Ehrenamtliche Führungsarbeit ist unverzichtbar

Die Idee der freiwilligen Vereinigung ist für die Organisationen des deutschen Sports konstitutiv. Sie bildet die Grundlage für mehr als 90.000 Turn- und Sportvereine, sie ist aber auch prägend für die übergeordneten Verbände, deren Mitglieder letztlich jene Menschen sind, die sich in freiwilligen Vereinigungen zusammengeschlossen haben. Zur Idee der freiwilligen Vereinigung gehört nicht weniger grundlegend die Idee der Ehrenamtlichkeit. Sie ermöglicht unserem Gemeinwohl einen kultur-, sozial- und gesundheitspolitischen Beitrag des Sports der seinesgleichen sucht. Durch die Idee der Ehrenamtlichkeit wird nicht zuletzt in allen Städten und Gemeinden Deutschlands den Bürgerinnen und Bürgern ein Sportangebot unterbreitet, das in jeder Hinsicht sozial ausgerichtet und nicht zuletzt auch unter Kostengesichtspunkten unersetzbar geworden ist.

Neben der Ehrenamtlichkeit ist mittlerweile auch die Hauptamtlichkeit zu einem Merkmal der Sportorganisationen geworden. Die über Wahlen demokratisch legitimierte Führung wurde durch das Prinzip der Hauptamtlichkeit jedoch nicht in Frage gestellt. Im Gegenteil: die Hauptamtlichkeit ermöglicht mit ihrer Arbeit eine qualitative Absicherung eines angemessenen Sportangebots, während die ehrenamtlichen Aufsichts- und Führungsgremien die Leitlinien für diese Arbeit vorgeben und die notwendige Verantwortung über die Geschicke der Sportentwicklung übernehmen.

In diesen Tagen wird diese grundlegende Beziehung zwischen Haupt- und Ehrenamt in immer mehr Sportorganisationen in Frage gestellt und man glaubt, dass die ehrenamtliche durch eine hauptamtliche Führung abzulösen ist. Fragwürdiger Orientierungspunkt sind dabei die Organisationsmuster der Wirtschaft, ohne dabei zu berücksichtigen, dass zwischen einem gemeinnützigen und eingetragenen Verein und den verschiedensten Rechtsformen der Wirtschaft gravierende Unterschiede bestehen. Vereine haben sich an den Interessen ihrer Mitglieder zu orientieren. Die Mitglieder stellen dem Verein ideelle und materielle Beiträge zur Verfügung damit dieser ein an deren Interessen orientiertes Angebot unterbreiten kann. In einem Wirtschaftsunternehmen werden die Ziele vom Eigentümer gesetzt, wobei in der Regel Gewinnmaximierung die oberste Prämisse ist. Ökonomisch basiert der Verein nicht wie ein Wirtschaftsunternehmen im Verhältnis zu seinen Kunden auf einer bilateralen Tauschbeziehung, sondern auf einem Gesellschaftsvertrag, auf dessen Grundlage die Mitglieder die Ressourcen „Zeit“ und „Wissen“in Form ehrenamtlicher Mitarbeit und „Geld“ in Form von Mitgliedsbeiträgen, Spenden, etc. einbringen. Die ehrenamtliche Mitarbeit stellt somit die entscheidende Ressource der freiwilligen Vereinigungen dar und sie benötigt einen besonderen Schutz. Werden die Aufgaben der Entscheidungsfindung, der Führung und Anleitung zunehmend auf das Hauptamt übertragen, wird aus einem ehrenamtlichen Präsidium ein hauptamtliches, werden ehrenamtliche Präsidenten bezahlte hauptberufliche Präsidenten, so hat dies weitreichende Konsequenzen für die Organisationstrukturen der freiwilligen Vereinigungen.

Mittlerweile sind von solchen Ideen und Veränderungsprozessen auch das ehrenamtliche Präsidium des DOSB und weitere große Sportfachverbände betroffen. Dabei ist meist von Professionalität die Rede, ohne zu erkennen, dass sich Ehrenamtlichkeit gleichermaßen durch Professionalität auszeichnen kann wie Hauptamtlichkeit und dass stümperhaftes Handeln sowohl bei Haupt- als auch bei Ehrenamtlichen zu beobachten ist. Neben dem Argument der Professionalität wird häufig auch das Problem des Zeitaufwandes als ausschlaggebend für eine Hinwendung zur Hauptamtlichkeit verwendet. Dabei wird verkannt, dass auch bereits vor mehr als 60 Jahren, als der DSB in Hannover gegründet wurde, die ehrenamtliche Arbeit einen gewissen Zeitaufwand erforderte, das Privatleben der Führungspersönlichkeiten beeinträchtigte und ihre Freizeit von der Arbeit in den Sportorganisationen aufgefressen wurde. Auch die damaligen ehrenamtlichen Führungskräfte hatten verantwortungsvolle gesellschaftspolitische Funktionen in Wirtschaft, Politik und Wissenschaft eingenommen. Gewiss sind heute die Arbeitsverhältnisse nicht dieselben wie vor 60 Jahren und ohne Zweifel müssen die entstandenen Mehrlasten auf die Schultern der Hauptamtlichkeit verteilt werden, wenn man den wachsenden Herausforderungen gerecht werden will. Die Notwendigkeit einer ehrenamtlichen Führung kann dabei jedoch nicht in Frage gestellt werden. Eine ausschließlich hauptamtliche Führung der nationalen Sportfachverbände und deren Dachorganisation, des DOSB, würde hingegen Zeichen und Signale setzen, die für die weitere Sportentwicklung in Deutschland eher als schädlich zu bezeichnen sind.

Macht es Sinn, dass in den Vereinen die Ehrenamtlichen selbstlos ihre Führungsarbeit erledigen, in den Dachorganisationen des Sports hingegen Gehälter finanzieren, von denen viele glauben sie müssten mit den Führungspositionen in der freien Wirtschaft verglichen werden. Macht eine ausschließlich hauptamtliche Führung in Sportorganisation Sinn, die selbst über keine direkten Einnahmen verfügt, sondern auf die Mitgliedsbeiträge ihrer Vereine und Verbände und die staatliche Unterstützung durch den Steuerzahler angewiesen ist?

Dabei gehört nicht nur die Bezahlbarkeit einer hauptamtlichen Führung auf den Prüfstand gestellt, zu fragen ist auch, ob die Gehaltsstrukturen innerhalb der Organisationen des Sports überhaupt den Aufgaben entsprechen, die sich in diesen Organisationen stellen. Warum erhalten Generalsekretäre und die vielen Direktoren in den Organisationen des Sports immer häufiger Gehälter in vergleichbarer Höhe wie Führungskräfte in der Wirtschaft, obgleich ihre Arbeit in keiner Weise mit einem vergleichbaren Risiko verbunden ist. Deshalb erfolgte zu Recht zu früheren Zeiten ihre Besoldung auf der Grundlage von Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes.

Dass das Zusammenspiel von Haupt- und Ehrenamt im deutschen Sport neu zu justieren ist, darf bei all den hier kritisch aufgeworfenen Fragen nicht übersehen werden. Die Führungsreform im DOSB war ebenso dringend wie sinnvoll. Dies gilt auch für die durchgeführten Reformen in einigen Sportfachverbänden, so z.B. im Deutschen Hockey-Bund. Auch die jüngst durchgeführten Reformen im Deutschen Handballbund waren längst überfällig und weisen in die richtige Richtung. Die neuen Führungsideen, wie sie z.B. im Deutschen Hockey-Bund eingeführt wurden, sind relevant und die verschiedenen Aufsichtsratsmodelle, wie sie auch von der Führungs- und Verwaltungsakademie diskutiert werden und wie sie auch von Organisationssoziologen zur Diskussion gestellt wurden, sollten dringend beachtet werden. Es alles beim Alten zu belassen wäre ohne Zweifel die schlechteste Option. Auch ehrenamtliche Führung kann äußerst kostenintensiv und wirkungslos sein. Mancher Verbandsrat eines olympischen Fachverbands kann diese These nachdrücklich belegen. Das Ehrenamt im Sport ist kein Wert an sich, auch dieses „Amt“ muss sich durch seine Funktionalität, seine Effizienz und seine Glaubwürdigkeit rechtfertigen.

Es jedoch lediglich dem Zeitgeist zu opfern, wäre nicht weniger fatal. Die Idee einer ausschließlich hauptamtlichen Führung in den Sportorganisationen ist sich der Unterstützung durch den Zeitgeist derzeit sicher. Angesichts der in den Medien längst üblich gewordenen Sportfunktionärsschelte erhält diese Idee auch den Applaus von geschichtsunkundigen Journalisten und einer jung-dynamischen Managergeneration. Durchdacht sind diese Ideen jedoch nur selten und schon gar nicht entsprechen sie der demokratischen Gemeinwesensstruktur der deutschen Turn- und Sportvereine. Die Tradition der ehrenamtlichen Arbeit ist schon über 150 Jahre alt, sie ist dennoch äußerst zeitgemäß. Wer sie in Frage stellt, weiß nicht was er tut.

Verfasst: 15.12.2014

Erstveröffentlichung: Olympisches Feuer, Heft 01/2015, S. 6-7.