Sportschießen – ein verkannter olympischer Sport

Die Bundesliga ist für fast jede olympische Sportart ihr besonderes Aushängeschild. Die besten Mannschaften in einer Sportart treffen sich über mehrere Monate, meistens an den Wochenenden, zu Wettkämpfen, um den deutschen Mannschaftsmeister in ihrer Sportart zu ermitteln. Für die meisten Sportarten ist dabei die Fußball-Bundesliga der dominante Orientierungspunkt, dem man in Bezug auf die sportlichen Höchstleistungen durchaus Paroli bieten kann, sich ansonsten aber jeder weitere Vergleich von selbst verbietet. Angesichts der massenmedialen Dominanz einiger weniger Bundesligen – Handball, Basketball, Fußball, Eishockey, Volleyball – muss die große Mehrheit der olympischen Sportarten schon seit langem akzeptieren, dass sie nahezu unter Ausschluss der Bevölkerung ihre Bundesligawettbewerbe durchführen, dabei jedoch sportliche Werte pflegen, die mehr als beachtenswert sind. Die Athletinnen und Athleten erbringen in diesen Bundesligen außergewöhnliche sportliche Leistungen, ohne diese Leistungen in finanzielle Gewinne umzutauschen. Sie sind im wahrsten Sinne professionelle Amateure.

… Die Randsportart …

Der Spitzensport ist wie jeder kulturelle Bereich auch eine besondere Welt von Vorurteilen und oft sind es gerade auch Athletinnen und Athleten, die sich über Leistungen in anderen Sportarten lustig machen, diese abwerten und in ihrer olympischen Bedeutung infrage stellen, ohne dass sie dabei allerdings diese Sportarten genauer kennengelernt haben. Während meiner aktiven Zeit galten die Vorurteile dem Golf und dem Fechten, auch Tennis wurde als eine Sportart eingeordnet, in der lediglich die Kinder reicher Eltern ihre Unsportlichkeit pflegen konnten. Boris Becker, Steffi Graf und Bernhard Langer belehrten uns schnell eines Besseren. Mir war es nun vor kurzer Zeit vergönnt, mein damaliges Vorurteil gegenüber dem Sportschießen durch einen intensiven Lernprozess über Bord zu werfen. Als Resultat dieses Lernprozesses ist eine vormals nie denkbare neue Freundschaft zu einer traditionsreichen olympischen Sportart entstanden. All dies habe ich einer jungen „Lehrerin“ zu verdanken, die mit mir seit über einem Jahrzehnt als wissenschaftliche Mitarbeiterin zusammenarbeitet und gleichzeitig der Nationalmannschaft des Deutschen Schützenbundes angehört. Meine Neugierde führte mich dabei bereits vor vielen Jahren zunächst zu den olympischen Schießwettbewerben in Peking 2008, London 2012 und Rio 2016. Bei der Universiade in Kasan 2013 hatte ich dann zum ersten Mal auch die Gelegenheit meine eigene „Lehrerin“ in ihrem Finale in der Disziplin Luftpistole zu beobachten.

… Bundesligaschießen …

Bundesliga Wettkampfflyer der Schützengilde Ludwigsburg

Am ersten Dezemberwochenende 2017 war mir vergönnt zum ersten Mal live bei einem Wettkampftag der Bundesliga Gruppe Süd im Luftpistolenwettbewerb anwesend zu sein. Gastgeber war der Deutsche Meister von 2016 SV Waldkirch, der seinen Wettkampf in einer Sporthalle der bayerischen Gemeinde Burgau ausrichtete. Für mich stellte sich dabei sehr schnell heraus, dass Schießen ganz ohne Zweifel überwiegend ein Sport der ländlichen Regionen ist, ja dass die Bundesliga im Sportschießen eine „Bundesliga von Dorfmannschaften“ ist. Die Vereine haben sich eigenartige Namen gegeben, die nur für Insider verständlich sind und ihre Fans tragen T-Shirts mit Aufschriften, die nicht weniger gewöhnungsdürftig sind: „Die Munition entscheidet“, „Zielst du noch oder triffst du schon?“. KKS Hambrücken, SSG Dynamit Fürth, SV Waldkirch mit seiner Mannschaft „LP One“, SGi Ludwigsburg, SV Peiting, SV Altheim-Waldhausen waren die Namen der Mannschaften, die sich an jenem Dezemberwochenende trafen.

Schießstandaufbau für die Bundesliga Pistole. Heimkampf der SGi Ludwigsburg.

Präsentation. Heimkampf der SGi Ludwigsburg.

Der Deutsche Schützenbund mit seinen 20 Landesverbänden verfügt über ein weitgefächertes Ligasystem von der Kreis- bis zur Bundesliga in vielen olympischen und nicht-olympischen Schießdisziplinen. Der deutsche Mannschaftsmeister in der Bundesliga wird allerdings nur in den Disziplinen Luftgewehr und Luftpistole ermittelt. Die Bundesliga Luftgewehr und Luftpistole besteht jeweils aus 24 Mannschaften, zwölf davon im Süden Deutschlands und zwölf im Norden.  An jedem Wettkampftag schießen die Bundesliga Nord und die Bundesliga Süd jeweils an zwei verschiedenen Orten zur gleichen Zeit. An jedem Austragungsort finden je drei Begegnungen am Samstagnachmittag und drei Begegnungen am Sonntagvormittag statt. Jedes Team absolviert somit einen Wettkampf pro Tag. Einmal in der Saison wird ein Einzelwettkampfwochenende ausgerichtet. Somit hat jedes Team elf Wettkämpfe an sechs Wochenenden zu bestreiten. An einem großen Finalwochenende im Februar trifft dann die Nord- auf die Südliga. Aus beiden Teilen qualifizieren sich die ersten vier Mannschaften für das Finale. Der erste Wettkampf am Samstag Vormittag ist für jedes Team im K.O.-Modus zu bestreiten, wobei die Nummer eins der Nordliga auf den viertplatzierten im Süden trifft und der erste des Südens auf den vierten des Nordens usw. Nach der ersten Runde finden am Samstagnachmittag die Halbfinals statt und am Sonntag wird dann das kleine Finale um Platz drei und vier und das große Finale um Platz eins und zwei ausgetragen. Das besondere am Finalwochenende ist, dass die Wettkämpfe der Luftgewehr und Luftpistolen-Bundesliga gemeinsam stattfinden. Das garantiert viele Zuschauer und eine unvergleichliche Geräuschkulisse. Denn in der Bundesliga im Sportschießen ist es absolut erwünscht, dass die Zuschauer ihrer Fanrolle gerecht werden und ihre Mannschaft lautstark anfeuern. Dabei sind sowohl die eigene Stimme, Applaus, aber auch Trommeln und Rätschen erlaubt und erwünscht. Vom stillen Wettkampfgeschehen und einer konzentrationsfördernden Ruhe ist weit und breit nichts zu erkennen.

Schnell wurde mir klar,  dass der SV Waldkirch sich als ein sehr organisierter und gastfreundlicher Gastgeber erweisen wollte. Er betrat an diesem Wettkampftag sogar massenmediales Neuland innerhalb der Saisonwettkämpfe, denn mit hohem technischem Aufwand wagte er die Bundesligawettkämpfe über eine Livestream im Internet zu präsentieren. Die Wettkämpfe wurden von mehreren Kameras aus unterschiedlichen Perspektiven aufgenommen, es gab eigens einen Live-Kommentator für die Übertragung und es wurden vor, zwischen und nach den Wettkämpfen Interviews geführt und Emotionen eingefangen. So konnte auch der Zuschauer zu Hause alles hautnah miterleben. Vergleichsweise ungewöhnlich war es wohl, dass für diesen Bundesligawettkampf der Sportschützen Eintrittskarten verkauft wurden, da, mit Ausnahme des großen Saisonfinals, nur noch eher selten Eintritt verlangt wird.  Doch in Burgau betrug der Eintrittspreis der Schießwettbewerbe sechs Euro pro Tag und Ohrenstöpsel für die Zuschauer wurden dabei gratis verteilt, was, wie sich später noch rausstellen sollte, ein hilfreiches Gastgeschenk darstellte. Die Zuschauer sind meist Angehörige der Wettkämpfer. Beim Heimwettkampf des SV Waldkirch gegen den SV Peiting waren die Tribünen wohl gut besetzt und die Zahl von ca. 300 Zuschauern wurde beinahe überschritten. Doch waren diese Zuschauer in den meisten Fällen Schießsportexperten.

Die Wettkämpfe, die dem Zuschauer geboten werden, sind außergewöhnlich spannend und sie können vom Zuschauer trotz ihrer technischen Raffinesse und trotz ihrer komplizierten Regeln durch mehrere technische und visuelle Hilfsmittel sehr hautnah miterlebt werden. Im ersten Wettkampf trafen die SGi Ludwigsburg und der SV Altheim Waldhausen aufeinander. Jede Mannschaft besteht dabei aus fünf Schützen. Auf diese Weise entstehen fünf Paarungen, denn jeder Schütze eines Teams tritt gegen einen unmittelbaren Gegner der anderen Mannschaft an. Die Paarungen ergeben sich aus einer Setzliste, die jeweils aus den Wettkampfleistungen aller vorangegangenen Bundesliga-Wettkämpfe der laufenden Saison erstellt wird. Somit treffen in der Regel ähnlich leistungsstarke Gegner aufeinander, was die Spannung der einzelnen Partien deutlich erhöht. Jeder Schütze eines Teams versucht einen Einzelpunkt für seine Mannschaft zu gewinnen, in dem er den Wettkampf gegen seinen direkten Gegner gewinnt. Mindestens drei Einzelpunkte benötigt das Team, um den Gesamtsieg zu erreichen.  Jeder Schütze hat 40 Wettkampfschüsse zu absolvieren und diese müssen in einer Wettkampfzeit von maximal 50 Minuten abgegeben werden. Alle zehn Sportler beginnen zur selben Zeit. Überraschend stellt man dabei fest, dass es in den Paarungen durchaus möglich ist, dass ein Mann gegen eine Frau schießt, mancher Schütze noch außergewöhnlich jung ist, aber auch Senioren, die bereits die zweite Lebenshälfte erreicht haben, können zum Team gehören. Überhaupt kann man feststellen, dass es keinen prädestinierten Athletentypus für den olympischen Schießsport gibt. Die Körpergröße der Wettkämpfer variierte von 1,50m bis 1,90m und beim Körpergewicht waren 60 Kilogramm ebenso möglich wie das Doppelte und auch darüber hinaus. Nahezu einmalig im deutschen Sport können innerhalb der Bundesliga des Deutschen Schützenbundes auch behinderte Sportler in die Mannschaften integriert werden. So schießen derzeit zwei Rollstuhlschützen in der Bundesliga Luftgewehr.

Bei jedem Wettkampf sind 400 Ringe das erreichbare Höchstlimit. Die Streu vom Weizen kann dabei sehr schnell unterschieden werden. Schießt jemand „nur“ acht Ringe mit einem Schuss, so ist dies bereits als ein „Ausrutscher“ zu bewerten und nur wer stabil zwischen zehn und neun Ringen pro Schuss erreicht, bewegt sich in der Spitzenklasse. In der Disziplin Luftpistole scheinen 380 Ringe eine Barriere zu sein, die man überwinden muss, wenn man ganz nach oben kommen möchte. Und auch wenn dieser Sport von außen betrachtet eher statisch und bewegungsarm wirkt, so ist er doch hoch anspruchsvoll für Körper und Geist der Athleten. 50 Minuten volle Konzentration, Präzision, Körperkontrolle, Erregungssteuerung und Wiederholungsgenauigkeit. Eine derartige sportliche Leistung ist in keiner anderen olympischen Sportart anzutreffen. Intensives langjähriges Training ist vonnöten, um in diese Höhen des Schießsports zu gelangen. Kraft, Ausdauer und Schnelligkeit sind dabei Hintergrundmerkmale, die auf den ersten Blick nicht wahrzunehmen sind. Es geht um Konzentration und Präzision. Eine außergewöhnliche mentale Stärke ist gefragt. Mentaltrainer sind im olympischen Schießsport längst eine zwingende Notwendigkeit. Wie in allen anderen olympischen Sportarten hat die Psychologie an Bedeutung gewonnen.

… Ausländische Spitzensportler in der deutschen Bundesliga …

Celine Goberville, französische Nationalmannschaft. Olympiazweite in der Disziplin Luftpistole, London 2012. In der Bundesliga für die SGi Ludwigsburg am Start.

Zum Regelwerk dieser Bundesliga des Sportschießens gehört es, dass pro Mannschaft ein ausländischer Schütze im Teamaufgebot stehen darf. Für die Zuschauer ist dies ohne Zweifel eine Bereicherung. So startete für den Gastgeber SV Waldkirch die griechische Olympiasiegerin von Rio de Janeiro 2016 – Anna Korakaki. Für Ludwigsburg war die junge Französin Céline Goberville am Start, die bei den Olympischen Spielen in London 2012 die Silbermedaille in dieser Disziplin gewann und die sich in diesem Bundesligawettkampf einmal mehr durch eine außergewöhnliche Konstanz auszeichnete und am Samstagabend 383 Ringe erzielte. Einmal mehr konnte sie so einen Punkt zum Sieg der SGi Ludwigsburg beitragen, die so ihre Tabellenführung mit einem Doppelsieg in Burgau bestätigen konnten.

… Abseits der Wettkämpfe …

Das Bundesligaereignis von Burgau zeichnete sich durch eine exzellente Organisation aus. Für Speis und Trank sorgten die ehrenamtlichen Helfer des Vereins, hausgemachter Kuchen bereicherte die Kaffeepause und eine Tombola war ein weiterer Anreiz für die fachkundigen Zuschauer. Der erste Preis war naheliegend eine Luftpistole im Wert von 1.800 Euro, gesponsert vom wichtigsten Sponsor, der Sportwaffenfirma Walther. Das Unternehmen Meyton, das die Lichtmessung der Schüsse ermöglicht, ist ebenso als Sponsor präsent, sowie eine ganze Reihe kleinerer lokaler Sponsoren. Für den gastgebenden Verein sind die Kosten dennoch erheblich. Es muss eine Halle und die Miete für den eigens aufgebauten elektronischen Schießstand aufgebracht werden. Die Teams reisen an sechs Wochenenden im Jahr mit mindestens fünf Sportler sowie einem Trainer und Mannschaftsführer durchs Land, müssen für Übernachtungen aufkommen, lassen in der Regel einen ausländischen Spitzenschützen einfliegen, manche Vereine zahlen auch Prämien aus. Jeder Verein zeichnet verantwortlich für einen Heimwettkampf pro Jahr. Für den Ausrichter des Bundesligawettkampfes kann über Sponsoren meist nur ein Teil seiner Kosten gedeckt werden und ohne kommunale Unterstützung kann eine derartige Bundesliga nicht überleben.

… Die Geschichte des Schießsports …

Sportschießen, das wurde mir an diesem Wettkampftag der Schützen-Bundesliga bewusst, ist ohne Zweifel ein Leistungssport mit ganz eigenen Qualitäten. Und mit einem Blick auf die Geschichte des Sports musste ich erkennen, dass Sportschießen ein Kulturgut darstellt, das auf eine außergewöhnliche Tradition verweisen kann. Dem englischen König Eduard III (1312 bis 1373) wird folgender Befehl zugeschrieben: „Hiermit befehlen wir, dass jeder Mann von Leibesgesundheit in der Stadt London zur Mußezeit und an Feiertagen Bogen und Pfeil benützen und die Kunst des Schießens erlerne und übe.“ Sportschießen hat jedoch nicht nur in Europa eine lange Tradition, wo der erste Schützenwettbewerb bereits 1442 in Zürich ausgetragen wurde. Auch für Japan, China und den gesamten asiatischen Bereich lassen sich viele kulturelle Vorläufer des modernen Schießens beobachten. Ethnologische Studien verweisen auf Bogenwettbewerbe, später war vor allem die Armbrust populär. Im frühen Mittelalter war die bedeutendste sportliche Aktivität die Jagd. Die war jedoch dem Adel und der hohen Geistlichkeit vorbehalten. Die Schießwettbewerbe waren das bürgerlich bäuerliche Gegenstück. Träger dieser Veranstaltungen waren die Schützengilden. Der Name „Schütze“ hat dabei eine doppelte Bedeutung. Er war „Schießender“ aber auch „Schützer“ von Haus, Hof und Heimat. Die Schützen wurden deshalb sehr häufig zur Heimatverteidigung aufgerufen. Sie erfüllten diese Pflicht in Bürgerwehren bzw. in Schützen- und Gebirgsschützen-Kompanien. Das wichtigste war jedoch der friedliche Wettstreit. Die Schießwettbewerbe waren die Höhepunkte im Schützenjahr. Das Vogelschießen war dabei der älteste und beliebteste Schießwettbewerb. Das schwierigste Ziel, den Vogel in der Luft zu treffen, war für jeden Schützen etwas Besonderes. Daher wurde auf Nachbildungen meist auch auf hölzerne Vögel geschossen. Die modernen Waffen sind auf das Handrohr im 13. Jahrhundert zurückzuführen. Ähnlich einer kleinen Kanone wurde das Handrohr in einer kleinen Öffnung mittels einer Lunte gezündet. Erst im 16. Jahrhundert schritt die Kunst der Waffenschmiede voran. Die Muskete war dabei die erste Waffe, die militärisch zum Einsatz kam. Hinterladergewehre folgten den Vorderladegewehren und Mitte des 19. Jahrhunderts begann die industrielle Fertigung moderner Patronen und damit auch eine entscheidende Grundlage für die Weiterentwicklung der Gewehre. Die Entwicklung der Waffen war für die Entwicklung des Sportschießens ohne Zweifel von grundlegender Bedeutung. Die Trennung vom Militär hat das Sportschießen vor allem der Vereinsidee zu verdanken, die nicht zuletzt ausgelöst durch die Turnbewegung ihre erste Blütezeit in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte.

… DSB – der nationale Spitzenverband …

Zu dieser Zeit wurden nicht nur viele Turnvereine gegründet, sondern die Gründung von Schützengilden und Schützenvereinen machte es möglich, dass 1861 in Gotha der Deutsche Schützenbund gegründet werden konnte. Er ist damit der älteste deutsche Sportverband. Heute weist er mehr als 1,3 Millionen Mitglieder auf, wobei die männliche Dominanz in der Mitgliederstruktur mit dreiviertel zu einviertel außergewöhnliche Entwicklungsperspektiven für das Sportschießen der Frauen eröffnet. Schießen wird in Deutschland heute in mehr als 14.300 Schützenvereinen gepflegt. Sie bilden oft das kulturelle Zentrum von Kommunen und Städten. Besonders gepflegt werden dabei die olympischen Schießdisziplinen – Bogen, Gewehr, Pistole und Flinte. Der Deutsche Schützenbund war in der Geschichte des Olympismus außergewöhnlich erfolgreich. In Rio 2016 war er jene Sportart, die im Vergleich zur Größe der angetretenen Nationalmannschaft den größten sportlichen Erfolg aufzuweisen hatte. Dreimal Gold und zweimal Silber war eine außergewöhnliche Erfolgsbilanz. Für den Deutschen Schützenbund ist die jährliche Deutsche Meisterschaft sein Wettkampfhöhepunkt. Mehr als 7.500 Schützinnen und Schützen nehmen dabei an der wohl größten jährlich stattfindenden Sportveranstaltung in Deutschland teil.

Mitgliederstruktur im Deutschen Schützenbund nach Alter und Geschlecht Quelle: www.dsb.de.

Anzahl der Mitglieder in den Landesverbänden des Deutschen Schützenbundes. Stand: 31.12.2016. Quelle: www.dsb.de.

… ISSF – der internationale Spitzenverband …

Die Weltverband ISSF hat ähnlich wie der Deutsche Schützenbund seinen Sitz in Deutschland, ist also in jenem Mitgliedsverband beheimatet, der die größte Tradition und die meisten Mitglieder aufweist. Heute gehören der ISSF 158 Nationen als Mitglieder an und sie veranstaltet ein internationales Wettkampfprogramm, das umfassender kaum sein kann. Allerdings wird dabei auch das besondere Problem der olympischen Sportart Sportschießen deutlich. Für den Laien ist die Vielfalt der Disziplinen und Regeln kaum nachvollziehbar. Selbst Weltmeisterschaften finden deshalb oft nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und in Deutschland kann der Schießsport bisher fast nur mit seinen olympischen Erfolgen alle vier Jahre kurzfristig ins Rampenlicht der medialen Öffentlichkeit treten.

Olympische SpieleGoldSilberBronze
Athen 200421-
Peking 2008-13
London 2012---
Rio de Janeiro 201632-

Tabelle 3: Erfolge deutscher Schützinnen und Schützen bei Olympischen Spielen. Quelle: www.dsb.de.

 

… Von der Bundesliga zum Vereinsleben …

Vom bayerisch-schwäbischen Burgau wechseln wir ins oberbayerische Unterwössen. Die 3.400 Seelengemeinde im Chiemgau weist gleich mehrere Organisationen auf, in denen die Kultur des Schießens gepflegt wird. Da ist die Schützengesellschaft Hochwand, gegründet 1890. Sie pflegt das Schießen in Oberwössen. Dann gibt es die Schützengesellschaft Gscheuerwand, die bereits 1872 ins Leben gerufen wurde. Die größte Schützenorganisation ist die Gebirgsschützen-Kompanie mit ihren Sportschützen als eigene Sportabteilung. Diese Organisationen sind Säulen des kulturellen Lebens. Größere sportliche Erfolge sind eher selten, doch die Idee des eingetragenen Vereins, der vor allem dem Gemeinwohl dient, wird selten so engagiert realisiert wie in diesen drei Vereinen. Die Gebirgsschützen pflegen ihre historische Tradition bei jährlichen Gebirgsschützentreffen mit anderen Gebirgsschützen-Kompanien. An Heiligabend ist es ihre Aufgabe mit ihren Böllern und Kanonen das Christkindl „anzuschießen“. Und bei jedem Festzug sind sie eine wichtige Formation, die mit ihren historischen Monturen und ihren Hüten, die mit eindrucksvollen weißen Hahnenfedern geschmückt sind, bei jedem Besucher und Zuschauer Bewunderung hervorrufen. Die Schützengesellschaft pflegt vor allem auf einem 10m-Schießstand, der ihr von der Gemeinde zur Verfügung gestellt ist, die Kurzdistanzen und das Schießen mit dem Luftgewehr, der Luftpistole und dem Zimmerstutzen. Nahezu wöchentlich findet ein sogenanntes „Vortelschießen“ statt. Dieses geht zurück auf ein im 17. Jahrhundert gewährtes Schießgeld. Der Kurfürst bewilligte damals „Schützenvortel“. Dieses „Schützenvorteil“ wurde nach der Messe ausgeschossen. Ehrenscheiben werden gesondert ausgelobt. Bei der SG Gscheuerwand trainiert auch jedes Jahr die georgische Pistolen-Nationalmannschaft, um sich auf internationale Wettkämpfe vorzubereiten. Das Zentrum des Sportschießens stellt die GSK Schießstatt dar, die in einer außergewöhnlichen ehrenamtlichen Eigeninitiative entstanden ist. Zu ihr gehört ein Schützenhaus mit einer 100m- und einer 25m-Schießanlage, die beide in der Region ihresgleichen suchen. Deshalb ist dieser Verein auch attraktiv für viele Mitglieder, die von der umliegenden Region kommen, denn kein Schießstand ist so modern wie jener von Unterwössen. Nachdem die Sportschützen eine Mitgliederzahl von 180 erreichten, musste sogar ein Aufnahmestopp beschlossen werden. Der Schießstand ist unterirdisch gebaut und so kommt es zu keiner Lärmbelästigung in umliegenden Gebieten. Sie unterliegt hohen Sicherheitsvorschriften und weist interessante Lüftungssysteme auf. Geplant, ausgeführt und letztlich gebaut wurde der Schießstand von Mitgliedern des Vereins, die in ihren Hauptberufen Planungsingenieure, Techniker, Architekten und Meister in verschiedenen Handwerksberufen sind oder waren. Auf diese Weise ist nahezu ausschließlich in Eigenleistung diese moderne Schießanlage entstanden. Das Schützenstüberl ist nicht weniger eindrucksvoll wie die Schießanlage selbst. Gekrönt wird er von einem schmiedeeisernen Leuchter, der den größten runden Tisch in der Gaststätte in ganz besonderer Weise schmückt. Wie es für bayerische Gaststätten üblich ist, ist alles in Holz gebaut bzw. ausgestattet. Die Wände sind mit kunstvollen Schießscheiben dekoriert, die wichtige Geschichten zu erzählen haben. Die Küche wird von Ehefrauen betrieben, die teilweise selbst auch schießen, wie überhaupt das Schießen in diesem Verein mittlerweile wie selbstverständlich eine weibliche Disziplin geworden ist. Abend für Abend wird die Speisekarte gewechselt. Typisch bayerische Schmankerl sind dabei eine Selbstverständlichkeit und dies zu äußerst zivilen Preisen. Neben dem Trachtenverein und dem Sportverein sind die Schützenvereine ohne Zweifel das Herz des kulturellen Lebens von Unterwössen. Jedes Jahr werden Schützenkönige, Pistolenkönige, Zimmerstutzenkönige ausgelobt. Für die Gäste des Dorfes wird ein sportliches Schießen für Kurgäste angeboten. Die Wettkampfmannschaften beteiligen sich an Rundenwettkämpfen und das Vereinspokalschießen ist jährlich ein ganz besonderer sportlicher Höhepunkt. Beim letzten Vereinspokalschießen nahmen 345 Schützen aus der Gemeinde teil und 22 Mannschaften kämpften um den Vereinspokal. Neben den Schützengesellschaften nehmen an diesem besonderen Wettbewerb jene Gemeinschaften teil, die für das kulturelle Leben Unterwössens bedeutsam sind. Die Freiwillige Feuerwehr, der Gartenbauverein, der Kirchenchor, der Burschenverein und die Dirndlschaft gehören hier ebenso dazu wie die Musikkapelle, der Trachtenverein, der Motorradclub und der größte Kaufladen im Dorf.

Aus der Sicht des Deutschen Schützenbundes ist dieser Verein einer seiner Träger, die die Basis dieses Verbandes ausmachen. Etwas Besonderes ist er dabei allerdings nicht. Denn solche Vereine gibt es nahezu überall in Bayern und über Bayern hinaus. In Niedersachsen ebenso wie in Schleswig-Holstein, in den neuen Bundesländern ebenso wie in den alten Bundesländern. Unterwössen kann aber als Beispiel dienen, um aufzuzeigen, welch gesellschaftspolitische Bedeutung das Schießen im kulturellen Leben der Vereine in Deutschland hat und wie wichtig der Schießsport für das Zusammenleben von Menschen sein kann.

… Gesellschaftliche Herausforderungen dieser besonderen Sportart …

Der besondere Nachteil für diese faszinierende Sportart ist dabei ohne Zweifel, dass das Sportschießen mit einer ganzen Reihe von negativen Konnotationen einhergeht. Der Gebrauch von Waffen diente in der Geschichte der Menschheit verschiedenartigen Zwecken. Als mörderische Tötungswaffe steht sie jedoch im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit. Ereignisse wie die Tragödie in einer Schule in Winnenden oder die Waffenexzesse in den Vereinigten Staaten, aufgrund derer hunderte von Opfern zu betrauern sind, werden fälschlicherweise mit dem Schießsport in Verbindung gebracht, ohne dass angemessen gewürdigt wird, dass sich der olympische Sport des Schießens in einer friedlichen Umwelt ereignet, die ihresgleichen sucht und in der gegenseitige Begegnung, das Fair Play und ein besonderer Familiensinn eine wichtige Rolle spielen. Wenn hier von Waffengebrauch die Rede ist, so fällt auf, dass dabei Waffen anderer Sportarten in die Diskussion nicht einbezogen werden. Im Fechtsport werden wie selbstverständlich die verschiedenen Waffengattungen unterschieden und die Athleten sprechen dabei deutlich unvorsichtiger  von ihren „Waffen“, als dies bei den Schützen der Fall ist. Auch mit den Waffen des Fechtsports wurden in der Vergangenheit Verbrechen begangen und können auch zukünftig Verbrechen begangen werden. Die Legitimation des Fechtsports wird mit diesen Argumenten aber nicht in Frage gestellt, ganz im Gegensatz zum Sportschießen. So ist auch kaum einem bewusst, dass für die Ausübung der medienwirksamen und zuschauerbeliebten Sportart Biathlon Waffen mit exakt dem selben Munitionskaliber genutzt werden, wie die der Schützinnen und Schützen, die bei den Olympischen Spielen an den Start gehen. Und doch würde niemand diese faszinierende Wintersportart anprangern.

Den Verantwortlichen des Sportschießens ist es bislang noch nicht ausreichend gelungen, sich in proaktiver Weise gegen Verunglimpfungen zu wehren, die sie nicht zu verantworten haben. Zwar hat sich in den letzten Jahren sehr viel verändert und bewegt, doch jede vielversprechende Idee verpufft, wenn die nächste Negativschlagzeile durch die Medien geht und sich keine Meinungsbildner für den Schießsport aussprechen und eine klare Trennung des sportlichen Schießens mit Sportwaffen, die als Sportgeräte dienen, davon zu trennen, dass Menschen Schusswaffen missbrauchen, um Schaden anzurichten. Neben vielen bereits erfolgreichen Maßnahmen zur Steigerung der Bekanntheit der Sportart ist es nach wie vor dringend notwendig, auch die kulturelle Bedeutung des Schießens öffentlich so zur Darstellung zu bringen, dass es auch zukünftig für kommende Generationen attraktiv ist. Ein sich ständig veränderndes Regelwerk, die Abschaffung traditioneller olympischer Disziplinen und die Schaffung modernerer Strukturen zeigen deutlich, dass sich die Verantwortlichen des nationalen und internationalen Schießsports bewusst sind, dass ein Reformbedarf in dieser Sportart notwendig ist. Dem Sportschießen selbst ist zu wünschen, dass es noch über viele junge Lehrerinnen und Lehrer verfügt, denen es gelingt, weitverbreitete Vorurteile über den Schießsport auszuräumen und Menschen für die Wettkämpfe der Schützen zu begeistern – so wie auch ich von nun an ein begeisterter Zuschauer dieser Sportart sein werde.

Verfasst: 07.12.2017