Tokyo 2021 – Zur Zukunft der Olympischen Spiele

In diesen Tagen befindet sich die Welt in einer besonderen Krise. Ein Virus, unter unzähligen, die es auf dieser Welt gibt, hat diese Krise verursacht. Die Reaktion der verantwortlichen Politiker in nahezu sämtlichen Ländern dieser Welt auf die dadurch verursachten gesundheitlichen Gefahren hat eine Wirtschaftskrise hervorgerufen, deren Ausmaß und Reichweite nicht ermessen werden kann und deren weiterer Verlauf ungewiss sein wird. Erhebliche soziale Disruptionen und Schäden in nahezu jeder Gesellschaft dieser Welt sind weitere Folgen dieser Krise. Nahezu jeder Lebensbereich ist von dieser Krise betroffen und so kann es kaum Verwunderung hervorrufen, dass auch die in aller Welt vorhandenen nationalen Sportsysteme mit äußerst schwierigen Herausforderungen konfrontiert sind. Gleiches gilt für den internationalen Sport und dessen Sportorganisationen, allen voran das IOC.

Für das IOC hat die Krise nun erneut in aller Schärfe die Frage nach der Zukunft der Olympischen Spiele aufgeworfen. In einem sorgfältigen und in jeder Hinsicht durchdachten Abstimmungsprozess mit den politisch Verantwortlichen Japans und mit dem dortigen Organisationskomitee wurde entschieden die nächsten olympischen Sommerspiele ein Jahr später, Ende Juli und im August 2021, auszurichten. Massenmedial wurde diese Entscheidung äußerst kritisch diskutiert und insbesondere in Deutschland werden seit der Entscheidung des IOC zugunsten von Tokyo 2021 vermehrt nun auch Bedenken an dem neuen Termin in das Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Das IOC hat gemeinsam mit Japans Regierung und in ständiger Konsultation mit der WHO die Durchführung der Olympischen Spiele in Tokyo vom weiteren Verlauf der Pandemie abhängig gemacht. Die gesundheitliche Sicherheit aller Teilnehmer stand und steht im Vordergrund aller Entscheidungen und das IOC verfolgt keineswegs eine Politik, bei der um jeden Preis die Spiele in Japan stattfinden müssen. Es hat allerdings klar zum Ausdruck gebracht, dass eine weitere Verschiebung nicht möglich sein wird. Wäre auch 2021 die Gesundheit der Athleten in Gefahr und wäre eine faire Vorbereitung der Athleten auf die Spiele nicht möglich, so müssen die Spiele notwendiger Weise abgesagt werden.

Am Markenbegriff „Tokyo 2020“ soll dabei festgehalten werden auch wenn die Spiele im Jahr 2021 stattfinden. Dies ist mit Blick auf die Interessen der japanischen Gastgeber und deren bereits getätigten finanziellen Investitionen wohl verständlich. Kommunikativ ist dies jedoch nicht durchzusetzen und sollte deshalb möglichst schnell geändert werden. Finden die nächsten Sommerspiele statt, so werden sie in der olympischen Geschichtsschreibung einen besonderen Platz als die „Spiele von Tokyo 2021“ einnehmen.

Wer an die Idee der Olympischen Spiele glaubt, wer weiß was die Spiele unter friedenspolitischen Gesichtspunkten bedeuten, wer den Stellenwert der Spiele für die Athletinnen und Athleten kennt, wer das Gemeinschaftserlebnis in einem olympischen Athletendorf einmal beobachtet hat und vielleicht auch selbst miterleben konnte, wird der Meinung gewiss zustimmen, dass in den nächsten zwölf Monaten alles zu tun ist, dass es zu keiner Absage kommt. Dass die Olympischen Spiele Tokyo 2021 auf der Grundlage der vor fünf Jahren verabschiedeten „Agenda 2020“ zu einem großen Erfolg der japanischen Gesellschaft und der Olympischen Bewegung geführt werden. In diesen Tagen glauben auch einige Experten die Idee sog. „Geisterspiele“, d.h. Olympische Spiele ohne Zuschauer diskutieren zu müssen. Für jeden, der sich dem Idealen des modernen Olympismus verpflichtet fühlt, muss sich eine solche Diskussion verbieten. Dem IOC kann deshalb nur empfohlen werden, in aller Entschiedenheit dieser unsinnigen Diskussion entgegenzutreten. „Tokyo 2021“ sollte nur stattfinden, wenn die konstitutiven Merkmale des modernen Olympismus strikt eingehalten werden.

Eine erste Bedingung dafür muss sein, dass die Durchführung der Spiele nicht an eine Impfung gegen das Coronavirus gebunden wird. Gefährliche Viren hat es immer gegeben und wird es auch in der weiteren Zukunft geben. Nie zuvor wurde deshalb die Durchführung früherer Olympische Spiele an bestimmte Impfungen gebunden. Dies sollte auch für die weitere Zukunft gelten. Die Erforschung eines Impfstoffes ist in der Regel ein schwieriger langfristiger wissenschaftlicher Prozess, dessen Gelingen meist offen ist. Es gibt viele gefährliche Viren, für die es leider bis heute noch keinen Impfstoff gibt. Eine Impfpflicht wäre auch unter menschenrechtlichen Gesichtspunkten fragwürdig. Es wäre vermutlich auch organisatorisch äußerst schwierig allen Teilnehmern und Besuchern der Spiele die erwünschte Impfung zu ermöglichen, zumal sich die Kostenfrage sehr schnell als kaum lösbar herausstellen könnte.

Eine Absage der Spiele in Tokyo würde nicht nur die Zukunft alle weiteren Olympischen Spiele, auch der Winterspiele, in Frage stellen. Mit einer Absage wäre die Zukunft der Olympischen Bewegung insgesamt bedroht. Deshalb sind in den nächsten Wochen und Monaten nicht nur das IOC und das Organisationskomitee der Spiele in Tokyo gefordert. Vielmehr sind sämtliche Stakeholder der Olympischen Bewegung in eine völlig neu zu gestaltende Verantwortung für die Sicherung der Zukunft der Olympischen Spiele einzubinden.

Das IOC ist dabei aus naheliegenden Gründen zunächst und vor allem selbst gefordert. Mit der Wahl von Dr. Bach zum Präsidenten des IOC wurde vor fünf Jahren mit der „Agenda 2020“ ein neuer Weg eingeschlagen und mit den damit verbundenen Projekten befindet sich das IOC in einem Reformprozess, der konsequent fortzuführen ist. Der Alleinstellungsanspruch der Olympischen Spiele darf nicht aufgegeben werden. Dies gilt für die Werbefreiheit während der olympischen Wettkämpfe gleichermaßen, wie für das weitgehend werbefreie Verhalten der Athletinnen und Athleten während der Wettkämpfe. Preisgelder und Antrittsgelder darf es bei der Durchführung olympischer Spiele nicht geben. Für Gastgeber der Olympischen Spiele muss die Durchführung der Spiele ökonomisch sinnvoll sein. Das Bewerbungsverfahren muss unter Kostengründen ständig auf dem Prüfstand stehen und die Durchführung der Spiele selbst muss noch weiter vereinfacht werden. Das IOC muss auch zukünftig seine Gewinne nach dem bewährten Prinzip ausschütten. Die solidarische Hilfe für finanziell schwache Mitglieder ist während der Krise dringend angeraten, Transparenz ist dabei das erste Gebot. Als Organisation muss das IOC weiterhin gemeinnützig sein. Der Anti-Dopingkampf muss konsequent weitergeführt werden, gleiches gilt für die Korruptionsbekämpfung. Für die Durchführung der Spiele in Tokyo sind weitere Einsparungen erforderlich und sämtliche Kosten sind zugunsten der japanischen Gastgeber auf den Prüfstand zu stellen.

Die Athleten und Athletinnen sind für das Gelingen der Spiele in Tokyo 2021 von entscheidender Bedeutung. Nie zuvor war die Rolle der Athleten so wichtig wie in diesen Tagen, in Tagen einer weltumfassenden Krise. Für eine qualitative Athletenmitbestimmung gibt es keine Alternative und die Repräsentanten der Athleten müssen über einen demokratisch legitimierten Entscheidungsprozess gefunden werden. Vor selbst ernannten Repräsentanten sollten sich jedoch alle olympischen Athleten und Athletinnen schützen. An Mitbestimmungsthemen gibt es keinen Mangel. Zunächst muss es vor allem um den Schutz der Gesundheit der Athletinnen und Athleten gehen. Die Athletenvertreter haben sich aber auch auf glaubwürdige Weise im Anti-Dopingkampf zu bewähren. Sie sollten ferner ständig auf eine Transparenz der sportpolitischen Entscheidungen in allen Organisationen drängen, denen sie vom Verein über den nationalen Verband bis hinauf zum IOC angehören. Für die olympischen Athleten und Athletinnen stellt sich vor allem die Frage nach der finanziellen Transparenz ihrer internationalen und nationalen Fachverbände und der jeweiligen Nationalen Olympischen Komitees, denen sie angehören. Die in jüngster Zeit oft spektakulär herausgestellte Forderung nach einer Gewinnbeteiligung an den Einnahmen der Olympischen Spiele stellt sich dabei allerdings wohl kaum. Jedoch stellt sich äußerst dringend die Frage, was die Internationalen Olympischen Fachverbände und die über 200 National Olympischen Komitees mit den meist in Millionenhöhe überwiesenen Zuschüsse des IOC machen und was von diesem Geld bei den Athleten und Athletinnen ankommt.

In der unmittelbaren Zukunft muss es auch eine Aufgabe der Athletinnen und Athleten sein von den Politikern zu fordern, dass sie möglichst schnell wieder zu einem geregelten Trainingsbetrieb und zur Sicherstellung von Wettkampfstrukturen in allen olympischen Sportarten zurückkommen können. Nur dann können sie sich sorgfältig und gewissenhaft auf die Olympischen Spiele im nächsten Jahr vorbereiten.

Die National Olympischen Komitees müssen die Interessen der Olympischen Bewegung in ihren eigenen Nationen aktuell und auch in der weiteren Zukunft sehr viel engagierter gegenüber ihren politischen Partnern und gegenüber ihren nationalen Medien vertreten als dies in jüngster Zeit der Fall gewesen war. Dazu muss auch gehören, dass der olympischen Bildung und Erziehung in den staatlichen Bildungssystemen eine sehr viel größere Aufmerksamkeit zukommt als dies bislang der Fall ist. Die „Olympische Bewegung“ und der sie tragende „Olympismus“ muss als Pflichtinhalt des Curriculums aller Schulen eingefordert werden.

Angesichts der Krise muss von vielen NOKs auch eine „neue Bescheidenheit“ gefordert werden. Sämtliche Kosten und Ausgaben gehören auf den Prüfstand gestellt. Auf jeglichen Luxus ist zu verzichten und die vom IOC bereitgestellten Mittel müssen transparent bewirtschaftet werden. Im Zentrum hat dabei die Athletenförderung zu stehen.

Die internationalen Fachverbände müssen angesichts der Krise zu einer völlig neuen Prioritätensetzung bereit sein. Das Gelingen der Spiele von „Tokyo 2021“ muss dabei einen besonderen Vorrang erhalten und jeder internationale Sportverband hat zu prüfen, welchen besonderen Beitrag er zum Gelingen dieser Spiele leisten kann. Hierzu wird teilweise auch eine Reduktion der eigenen Wettkampfstrukturen erforderlich sein. Nur auf diese Weise kann gesichert werden, dass das IOC auch weiterhin seine Einnahmen aus dem Verkauf der Medienrechte an seine Mitglieder ausschütten kann.

Von den internationalen Fachverbänden ist ferner eine vergleichbare Transparenz ihrer Entscheidungsprozesse und ihrer Finanzen zu fordern, so wie dies beim IOC mittlerweile üblich geworden ist. Die Haushaltsführung der Verbände sollte öffentlich zugänglich sein. Unter Kosten-Nutzen-Gesichtspunkten müssen die bestehenden internationalen Wettkampfstrukturen in grundsätzlicher Weise auf den Prüfstand gestellt werden. Die Anzahl der internationalen Wettkämpfe und Meisterschaften müssen auf ein sinnvolles und notwendiges Maß reduziert werden. Ein weiteres planloses Wachstum internationaler Events und Weltmeisterschaften ist nicht nur aus klimapolitischen Gründen sofort zu beenden. Gleiches gilt für das Ausmaß und die Zahl der Kommissionen und Komitees und teilweise müssen auch die bestehenden Verwaltungs- und Gehaltsstrukturen überprüft werden. Die vom IOC bereitgestellten finanziellen Mittel müssen in ihrer Verwendung offengelegt werden und eine unabhängige Integritätsüberprüfung der internationalen Fachverbände ist zwingend notwendig.

Die Sponsoren haben in der jüngeren Vergangenheit für das Gelingen der Olympischen Spiele einen wichtigen Beitrag geleistet. Viele der Olympischen Sponsoren zeichneten sich durch eine besondere Loyalität gegenüber der Olympischen Bewegung aus.

Angesichts der durch die Coronapandemie ausgelösten Weltwirtschaftskrise wäre es wünschenswert, wenn sowohl die Sportorganisationen als auch die national und international engagierten Sponsoren sich durch eine besondere Loyalität und Solidarität auszeichnen würden. Eine Flexibilität bei den Zahlungsterminen ist dabei ebenso erforderlich, wie auch finanzielle Zugeständnisse auf beiden Seiten der Partnerschaft erwartbar sind. Kurzfristig gedachte Eigennützigkeit kann dabei gefährlich sein. Der langfristige Erhalt der Olympischen Spiele kann hingegen auch für Sponsoren erfolgversprechende Perspektiven eröffnen.

Die internationalen Massenmedien sind von ganz entscheidender Bedeutung, ob die Spiele „Tokyo 2021“ stattfinden werden und wie ihre Durchführung gelingen kann.

Stellt man die Frage nach der weiteren Zukunft der Olympischen Spiele, so kommt den Medien eine kaum zu unterschätzende Bedeutung zu. Die Frage, ob eine positive Entwicklung der Olympischen Bewegung und der Olympischen Spiele in der weiteren Zukunft erwünscht ist, hängt entscheidend von der Meinungsführerschaft des Fernsehens, einiger Printmedien und, immer entschiedener, von wichtigen Sozialen Medien ab. Leider muss man in diesen Tagen den Eindruck gewinnen, dass mancher journalistische Begleiter der Olympischen Bewegung und mancher Kommentator in den führenden Tageszeitungen, bei den Fernsehsendern und in den Sozialen Medien an einer positiven Zukunft der Olympischen Spiele nicht interessiert ist. Erfolgreiche sportpolitische Arbeit kommt nur ganz selten zur Darstellung. Skandale werden hingegen gesucht und wenn es keine gibt, wird eine Bagatelle zum Skandal stilisiert. Interviewpartner werden nach ihrem potentiellen Skandalpotenzial ausgewählt. Ein differenziertes Abwägen unterschiedlicher Meinungen findet nur selten statt. Dabei wäre es durchaus naheliegend, dass die Repräsentanten der sportbezogenen Medien ein ureigenes Interesse an der Weiterentwicklung der Olympischen Spiele haben. Nicht zuletzt werden die Olympischen Spiele zu ihrem größten Anteil durch Lizenzverträge mit wenigen nationale und internationalen Fernsehanstalten finanziert und selbst der Sportteil einer jeden Tageszeitung ist ein Garant für den wirtschaftlichen Erfolg ihres Herausgebers. Eine kritische Begleitung der Olympischen Bewegung ist dabei dringend erwünscht. Fairness und Kritik müssen dabei aber gewiss kein Widerspruch sein. Auch bei der Berichterstattung über die Pandemie müssen Kritik und Gegenkritik erwünscht sein. Die für eine gute Berichterstattung weltweit gültigen Maßstäbe – klar, wahrhaftig, relevant, verständlich und objektiv – müssen deshalb gerade in diesen Wochen und Monaten der olympischen Bewährung besonders beachtet werden.

Die Politik hat in der mehr als 100-jährigen Geschichte des modernen Olympismus nur sehr selten eine positive Rolle gespielt. Die Gefahr des politischen Missbrauchs der Spiele zeigte sich nicht nur bei den Spielen in Berlin 1936. Gerade in jüngster Zeit ist die Gefahr des Missbrauchs größer denn je geworden. Für das IOC muss die Partnerschaft mit demokratischen politischen Systemen grundlegend sein. Finden dennoch aus guten Gründen Olympische Spiele in Nationen mit autoritären, diktatorischen und undemokratischen politischen Strukturen statt, so muss sich das IOC daran messen lassen, welchen erkennbaren Beitrag durch die Ausrichtung der Spiele zur demokratischen Veränderung dieser politischen Systeme erbracht wird. Bei der Vergabe der Spiele müssen die Ziele klar benannt werden und nach Durchführung der Spiele ist eine unabhängige Evaluation dringend erforderlich. Die Verantwortlichen in den jeweiligen politischen Systemen dieser Welt müssen sich gerade auch in Zeiten der Krise mehr denn je auf das Prinzip der Subsidiarität besinnen und dabei gleichzeitig den Organisationen des Sports ihre dringend erwünschte Autonomie gewährleisten. Dies gilt für internationale Politiksysteme gleichermaßen wie für alle nationalen politischen Systeme. Betroffen davon sind das IOC und sämtliche internationalen Sportverbände. Die nationalen Sportorganisationen sind vor allem von der subsidiären Hilfe ihrer nationalen politischen Partner abhängig. Angesichts der finanziellen Notlage, in die durch die Krise viele Sportorganisationen geraten sind, muss von der Politik eine substantielle subsidiäre finanzielle Hilfe gefordert werden. Dies ist vor allem auch deshalb notwendig, weil mit dieser Hilfe der aktuellen Gefährdung der Olympischen Bewegung und der Olympischen Spiele entgegengetreten werden kann. Jegliche fragliche Einmischung einschließlich jeglicher Belehrung verbietet sich dabei von selbst.

Tokyo 2021 ist – auch unter historischen Gesichtspunkten – die größte Herausforderung der Olympischen Bewegung und des IOC. Dies gilt auch für sämtliche Mitgliedsorganisationen des IOC und für alle olympischen Athletinnen und Athleten. Gleichermaßen gilt dies auch für alle direkten und indirekten Stakeholder der Olympischen Spiele. In den nächsten Wochen und Monaten kann jeder einen Beitrag leisten, damit die Spiele in Tokyo im nächsten Jahr stattfinden können und dass auf diese Weise die weitere Zukunft der Olympischen Bewegung und ihrer Spiele gesichert werden kann.

Verfasst: 07.06.2020