Weiße Elefanten des Sports

Die Diskussion über die Ausrichtung zukünftiger Olympischer Spiele handelt nicht selten von der Gefahr der sogenannten „weißen Elefanten“. Demnach werden teure und pompöse Bauten zur Durchführung der olympischen Wettbewerbe erstellt, die sich meist unmittelbar nach Beendigung der Spiele als völlig unnütz erweisen, deren nachträgliche Nutzung nicht gesichert ist und die für den Steuerzahler erhebliche Folgekosten zurücklassen. Dass der Sport in den letzten Jahrzehnten weiße Elefanten zurückgelassen hat, kann von niemandem bestritten werden. Die Olympischen Spiele von Athen im Jahr 2004 sind in dieser Hinsicht ebenso ein Mahnmal wie die Spiele von Montreal und Sydney.

„Water Cube“, Olympische Spiele Peking 2008. National Aquatics Center

Wird ein Olympiastadion mit einer Kapazität von mehr als 60.000 Zuschauern erbaut, so kann davon ausgegangen werden, dass eine Nachnutzung nicht gesichert werden kann, auch wenn noch so viele zweckentfremdete Veranstaltungen in diesem Stadion durchgeführt werden. Selbst in der größten Nation der Welt weist das chinesische Olympiastadion Nachnutzungsprobleme auf. Das sogenannte „Water Cube“, das architektonisch gelungene Schwimmstadion, hat so gut wie keine Nachnutzung durch die Sportart Schwimmen. In einem Land wie China, mit rund 1,4 Milliarden Einwohnern, sind die meisten olympischen Sportarten nach wie vor exotische Fremdkörper und deren olympische Sportstätten gehören bereits wieder der Vergangenheit an. Die Mehrzahl der Sportarten, die während der Spiele in den dafür ausgewiesenen Freiluftanlagen und Hallen durchgeführt wurden, haben mit wenigen Ausnahmen in den letzten acht Jahren an diesen Orten nicht mehr stattgefunden. Für die chinesische Bewegungs-, Körper- und Sportkultur sind Sportarten wie Handball, Hockey, Kanu, Reiten, Rudern oder Segeln eher Fremdkörper, als dass sie Teil der chinesischen Alltagskultur sind.

Das Lösungswort gegen die Gefahr der weißen Elefanten im Sport lautet heute meist „temporäre Bauten“. Mehrzweckhallen, in denen neben dem Sport noch viele weitere Veranstaltungen durchgeführt werden können, variable Nutzung, billige Baumaterialien, schneller Auf- und Abbau sind durchaus Merkmal einer Strategie, mit der das Risiko der weißen Elefanten reduziert werden kann. Die Bewerbung für die Olympischen Spiele in Hamburg im Jahr 2024 war in dieser Hinsicht auf einem guten Weg. Allerdings muss erkannt werden, dass auch die Nutzung von großen Mehrzweckanlagen meist nicht kostendeckend ist und Folgekosten für die öffentliche Hand erwarten lassen. Die Gefahr weißer Elefanten des Sports erstreckt sich leider nicht nur auf die Sportstätten selbst und die dafür notwendigen baulichen Voraussetzungen, längst gibt es auch weiße Elefanten bei Sportgebäuden, die einen ganz anderen Zweck erfüllen. Sportakademien, Trainingszentren, Landessportschulen und Sportmuseen, die immer üppiger aus dem Boden schießen, sind hier zu nennen. Diese Gefahr zeigt sich sowohl national als auch international. Politische Interessen haben dazu geführt, dass in Afrika in nahezu jedem Land ein Nationalstadion erstellt wurde. Afrikanische Arbeiter waren für den Bau dieser Stadien nicht gut genug, ausschließlich chinesisches Personal war mit diesen Sportstätten beauftragt. Betrachtet man diese Stadien heute, so sind sie nicht selten Steinruinen, die vor jedem Fußball-Länderspiel runderneuert werden müssen.

Bei Einrichtungen, die vom IOC zu verantworten sind, sieht es allerdings kaum besser aus. So wurde in Lusaka, der Hauptstadt von Sambia, vor sechs Jahren ein „Olympic Youth Development Center“ errichtet. Für mehr als 20 Millionen Euro wurden Sportstätten für mehrere Sportarten gebaut. Übernachtungsmöglichkeiten für mehr als 100 Athleten wurden errichtet, Hör- und Lehrsäle stehen für Veranstaltungen und für die theoretische Lehrarbeit zur Verfügung. Wer heute dieses Center besucht, wird sehr schnell erkennen, dass von einer gesicherten Nutzung dieser Anlage nicht die Rede sein kann. Räume sind meist leer oder werden zweckentfremdet. Überall sieht man Abfall herumliegen. Auf der Kunststoffbahn im Leichtathletikstadion finden Pop-Konzerte statt. Sie ist nach wenigen Jahren in einem Zustand, der auf eine 30-jährige Nutzung schließen lässt, obgleich die Bahn erst 2011 eingeweiht wurde. Die Wege sind voller Schlaglöcher, Wände sind teilweise nicht verputzt. Steckdosen sind meist ungesichert aus der Wand gerissen, Wasserleitungen weisen mehr oder weniger große Schäden auf. Ein Besucher, der den Vergleich zu Europa anstellt, kommt sehr schnell zu der Erkenntnis, dass die Wartung das ungelöste Problem dieser Sportstätte darstellt. Finden Sportveranstaltungen auf dieser Anlage statt, so werden die Räume kurzfristig herausgeputzt, überall werden große Fahnen aufgehängt, gedruckte Banner sind eine Selbstverständlichkeit und vor allem werden überwiegend von Männern Reden gehalten, die in ihrer Redundanz nicht zu übertreffen sind. Rituelle Männerreden sind längst zum Merkmal einer jeden Eröffnung einer Sportveranstaltung geworden, ganz gleich, ob es sich um einen Workshop, ein Seminar, einen Kongress oder um einen Wettkampf handelt. Gouverneure, Minister, Bürgermeister und Präsidenten reichen sich die Hand. Alles, was sie tun, findet auf einer Anlage statt, die langsam verrottet, was nicht als Problem gesehen wird, es wird nicht einmal zur Kenntnis genommen. Viele Millionen wendet das IOC für diese Maßnahmen jährlich auf. Mehr als 10 Millionen hat allein die Errichtung in Lusaka gekostet.

Liest man jedoch in diesen Tagen eine Zeitung von Lusaka, so wird von einer langandauernden Krise berichtet, in der sich das Land befindet. Zu wenig Strom steht zur Verfügung, 8.000 Bergarbeiter in den Kupferminen wurden entlassen, das Schulsystem ist marode, Schüler erhalten maximal zwei Stunden pro Tag Unterricht, da Blockunterricht in mindestens vier Schuljahren verabreicht wird. Die Bachelor- und Masterprogramme an den Universitäten sind überfüllt, obgleich nach Beendigung des Studiums nur die Arbeitslosigkeit auf die Studenten wartet. Stromausfall ist für die Bürger Sambias eine Selbstverständlichkeit. Kommt es dazu, so sind nicht nur alle Kühlanlagen betroffen, sondern die gesamte Produktivität der Industrie Sambias. Es kann nicht überraschen, dass soziale Unruhen in vielen Provinzen Sambias beklagt werden. Journalisten werden bedroht, wenn sie kritisch über die Zustände in ihrem Land berichten. Vor diesem gesellschaftlichen Hintergrund ist der weiße Sportelefant Sambias kaum zu rechtfertigen. Er ist nicht nur eine Herausforderung für die Regierung Sambias, er muss unter dem Aspekt der Sinnhaftigkeit und der Nachhaltigkeit auch beim IOC auf den Prüfstand gestellt werden. Doch nicht nur das IOC hat sich dieser Herausforderung zu stellen. Wo immer heute bombastisch gebaut wird, wo immer Ansprüche von Architekten befriedigt werden, die mit den realen Bedürfnissen im Sport nur wenig zu tun haben, und wo immer Bescheidenheit keinen Platz mehr hat, sind weiße Elefanten die naheliegende Folge. Die Gefahr ist somit umfassend. Sich ihr zu stellen ist eine dringende Notwendigkeit.

letzte Überarbeitung: 29.11.2017