Intersexualität im Sport – zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts

Das Frauenfinale im 800m-Lauf bei der Leichtathletik-Weltmeisterschaft 2009 in Berlin hatte in einer äußerst bedauerlichen Weise weltweite Aufmerksamkeit erreichen können. Die außergewöhnliche Leistung der jungen Siegerin wurde durch ihre Gegnerinnen mit dem Verdacht in Frage gestellt, dass die Siegerin nicht dem weiblichen Geschlecht angehöre. Die IAAF hatte auf diesen Verdacht in hilfloser Weise reagiert, mit dem Ergebnis, dass eine junge Athletin öffentlich bloßgestellt wurde. Der dabei entstandene Schaden war irreparabel und konnte auch nicht durch Entschuldigungen aus der Welt geschaffen werden. Eine Frage, deren Diskussion und Beantwortung strikter Vertraulichkeit bedarf, wurde auf ärgerliche Weise als massenmedialer Eklat inszeniert und die Betroffene selbst war dabei nicht nur ein Opfer des Vertrauensbruchs sondern sie wurde auch politisch auf fragwürdige Weise in Anspruch genommen, ohne dass damit dem Menschen, die von der offengelegten Geschlechterfrage betroffen sind, geholfen würde. Das Ganze gipfelte in unsäglichen Rassismusvorwürfen, für die man allenfalls aus deutscher Sicht Verständnis haben konnte, die jedoch in der Sache nicht haltbar waren und bezogen auf das zu lösende Problem sich als irreführend erwiesen.

Das Ereignis von Berlin warf eine ganze Reihe von Fragen auf, auf die es bis heute noch keine befriedigenden Antworten gibt. Es bedarf deshalb nach wie vor einer sehr viel grundsätzlicheren Erörterung. Der politische und juristische Hintergrund vor dem dies zu geschehen hat, hat sich seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 08.10.2017 entscheidend geändert. Das Bundesverfassungsgericht hat ein drittes Geschlecht für den Eintrag im Geburtenregister gefordert. Intersexuellen Menschen, die weder männlich noch weiblich sind, soll damit ermöglicht werden, ihre geschlechtliche Identität „positiv“ eintragen zu lassen. Begründet wird dieses Urteil mit dem Persönlichkeitsrecht. Dies schützt auch die geschlechtliche Identität derjenigen, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen. Nach Auffassung des Gerichts verstößt das geltende Personenstandsrecht gegen das Diskriminierungsverbot. Der Gesetzgeber muss nun bis Ende 2018 eine Neuregelung schaffen, in die als drittes Geschlecht neben „männlich und weiblich“ noch etwa „inter“, „divers“ oder eine andere „positive Bezeichnung“ des Geschlechts aufgenommen wird. Für die Organisationen des Sports kann und sollte dieses Urteil weitreichende Folgen haben.

Schild für Unisex-Toilette

Die kulturelle Vielfalt des sportlichen Wettbewerbs, wie sie heute existiert, ist bemerkenswert und sie kann als eine besondere Errungenschaft des modernen Sports gedeutet werden. Diese Errungenschaft ist jedoch immer auch gefährdet. Angesichts der wachsenden Bedeutung des Sieges in den einzelnen Wettbewerben, die vorrangig mit einer umfassenden Kommerzialisierung des modernen Sports zusammenhängt, ist die immer größer gewordene Gefahr des Regelverstoßes unübersehbar. Betrug und Manipulation sind mit dem Wettkampfsport eng verbunden. Die Möglichkeit, Regeln zu befolgen, ist leider auch an die Möglichkeit gebunden, dass gegen Regeln verstoßen werden können.

Immer häufiger kommt es vor, dass bei Jugendwettbewerben Teilnehmer erwischt werden, die ein falsches Alter angegeben haben und dass sich bei Frauenwettbewerben Männer eingeschlichen haben, um auf diese Weise die Wahrscheinlichkeit eines Sieges zu erhöhen. Dass sich Frauen hingegen bei Männerwettbewerben einschleichen ist eher unwahrscheinlich. Interessant ist aber, dass es im Sport auch Wettbewerbe gibt, bei denen Männer und Frauen gemeinsam teilnehmen. Für manche Sportart stellt sich deshalb mittlerweile die Frage, ob ihre bisherige Trennung der Geschlechter in der weiteren Zukunft fortgeführt werden soll. In einer Sportart wie Schach ist es gewiss nicht sinnvoll für Frauen und Männer eigene Wettbewerbe zu organisieren.

Was geschieht jedoch, wenn Menschen am Sport teilnehmen möchten, die weder Frau noch Mann oder gar beides sind? Was ist die Konsequenz für den organisierten Wettkampfsport, wenn man neben Männern und Frauen von einem dritten Geschlecht zu sprechen hat, das an die Tür des internationalen Sports klopft? Nicht nur die Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Berlin im Jahr 2009 hat diese Frage aufgeworfen. Das Problem der Intersexualität gibt es seit Jahrzehnten im internationalen Hochleistungssport, sämtliche Sportarten können davon betroffen sein, und es ist nicht ein Problem einer bestimmten Ethnie, wie vieler Orts angenommen wurde. Aus anthropologischer Sicht können davon alle uns bekannten menschlichen Gesellschaften betroffen sein. Schon seit längerer Zeit haben Wissenschaftler darauf hingewiesen, dass die Zahl jener Geburten steigt, bei denen zum Zeitpunkt der Geburt eine eindeutige Zuordnung zu einem Geschlecht nicht möglich ist. Geboren werden dabei so genannte Hermaphroditen bzw. Intersexuelle, die als drittes Geschlecht betrachtet werden können. In der Alltagssprache werden solche Menschen als Zwitter bezeichnet.

Dabei wird nicht jenes Phänomen gemeint, das unter Evolutionsgesichtspunkten für den Sport nicht weniger von Interesse sein könnte. Schon seit längerer Zeit wird davon ausgegangen, dass es zu einer Angleichung der Geschlechter kommt, was mit dem Begriff der Androgynität erfasst wird. Dieser Wandel zeigt sich uns im Habitus von Männern und Frauen, in deren Persönlichkeit und in den sie prägenden Handlungsmustern, die sich gemäß dieser Beobachtung immer mehr angleichen. Gemeint ist dabei auch nicht die Transsexualität, bei der mittels gezielter medizinischer Eingriffe eine Geschlechtsumwandlung vorgenommen wird.

Die Annahme von einem dritten Geschlecht beruht hingegen auf den Sachverhalten, die sich erst durch genetische Analysen ergeben. Neben dem XY-Genotyp und dem XX-Genotyp muss demnach mindestens ein weiterer Genotyp unterschieden werden, der weder als Mann noch als Frau bezeichnet werden kann. Zumindest weisen Wissenschaftler darauf hin, dass eine eindeutige wissenschaftliche Bestimmung mit den ihnen bis heute zur Verfügung stehenden Methoden nicht möglich ist. In der Praxis der Geburt von Menschen wurde und wird dieses Problem in relativ eindeutiger und einfacher Weise gelöst. Das neugeborene Kind wird bei Geburt anhand der äußerlich erkennbaren Geschlechtsmerkmale von einem Arzt und einer Hebamme entweder dem weiblichen oder dem männlichen Geschlecht zugeordnet, eine Zuordnung zur Gruppe der Zwitter ist aus rechtlichen Gründen nicht erlaubt. Mit der Entscheidung der beurteilenden Experten erfolgt ein Eintrag in die Geburtsurkunde und damit sind die Weichen für ein Kind als Mädchen oder für ein Kind als Junge gestellt. Entsprechend wird das Kind von der Umwelt wahrgenommen, insbesondere werden die Eltern gemäß dieser Entscheidung den nunmehr erfolgenden Sozialisationsprozess prägen.

Mit dieser juristischen Lösung des Problems ist es naheliegend, dass Mädchen und Jungen den Weg in sportliche Wettkämpfe finden und sich so mit Mädchen und Jungen in Wettkampf- und Alterklassen messen, obgleich sie gemäß der Erkenntnisse der Wissenschaft weder Mädchen noch Jungen sind. Auf diese Weise wird das Prinzip der Chancengleichheit in Frage gestellt, die durch die Trennung der Geschlechter in den sportlichen Wettkämpfen gewährt sein soll. Diese Annahme ist allerdings an die Voraussetzung gebunden, dass ein Angehöriger des sogenannten „dritten Geschlechts“ im Vergleich mit dem jeweils anderen Geschlecht über einen Wettkampfvorteil in den Leistungsanforderungen einer bestimmten Sportart verfügt. Diese Annahme liegt beispielsweise den Protesten gegen die 800m-Siegerin bei der Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Berlin zugrunde. Auf der Grundlage dieser Proteste veranlasste der medizinische Delegierte der IAAF und dessen Medizinische Kommission des zuständigen Weltverbandes wissenschaftliche Untersuchungen zur Bestimmung des Geschlechts der entsprechenden Athletin.

Angesichts der neueren wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Geschlechtsbestimmung machen solche Untersuchungen jedoch kaum Sinn. Gehört die Athletin dem „dritten Geschlecht“ an, stellt sich vielmehr für die internationalen Sportorganisationen die Frage nach der möglichen Wettkampfteilnahme in ganz grundsätzlicher Weise. Soll oder muss sogar das „dritte Geschlecht“ in das Wettkampfsystem der bestehenden Geschlechter integriert werden, um sich nicht dem Vorwurf der Diskriminierung auszusetzen? Wenn ja, in welches? Oder soll es für das dritte Geschlecht eigene Wettkämpfe geben? Stimmen die empirischen wissenschaftlichen Befunde, die es diesbezüglich gibt, ist anzunehmen, dass in allen Gesellschaften dieser Welt die Geburtenzahlen in jüngster Zeit angestiegen sind, bei denen eine eindeutige Geschlechtszuweisung nicht möglich war. Für Deutschland wird davon ausgegangen, dass sich von 5.000 Geburten eine Geburt durch dieses Merkmal auszeichnet. Die Häufigkeit von Intersexualität wird jedoch unterschiedlich geschätzt. Zwischenzeitlich geht man davon aus, dass mehr als 100.000 Menschen in Deutschland davon betroffen sein könnten. Genauere statistische Befunde liegen derzeit noch nicht vor.

Ganz gleich welche Reichweite dieses Problem derzeit hat und zukünftig haben wird, bedarf die Frage der Intersexualität einer grundsätzlichen Diskussion durch die Sportorganisationen. Die im Jahr 1999 erfolgte Abschaffung der sogenannten Geschlechtsüberprüfung bei Olympischen Spielen und damit bei allen Weltmeisterschaften war angesichts der Diskriminierung der Frau längst überfällig. Dies war eine notwendige und richtige Entscheidung. Mit dieser sportpolitischen Entscheidung wurde dem Anspruch der Gleichbehandlung von Frau und Mann entsprochen. Nun aber geht es um den Anspruch der Gleichbehandlung jener Menschen, die sich selbst als ein drittes Geschlecht sehen.

Diese Frage, so ist zu vermuten, lässt sich nicht wissenschaftlich beantworten. Sie ließ sich auch bis hinein in diese Tage nicht juristisch klären, denn unter juristischen Gesichtspunkten hatten die Staaten sich entschieden, dass es in einer Staatsgesellschaft nur Angehörige männlichen und weiblichen Geschlechts geben darf und bei dieser klassischen Eingruppierung soll es vorrangig nur auf das äußere Erscheinungsbild ankommen. Die Natur des Menschen steht hierzu offensichtlich im Widerspruch. Das Karlsruher Urteil kommt in dieser Situation ohne Zweifel einer Revolution gleich und es bleibt abzuwarten, wie andere demokratische Rechtsstaaten darauf reagieren. Für die Verantwortlichen des deutschen Sports muss nun aber dringend die Frage beantwortet werden, wie sie mit der Natur des Menschen umgehen und wie offen sie mit ihren Sportangeboten für jedermann und für jedefrau und darüber hinaus für jene Menschen sind, die weder Mann noch Frau sind. Bei der Beantwortung werden sie den in der EU-Grundrechte-Charta niedergelegten Anspruch Intersexueller auf Gleichbehandlung genauso wie den Anspruch des Sports auf fairen Leistungsvergleich berücksichtigen und in einen Ausgleich bringen müssen. Vorschnelle Lösungen werden dabei kaum nützlich sein. Vielmehr ist ein sorgfältiger Dialog mit den betroffenen Menschen mehr als angebracht.

Verfasst: 15.11.2017