Zur Zusammenarbeit von Haupt- und Ehrenamt in Sportverbänden

Die Geschichte der freiwilligen Vereinigungen im Turnen und im Sport, die schon mehr als 200 Jahre währt, kann zu Recht als eine Erfolgsgeschichte der Ehrenamtlichkeit bezeichnet werden. Zahllose Freiwillige haben sich zusammengefunden im Interesse einer gemeinsamen Sache. Sie haben Abteilungen, Vereine und Verbände gegründet, und mit freiwilliger Arbeit wurden bedeutsame gesellschaftspolitische Leistungen erbracht. Organisatorisch fanden   Turnen und Sport gleichsam „nebenher“ statt. Der Begriff der „wichtigsten“ Nebensache hatte somit Bedeutung. Denn für die vielen Ehrenamtlichen in der 200- jährigen Turn- und Sportgeschichte war ihr Beruf, war das Arbeitsleben der Bezugspunkt ihres freiwilligen Handelns. Turnen und Sport hatten hingegen Freizeitcharakter, auch schon damals, als dieser Begriff noch gar nicht zum deutschen Sprachgebrauch gehörte. Mit dem Siegeszug des Turnens und des Sports, mit dem ökonomischen und politischen Wandel unserer Gesellschaft, mit den vielfältigen Veränderungen im Arbeitsleben und nicht zuletzt bedingt durch den wachsenden materiellen Wohlstand kam es zu einer Aufwertung von Turnen und Sport. Aus der Nebensache wurde eine politisch zunehmend bedeutsame Angelegenheit. Turnen und Sport waren nicht nur ein hilfreiches gesundheitspolitisches Medium. Sie waren und sind vor allem ein wichtiges pädagogisches Kulturgut. Der Sport wurde aber auch immer entschiedener zu einem interessanten Unterhaltungsobjekt und auf diese Weise zu einem relevanten ökonomischen Faktor, dessen Gewicht vor allem in der deutschen Volkswirtschaft heute nicht mehr übersehen werden kann.

Angesichts dieses Wandels lag es nahezu in der Natur der Sache, dass solch ein bedeutsamer gesellschaftlicher Bereich wie das Turnen und der Sport nicht mehr nebenbei zu organisieren und zu steuern ist. Aus einigen Ehrenamtlichen, die vermutlich ihrer Freizeit größere Aufmerksamkeit widmeten als ihrer beruflichen Herkunft, wurden die ersten Hauptamtlichen des Sports. Halbtagsarbeit war der Einstieg in die Verberuflichung der Sportorganisation. Stundenweise beschäftigte Geschäftsführer und Schreibkräfte wurden zum Fundament verschiedenartigster Verwaltungsberufe im Sport.

Die Größe des Sportbetriebs verlangte sehr schnell nach Geschäftsstellen, Büropersonal wurde benötigt und schleichend wurden auf diese Weise die Sportorganisationen zu Arbeitsinstitutionen des Dienstleistungssektors. Heute sind alle Organisationen des Sports, die den Charakter von freiwilligen Vereinigungen aufweisen, von einem Gemisch aus Ehrenamtlichkeit und Hauptamtlichkeit geprägt, das allerdings je nach Sportorganisation höchst unterschiedliche Qualitäten und Quantitäten aufweisen kann. Bezogen auf eine Sportart – wie zum Beispiel die Leichtathletik – dominiert unter quantitativen Gesichtspunkten nach wie vor die Ehrenamtlichkeit das sogenannte Hauptamt. Diese Beobachtung gilt vermutlich für alle deutschen Sportfachverbände somit auch für jene Verbände, die in ihrer Professionalisierung sehr weit fortgeschritten sind.

In den Vereinen, der Basis unseres Sportsystems, werden die Sportarten nahezu ausschließlich ehrenamtlich geführt. Die Leitungsfunktionen wie Vorsitzender, Schatzmeister, Presse-, Jugend- oder Wettkampfwart werden ausnahmslos ehrenamtlich wahrgenommen. Auch die Trainer und Übungsleiter haben bestenfalls eine nebenamtliche Position. In der Regel sind sie über einen Beruf in den Arbeitsmarkt eingebunden oder sie befinden sich in der Ausbildung. Nur eine kleine Minderheit von Vereinen ist finanziell in der Lage, sich hauptamtliche Geschäftsführer und Trainer zu leisten.

In der hierarchischen Gliederung, wie sie sich in Deutschland darstellt, folgen auf die Vereinsebene sportartübergreifende „Sportkreise“, die in ihrer Ausdehnung weitgehend an die Grenzen der kommunalen Gebietskörperschaften angelehnt sind, bis hin zu den Landessportverbänden/-bünden. Ähnlich strukturiert sind die auf eine Sportart ausgerichteten „Fachverbände“. Auch sie haben Organisationsformen auf Bezirks-, Landes- und Bundesebene. Landessportverbände/-bünde und die Bundesfachverbände bilden gemeinsam den DOSB als den „Dachverband“ des deutschen Sports. In den regionalen Gilderungen dominiert nach wie vor die Ehrenamtlichkeit. Hier gibt es jedoch bereits Geschäftsstellen der Fachverbände, die teilweise schon mehr als 10 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen haben und die Geschäftsstellen der Landesportbünde/-verbände können eine erheblich größere Mitarbeiterzahl aufweisen.

Entgegengesetzt verhält es sich auf der nationalen Ebene des deutschen Sports. Da z. B. der Deutsche Leichtathletik-Verband sich als Fachverband, wie viele andere Fachverbände auch, dadurch auszeichnet, dass nicht Athletinnen und Athleten oder Vereine, sondern seine Landesverbände die Mitglieder dieser Organisation sind, ist sein personell größtes Gremium der Verbandsrat, in dem das Präsidium mit den 20 Landesverbandspräsidenten/-innen die Geschicke der deutschen Leichtathletik steuert. Auf nationaler Ebene stehen dabei ca. 35 ehrenamtliche Repräsentanten der deutschen Leichtathletik den mehr als 40 hauptamtlichen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen und weiteren 180 nebenamtlichen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen gegenüber. Aus rein quantitativer Sicht könnte man somit davon ausgehen, dass auf nationaler Ebene das Hauptamt das Ehrenamt dominiert. Am deutlichsten wird dieser Kontrast, wenn man die Anzahl der hauptamtlichen Mitarbeiter im Haus der Leichtathletik mit der Anzahl der ehrenamtlichen Mitglieder des Präsidiums vergleicht. Entsprechende quantitative Verhältnisse lassen sich inzwischen vermutlich in vielen Sportorganisationen finden.

Allein dieses zahlenmäßige Ungleichgewicht zwischen Haupt- und Ehrenamt, das von der lokalen bis zur nationalen Ebene zu beobachten ist, lässt eine ganze Reihe von Konflikten vermuten, die in den Sportorganisationen bei genauer Betrachtung auch nahezu täglich anzutreffen sind.

Strukturelle Konflikte in Sportorganisationen

Auf der Grundlage mehrjähriger teilnehmender Beobachtungen in unterschiedlichen Organisationen des deutschen Sports, lassen sich für mich mindestens fünf typische Strukturkonflikte in der Beziehung Hauptamt – Ehrenamt benennen:

Informationskonflikte

Darunter wird das Problem verstanden, dass die Hauptberuflichen aufgrund ihrer Stellung Informationen produzieren müssen, die Rezeption dieser Informationen durch die Ehrenamtlichen aber freiwillig ist.

In Sportorganisationen gibt es eine Reihe kritischer und problematischer dialogischer Konstellationen. Hauptamtlicher Generalsekretär vs. ehrenamtlicher Präsident, Generalsekretariat vs. ehrenamtliches Präsidium, hauptamtliche Mitarbeiter vs. ehrenamtliche Kommissionsvorsitzende, Schatzmeister vs. hauptamtlicher Finanzdirektor, so und ähnlich lauten die dialogischen Konstellationen. Für den Hauptamtlichen besteht dabei prinzipiell Frustrationsgefahr. Das, was hauptamtlich erarbeitet wird, wird in vielen Fällen nur unzureichend oder gar nicht zur Kenntnis genommen, nicht gelesen, nicht weitergegeben, möglicherweise gar nicht verstanden. Dies gilt vor allem dann, wenn in den dialogischen Konstellationen unterschiedliche Kompetenzen aufeinandertreffen. Was am „Dach“ einer Sportart täglich produziert und kommuniziert wird, kann deshalb an der Basis schon allein aus strukturellen Gründen keine Rezipienten und Abnehmer finden. „Der Teilnehmer ist zurzeit nicht erreichbar“: Jene bekannte Stimme aus dem Telefon muss zwangsläufig auch für die Kommunikation in Sportorganisationen gelten. Ökonomisch kann dies erhebliche Verluste hervorrufen. Veranstaltungsplakate, Publikationen mit großer Auflage, Kampagnen zur Talentgewinnung oder Mitgliederwerbeaktionen enden unausgepackt in Garagen oder unter der Treppe einer Geschäftsstelle, weil weder Zeit noch Arbeitskraft zur Verfügung stehen, um die notwendigen Distributionen zu gewährleisten. Bestenfalls kommt die Papierflut der Altpapiersammlung der Vereinsjugend zugute.

Als besonders problematisch ist das Phänomen „asymmetrischer Informationen“ dann zu bewerten, wenn die Ehrenamtlichen in den Sportorganisationen wichtige Entscheidungen zu treffen haben, wobei sie infolge ihrer eingeschränkten zeitlichen Mitarbeit und bedingt durch den regelmäßigen Wechsel in ehrenamtlichen Gremien mitunter nur unvollständige Informationen besitzen. Die Entscheidungen werden daher häufig aufgrund einer „verzerrten Datenlage“ getroffen. Die Hauptamtlichen hingegen verfügen intern über die notwendigen Informationen, die sie durch ihre berufliche Arbeit in der Organisation sammeln konnten.

Kompetenzkonflikte

Damit wird das Problem angesprochen, dass der für seine Position notwendige Kompetenzbeweis des Hauptberuflichen die Einhaltung der „Binnenmoral des Verbandshandelns“ gefährdet, nämlich so zu tun, als ob der hierarchisch übergeordnete Ehrenamtliche auch gleichzeitig Experte sei. Kompetenzüberlegenheit zu zeigen, erfordert daher vom Hauptberuflichen die Kunst, gleichzeitig seine sozialstrukturelle Unterlegenheit glaubhaft zu demonstrieren.

Die quantitative Dominanz der Hauptamtlichkeit auf der nationalen Ebene ist nur ein Merkmal, welches das Verhältnis zwischen Haupt- und Ehrenamtlichkeit kennzeichnen kann. Wichtiger ist es, dass man die qualitative Beziehung zwischen Haupt- und Ehrenamt beachtet. Und dabei wird auf nationaler Ebene deutlich, dass sich zumindest teilweise die quantitative Dominanz auf qualitativer Ebene in eine ohnmächtige Abhängigkeit verkehrt, wenn man die Beziehung der Hauptamtlichen zu ihren Ehrenamtlichen betrachtet. Ehrenamtlichkeit auf nationaler Ebene bedeutet immer auch Macht, Aufsichtsgewalt, Interessenvertretung und Interessendurchsetzung, Eigeninteressen und deshalb nicht selten auch Eitelkeit und Imponiergehabe. Gewiss kann auch die Hauptamtlichkeit durch fachliche Kompetenz Macht erlangen, ja sie kann häufig auch mittels einer cleveren Kommunikationspolitik mächtiger als die Ehrenamtlichen selbst sein. Doch erreicht ein Hauptamtlicher diese Macht, so hat er die Spielregeln unterlaufen, die dem Verhältnis zwischen Ehren- und Hauptamt idealtypisch vorgegeben sind und nicht selten ist der Hauptamtliche auf diese Weise zu einem hauptamtlich bezahlten Ehrenamtlichen mutiert, ohne dass er dies selbst wahrnimmt. An dieser Stelle muss hinzugefügt werden, dass eine solche „Mutation“ auch für die Ehrenamtlichen möglich ist und immer häufiger werden aus ehrenamtlichen Führungskräften des Sports hauptamtlich-Ehrenamtliche. Sie unterscheiden sich von den Hauptamtlichen lediglich dadurch, dass sie ihr Gehalt von Dritten beziehen, die es wiederum zulassen, dass die von ihnen finanzierte Arbeitskraft zweckentfremdet wird.

Grundsätzlich gilt jedoch, dass sich ein hautamtlicher Mitarbeiter in einer Sportorganisation in erster Linie als „Dienender“ zu definieren hat und es ist jedem Mitarbeiter und jeder Mitarbeiterin zu empfehlen, dass sie sich bei einer Entscheidung zugunsten eines Arbeitsplatzes in einem Sportverband dessen bewusst ist. Mit dem Begriff „Dienender“ kann freilich Vielfältiges gemeint sein. Der Hauptamtliche muss immer dann zur Verfügung stehen, wenn seine ehrenamtlichen Vorgesetzten dies wünschen. Ein später Abendtermin kann dabei ebenso eine Selbstverständlichkeit sein wie die oft überlangen Arbeitszeiten an Wochenenden. Sitzungen können am Wohnort des Ehrenamtlichen stattfinden und befindet sich dieser auf der Durchreise, so hat der Hauptamtliche sich in einer Lounge des Flughafens mit seinem Präsidenten zu treffen. Hauptamtliche haben ihre Ehrenamtlichen zu „präsentieren“, wenn es um öffentliche Auftritte geht. Nicht selten ist der Hauptamtliche Ober, Koch, Chauffeur und Telefonvermittler in einer Person.

Rekrutierungskonflikte

Bei Rekrutierungskonflikten kollidiert die Wahllogik der Ehrenamtlichen mit der Expertenlogik der Hauptberuflichen. So muss der Ehrenamtliche Dazugehörigkeitsgefühl („Stallgeruch)“ und so etwas wie „Charakter“ demonstrieren, um die Wahl zu gewinnen, während der Hauptberufliche Expertise zeigen muss. Um aber überhaupt Expertise in einer entsprechenden Position demonstrieren zu können, muss sich der Hauptberufliche dem „Charakter“ des Ehrenamtlichen weitgehend anpassen.

Die oben beschriebenen „Mutationen“ deuten darauf hin, dass das Verhältnis zwischen Ehrenamt und Hauptamt auf nationaler Ebene in den Sportverbänden erhebliche Schwierigkeiten aufweisen kann, die von den Beteiligten nur bedingt gemeistert werden können. Ja, es ist zu vermuten, dass dieses Verhältnis durch strukturlogische Fallen geprägt ist, aus denen es kaum ein Entrinnen gibt. Die Ehrenamtlichen in den nationalen Führungsgremien des Sports haben nahezu alle ihre Karriere mit einem Wahlsieg begonnen. Nach oft schwierigen, teilweise auch sehr unfairen, von Intrigen geprägten Wahlkämpfen haben sie sich gegenüber einem oder mehreren Mitbewerbern/-innen durchgesetzt. Mit geschwellter Brust stellen sie sich nach ihrem Wahlsieg der Presse und versprechen, dass unter ihrer Führung nunmehr alles anders und besser werden soll. Dabei setzen sie sich hohe Ziele. Ob sie für das, wofür sie gewählt wurden, kompetent sind, wird von ihnen selbst nicht bezweifelt. Vor ihrer Wahl wurde es von den Wählern jedoch meist auch nicht überprüft. Ob sie bereit sind, Zeit und Kraft einzubringen, ob sie geeignete Persönlichkeiten über die fachliche Kompetenz hinaus für dieses Amt sind, all diese Fragen werden von den Wählern im Sinne eines offenen Schecks akzeptiert. Der so ins Amt gesetzte Mann – Frauen sind es nur ganz selten – wird nun mit einer Hauptamtlichkeit konfrontiert, die mit dem Vorgänger zusammengearbeitet hat und die selbst glaubt zu wissen, was in der Sache richtig und angemessen ist und die sich in einem Arbeitsplatz eingerichtet hat, der sich notwendigerweise durch Alltagsroutine auszeichnen muss. Der Generalsekretär, der zuvor zum alten Präsidenten das beste Verhältnis hatte, muss sich mit einem neuen Präsidenten arrangieren, die hauptamtlichen Direktoren müssen ein Verhältnis zu ihrem neuen Bundesausschussvorsitzenden finden, die Referenten müssen „Zugang“ zu den neuen ehrenamtlichen Kommissionsmitgliedern bekommen. Die Hauptamtlichen sagen dazu: „Anpassungsfähig musst Du sein“. So wie sich in Ministerien von heute auf morgen die Mitarbeiter von einem „roten“ zu einem „schwarzen“ Staatssekretär und Minister einstellen müssen, so kann es den Hauptamtlichen in den Sportorganisationen passieren, dass plötzlich nach einem Hamburger ein Bayer ihr Vorgesetzter wird, was in der Regel problemlos ist. Es kann aber auch sein, dass ein fachlich Kompetenter durch einen Dilettanten abgelöst, dass ein distanzierter, kritischer Vorgesetzter durch einen eitlen, selbstsüchtigen Gernegroß ersetzt wird.

Das Rekrutierungsproblem bei den Hauptamtlichen wird allerdings kaum befriedigender gelöst. Offene Stellenausschreibungen sind eher die Ausnahme, das hauptamtliche Personal kann oft nur auf eine Sozialisation im System des Sports verweisen. Ein Sportlehrerstudium oder eine Athletenkarriere scheinen dabei Voraussetzung für alles zu sein. Finanzwirtschaftliche, Organisations- und Managementkompetenzen sind ganz selten anzutreffen. Vetternwirtschaft und mangelnde Karriereplanung sind deshalb die naheliegende Folge.

Machtkonflikte

Dahinter steckt die Problematik, dass die Demonstration von Macht eigentlich nicht ohne Expertise geht und umgekehrt, dass aber aufgrund der gegebenen Strukturbedingungen Ehrenamtliche und Hauptamtliche formal nicht gleichzeitig über beides verfügen können. Lösungen für dieses Problem lassen sich nur auf der informellen Ebene finden, indem z.B. ein „doppeltes Spiel“ gespielt wird.

Betrachtet man unter formellen Gesichtspunkten das Verhältnis zwischen den Haupt- und Ehrenamtlichen in den nationalen Sportorganisationen, so ist insbesondere, folgt man dabei den Satzungen, das Verhältnis unter Machtgesichtspunkten geklärt. In den meisten Sportverbänden verfügen nach wie vor die Ehrenamtlichen über die Macht, denn sie haben in den wichtigen Entscheidungsgremien Sitz und Stimme. Bei den Präsidiumssitzungen und den Sitzungen des Geschäftsführenden Präsidiums ist zwar die Anwesenheit der Hauptamtlichkeit erwünscht, und in manchen Verbänden hat der Generalsekretär auch Sitz und Stimme. Doch das „Sagen“ in den Sitzungen haben die Ehrenamtlichen, das oft auch dann, wenn sie eigentlich nichts zu sagen haben. Und die Entscheidungen obliegen meist nur den Ehrenamtlichen, auch dann, wenn besser nicht entschieden werden sollte. Sie entscheiden über die Verbandspolitik, sie entscheiden über die Finanzen und auch die wichtigsten Personalfragen werden von der Ehrenamtlichkeit entschieden. Die formalen Machtverhältnisse, das zeigt jedoch die Praxis – insbesondere dann, wenn man auch die Gelegenheit hat, über teilnehmende Beobachtung Sportorganisationen über einen längeren Zeitpunkt zu begleiten –, entsprechen nur bedingt den tatsächlichen Machtverhältnissen. Betrachtet man diese genauer, so können verwirrende Verwerfungen sichtbar werden. Ehrenamtlichkeit kann dabei ebenso ohnmächtig sein wie Hauptamtlichkeit und auf der „Vorderbühne“ dominieren andere Machtverhältnisse als auf der „Hinterbühne“. Ja, es können sich sogar Mutationen ereignen, wobei ein ehrenamtlicher Präsident zunehmend zu einem Hauptamtlich-Ehrenamtlichen wird und ein hauptamtlicher Generalsekretär zunehmend ein ehrenamtlich-hauptamtlicher Generalsekretär sein kann. Die Machtverhältnisse werden dabei über die Kommunikationen definiert, die je nach Interesse ermöglicht oder verhindert werden können. Will der Ehrenamtliche mächtig sein, so benötigt er die Zuarbeit seines Hauptamtlichen, will der Hauptamtliche seine Macht ausspielen, so wird das Mittel der Kommunikationsbegünstigung bedeutsam. Wird die Zusammenarbeit zwischen Haupt- und Ehrenamtlichkeit durch dieses Merkmal geprägt, so darf es nicht verwundern, dass sich die Kommunikation in den nationalen Sportorganisationen gelegentlich auch durch Intrigen auszeichnet. Dem Auftritt auf der „Vorderbühne“ stehen intrigante Spiele auf der „Hinterbühne“ entgegen, wie im klassischen Theater wird auch auf den „Bühnen“ der nationalen Sportorganisationen ein doppeltes Spiel gespielt.

Eine besonders bedeutsame Rolle spielen dabei jene Hauptamtliche, die Einblick in finanzielle Strukturen des Verbandes haben. Es sind Personen, die mittels ihres Wissens insbesondere gegenüber den Landesverbänden als Gönner auftreten können und Entscheidungen gegen oder zugunsten von Landesverbänden beeinflussen. Sehr verschiedenartige Mittel kommen dabei zum Einsatz. So können Landesverbände rituell auf der Ebene von Ehrungen und Preisen begünstigt werden. Bei Vergabe von Meisterschaften, die in der Regel zu wichtigen Einnahmen der Landesverbände führen, kann es ebenfalls Vergünstigungen geben, aber auch bei der Budgetierung der Veranstaltungen, bei der Gestaltung der Haushaltspläne, bis hin zur Begleichung von verschiedenen Abrechnungen kann es Bevorzugung und Benachteiligung geben. Ist ein hauptamtlicher Finanzdirektor über mehrere Jahrzehnte verantwortlich für einen Verband tätig, so verfügt er über ein Machtwissen, das von den Ehrenamtlichen auch bei längeren Amtszeiten kaum erreicht werden kann. In allen grundlegenden Finanzentscheidungen gibt es auf diese Weise eine direkte Abhängigkeit von der Kompetenz des hauptamtlichen Direktors.

Nicht selten ist es dabei der Stammtisch, bei dem die verschiedenen Rollen bloßgelegt werden, die die Haupt- und Ehrenamtliche auf der Vorder- und auf der Hinterbühne der Sportorganisationen spielen können. Hinter vorgehaltener Hand wird über die Unfähigkeit des Präsidenten gelästert, der Schatzmeister wird als Witzfigur bezeichnet und ist ein Bundesvorsitzender für Lehre und Forschung lediglich faul und inkompetent, so gibt es nicht einmal den Schutz der vorgehaltenen Hand.

Es gibt Mutige und Aufrichtige und es gibt Feige und Hinterlistige, es gibt Personen, die ihr Spiel nur auf der „Hinterbühne“ spielen – und es gibt andere, die sich auf der „Vorderbühne“ durch Geradlinigkeit und Sachorientierung auszeichnen. Es gibt Fleißige und Intelligente, es gibt Faulenzer und Dummköpfe, es gibt Angepasste, Fußlecker und Abhängige, devote Knechte stehen Engagierten und Ehrlichen gegenüber. Manchmal sind all diese Eigenschaften in einer Person vereint und all diese Eigenschaften können auf Ehrenamtliche ebenso wie auf Hauptamtliche zutreffen. Begann die Wahl eines Ehrenamtlichen noch mit der stolzgeschwellten Brust beim entscheidenden Verbandstag, so ist nicht selten schon nach wenigen Sitzungen zu erkennen, dass sich seine Mitarbeit auf das Absitzen eines Stuhles beschränkt und ansonsten diese Mitarbeit nur unnötige Kosten für den Verband erzeugt. Ein anderer, strotzend vor Selbstbewusstsein, lässt sich acht Jahr lang als Attrappe seines hauptamtlichen Direktors vorführen, ohne dass er selbst es bemerkt. Rituelle Redebeiträge, bei denen auch vor künstlicher Intellektualität nicht zurückgeschreckt wird, werden von allen übrigen Präsidiumsmitgliedern mit einem gequälten Lächeln hingenommen, „Häuptling ondulierte Locke“ darf seine Auftritte auf der „Vorderbühne“ haben, der hauptamtliche Direktor hingegen spielt das mächtige Spiel auf der „Hinterbühne“, ohne dass es für ihn einen Identitätsverlust bedeuten könnte, einmal ganz vorne mit dabei zu sein. Hinter dem Rücken oder mit vorgehaltener Hand redet bei solch einem Verhältnis zwischen Haupt- und Ehrenamtlichkeit jeder über jeden. Bei einer derartigen Konstellation haben die Hauptamtlichen sich längst ihre Schubladen eingerichtet, in die sie ihre Ehrenamtlichen stecken. Kumpelhaftes, oberflächliches gegenseitiges Duzen tut ein Übriges, um eine sachgemäße Kommunikation zu vernebeln.

Nicht weniger despektierlich kann auch die Sprache der Ehrenamtlichen sein, wenn von der Arbeit und den Leistungen der Hauptamtlichen die Rede ist. Die „Beamtenmentalität“ der Hauptamtlichen wird kritisiert, das „Arbeiten nach der Stechuhr“ in Frage gestellt und das unzureichende freiwillige zusätzliche Engagement wird beklagt. Sachbearbeiter werden als unfähig deklariert, bestimmte Direktoren werden zum Dauerobjekt der Personalkritik in den Sitzungen der geschäftsführenden Präsidien und fachlich unzureichend ausgebildete Sekretärinnen werden als Sozialfälle verschleppt. Dies alles geschieht mehr oder weniger offen. Das Thema ist Tagesordnungspunkt in Präsidiumssitzungen oder wird bei den in Sportverbänden sehr beliebten und sehr häufig anzutreffenden Telefonkonferenzen thematisiert. Auffällig ist dabei jedoch, dass die Kommunikationen meist folgenlos bleiben. Weder ändert sich etwas in der Struktur der Ehrenamtlichkeit, noch kommt es zu einer Ablösung jener Hauptamtlichen, die als faul oder als inkompetent betrachtet werden.

Vielmehr wird die Beziehung zwischen Haupt- und Ehrenamt durch das Prinzip des Familienfriedens dominiert. Da sich alle meist sehr lange und sehr gut kennen, Duzen die Hauptamtlichen die Ehrenamtlichen und umgekehrt. Ehrenamtliche und Hauptamtliche, die ihre Wurzeln meist im Sport haben, sind deshalb letztlich doch vor allem „Sportler“. Deshalb muss in den eher geschäftlichen Beziehungen zwischen Haupt- und Ehrenamt dem Prinzip des „Fair play“ Rechnung getragen werden. Die hauptamtlichen Mitarbeiter der Sportverbände arbeiten in diesen deshalb meist lebenslänglich, doch auch die Ehrenamtlichen finden nur selten ein freiwilliges Ende in ihrem Engagement.

Besoldungskonflikte

Sie beschreiben das Problem, dass die Belohnungsstruktur von Hauptberuflichen in Sportorganisationen häufig weder formalen Regelungen noch einer Überprüfung der erbrachten Leistung unterliegt.

Die Qualität der ehrenamtlichen und hauptamtlichen Arbeitsverhältnisse in den Sportorganisationen ist nicht unwesentlich auch von den organisatorischen Verhältnissen in den Organisationen selbst abhängig. Da die Sportorganisationen vorrangig horizontal ihre Arbeit in ihren Geschäftsstellen gliedern, gleichzeitig die einzelnen Geschäftsbereiche jedoch sehr unterschiedlich ausgestattet sind, gibt es auch von Arbeitsbereich zu Arbeitsbereich sehr unterschiedliche Macht – und Ohnmachtstrukturen zwischen Haupt- und Ehrenamtlichkeit. Hinzu kommt, dass angesichts der Bedeutung der unterschiedlichen Positionen, meist aber auch aufgrund arbeitsrechtlicher Widrigkeiten sich in den vergangenen Jahren eine nur selten gerechte Belohnungsstruktur für die Hauptamtlichen in den Organisationen des Sports entwickelt hat. Da es in Sportorganisationen üblich ist, dass Hauptamtliche, sollten sie an ihrem Arbeitsplatz auch erhebliche Defizite aufweisen, in der Regel nicht entlassen, allenfalls versetzt werden, führen Erneuerungen der Personalstruktur notwendigerweise zu hauptamtlichen Besoldungskonflikten. Erschwerend kommt hinzu, dass es für Hauptamtliche des Sports keinen tragfähigen (funktionierenden) Markt gibt und damit mangelt es an Anreizen für Mitarbeiter. Nur die Besten sind vermittelbar. Nicht wenige Mitarbeiter müssen bei gesicherter hoher Besoldung bis zu ihrer Pensionierung „durchgefüttert“ werden, ohne dass noch irgendwelche weiterführende Erwartungen an sie gerichtet werden. Es kommt noch verschärfend hinzu, dass es auch für die hauptamtlichen Führungskräfte keine angemessene Qualitätskontrolle gibt. Die Ehrenamtlichkeit ist meist aus zeitlichen Gründen dazu nicht in der Lage. Auf diese Weise kontrollieren sich die Hauptamtlichen selbst, ohne über geeignete Kontrollmaßstäbe zu verfügen.

Deshalb ist nicht selten eine in den Sportorganisationen latente Hierarchie zwischen den Hauptamtlichen zu beobachten, die über die formale Arbeitsverteilung nicht definiert ist. Die dabei entstehenden Konflikte zwischen den hauptamtlichen Mitarbeitern werden nur selten von der Ehrenamtlichkeit in angemessener Weise erfasst, in der Regel werden sie vielmehr verdrängt, wobei dies auch an den Hauptamtlichen selbst liegt, die sich angesichts ihrer Abhängigkeit zur Ehrenamtlichkeit nicht durch ein besonderes Konfliktbewusstsein auszeichnen.

Schussbemerkungen

Die hier vorgelegten Beobachtungen zum Verhältnis der Hauptamtlichen zu den Ehrenamtlichen bedürfen der Präzisierung und sie verlangen nach systematischer Einordnung. Die Zusammenarbeit zwischen einem hauptamtlichen Geschäftsführer in einem Großverein und seinem Vorstand zeichnet sich durch andere Merkmale aus als die Zusammenarbeit einer Geschäftsstelle eines Landessportbundes mit ihrer heterogenen ehrenamtlichen Führung. Nationale Fachverbände, die vorrangig auf den Hochleistungssport ausgerichtet sind und der Erfolg bei internationalen Wettkämpfen im Mittelpunkt des Verbandsinteresses steht, haben eine Beziehung zwischen Haupt- und Ehrenamtlichen zur Folge, bei der ganz andere Probleme relevant sein können als dies für die nationale Dachorganisation DOSB der Fall ist. Hat man auch noch ergänzend die Möglichkeit, internationale Sportorganisationen zu beobachten, so kann man erkennen, dass in den internationalen Fachverbänden sich die Probleme zwischen Haupt- und Ehrenamtlichkeit erheblich verschärfen können. Dabei spielt die Fremdsprachenkompetenz eine ganz wesentliche Rolle. Ähnlich wie in den nationalen Fachverbänden wird dort jedoch das wohl brisanteste Problem zwischen Haupt- und Ehrenamt dadurch hervorgerufen, dass die Wahl der Ehrenamtlichen zumeist unter Proporz-Gesichtspunkten erfolgt und die fachliche Kompetenz der Kandidaten für ihre Wahl somit so gut wie keine Rolle spielen darf und kann. Wo immer Stimmpakete für die zu besetzenden Positionen in den Führungsgremien ausschlaggebend sind, ist anzunehmen, dass solche Gremien in der alltäglichen Verbandsarbeit eher zur Belastung werden als dass sie eine konkrete Hilfe sein können.

Die über die hier vorgelegte Beobachtungsskizze aufgezeigten Probleme der Kommunikation zwischen Haupt- und Ehrenamt bedürfen ohne Zweifel einer ergänzenden systematischen Reflexion, will man zu den dringend erwünschten Lösungen kommen. Für eine weiterführende Bearbeitung dieser Thematik wäre deshalb anzuraten, dass der Blick über die Sportorganisationen hinaus erfolgt, um eine angemessene Antwort auf die Frage zu finden, wie die Beziehung zwischen Haupt- und Ehrenamt in freiwilligen Vereinigungen optimal gelöst werden kann. Aber auch in anderen Sportsystemen zeichnen sich Modelle ab, deren Analyse lohnenswert sein könnte. So z.B., wenn Ehrenamt und Hauptamt sich durch Parität in den Führungsgremien auszeichnen und wenn auch für das Ehrenamt exakte Anforderungsprofile definiert werden müssen. Auf diese Weise kann es zu einer grundlegenden Professionalisierung eines Verbandes kommen.

Letzte Überarbeitung: 28.03.2021