tennis waren und sind die aktuellen „Bedürfnisdisziplinen“, die jedoch sehr schnell durch neue Sportaktivitäten ergänzt oder ersetzt werden können. Wie die Erwachsenen, so wenden sich auch die Jugendlichen mit zunehmendem Alter vermehrt dem unorganisierten Sport in Form von Schwimmen, Jogging, Walking, Wandern, Klettern etc. zu, weil die Vereinsangebote ihnen nicht attraktiv genug erscheinen.
Der letzte empirisch mehrfach aufgezeigte Sachverhalt steht in gewisser Weise über den bisher erwähnten Befunden. Trotz der theoretischen Diskussion um die Mitbestimmung von Jugendlichen in Sportvereinen, trotz Musterjugendordnungen etc. wird nur In Ausnahmefällen den Jugendlichen derzeit eine echte Mitbestimmung gewährt.

Was ist zu tun?

Kennt man all die genannten Zusammenhänge, Fakten und die daraus ab­zuleitenden Notwendigkeiten, so stellt sich die Frage nach prakti­kablen Vorschlägen für die Jugendarbeit im Verein. Einige Vorschläge sollen im Folgenden skizziert werden. Zum Teil sind es nur Andeutun­gen, Forderungen und Empfehlungen. Echte praktikable Vorschläge zur unmittelbaren Umsetzung können sie nicht sein. Die je verschiedenen örtlichen Bedingungen der Jugendabteilungen sind in diesem Zusammen­hang zu bedeutsam als dass man sie ausklammern dürfte. Zehn Vorschläge sollen hier aber dennoch gemacht werden:

  1. Die zahlreichen Bemühungen um ein breites, den Bedürfnissen der Mitglieder angepasstes Sportangebot im Erwachsenensport müssen auch auf die Jugendarbeit in den Vereinen abzielen. Warum die vielen neuen freizeitrelevanten Sportdisziplinen nur für die Erwachsenenwelt bestimmt sein sollen, ist weder für die Jugend­lichen noch sportpolitisch vertretbar. Es muss gleichsam ein neuer „zweiter Weg des Jugendsports“ gesucht werden. Die Jugendlichen be­nötigen wie die Erwachsenen einen Ausgleich zu der einseitigen Belastung in Schule, Lehre oder am Arbeitsplatz. Räumliche Enge, Straßenverkehr, Hektik und Alltagsstress beeinflussen nicht nur das Leben der Erwachsenen, sie wirken sich ebenso intensiv auf Gesundheit und Psyche der- Jugendlichen aus. Die Erwachsenen täten gut daran, wenn sie ihr Bild von der geschützten Jugendzeit ver­werfen würden. Schule hat immer mehr Arbeitscharakter angenommen, in Teilen ist der Konkurrenzkampf in der Schule härter und schär­fer als im Arbeitsleben. Sport hat also auch für die Jugendlichen kompensatorische, d.h. ausgleichende und regenerative, d.h. erholende Funktionen auszuüben.
  2. Die Ausweitung des Sports in der Schule beeinflusst die Sportaktivi­täten der Jugendlichen. Die vielen neuen Sportdiszi­plinen in der Schule rufen Erwartungen bezüglich neuer Angebote im Verein hervor. Gegenseitige Absprache und Zusammenarbeit zwischen Schule und Verein ist deshalb unverzichtbar geworden. Der Verein benötigt dabei nicht nur die Hilfe der Schule, ebenso benötigt die Schule den Verein, um den Schulsport aus seinen z.T. erstarrten, von den Schülern häufig abgelehnten Vermittlungsformen zu befreien.
  3. Neben der sportlichen Jugendarbeit wird die außersportliche Jugendarbeit zunehmend zu einer wichtigen Aufgabe der Sportvereine, wollen die Vereine auf dem „Markt der Jugendarbeit“ konkurrenzfähig bleiben. Die Vereine sollten sich dabei aber nicht anbiedern und all das machen, was andere Jugendinstitutionen auch machen. Der Bezug zum Sport sollte immer erhalten bleiben. Der Sportverein sollte als eine Kommunikationsgemeinschaft verstanden werden, de­ren zentraler Kommunikationsinhalt der Sport ist, d.h. die sport­liche Bewegung hat im Mittelpunkt allen Vereinslebens zu stehen. Von einem Sportverein, in dem sich niemand bewegt, wird man schwer­lich von einem Sportverein sprechen können. Neben der Bewegung als zentrales Kommunikationsmedium lässt sich der Sport als Kommunikationsanlass skizzieren, der alle Bereiche unserer Gesellschaft berühren sollte. Dennoch und dies gilt es festzuhalten: Die sportliche Bewegung muss der zentrale Inhalt aller Sportvereinsarbeit sein und er darf gerade auch in einer Auseinandersetzung um eine sinn­volle Vereinsjugendarbeit nicht vergessen werden.
    Wenn man die sportliche Bewegung als zentralen Inhalt der Vereins­arbeit betrachtet, so heißt das aber auch, dass die Bewegung in ihrer ganzen Vielseitigkeit und Vielfalt erfahren werden muss. Es darf also nicht ein spezifisches sportliches Bewegungsmuster als der einzig mögliche Sport angesehen und andere Muster even­tuell sogar als „unsportlich“ definiert oder diffamiert werden. Es gibt gute Gründe, warum einige Sportvereine seit ihrer Gründung in ihrem Vereinsnamen auch den Begriff der „Kultur“ aufweisen. Die Gründer dieser Vereine waren der Auffassung, dass Sport und Kultur in einem guten Verein zusammengehören und kulturelle Ereignisse eine gute Vereinsarbeit bestens ergänzen können.
  4. Die für das Angebot in den Vereinen Verantwortlichen sollten nicht ständig bemüht sein, sich nach neuen Angeboten umzuschauen, wenn sie dabei die bereits gemachten guten Vorschläge ihrer Vereinsmitarbeiter vergessen und die beispielhaften Leistungen der eigenen Übungsleiter übersehen. Gute bereits erprobte Modelle und nachahmenswerte Beispiele gibt es derzeit genug, sie müssen lediglich noch in die Praxis überführt werden. Es macht wenig Sinn, immer neue Praxismodelle für die Sportvereinsarbeit zu entwickeln, wenn diese nie ausprobiert ja z.T. nicht einmal zur Kenntnis genommen werden, (vgl. z.B. die hilfreichen DOSB-Materialien und die Lehrmaterialien der DSJ und der Landessportbünde zu diesem Bereich).
  5. Obgleich – wie wir gesehen haben – gerade im Jugendalter die Sport­interessen der Jugendlichen sehr vielseitig sind, gehen die meisten Vereine von vorweg festgelegten Sportinteressen ihrer Jugendlichen aus, die nach Meinung der Erwachsenen fast ausschließlich in einer Teilnahme an Wettkämpfen münden sollen. Will man vermehrt gemäß den Interessen aller Jugendlichen ein Angebot unterbreiten, so sollte das sportliche Aktivitätsprofil über die sportlichen Wettkämpfe hinaus erweitert werden. Der am Wettkampf orientierte Sport darf dabei seinen angestammten Platz im Vereinssport aller­dings nicht verlieren.
  6. Die Mitgliederfluktuation und somit auch die oft nicht vermeidbaren Austritte Jugendlicher sollten als Problem allerdings auch nicht überbewertet werden. Vereine, ebenso wie die übrigen Freizeitträger, sollten ihre Jugendlichen im Gegenteil sogar animieren, verschiedene Freizeitangebote unserer Gesell­schaft kennenzulernen und diese auszuprobieren. Entscheidend ist dabei, dass die Jugendlichen in ihrem Suchen nach einem stabilen Freizeitinteresse unterstützt werden und ein solches auch selbst entwickeln können. Wichtig ist, dass sie dabei im Sportverein erfahren, dass aktives Sporttreiben einen eigenen Freizeitwert besitzt, dass „sich bewegen“, „sportliches Leisten“ und „Spielen“- allein und mit anwesenden anderen – eine menschliche Notwendigkeit ist und für das eigene Wohlbefinden über ein wichtiges Potenzial verfügt. In die­sem Zusammenhang ist wichtig, dass Jugend- und Übungsleiter über die markantesten und generalisier­baren Veränderungen der sich ständig verändernden jugendlichen Lebenswelt Bescheid wissen, um den Jugendlichen die notwendigen Hilfestellungen geben zu können.
  7. In den Jugendabteilungen selbst tut vor allem Not, dass Jugendliche eine Vertrauensbasis vorfinden, die es ihnen ermöglicht, über all das zu reden, was ihnen sowohl am Verein nicht gefällt, als auch über das zu sprechen, was sie persönlich auch außerhalb des Vereins be­lastet. Keiner der Jugendlichen ist im Verein, um nur Sport zu treiben. (Dies gilt auch dann, wenn Jugendliche dieses Motiv als ihr wichtigstes bezeichnen). Neben außersportlichen Veranstaltungen suchen sie auch Kameradschaft, Verständnis, Ratgeber und Vorbilder. Zu allem bedarf es der Unterstützung durch die Jugendleiter, die Abteilungsleiter und durch die Vorstände der Vereine. Durch geplante Diskussionen, Gespräche und Besuche könnten gerade die Vorstände und Abteilungsleiter den Jugendleitern ihr Interesse an deren Arbeit bekunden. Lobreden allein an den Weihnachtsfeiern sind dazu kaum tauglich.
  8. Jeder Jugendleiter eines Vereins muss ich ständig die Fragen stellen, ob er einem Jugendlichen, der sich entschlossen hat, in einem Sportverein Mitglied zu werden, weil er Sport treiben möchte, mitmachen will, Entspannung zu seiner Lehre sucht, Freunde finden will etc., jederzeit gerecht wird. Ob er auch dem Jugendlichen gerecht wird, der nicht die sportliche Leistung erbringt, um in einer der Jugendmannschaften des Vereins aufgestellt zu werden, oder der einfach in einer solchen Jugendmannschaft nicht spielen will. Ob der Verein auch diesen Jugendlichen ein attraktives Angebot unterbreiten kann oder ob dieser Jugendliche von ihm selbst und den sonstigen aktiven Jugendlichen „links liegen gelassen“ wird, dieser die Lust verliert und deshalb den Verein wieder verletzt verlässt.
    Zwei, eher grundsätzliche Forderungen sollen am Ende dieser Ausfüh­rungen stehen. Sie dürfen sowohl als Appell wie auch als Programm verstanden werden:
  9. Wenn den Sportvereinen die Entwicklung des Sports in der Freizeit nicht entgleiten soll, müssen sie sich konsequent an den Wünschen und Bedürfnissen der Mehrzahl der Jugendlichen orientie­ren. Voraussetzung zur Gewinnung dieser vom Sport bislang noch nicht erreichten Gruppen wird sein, dass die oft noch existierende starre Spartenbildung im Verein überwunden wird. Organisatorisch ist dabei vor allem aber auch notwendig, dass Vereine über ein Jugendprogramm verfügen, das sich durch ein gewisses Maß an Kontinuität auszeichnet, dass es eigens für die Jugendarbeit ausgewiesene Räume gibt und dass man vor allen Dingen in der Konzeption von Neubauten auch an die Jugendlichen denkt. Die Jugendarbeit sollte sich durch ein Selbst­verständnis auszeichnen, das dem Jugendlichen Freiräume überlässt, in denen er sich nach seiner persönlichen Neigung entfalten kann und wo die Wünsche nach Engagement und Verantwortung erfüllt werden. Jugendliche Vereinsmitglieder müssen wie Nichtmitglieder immer wieder neu für den Verein gewonnen werden. Die meines Erachtens ohnehin schädliche Idee von einer „Dienst­leistungsgesellschaft“, wo man für Geld alles, also auch ein „Stück Sport“ kaufen kann, sollte – wenn möglich – wenigstens aus der Jugend­arbeit der Vereine herausgehalten werden. In einem bloßen Dienstleistungsbetrieb haben sinnvolle Geselligkeit und Spiel nur selten Platz, hier geht es häufig nur um Spielkonsum und konsumierbare Gesellig­keit, den Jugendlichen als „soziale Wesen“ geht es aber in erster Linie um intensive zwischenmenschliche Kontakte. Diese fehlen aber in fast allen Institutionen, die auf reine Dienstleistungen ausgerichtet sind.
  10. Die Ziele, die die Jugendarbeit im Verein verfolgen könnte, wurden oft genug benannt. Die Sportjugendarbeit soll einen Beitrag zur Persönlichkeitsbildung der jungen Menschen leisten, das soziale Verhalten soll gefördert, zu gesellschaftspolitischen Engagement soll angeregt und die Bereitschaft zu internationaler Verständigung soll geweckt werden. Die gefährdete Gesundheit der Jugendlichen und die Korrektur von Fehlverhalten bestimmter jugendlicher Randgruppen sollen darüber hinaus mittels Sport beachtet bzw. angestrebt werden. Würde dies alles der Sport in seiner Jugendarbeit leisten, so wäre er gewiss eine der wichtigsten Erziehungs- und Bildungsinstanzen unserer Gesellschaft. Die mei­sten der genannten Erziehungsziele lassen sich aber nur erreichen, wenn im Verein gewährleistet ist, dass der Jugendliche bei Entscheidungsprozessen mitwirken kann, dies gilt vor allem für ihren eigenen Jugendbereich. Erwachsene müssen somit einige Kompetenzen an die Jugendlichen abtreten und ihnen ermöglichen, Aufgaben nach eigenen Plänen, Ideen, Vorstellungen zu verwirklichen. Diese Forderung ist Bedingung für alle weitergesteckten Ziele. Jugend­liche sind in der Regel bereit, die allgemeine Ordnung eines Vereins zu akzeptieren, ehrenamtliche Mitarbeit wird von ihnen nicht abgelehnt. Um sie für solche Mitarbeit zu gewinnen, muss man ihnen aber die Wege eröffnen und zeigen, wie sie zu begehen sind. Den Jugendlichen sollte dabei aber auch das Recht zugebilligt wer­den, sich auch einmal zu irren und (sanktionsfrei) auch einmal Fehler machen zu können.

Hält man diese Forderungen für gerecht­fertigt, so muss man sich eine Eigenschaft zu eigen machen, die Voraussetzung für jedes gemeinsame Handeln in einer Gesellschaft ist: Man muss Toleranz gegenüber den Partnern zeigen. In zu vielen Sportvereinen mangelt es genau daran. Sie fehlt in Bezug auf die Partner in anderen Ver­einen, sie fehlt in Bezug auf das Verhältnis der Abteilungen der Sportvereine zu einander und sie fehlt im Verhältnis der Erwachsenen zu den Jugendlichen, aber auch umgekehrt zwischen den Jugendlichen und den Erwachsenen. Ihr Fehlen beeinflusst schließlich auch das Verhältnis zu Andersdenkenden und Individualisten. Wäre Toleranz in unseren Vereinen etwas weiterverbreitet als dies heute oft der Fall ist, so könnte ein Ende des Stiefkinddaseins der Jugendlichen in unseren Sportvereinen sehr schnell er­reicht werden.

¹ Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf „gendergerechte“ Sprachformen – männlich weiblich, divers – verzichtet. Bei allen Bezeichnungen, die personenbezogen sind, meint die gewählte Formulierung i.d.R. alle Geschlechter, auch wenn überwiegend die männliche Form steht.

Letzte Bearbeitung: 20.12.2021