Wettkampfsport im Verein – eine zentrale Aufgabe?

1. Anliegen

Die Überschrift zu diesem Beitrag ist mit einem Fragezeichen gekennzeichnet. Fragen erzeugen gewöhnlich Spannung. Sie sind Mittel einer auf Spannung ausgerichteten Dramaturgie. Diese Qualität soll den folgenden Ausführungen nicht zukommen. Der in der Überschrift gestellten Frage soll vielmehr ihr rhetorisch-dramatischer Charakter gleich zu Beginn genommen werden, indem im Sinne einer These eine eindeutige Antwort gegeben wird:

Der Wettkampfsport war, ist und sollte auch in der weiteren Zukunft eine zentrale, ja möglichst sogar die zentrale Aufgabe der Sportvereine sein.

Mit dem Begriff „Wettkampfsport“ soll dabei zweierlei gekennzeichnet werden. Das sportliche Handeln im Verein, z.B. das Handballspiel, die Kippe am Reck, der Aufschlag im Tennis, sollte sich dadurch auszeichnen, dass es agonalen Charakter hat. Das heißt, der Sporttreibende im Verein orientiert sein Handeln an einer von ihm selbst oder von außen gesetzten Leistungsnorm, die er durch Einsatz eigener (also nicht fremd-manipulierter) Fähigkeiten und Anstrengungen zu erreichen sucht. Diese Idee des leistungsbetonten Wettkampfs sollte – so meine ich – das sportliche Handeln aller Mitglieder in Sportvereinen prägen. Dabei ist es eher unwesentlich, ob solches Handeln allein, in einer Gruppe, in organisierter Weise im Verein oder in Konkurrenz zwischen verschiedenen Vereinen stattfindet. Mit diesem Verständnis von wettkampforientiertem Sport bleiben alle fragwürdigen Formen des Hochleistungssports in prinzipieller Weise ausgegrenzt.

Der kulturelle Wert des leistungsbezogenen Wettkampfes wird hingegen dadurch sichtbar. Persönliche Leistungen oder Leistungen von Gruppen, im Wettkampf mit anderen erbracht, bei gegenseitiger Anerkennung der Regeln einer Sportart, unter

Berücksichtigung der Prinzipien des Fair Play, darin liegt die besondere Zeigefunktion des Sports für unsere Gesellschaft, die ihre wichtigsten positiven Errungenschaften denjenigen Prinzipien zu verdanken hat, die damit zum Ausdruck gebracht werden. Offensichtlich wird mit dieser Festlegung, dass das in Diskussionen über den Sport mittlerweile übliche Gegensatzpaar „Freizeitsport – Wettkampfsport“ irreführend ist. Mein Plädoyer zugunsten des Wettkampfsports gilt vielmehr auch für alle Formen des sogenannten Freizeitsports, die diesen Merkmalen genügen. Mit Ausnahme des Berufssports findet der Wettkampfsport in der Freizeit statt. Er ist nicht weniger Freizeitsport wie jener Sport, der sich den Begriff der Freizeit als Etikette zu eigen machte, nicht selten in der zweifelhaften Absicht, sich vom angeblich ungeeigneten Prinzip des Wettkampfes und der Leistung im Sport zu distanzieren.

Wenn vom „Wettkampfsport im Verein“ die Rede ist, so verweist diese Redeweise meist auf jene Form systematisch organisierter Konkurrenz, die zwischen Personen und Gruppen stattfindet, die ihr Handeln im Sport nicht nur an sich selbst, sondern vor allem an anderen und mit schriftlich festgelegten Gütemaßstäben messen wollen. Das heißt, im organisierten Sport wird neben der Situation der ideellen Konkurrenz auch die Situation der organisierten personellen Konkurrenz gesucht. Dieses Verständnis von Wettkampfsport meine ich in erster Linie, wenn ich im Folgenden für die meines Erachtens so wichtige Aufgabe der Sportvereine plädiere, auch zukünftig sich der Sache des Wettkampfsports zu widmen. Diese Form des Wettkampfsports ist zunehmend in eine Krise geraten. Einige Fachverbände sind davon ganz erheblich betroffen. Ein gravierender Mitgliederschwund wie er in einigen Sportfachverbänden im vergangenen Jahrzehnt stattgefunden hat, muss dabei als ein bedrohliches Signal gedeutet werden. Die Krise zeigt sich über eine Vielzahl von Problemen, die die tägliche Vereinsarbeit in all jenen Vereinen in gravierender Weise belasten, die sich dem organisierten Wettkampfsport verpflichtet fühlen.

Die Feststellung, dass der Wettkampfsport eine wichtige Aufgabe der Vereine sein müsse, kann im Kontext einiger sportpädagogischer, kultursoziologischer und philosophischer Erörterungen über die Bedeutung des Wettkampfsports nicht überraschen. Mein Plädoyer für den Wettkampfsport basiert auf der Überzeugung,

  • dass Sportvereine auch in der weiteren Zukunft wirklich „Sportvereine“ bleiben sollten, d.h., sie sollten sich nicht zu „Freizeitvereinen“ verändern,
  • dass Sportvereine sich durch sporttypische, eigenständige Merkmale von anderen Sportanbietern zukünftig unterscheiden müssen, wollen sie die sich abzeichnende Konkurrenzsituation bestehen. Der Wettkampfsport ist dabei das zentrale Unterscheidungsmerkmal,
  • dass Sportvereine ihren Status der Gemeinnützigkeit in erster Linie auch dadurch erhalten können, dass sie sich durch eine besondere Verpflichtung gegenüber dem Prinzip der individuellen und kollektiven Leistung auszeichnen, dass sie sich außerdem als eine Solidargemeinschaft darstellen, die gegenüber sozial Schwächeren, insbesondere gegenüber Kindern, Jugendlichen und älteren Menschen, einen Solidarbeitrag erbringen.

Mein Plädoyer für den Wettkampfsport ist trotz oder gerade angesichts dieser Begründung problematisch. Meine Begründung kollidiert mit Überzeugungen, die in den letzten Jahren von immer mehr sportwissenschaftlichen Experten geäußert werden. Sie steht auch im Widerspruch zu jenen Verhältnissen, die in einer ganzen Reihe von deutschen Sportvereinen bereits existieren; und sie kollidiert schließlich mit dem „Zeitgeist“, der sich in erster Linie über die fragwürdige Äußerung kennzeichnen lasst: „Man kann das Rad der Zeit nicht zurückdrehen“. Hinzu kommt, dass mein Plädoyer in einigen Punkten lediglich auf Überzeugungen aufgebaut ist, bei denen man als jener, der sie äußert, selbst noch Zweifel hat, sie jedoch mangels besseren Wissens vertritt. Die Absicht, die ich mit meinen Ausführungen verknüpfe, ist dennoch offensichtlich: Ich möchte zu überzeugen versuchen, dass der Wettkampfsport im Verein eine zentrale Aufgabe sein sollte.

Um dies zu tun, möchte ich zuerst die Situation und die Probleme des Wettkampfsports in den Vereinen kennzeichnen. Ich möchte dann einige Empfehlungen unterbreiten, die meines Erachtens zur Lösung dieser Probleme beitragen könnten.

2. Probleme des Wettkampfsports im Verein

Wenn man die Situation des Wettkampfsports in den Vereinen und die dort existierenden Probleme beschreiben möchte, so ist es sinnvoll, sich dabei in erster Linie der Expertise der Praktiker vor Ort zu bedienen In Diskussionen mit ehrenamtlich tätigen Vereinsvorsitzenden hatte ich Gelegenheit, deren Erfahrungen und Meinungen zu diesem Thema kennenzulernen. Folgt man diesen Experten der Praxis, so lassen sich sechs Bereiche unterscheiden, in denen sich der Wettkampfsport als Problem der täglichen Vereinsarbeit darstellt:

  • Da ist zunächst und vorrangig der Wettkampfsport Gegenstand eines besonderen Zielkonfliktes
  • Zum zweiten stellt sich der Wettkampfsport als ein Mitgliederproblem dar.
  • Drittens gehen viele Probleme, die heute in Bezug auf den Wettkampfsport in Vereinen zu beobachten sind, mit dem Problem der Mitarbeitergewinnung einher.
  • Viertens ist der Wettkampfsport im Verein ein pädagogisches Problem, d.h. ein Problem der qualifizierten Unterbreitung eines pädagogisch anspruchsvollen Sportangebotes.
  • Fünftens ist der Wettkampfsport vermehrt ein organisatorisches Problem.
  • Schließlich und vor allem ist der Wettkampfsport auch ein Finanzierungsproblem.

Es ist mir hier nur möglich, jeden dieser Bereiche skizzenhaft zu kennzeichnen, und dort, wo es mir sinnvoll erscheint, entsprechende Daten aus empirischen Beobachtungen bereitzustellen, die geeignet sind, den Bereich etwas genauer zu erhellen. Ich gehe dabei von der Annahme aus, dass je größer unser Wissen zu einem Problembereich ist, desto eher werden wir in der Lage sein, Empfehlungen zur Lösung des Problems zu finden bzw. entsprechende Empfehlungen in Bezug auf ihre Eignung zu überprüfen.

2.1 Wettkampfsport als Zielkonflikt

Der Zielkonflikt in den Vereinen spiegelt sich in erster Linie im Angebot wider, das die Vereine ihren Mitgliedern unterbreiten. Er findet sich aber auch in den Zwecken der Satzungen, in denen die Funktionen und Aufgaben eines Sportvereins niedergelegt sind. Auf einen Nenner gebracht – und gewiss sehr grob vereinfachend – lautet der Konflikt: Soll der Verein den Prinzipien der sportlichen Leistung, des Wetteifers, der Konkurrenz im Wettkampfsport verpflichtet sein, oder soll der Verein möglichst vielen Menschen ein Angebot unterbreiten, das in erster Linie Spaß macht, wobei das Können, die sportliche Leistung und die zu überbietenden Maßstäbe nur eine nachgeordnete Rolle spielen? Mit anderen Worten ausgedrückt stellt sich somit die Frage: Welchen Zielen ist die Arbeit im Verein verpflichtet – der Idee des Wetteifers beim sportlichen Handeln, dem organisierten Wettkampfsport, einem Sport, der dem Leistungsprinzip verpflichtet ist, oder einem nicht an feste Regeln gebundenen Sport, einem Sport, der sozial- und gesundheitspolitisch orientiert ist, einem Sport, der individualistischen Freizeitbedürfnissen entspricht?

Der Wettkampfsport scheint in diesem Zielkonflikt zurzeit eher auf der Verliererstraße zu sein.

Das zeigt uns zunächst ein Einblick in die aktuelle Situation. In immer mehr Vereinen ist das Angebot, das in den Vereinen den Mitgliedern unterbreitet wird, dem sogenannten Freizeitsport verpflichtet. Dies gilt vor allem für mittlere und große Vereine und je mehr ein Verein sich dem Freizeitsport und Breitensportangeboten zugewendet hat, desto geringer wird seine Ausrichtung auf die Belange des Wettkampfsports. Der Freizeitsport ist dabei vor allem im mehrspartigen Großverein zu Hause. Der mehrspartige Großverein ist gleichzeitig jene Organisationsform, die die meisten Mitglieder der deutschen Sportvereine bindet. Im kleinen Verein scheint hingegen der Wettkampfsport noch immer einen zentralen ideellen Platz zu besitzen. Die Tendenz, dass der Wettkampfsport auf der Verliererstraße ist, zeigt uns aber auch ein Einblick in die zukünftigen Pläne der Sportvereine. Fragt man die Vereinsvorsitzenden, was sie in der nächsten Zukunft beabsichtigen, ob sie beispielsweise eine neue Sportart in ihr Vereinsangebot als reine Wettkampfsportart aufzunehmen bereit sind, oder ob sie eher ein neues Übungsangebot als reinen Freizeitsport hinzufügen werden, so zeigen alle Befragungen, dass auch diesbezüglich die zukünftige Orientierung der Vereine dem Freizeitsport gilt.

Der Wettkampfsport ist nicht zuletzt auch deshalb auf der Verliererstraße, weil die Empfehlungen einiger Experten, auf die ganz offensichtlich immer mehr Vereine hören, diese Richtung andeuten. So lautet z.B. die Empfehlung eines Marketing-Experten für eine angebotspolitische Strategie der Vereine folgendermaßen: Vereine, die den Bedürfnissen des „erlebnisorientierten Teilmarktes“ Sportverein Rechnung tragen, verzichten auf die wahrgenommene Pflicht zu regelmäßigem Erscheinen, bieten „möglichst alternative Trainingstermine an“ und stellen das „Element der Freiwilligkeit“ in den Vordergrund, überlassen „die Entscheidung über einen anzustrebenden sportlichen Leistungserfolg dem einzelnen“, bieten „Abwechslung und Selbstentfaltungsmöglichkeiten durch das Eingehen auf individuelle Wünsche seitens der Sportler“, sind „flexibler hinsichtlich der angebotenen Sportarten“, benötigen hierzu vielfach „keinen sportartengebundenen Trainer, sondern lediglich einen Übungsleiter, der den gemeinsamen Sportbetrieb organisiert“.

Doch nicht nur einige Experten geben solche Ratschläge. Ein Sport, der nur am Prinzip der organisierten Konkurrenz, des organisierten Überbietens, des Trainings, der langfristigen Leistungssteigerung auf ein spezifisches Wettkampfereignis ausgerichtet ist, entspricht ganz offensichtlich nur noch selten den Interessen einer großen Mehrheit Jugendlicher und Erwachsener.

Fragt man nach den Wünschen von Jugendlichen, die sie mit dem Sporttreiben verknüpfen, so nehmen in der Rangskala der Wünsche „Spaß haben“, „sich körperlich wohlfühlen“, „Abwechslung haben“, „sich austoben“, „mit netten Menschen zusammen sein“, vorrangige Positionen ein. Hingegen möchten die Jugendlichen nur noch nachgeordnet ihre „Kräfte mit anderen messen“, „anderen zeigen, was sie können“, „die Besten sein“ und selbst die „Teilnahme an Sportwettkämpfen“ ist eher ein unbedeutendes Bedürfnis im Vergleich zum Wunsch, „mit Freundinnen und Freunden gemeinsam Sport zu treiben“. Bei diesem Prozess ist zu bedenken, dass ein öffentlich produziertes Bild von Jugend und Sport auch das Verhalten dieser Jugend beeinflusst. Ansätze zu Einstellungen, die in empirischer Forschung identifiziert worden sind und über den öffentlichen Diskurs über Medien, die Politik, den Sport selbst oder Erziehungssysteme gelangen, verdichten sich zu konkreten Erwartungen, die dann wiederum zu wirklichen Einstellungen führen und entsprechende Verhaltensweisen nach sich ziehen. Auch die DSJ hat an diesem Prozess hinzu Freizeitaktivitäten und Trendsportarten einen großen Anteil. Aber dieses Phänomen gilt nicht nur für den Sport – und auch nicht nur für die Jugend.

Die Jugendorganisationen des Sports – auf Bundesebene die Deutsche Sportjugend – haben solchen veränderten Bedürfnissen längst Rechnung getragen. Betrachtet man ihre Ausführungen zu möglichen Angebotsformen, so wird man erkennen, dass der Wettkampf- und der Leistungssport für Jugendliche in diesen Ausführungen nur noch nachgeordnete Bedeutung haben. Einige Vertreter des Wettkampfsports, die noch aktiv in den Vereinen tätig sind, neigen angesichts solcher Trends zur Resignation. Ein von mir befragter Basketballtrainer aus Baden-Württemberg meinte: „Der Verein ist heute keine Heimstatt mehr, er wird nur noch als reiner Dienstleistungsbetrieb angesehen. Wer mehr Geld hat, geht dann ins Fitness-Studio, dem Verein bleiben die sozial Schwachen.“ Ein Leichtathletik-Landestrainer aus demselben Bundesland sieht die Situation nicht weniger brisant: „Im Jugendbereich ist die Decke sehr dünn geworden“.

Wenn im Verein ein Talent entdeckt wird, dann wird es heute gehegt und gepflegt, dass es dem Verein möglichst erhalten bleibt, um dann beim Übergang von der Jugend zur Aktiven-Klasse doch abzuwandern. Warum? Er ist als Leistungssportler Einzelgänger im Verein, der Trainer kann trotz bestem Willen keine weitere Zeit investieren, denn er hat ja sicher noch eine ganze Abteilung am Bein und ganz nebenbei ist er auch noch berufstätig und hat Familie? Das Talent braucht eine andere Wettkampfebene wie seine Vereinskameraden, die bisherige Einbindung in die Abteilung lockert sich. Welcher junge Mensch unterliegt nicht der Faszination, einem sogenannten ‚Erfolgsclub‘ anzugehören?

2.2 Wettkampfsport als Mitgliederproblem

Man kann heute auf die Tatsache nur noch im Sinne einer belehrenden Wiederholung hinweisen, dass sich die Bevölkerung der Bundesrepublik, und dabei vor allem die Gruppe der 15- bis 21-jährigen, auch noch im nächsten Jahrzehnt verringern wird. Dabei reduziert sich grundsätzlich die Anzahl jener Menschen, die potentiell bereit sein könnten, Wettkampfsport in den Vereinen zu treiben. Dieses Potential reduziert sich aber vor allem, weil gleichzeitig immer mehr Sportarten in der Bundesrepublik betrieben werden können. Die Anzahl der Sportarten hat sich in den letzten 50 Jahren von ca. 30 Sportarten auf mehr als 120 Sportaktivitäten erhöht. Dem Wettkampfsport ist dabei im System des Sports durch den Freizeitsport eine immer attraktivere Konkurrenz erwachsen. Die zwangsläufigen Folgen einer derartigen Entwicklung sind offensichtlich. In immer mehr Sportarten gibt es bzw. wird es zukünftig weniger aktive Athleten und Athletinnen geben. Das umfassend ausdifferenzierte System des Wettkampfwesens im deutschen Sport ist deshalb schon seit längerer Zeit brüchig werden. Ein Blick auf einige aktuelle Zahlen kann dies verdeutlichen. Betrachten wir z.B. die Entwicklung der Mannschaftsmeldungen zum Handballverband. So können wir erkennen, dass insbesondere im Bereich der A- und B-Jugendlichen ein Rückgang im Vergleich zu den jeweiligen Vorjahren zu verzeichnen ist. Gleichzeitig lässt sich jedoch erkennen, dass dort, wo intensiv um Kinder geworben wird, rückläufige Tendenzen aufgefangen werden können und es deshalb nicht ganz überraschend ist, dass der Sport in seiner Gesamtheit bis heute noch nicht direkt von der negativen Bevölkerungsentwicklung erfasst ist. In der Leichtathletik und im Schwimmen ist das Problem des Athletenpotentials nicht weniger gravierend als im Handball. Auch hier ist zu erkennen, dass wohl einige Vereine noch wachsen, aber das Potential jener Mitgliedsorganisationen, die bereit sind, organisierte Wettkämpfe zu betreiben, immer weiter schrumpft.

Doch nicht nur im Handball, beim Schwimmen und in der Leichtathletik ist das Problem der Athletengewinnung zentral geworden. Die Klagen der Abteilungsleiter und Übungsleiter über das Problem der Mannschaftsbildung im Jugendbereich sind allenthalben zu hören. Mannschaften müssen zurückgezogen werden, Vereine mit großer Wettkampftradition müssen plötzlich erkennen, dass es ihnen bereits über einen Zeitraum von mehreren Jahren nicht mehr gelingt, die verschiedenen Jugendlichen der C- bis zur A-Jugend mit Mannschaften zu beschicken, und dort, wo es dennoch gelingt, wird unter Bedingungen gespielt, die vor 10 Jahren als völlig undenkbar betrachtet wurden. Erschwerend kommt hinzu, dass dann, wenn Vereine über wenige, jedoch talentierte Athleten verfügen, die Förderung solcher Talente durch Abwerbung und Abwanderung in Frage gestellt werden. Motivationsverlust der Mitarbeiter sind eine Folge, die Einsicht in die Nutzlosigkeit von Investitionen zur Förderung junger Talente die andere, sehr weitreichende Folge.

2.3 Wettkampfsport als Mitarbeiterproblem

Die Notwendigkeit ehrenamtlicher Mitarbeit in Vereinen wird in Festreden häufig hervorgehoben. Die ideelle und materielle Leistung, die heute in den vielen deutschen Sportvereinen von Ehrenamtlichen erbracht werden, ist nach wie vor herausragend und bedarf einer angemessenen politischen Würdigung. Solch eine Bewertung kann jedoch nicht verdecken, dass die ehrenamtliche Mitarbeit in den Vereinen selbst immer mehr zum Problem geworden ist. Auch diesbezüglich scheint es so zu sein, dass dabei die ehrenamtliche Mitarbeit im Bereich des Wettkampfsports sehr viel problematischer ist als in allen übrigen Bereichen der Vereinsarbeit. Zum einen liegt dies daran, dass die Tätigkeit im Bereich des Freizeitsports in gewisser Weise attraktiver, weniger risikoreich und teilweise auch finanziell lukrativer ist. Zum anderen liegt es aber vor allem daran, dass die Mitarbeiter selbst – sind sie dem Wettkampfsport verpflichtet – zeitlich sehr viel intensiver belastet und dabei vor allem von ihren Fachverbänden, von übergeordneten Organisationen in vieler Hinsicht vernachlässigt oder überfordert werden. Von Vernachlässigung möchte ich insofern reden, als es bislang viel zu selten gelungen ist, den Übungsleitern vor dem Hintergrund ihrer intensiven zeitlichen Belastungen jene geeigneten Weiterbildungsinstrumente bereitzustellen, die es möglich machen, dass der Übungsleiter auf einem qualitativ anspruchsvollen Niveau seine Arbeit in den Vereinen erledigen kann. Von Überforderung möchte ich sprechen, weil meines Erachtens das ausgeklügelte System der Ausbildung für den Bereich des Wettkampfsports für viele Mitglieder des Vereins – sollten sie bereit sein, im Wettkampfbereich mitzuarbeiten – eine zeitliche und teilweise eine intellektuelle Überforderung darstellt. Die zeitliche Überforderung zeigt sich in mehrfacher Hinsicht. In vielen Vereinen müssen jene, die den Übungsbetrieb der Sportarten leiten, meist noch zusätzlich ehrenamtliche Arbeiten in ihren Vereinen leisten. Die Übungsleiter betreuen in der Mehrheit meist mehr als nur eine Übungsgruppe und erbringen dabei einen durchschnittlichen Zeitaufwand allein für die Arbeit mit ihren Übungsgruppen von 4-5 Stunden.

Die teilweise zu beobachtende intellektuelle Überforderung könnte das Resultat einer modernistischen Anpassung der Anforderungserwartungen sein, die zu einer Infragestellung traditioneller Laienkompetenz in den Sportvereinen geführt hat. Die Übungsleiterausbildung der Verbände hat sich dabei zu einem Lehrsystem verändert, das sich in erster Linie an wissenschaftlich orientierten Lehrplänen ausrichtet. Heute müssen wir feststellen, dass solch ein Ausbildungswesen nur bedingt den Belangen der alltäglichen Vereinspraxis genügt. Wir müssen außerdem erkennen, dass Übungsleiter, die auf diese Weise ausgebildet sind, für die alltägliche Arbeit in den Vereinen insofern zum Problem werden, als sie all jenen, die diese Ausbildung nicht besitzen, zum Spiegel werden, in dem diese ihre angeblichen oder tatsächlichen Schwächen erkennen müssen. So viel scheint heute sicher zu sein: Die Vereine sind nur noch bedingt in der Lage, ihre Übungsleiter auf jenem qualifizierten Niveau zu halten, das wünschenswert wäre, wenn sich der Wettkampfsport kontinuierlich weiterentwickeln soll. Deutlich wird dies, wenn wir danach fragen, wie sich die Vereine in den letzten Jahren an Fortbildungsmaßnahmen beteiligt haben. Nur weniger als die Hälfte der deutschen Sportvereine hat beispielsweise Mitglieder ihres Vereins zu Fachübungsleiterlehrgängen geschickt. Bei Schiedsrichterlehrgängen reduziert sich die Zahl auf ein Drittel, bei Trainer- und Kampfrichterlehrgängen auf ein Fünftel.  Dies ist angesichts der Tatsache, dass der hauptamtliche Trainer bzw. die hauptamtliche Trainerin und der Sportlehrer bzw. die Sportlehrerin in deutschen Sportvereinen so gut wie keine Rolle spielen, als eine besonders gravierende Mangelsituation zu kennzeichnen. Bei der Gruppe der nebenamtlichen Tätigkeiten sieht das Bild kaum besser aus.

2.4 Wettkampfsport als pädagogisches Problem

Zur alltäglichen Vereinspraxis gehören Klagen, die scheinbar endlos sind. Woche für Woche wird beklagt, dass man keine Betreuer für das Auswärtsspiel der Jugendmannschaft für das nächste Wochenende findet. Es wird darauf hingewiesen, dass die Bereitschaft der Eltern, Fahrdienste für die Wettkampfmannschaften bereitzustellen, zurückgegangen sei. Die Väter der jugendlichen Vereinsmitglieder sind demnach heute auch weniger bereit, die Regeln der Sportarten selbst zu lernen, um als Schieds- und Kampfrichter im Jugendbereich auszuhelfen. Es wird auch beklagt, dass es immer weniger gemeinsame Aktivitäten nach Beendigung der Wettkämpfe gibt. War es früher üblich, dass man nach einem Wettkampf möglichst auch noch gemeinsam mit dem Gegner zusammengesessen, eventuell gar gemeinsam gesungen hat, Fachsimpeleien möglich waren und unter Athleten echte Freundschaften entstehen konnten, so scheint es heute so zu sein, dass jeder seinen Weg geht, keiner mehr Zeit hat und Solidarerlebnisse im Bereich des Wettkampfsports immer seltener werden.

Aus der Perspektive der Erinnerung ist die frühere Zeit gewiss sehr viel heiler als sie es einmal war. Auch damals war es z.B. ein Problem, Fahrdienste für das Handballspiel am Wochenende zu organisieren. Schon allein die Tatsache, dass weit weniger Transportmittel zur Verfügung standen, machte den Wettkampfsport in den 50er und 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts zu einem ausgesprochen schwierigen Unterfangen. Dennoch, die aktuellen Situationsbeschreibungen verweisen auf einen Sachverhalt, den man als die „pädagogische Krise des Wettkampfsports“ bezeichnen könnte. Neuere Untersuchungen deuten nahezu einstimmig darauf hin, dass es keineswegs so ist, dass Jugendliche lediglich desinteressiert dem Wettkampf- und Leistungssport gegenüberstehen. Gewiss gibt es viele Jugendliche, die mit dem Sport Interessen verknüpfen, die eine Teilnahme am organisierten Wettkampfsport nahezu völlig ausschließen. Die pädagogische Kritik am Wettkampfsport im Verein zielt jedoch auf einen anderen Sachverhalt. Der Wettkampfsport im Verein ist fast ausschließlich auf jene Gruppen ausgerichtet, die Sport in fest organisierten Mannschaften ihren Sport betreiben. Eine wetteiferorientierte Angebotspalette ohne Zwang zur Teilnahme beim organisierten Wettkampf für alle jene Kinder und Jugendlichen, die die Voraussetzungen für eine derartige Teilnahme nicht erbringen, fehlt hingegen bis heute so gut wie in allen Vereinen. Von einer soliden Brücke zwischen Schule und Verein kann nicht die Rede sein. Vor allem auch solche Jugendliche, die organisierten Wettkampfsport betrieben haben, sich jedoch dem vermehrten Aufwand und den Risiken einer Leistungssportkarriere nicht stellen wollen oder können, dennoch z.B. aber die Leichtathletik durchaus wettkampfmäßig in reduziertem Umfang weiter betreiben wollen, finden häufig keine angemessenen Angebote im Verein. Es muss erkannt werden, dass Jugendliche dem Angebot der Vereine und der Vereinsarbeit der Funktionäre und Übungsleiter heute sehr viel kritischer als in früheren Zeiten gegenüberstehen. Die Konkurrenz der Anbieter außerhalb des Vereins ist umfassend und die pädagogische Qualität einiger Konkurrenzangebote ist beachtlich. Angebote der Kirchen sind dabei ebenso zu beachten wie kommunale Sportangebote für Jugendliche. Aber auch kommerzielle Anbieter können auf diesem Gebiet teilweise vorbildliche pädagogische Professionalität aufweisen. Deshalb ist die von Jugendlichen geäußerte Kritik, dass sie in den Vereinen zu wenig fachliche Anleitung bekommen, dass ihnen die Betreuung im Verein nicht gefallen hat, eine Kritik, die ernst zu nehmen ist, will man die Qualität des Wettkampfsports im Verein erhöhen. Vor allem muss auch hier auf die Kritik jener geachtet werden, die aus dem Verein ausgetreten sind. Wenn nur ein Drittel ihrem Übungsleiter uneingeschränkt „Geschick im Umgang mit Jugendlichen“ bescheinigen, nur die Hälfte von einer „Kameradschaft in der Übungsgruppe“ sprechen, sich viele emotional unter Druck gesetzt fühlten, wenn sie den Leistungserwartungen des Übungsleiters nicht genügten, und es als störend empfinden, dass ihnen die Möglichkeit zur Mitbestimmung in der Übungsstunde nicht gegeben wurde, so sind dies Aussagen, die auf den Wettkampfsport in den Vereinen ein negatives Bild werfen. Dabei wäre es vor allem deshalb wünschenswert, dass möglichst viele Jugendliche aktiv Sport im Verein treiben, weil sich gezeigt hat, dass diejenigen Jugendlichen, die aktiv Sport treiben, ihre Zukunft positiver sehen als alle übrigen, wobei dieser Zusammenhang nur bei jenen Jugendlichen besteht, die Sport in organisierter Weise betreiben.

Der Soziologe Kreutz vermutete, dass die Vereinsbindung sehr wichtig, „ja vielleicht sogar wichtiger als die sportliche Aktivität selbst für die positive Sicht der Zukunft ist“. Pädagogisch bedeutsam wäre jedoch die Bindung von möglichst vielen Jugendlichen an ein aktives Sporttreiben im Verein nicht nur aus diesem Grunde. In einer Zeit, in der die Beziehung zwischen den Generationen der Jugendlichen und der Erwachsenen sich langsam aber stetig reduziert und für die Jugendlichen die Beziehungen zu Gleichaltrigen immer wichtiger werden, ist der Erhalt institutioneller Orte, an denen sich die Generationen noch begegnen können, von besonderer Bedeutung. Wenn Jugendliche zunehmend nur noch unter sich sind, so verlieren sie immer mehr den Kontakt zu den Erwachsenen und damit deren Erfahrungshorizont. Es besteht immer seltener die Gelegenheit, aus den Fehlern aber auch Erfahrungen der Erwachsenen zu lernen. Das Training und die Wettkämpfe im Verein, außersportliche Vereinsaktivitäten und vereinsübergreifende Ereignisse können Orte sein, an denen sich Jugendliche und Erwachsene begegnen können. Für den Verein war bisher kennzeichnend, dass in ihm zumindest partiell ein Kontakt zwischen den Generationen möglich ist. Erwachsene leiten die Wettkämpfe der Jugendlichen, trainieren Kinder- und Jugendgruppen, sind deren Vertreter in übergeordneten Gremien. Jugendliche haben eine Stimme im Abteilungs- und Vereinsvorstand, sind Delegierte bei Mitgliederversammlungen und Sprecher der Aktiven bei Wettkämpfen.

Mit Blick auf diese Möglichkeiten ist es verständlich, warum die Jugendlichen, die in Vereinen aktiv sind, weniger von dem Problem des Zukunftsverlustes betroffen sind. Im Verein können Jugendliche Primärerfahrung im Umgang mit der Zukunft vermittelt bekommen. Für Jugendliche, die sich hingegen in einem „Wartesaal der Jugendlichkeit“ befinden und dabei kaum noch Kontakt zur Erwachsenenwelt über die Familie, den Verein oder den Arbeitsplatz haben, scheint zunehmend Unsicherheit und Zukunftsangst eine naheliegende Folge zu sein. Für den Wettkampfsport im Verein bedeuten diese Befunde vor allem, dass gerade aus pädagogischen und sozialen Gründen eine möglichst vielfältige Beziehung zwischen Jugendlichen und Erwachsenen zu erhalten und möglichst zu intensivieren ist. Jugendsport im Verein sollte also keineswegs nur selbstverwalteter Sport, „Sport von Jugendlichen für Jugendliche“ sein, wie es manche Sportpädagogen in der Vergangenheit gefordert haben. Vielmehr sollte der Jugendliche im Verein in der Kommunikation mit Erwachsenen möglichst früh in die Rolle der Erwachsenen hineinwachsen können. Für Kreutz sollte letzteres geradezu typisch für den Sportverein sein: In der Rolle des Sportlers können junge Menschen eine Erwachsenenrolle ausüben. Die Chance des Wettkampfsports im Verein, bezogen auf das hier aufgezeigte Problem, scheint eindeutig zu sein. Sie wird von den Sportvereinen dann genutzt, wenn den Jugendlichen umfassende Beteiligungsmöglichkeiten eingeräumt werden. In der Realität des Sportvereins ist man davon meist noch sehr weit entfernt. Eher scheint es so zu sein, dass vor allem in den großen Vereinen die Interaktionen zwischen den Generationen eher ab – als zunehmen.

2.5 Wettkampfsport als Organisationsproblem

Nachdem vier Probleme der aktuellen Vereinsarbeit gekennzeichnet wurden, stellt sich sehr viel entschiedener als bereits eingangs dieser Ausführungen die Frage, ob der Verein noch der richtige Ort ist, in dem der organisierte Wettkampfsport seine Basis hat. Werfen wir einen Blick zurück, so können wir sehen, dass etwa zwischen 1950 und 1975 das Organisationssystem des Wettkampfsports in erster Linie dadurch intakt war, dass der Hochleistungssport auf ein breit angelegtes Wettkampfsystem der Basis zurückgreifen konnte. Idealerweise begann dabei die Wettkampfausrichtung in organisierter Weise im D-Jugend-Bereich und reichte über C-, B- und A-Jugend-Mannschaften hinein in den Erwachsenensport, um dann in einem AH-Wettkampfsystem auszuklingen. Dieses Wettkampfsystem existiert heute nur noch in einigen Sportarten. Einerseits wurde die sportliche Höchstleistung in einigen Sportarten aus dem Erwachsenenbereich in den Kinder – und Jugendbereich verlagert (so z.B. bei kompositorischen Sportarten wie Eiskunstlauf, im weiblichen Gerätturnen und beim Schwimmen). Andererseits ist der fließende Übergang vom  Wettkampfwesen auf niedrigem Leistungsniveau zum Wettkampfwesen auf höheren Ebenen durch eine Vielzahl von institutionellen Veränderungen in Frage gestellt worden. Dazu gehören Maßnahmen der Talentfindung und Talentförderung, neue Organisationsformen für das Training, der Aufbau von Stützpunkten und vor allem die Einrichtung der Olympia-Stützpunkte. Erschwerend ist dabei hinzugekommen, dass durch eine umfassende Kommerzialisierung des Wettkampfsports, durch eine Gewinnorientierung auf Seiten der Athleten und Athletinnen bis hinein in die untersten Leistungsklassen das Gefüge der Vereine zueinander erheblich ins Schwanken geraten ist. Reiche und arme Vereine sind zu unterscheiden, reiche und arme Sportarten gibt es, reiche und arme Athleten und Athletinnen sind die Folge. Geld als Lockmittel bewirkt Fluktuation. Mit Abwerbung ist es vielen Vereinen leichter, eine Steigerung der Leistungen im Sport zu erzielen als durch solides Training und langfristig angelegte Aufbauarbeit. Die Organisation des Wettkampfsports zwischen den Vereinen muss nunmehr mit einer Vielzahl von Verfahren gestützt werden, die auf diese Probleme ausgerichtet sind. Das zentralste Organisationsproblem hängt jedoch mit dem Mitgliederproblem zusammen. Ein pyramidal angelegtes Wettkampfwesen macht notwendig, dass die Zahl der jugendlichen Wettkämpfer ungleich größer sein muss, als jene Zahl der erwachsenen bzw. „fertigen“ Athleten, die auf höherer Ebene erfolgreich Spitzensport betreiben. In der Grundstruktur ist dieses Organisationssystem bis heute noch erhalten. Die Basis, die dazu vonnöten ist, ist jedoch aufgrund der Mitgliederentwicklung nicht mehr zu sichern. Die Plädoyers von Sportfunktionären zugunsten des Vereins als Basis der sportlichen Höchstleistung reißen nicht ab: Die tatsächlich vollzogene Sportpolitik steht dazu jedoch immer häufiger im Widerspruch.

Die meisten Experten sind der Auffassung, dass im Hochleistungsbereich für die Mehrzahl aller Athleten und Athletinnen auch in Zukunft ohne Verankerung in einer festen Vereinsstruktur ein derart hoher Trainingsaufwand kaum leistbar ist, wie er heute vonnöten ist. Diese Überzeugungen sind ehrenwert. Wie sie in die Praxis umgesetzt werden sollen, ist bis heute jedoch nach wie vor offen. Die Realität sieht eher düster aus. „Um überhaupt Mannschaften für den Jugendspielbetrieb melden zu können, haben die drei in unmittelbarer Nachbarschaft gelegenen Vereine FC Nordstern Rintheim, FC Waldstadt und SSC Karlsruhe gemeinsame Mannschaften gemeldet.“ So lautete das Zitat in einer Karlsruher Tageszeitung. Kooperation im Jugendbereich scheint angesagt zu sein, wo bisher Konkurrenz dominierte. Traditionelle Vereins-Feindschaften sind aufzugeben, will man die Basis des Wettkampfsports erhalten. Tragfähige Brücken zwischen Abteilung und Verband, zwischen Verein und Verband, zwischen den Olympiastützpunkten und der auf Wettkampf orientierten Vereinspraxis sind jedoch noch nicht in Sicht.

2.6 Wettkampfsport als Finanzierungsproblem

Der Wettkampfsport im Verein ist in den letzten Jahren immer teurer geworden. Es scheint dabei die Regel zu gelten, dass je erfolgreicher ein Verein im Bereich des Wettkampfsports ist, desto größer werden seine finanziellen Probleme. Dieser Satz gilt vor allem dann, wenn für Trainer und Athleten nicht nur Aufwandsentschädigungen oder Übungsleiterpauschalen zu bezahlen sind, sondern Honorare und Gehaltsforderungen anstehen, wenn Reisekosten für alle Auswärtsspiele und Turniere zu erstatten sind und wenn der Wettkampf selbst hohe Material- und Gerätekosten mit sich bringt. Meldekosten und die Kosten für Schieds- und Kampfgerichte tun ein Übriges. Ein Blick auf die Etatentwicklung einiger Sportvereine zeigt, dass sich in jenen Abteilungen, in denen der Wettkampfsport vorrangig betrieben wird, eine inflationäre Ausgabenentwicklung ereignet hat. Dabei wachsen nach wie vor die Ansprüche im Wettkampfsport, wobei vor allem von außen herangetragene Ansprüche die Finanzen erheblich belasten können. Die Finanzierung solcher noch immer wachsenden Erfordernisse wird dabei vorrangig dann zu einem Problem, wenn – wie es in einigen Sportvereinen bereits der Fall ist – die Einnahmenseite im Haushalt ungenügend abgesichert ist. Die Finanzierung des Wettkampfsports wird aber auch dadurch problematisch, dass in einigen Ver­einen die Ausgaben für den Wettkampfsport für die Mitglieder nicht einsichtig oder gar für unvernünftig wahrgenommen werden, dass innerhalb des Bereichs des Wettkampfsports Ungerechtigkeiten existieren, so z.B. wenn von außen geholte Spieler und Spielerinnen oder Athleten und Athletinnen  bezahlt werden, einheimische hingegen nicht, und schließlich, dass in den Mitgliederversammlungen der bereits erwähnte und meist nicht gelöste Zielkon­flikt zum Ausdruck kommt, in dem der Freizeitsport sich aus Kostengründen gegen den Wettkampfsport ausspricht.

Die Finanzierung des Wettkampfsports in den Vereinen ist auch durch eine Reihe selbstverschuldeter Maßnahmen in Misskredit geraten. Dazu gehört seit lan­gem die ungeklärte Bezahlung von Athleten nicht nur in den höheren Klassen und die teilweise überhöhten Zahlungen an Trainer. Darüber hinaus strapazieren Trainer- und Athletenwechsel, die meist nur sehr unzureichend begründet sind, die finanziellen Belastungen der Vereine nicht unwesentlich. In Misskredit sind die Vereine aber auch durch die Tatsache geraten, dass immer häufiger externe Kräfte in die Vereine hineinwirken. Teilweise eröffnen sich dadurch den Vereinen völlig neue Finanzierungsformen. Die Frage der Umverteilung, sollte es über solche neuen Finanzierungsformen zu Gewinnen kommen, ist dabei jedoch meist ungeklärt. Oft ist es eher so, dass die externe Finanzierung der Vereinsarbeit dem Verein seine zentralen Kontrollinstrumente entzieht, letztlich den Verein in seiner organisatorischen Substanz trifft. „Nicht kleckern, sondern klotzen“, „Alle Vereinsmeier raus“ lau­ten dabei die Aussprüche der Externen. Vor allem aber geht es dabei darum, den Kreis derer, die zu entscheiden haben, so klein wie möglich zu halten, möglichst letztlich nur noch der Sponsor das Sagen hat. Was die Idee eines Sportvereins ausmacht, scheinen dabei weder die Mitglieder dieses Vereins noch dessen Sponsor zu wissen. „Sportverein als Privatbesitz“ – eine selbstzerstörerischere Maxime für Sportvereine kann es wohl kaum geben.

3. Empfehlungen

Ich habe sechs Aspekte eines Problems bzw. sechs Themen skizziert, von denen ich glaube, dass sie die alltägliche Lage des Wettkampfsports in den Vereinen kennzeichnen. Akzeptiert man, dass der Wettkampfsport im Verein eine wichtige und notwendige Aufgabe der Vereine ist, folgt man der Auffassung, dass auch zukünftig die Vereine die Basis für unser Wettkampfsystem bleiben müssen, so werfen die sechs Themen die Frage auf, was in der Praxis in unserer unmittelbaren Zukunft zu tun ist, wenn dem Wettkampfsport im Verein geholfen werden soll. Abschließend soll versucht werden, Empfehlungen entlang der aufgeworfenen Probleme zu unterbreiten.

1. Der Konflikt, der in den Vereinen in Bezug auf die Funktionen und Ziele der Vereinsarbeit und damit in Bezug auf das Angebot existiert, das in den Vereinen den Mitgliedern unterbreitet werden soll, kann nur dadurch gelöst werden, dass der Konflikt den Mitgliedern offengelegt wird, dass in den Vereinen selbst Diskussionen über die verschiedenen Aufgaben und Ziele der Vereinsarbeit stattfinden. Wenn es in den Vereinen auch weiterhin an lebendigem Wissen über den Sinn eines am Wetteifer und der persönlichen und kollektiven Leistung orientierten Sporttreibens mangelt, so wird der Wettkampfsport in den Vereinen keinen Anspruch auf Berücksichtigung haben. Einsicht in die kulturelle Bedeutung des Wettkampfsports ist notwendig, damit jene Mitglieder, die bislang das Verhältnis ihrer Mitgliedschaft zum Verein in erster Linie unter Kosten-Nutzen-Gesichtspunkten betrachtet haben, erkennen, dass der Verein auf Solidarbeiträge angewiesen ist und damit finanzielle Umvertei­lungen zugunsten bestimmter Mitgliedergruppen in den Vereinen notwendig sind.

2. Der Wettkampfsport muss sich in seiner weiteren Entwicklung auf eine realistische Pragmatik einlassen. Das komplexe und weit gefächerte Sportsystem ist nicht von heute auf morgen zu vereinfachen, selbst dann – sollte dies der Fall sein – würde dies nicht ohne weiteres zugunsten des Wettkampfsports möglich sein. Der Wettkampfsport muss davon ausgehen, dass er in der weiteren Zukunft aus einem sich kontinuierlich verringernden Potential von Mitgliedern seine Athleten und Mannschaften zu rekrutieren hat. Deshalb ist die Kooperation der Verbände untereinander, vor allem aber zwischen den Vereinen zwingend notwendig. Traditionelle Vorurteile gegenüber Nachbarvereinen sind aufzugeben, auch Fusionen zur Bildung von Brückenpositionen im Pyramidensystem des Wettkampfsports sind erforderlich. In den einzelnen Sportarten muss die Einsicht um sich greifen, dass das gegenseitige Abwerben von Kindern und Jugendlichen weder den Interessen der Kinder noch der Entwicklung der einzelnen Sportarten dient. Gewiss wird auch in der weiteren Zukunft eine vielseitige frühe Förderung von Kindern und Jugendlichen in den Vereinen vonnöten sein; sie ist auch aus pädagogischen Gründen erwünscht. Nicht in jeder Sportart sollte jedoch in der Zukunft ein Kinder- und Jugendangebot unterbreitet werden. Das Kinderangebot in den Vereinen vor Ort kann längerfristig nur noch im Ausnahmefall Volleyball, Leichtathletik oder Tisch­tennis heißen. Die Mehrzahl der Vereine sollte sich vielmehr auf ein Angebot, das in umfassender Weise Sport, Spielen und Bewegung zum Inhalt hat, begrenzen. Das heißt, die Übungsleiter in den Abteilungen eines Vereins soll­ten die Kinder nicht frühzeitig auf wenige Fertigkeiten im Sport spezialisieren, womöglich noch in Bereichen, in denen die Kinder weniger talentiert sind als in anderen. Dies ist gerade deshalb so problematisch, weil wir im Bereich des Kinder- und Jugendsports in einem System der Talentfindung leben, das noch allzu oft eher vom Zufall als von Systematik getragen wird. Kleineren Vereinen ist zu raten, nicht unbedingt mit neuen Angeboten in Kon­kurrenz zu größeren Vereinen zu treten, sondern sich auf jene Aufgaben und Zielgruppen im Wettkampfsport zu konzentrieren, für die sie die besonderen, möglicherweise sogar die besseren Voraussetzungen erbringen.

3. Das skizzierte Mitarbeiterproblem ist quantitativer und qualitativer Art. Unter quantitativen Gesichtspunkten scheint es zwingend notwendig zu sein, dass der zeitliche Aufwand für Ehrenamtliche zu begrenzen ist. Es muss verhindert werden, dass die Voraussetzungen für eine Mitarbeit im Wettkampfsport der Verzicht auf eigenes Sporttreiben bedeutet. Vielmehr sollen die Möglichkeiten zum eigenen Sporttreiben, möglichst unter Einbezug der Familie, der besondere Anreiz zur Mitarbeit sein. Dies kann nur dadurch möglich sein, dass in der weiteren Zukunft sehr viel mehr Ehrenamtliche den Vereinen zur Verfügung stehen als dies heute der Fall ist. Dazu ist es notwendig, dass man für manche Aufgaben der Ehrenamtlichen „Aufträge auf Zeit“ vergibt. Es muss auch akzep­tiert werden, dass es Quereinsteiger gibt, die sich nicht durch einen besonderen „Vereinsgeruch“ auszeichnen, die von außen kommen und bereit sind, im Gefüge des Vereins gemäß der Idee des Vereins mitzuarbeiten. Dringend notwendig wird es auch sein, dass die öffentliche Anerkennung für das Ehrenamt aufgewertet wird. Hierzu sind gewiss auch neue Formen der Ehrung und die Etablierung einer Anerkennungskultur nötig, auch neue Formen der Entschädigung für das Ehrenamt müssen bedacht werden. Die qualitative Seite des Problems liegt in erster Linie darin, dass die ehrenamtlichen Übungsleiter im Wettkampfbereich nicht überfordert werden dürfen, dabei sich aber dennoch einer konsequenten praxisnahen Fort- und Weiterbildung unterziehen. Praxisnähe könnte dabei in erster Linie bedeuten, dass sich die Aus- und Weiterbildung vorrangig auf die Variabilität der Spiel-, Trainings- und Leistungsformen jener Personen orien­tiert, die Abend für Abend in den Vereinen die Übungs- und Trainingsstunden leiten.

4. Kritik am Wettkampfsport, insbesondere am Wettkampfsport der Jugend­liche schon in früheren Zeiten geäußert und wurde mehrfach in vielen Publikationen wiederholt. Sie ist nicht in allen Teilen akzeptabel. Dort, wo sie jedoch das pädagogische Problem des Wettkampfsports trifft, scheint sie berechtigt zu sein. Wer dem Wettkampfsport verpflichtet ist, der muss verstehen, dass ein Wettkampfsport für Jugendliche, der als Imitation des Erwachsenensports zu betrachten ist, letztlich den Wettkampfsport selbst gefährdet. Die Basis des Wettkampfsports, das sollte deutlich sein, liegt zunächst in der Anstrengung des einzelnen Mit­gliedes, sich über selbst definierte Maßstäbe persönliche Leistungserlebnisse zu eröffnen. Ist dies im Verein nicht möglich, so wird es auch zukünftig kaum möglich sein, den Wettkampfsport im Verein pädagogisch zu begründen. Wer im Leistungsprinzip ein wichtiges Bezugssystem für den Sport im Verein sieht, der muss begreifen, dass dieses Prinzip nur Sinn macht, wenn es in Verbindung mit einem weiteren Prinzip steht, dem Prinzip der Mündigkeit. Die Fähigkeit zur Selbst- und Mitbestimmung, die Kritik- und Urteilsfähigkeit, d.h. eine umfassende Handlungsfähigkeit der Mitglieder im Verein, muss deshalb für Jugendliche wie für Erwachsene erwünscht sein, gefördert und über entspre­chende Angebote ermöglicht werden. Radikaler formuliert muss deshalb die Forderung lauten: Als Leistung darf im Sportverein nichts gefördert werden, was die Hinführung des jungen Menschen zur Selbst- und Mitbestimmungsfähigkeit, zur Kritik- und Urteilsfähigkeit – somit auch zur Fähigkeit begründeter Distanzierung gegenüber bestimmten Leistungsanforderungen im Sport – hindert. Dazu sind vielfältige Formen der Kommunikation zwischen den Generationen erforderlich. Nicht eine ausgegrenzte Jugendwelt im Verein ist vonnöten. Der Wettkampfsport der Jugendlichen sollte vielmehr auch als Erfah­rungsraum erkannt werden, in dem junge Menschen sich in Interaktion mit Erwachsenen in Rollen der Erwachsenenwelt einüben.

5. Der Hinweis auf die Notwendigkeit vermehrter Kooperation der Vereine untereinander machte bereits deutlich, dass zukünftig der Verein im Gefüge zu den anderen Vereinen sich flexibler Organisationsformen bedienen muss. Startgemeinschaften, Wettkampfgemeinschaften sind dabei ebenso vonnöten wie die Möglichkeit zur Doppelmitgliedschaft von Athleten, wollen sie gemäß ihres Könnens zukünftig intensiver gefördert werden. Das Startrecht für den neuen Verein oder eine LG und ein eingeschränktes Startrecht für den alten Verein könnten dabei eine Lösung sein. Organisatorisch und inhaltlich neu zu fassen ist dabei auch das Verhältnis zwischen Schule und Verein, wobei die aktuellen Mängel und deren Gründe auf beiden Seiten gleichermaßen auszumachen sind. Eine enge Kooperation zwischen Schule und Verein kann für den Wettkampfsport im Verein personell und inhaltlich der Garant für eine sinnvolle Weiterentwicklung sein. Dazu ist jedoch vonnöten, dass sich der Schulsport didaktisch – mehr als es heute der Fall ist – am Sport im Verein orien­tiert und umgekehrt der Verein den Schulsport als jene Institution begreift, die er in seiner Alltagsarbeit zentral zu berücksichtigen hat. Hierbei sind auch die Fachverbände und der Deutsche Olympische Sportbund gefragt. Die Frage der Organisation des zukünftigen Wettkampfsports ist im wesentli­chen auch eine Frage der Mitbestimmung und es muss darum gehen, dass sich die Vereine in die übergeordneten Organisationen des Leistungssports mit ihrer Meinung und mit ihren Auffassungen einbringen können. Dies darf und kann nicht nur im Sinne von Empfehlungen erfolgen. Vielmehr sind juristisch abgesicherte Interventionsformen möglich, d.h., die Partizipation der Vereine, die an der Basis den Wettkampfsport vorbereiten, muss bis hinauf in die Olym­pia-Stützpunkte gesichert werden. Voraussetzung für Lösungen dieser Art sind Bewusstseinsänderungen aller Beteiligten. Gefordert sind dabei vor allem die entsprechenden Maßnahmen der Verbandsorgane (so z.B. Lehrarbeit, Informationsveranstaltungen, individuelle Gespräche).

6. Das Finanzierungsproblem in den Vereinen im Bereich des Wettkampfsports ist in erster Linie dadurch zu lösen, dass dies offengelegt werden. Die Finanzierung sollte dabei gerade im Bereich des Wettkampfsports an den Prinzipien der Leistung und Gegenleistung orientiert sein und wo immer der Sport die juristisch definierten Grenzen von Aufwandsentschädigungen und Fahrtkostenerstattungen verlässt, sollte der Verein sich jenen Prinzipien beugen, die außerhalb der Vereine für solche Finanzierungen gelten. Sehr viel entschiedener sollten jedoch die Vereine ihre Forderungen gegenüber den Verbänden vortragen, sich dabei möglicherweise auch neuer Organisationsformen bedienen. Wenn die Verbände – zumindest für einige gilt dies – über außergewöhnliche Einnahmemöglichkeiten verfügen, so kann es zukünftig nicht angebracht sein, dass die Vereine bei der Organisation des Wettkampfsports die finanziellen Lasten überwiegend allein zu tragen haben. Hohe Meldegebühren und noch immer steigende Abgaben für Mitgliedsbei­träge und Schieds- und Kampfgerichte werden zu einer Groteske, wenn Spitzenverbände über Sponsorenverträge ihre Einnahmen in Millionenhöhe steigern, die Basis in den Vereinen jedoch meist leer ausgeht. Deshalb scheint es dringend notwendig zu sein, die Diskussion über die Gemeinnützigkeit der Sportvereine und -verbände mit einem neuen Akzent zu versehen. Die Vereine sollten fordern, dass die Bewertung der Gemeinnützigkeit des Sports nicht daran gemessen wird, wie sich Verbände und Vereine ihre finanziellen Mittel verschaffen, sondern daran, wie diese Mittel verwendet werden.

In der Lösung des Finanzproblems liegt ganz ohne Zweifel der Schlüssel zur Lösung der Probleme des Wettkampfsports. Mit Geld allein ist allerdings die Krise des Wettkampfsports im Verein nicht zu meistern. Materielle Lösungen ohne einen ideellen Hintergrund sind allenfalls kurzfristig tragfähig. Wer den Wettkampfsport im Verein fördern will, muss auch die Gründe benennen, warum dies notwendig ist. Sind die Vereine dazu nicht in der Lage, so wird die weitere Ent­wicklung des Wettkampfsports im Verein kaum günstig sein.

Letzte Überarbeitung: 14.05.2021