Probleme der Sportberichterstattung – Versuch einer konstruktiv-kritischen Betrachtung

„Auch das lernt man als Sportreporter: Es gibt keine transzendenten Themen im Leben, Dinge sind ausnahmslos hier und sie sind vorbei und das muß genügen. Die andere Sicht der Dinge ist eine Lüge der Literatur, der Geisteswissenschaften“ (Zitat aus dem Roman von Richard Ford „Der Sportreporter“, Reinbek 1989).

Einleitung

Die Kritik an der Sportberichterstattung ist so alt wie die Sportjournalistik selbst. So war 1929 am 23. Dezember in der Kölnischen Zeitung folgendes zu lesen:
„Man darf wohl sagen, dass der Stil des Sportvortrags im Rundfunk noch nicht gefunden ist: Aber seiner großen Bedeutung nach verlohnt es sich, ihn ausfindig zu machen, und das wird noch viel Beobachtung und viel Zeit kosten.“

Egon Arthur SCHMIDT, einer der ersten Sportreporter, ist Autor dieses Beitrages. Seine Kritik gilt zunächst dem 1:0-Journalismus, der Woche für Woche die Sportberichterstattung in dieser Zeit belastet:
„Eine Zusammenstellung von Zahlen und nochmals Zahlen mit Namen, wahllos aneinandergereiht. Da kommen gleich hinter großen Ereignissen kleine und kleinste Spiele, bei denen nicht einmal ein Zuschauer zugegen war. Vorstadt- und Dorfspiele schließen sich bedeutenden Länderspielen an. Und dann wehe der Sportabteilung, die es einmal übersehen hatte, das Ereignis eines für die breite Öffentlichkeit wirklich ganz uninteressanten Spiels mit zu erwähnen! Da rattern kaum nach Abschluß der Durchgabe die Fernsprecher und es hagelt bittere Vorwürfe!“.

Auch nahezu 100 Jahre später lassen sich solche Vorwürfe gegenüber Lokalredaktionen von Rundfunk und Presse noch immer finden und die Kritik an der Arbeit der Sportjournalisten scheint sich nicht verändert zu haben. Vergleicht man die in den letzten Jahren erfolgte Sportjournalistenschelte mit jener aus früheren Zeiten, so lassen sich auffallende Parallelen beobachten. Polemisch könnte man gar die neuerliche Kritik als einen alten Hut aus der Schublade bildungsbürgerlicher Klagen bezeichnen, die nicht begreifen will, dass der moderne Sport längst ein unterhaltsamer und somit zentraler Teil unserer Alltagskultur geworden ist. Sportberichte in der Presse sind „Volkslesestoffe“ und das Sehen und Hören von Sportsendungen und Sport-Videos im Fernsehen und in den sozialen  Medien sind für nahezu alle Bevölkerungsschichten eine willkommene Freizeitaktivität. Im Gegensatz zur gewünschten Kultur manchen Kritikers ist die Sportkultur, deren Mittelpunkt die Sportberichterstattung ausmacht, populär und nicht elitär, demokratisch und nicht nach Ständen geordnet.

Wer so argumentiert, der sieht jedoch nur die eine Seite der Medaille, ist blind gegenüber den Fragen und Problemen, die uns die Sportberichterstattung ganz ohne Zweifel stellt und zur Lösung aufgibt. Ein Tennis-Kommentar mit der Überschrift „Bum-Bum-Basta“ ist keineswegs bedeutungslos. Diese Überschrift weist z. B. auf sprachliche Schwierigkeiten im Umgang mit sportlichen Erfolgen eines Athleten (hier mit Boris Becker) hin, von der die gesamte Sportberichterstattung betroffen ist. Doch nicht alles, was in der kritischen Auseinandersetzung mit der Sportberichterstattung an Fragen gestellt wurde, sind sinnvolle Fragen. Nicht alle Probleme, die benannt werden, sind echte Probleme. Insofern scheint es hilfreich zu sein, wenn die Spreu vom Weizen getrennt wird. Nur dann wird es möglich sein, jenen Journalisten zu helfen, die bereit sind, ihre Sprach- und Bildprodukte zu verbessern. Dazu ist Bereitschaft in Folge von Einsicht erforderlich, die freilich nur bei wenigen Sportjournalisten vorausgesetzt werden darf. Die wenigen verdienen es jedoch, dass ihnen geholfen wird.

Sportberichterstattung auf der Anklagebank

Der Sportberichterstattung wurden bis heute unzählige wissenschaftliche und unwissenschaftliche Untersuchungen gewidmet, wobei vor allem der Sprache die besondere Aufmerksamkeit galt. Die Frage nach dem Einfluss des Sports auf die Gegenwartssprache stellte dabei jenes zentrale Thema dar, das Germanisten seit den ersten Anfängen des von England exportierten Sports in Deutschland beschäftigte. 1974 gipfelte dieses Untersuchungsinteresse in Peter SCHNEIDERs 500-seitiger statistischer Analyse zur Sprache des Sports (vgl. SCHNEIDER 1974). Zwölf Medien wurden dabei äußerst exakt nach ihrer Anwendung von Begriffen überprüft, die SCHNEIDER ihrer Herkunft nach der Welt des Sports zuweist. Solche Untersuchungen sind in gewisser Weise „problemlos“, unter philologischen Interessen sinnvoll und vor allem sprachgeschichtlich von allgemeiner Bedeutung. Problematisch werden derartige Untersuchungen erst dann, wenn aus ihnen Vorwürfe gegen die Sportberichterstattung abgeleitet werden. Stand nämlich in derartigen Untersuchungen zunächst lediglich ein philologisches Interesse mit sprachpflegerischem Charakter im Zentrum, so gesellte sich in neueren Untersuchungen zur Sportberichterstattung zu solcher Kritik zunehmend pädagogische, soziologische und politische Sportkritik, d.h. die Analyse der Sportberichterstattung wurde zum Ausgangspunkt einer umfassenden Kritik des Sports im allgemeinen und der Sportjournalisten im speziellen (v gl. hierzu u. a. BINNEWIES 1975, 1981; WElSCHENBERG 1974; HACKFORTH/WEISCHENBERG 1978).

Macht man sich noch einmal mit jener Kritik vertraut, die in der Vergangenheit – vor allem in den 70er und 80er Jahren – gegenüber der Sportberichterstattung geäußert wurde, so ruft dies zu allererst Erstaunen hervor. Die Vorwürfe, die gegenüber Sportjournalisten erhoben wurden, sind so massiv, dass aus der Sicht von heute vor allem die Frage nahegelegt wird, warum nach wie vor Sportberichterstattung populär ist und die Sportjournalisten in den Tageszeitungen jener Redaktion angehören, die vergleichsweise  eine sehr stabile Leserschaft aufweist. Sportjournalisten – folgt man den Vorwürfen – seien häufig korrupt, würden bestochen durch die Sportartikelindustrie, durch Sportmanager und -funktionäre. Sie würden über Sport nicht objektiv berichten, seien politisch naiv, würden nur über ein geringes Bildungsniveau verfügen und in ihren Reportagen zu einer verdeckten Verherrlichung von Gewalt und Brutalität neigen. Ihr Sprachgebrauch sei superlativistisch. Mit ihrer Berichterstattung würden sie fragwürdige Idole schaffen. Sie würden in einem Fachjargon reden, den viele Menschen nicht verstehen. Der Kampf um Schlagzeilen und Verkaufszahlen mache Sportjournalisten zu kritiklosen und oberflächlichen Partnern des kommerziellen Sports. Bei alledem handle die Sportberichterstattung nahezu ausschließlich vom Hochleistungssport, gäbe somit ein einseitiges Bild von der Welt des Sports wieder und verhindere eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Sport. Auf diese Weise sei Sportberichterstattung Opium fürs Volk, eine Traumfabrik, die zur Flucht aus der Realität verhelfe. Sie verhindere somit eine kritische Bewusstseinsbildung.

Treffen diese Vorwürfe zu, die gegenüber den Sportjournalisten geäußert wurden? Worin liegt die eigentliche Problematik der deutschen Sportberichterstattung? Im Folgenden wird es nicht möglich sein, alle bis heute gegenüber der Sportberichterstattung geäußerten Vorwürfe auf ihre Tauglichkeit zu prüfen. Soviel scheint jedoch ohne Prüfung sich abzuzeichnen: Nicht alle Vorwürfe sind berechtigt und begründet sind nur wenige. Vielmehr besteht ein krasses Missverhältnis zwischen der Kritik an der Sportberichterstattung und ihrer wissenschaftlichen Fundierung. Mit Bedauern muss vielmehr festgestellt werden, dass es bis heute leider nur ganz wenige empirisch fundierte Untersuchungen über die Informationsqualität der Sportberichterstattung und deren Einfluss auf das Sportinteresse, die Einstellungen zum Sport und die Sportaktivitäten des Publikums gibt. Dies gilt für die Publizistik gleichermaßen wie für die Sportwissenschaft. Der aktuelle Forschungstrend zeigt, dass für eine sportpublizistische Forschung von der allgemeinen Publizistik kaum besondere Impulse zu erwarten sind. Sportberichterstattung wird von ihr nur am Rande thematisiert und lediglich für das Fernsehen liegen empirische Befunde vor, die beachtenswert sind. In der Sportwissenschaft wird die Sportberichterstattung ebenfalls nur als Randphänomen behandelt. In fast allen wichtigen Fragen sind die Daten- und Literaturlage unzureichend.
Empirische Forschung findet hauptsächlich auf der Ebene von Magister-, Diplom- und Zulassungsarbeiten sowie mittels einzelner Dissertationen statt. Langfristige Forschungsprojekte, die vor allem für die Frage der Wirkung von Medien unverzichtbar sind, sind unter diesen Bedingungen auch in der weiteren Zukunft nicht abzusehen (vgl. MUCKENHAUPT 1984a, b).
Einige der geäußerten Vorwürfe verweisen jedoch auf Probleme, die unstrittig in der Sportberichterstattung anzutreffen sind. Im Folgenden sollen drei solcher Probleme, die besonders bedeutsam erscheinen, herausgegriffen und etwas deutlicher skizziert werden.

Zum Verhältnis zwischen dem Sport und den Medien

Das erste Problem betrifft das Verhältnis zwischen dem Sport und den Sportmedien. Welches Bild vom Sport wird im Sportteil der Tageszeitungen, in Sportfernsehsendungen, in den Sozialen Medien und in Rundfunkreportagen gezeichnet? Wie beeinflusst die Sportberichterstattung in diesen Medien die Sportentwicklung? Wie beeinflusst der Sport die Massenmedien?

Die Entwicklung des modernen Sports ist sehr eng mit der Entwicklung der Massenmedien verbunden. Beide profitieren gegenseitig voneinander. Der Sport hat einen wesentlichen Anteil am massenmedialen Angebot in der Presse, im Rundfunk, im Fernsehen und in den verschiedensten Online-Medien. Er bietet den Medien ein interessantes Informations-, vor allem ein wichtiges Unterhaltungsthema, das relativ billig zu produzieren ist und bei den Zuschauern, Lesern und Zuhörern hohe Aufmerksamkeit erzielt. Der Sportteil in der Zeitung ist für viele der beliebteste Lesestoff, die Rundfunk-Sportsendungen sind nicht zuletzt als Begleitunterhaltung beim Autofahren populär, die Einschaltquoten bei Sportfernsehübertragungen sind die höchsten, die weltweit erzielt werden. Umgekehrt profitiert der Sport von den Medien. Er wird dank der öffentlichen Präsenz immer populärer, er wird immer attraktiver unter kommerziellen Gesichtspunkten, immer mehr Menschen sehen im Sport eine interessante Form der Unterhaltung. Der Sport wird dadurch für die Werbung interessant, er kann damit seine finanziellen Einnahmen erhöhen. Nicht zuletzt Athleten, aber auch Verbände und indirekt auch deren Funktionäre profitieren von dieser Entwicklung.

Fragt man, welches die Funktionen und Aufgaben der Massenmedien für den Sport in erster Linie sein sollten, so lautet die Antwort: Sie sollten der Unterhaltung, der Information und der Orientierung dienen und kompetente Urteilsbildung sollte auf Seiten des Rezipienten ermöglicht werden. .Das Objekt der Unterhaltung, Information und Orientierung sollte dabei die heutige Sportwelt sein. Entsprechen die Massenmedien mit ihrer täglichen Arbeit dieser Aufgabenstellung? Nach Auffassung vieler Kritiker muss diese Frage mit nein beantwortet werden.

Doch wäre es falsch, wenn man den Sportmedien vorwerfen würde, dass sich in ihnen die alltägliche Bewegungs- und Sportwelt nur in einer reduzierten Form wieder findet. Im Schaffen einer eigenen Sportwirklichkeit liegt vielmehr eine prinzipielle Notwendigkeit des journalistischen Arbeitens. Medien stehen unter prinzipiellem Selektionszwang. Fragwürdig scheinen vielmehr die Kriterien zu sein, nach denen in der Sportberichterstattung ausgewählt wird. Von kritischem Interesse ist somit die Frage, was Journalisten als „themenwürdig“ im Sinne von Unterhaltung und als mitteilungswerte Nachricht im Sinne von Information empfinden und welche Themen und Nachrichten in den Papierkorb der Redaktionen wandern. Diese Frage ist vor allem deshalb wichtig, weil mit den Selektionshandlungen der Redaktionen bzw. Journalisten beeinflusst werden kann, welches Thema bzw. welche Information in der öffentlichen Diskussion unserer Gesellschaft an Relevanz gewinnt bzw. aus dieser Diskussion ausgeschlossen wird. Nicht zuletzt deshalb – so ist zu vermuten – wird von Politikern, vor allem aber auch von der Wirtschaft dem Hochleistungssport in unserer Gesellschaft besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Hingegen werden Fragen und Probleme des Gesundheits-, Schul-, Alters- oder Behindertensports aufgrund der heute üblicherweise praktizierten Selektionen zu vergleichsweise irrelevanten Inhalten degradiert.

Betrachtet man die Themen- und Nachrichtenauswahl in der Sportpresse unter quantitativen und qualitativen Gesichtspunkten etwas genauer, so kann den Sportjournalisten der Vorwurf der einseitigen Definition dessen, was relevanter, d.h. „medienwürdiger“ Sport ist, nicht erspart werden; ja es muss hinzugefügt werden, dass die bereits in den 70er Jahren geäußerte Kritik auch heute noch ihre Berechtigung hat. In einer von mir in den neunziger Jahren durchgeführten vergleichenden Inhaltsanalyse lagen die Anteile an der Gesamtzahl der Sportbeiträge in vier Tageszeitungen der Bundesrepublik (F AZ, FR, Mannheimer Morgen, Darmstädter Echo) für den Berufs- und Wettkampfsport bei 97,6 %, 98,3 %, 89,6 % und 89,6 %. Die Anteile für den Freizeitsport lagen zwischen 1,1 % und 8,6 %. Sozial- bzw. Behindertensport und Schulsport erreichten Anteile von 0,1 % bis 1,4 %. Allein die Sportarten Fußball und Tennis nahmen  damals zwischen 48 % und 56 % des Gesamtumfangs des Sportteils ein. Der Anteil der nicht sportartenorientierten Beiträge lag nur bei durchschnittlich 4,5 %. Dabei war der Anteil der Sportberichterstattung an der Gesamtberichterstattung im Vergleich zu BINNEWIES‘ Untersuchung aus dem Jahre 1970 von 9,25 % auf 13,03 % gestiegen (vgl. eigene Untersuchung mit BINNEWIES 1975). Neuere Quantitative Erhebungen zur Thematik der Sportfernsehsendungen sind zu noch ungünstigeren Ergebnissen gekommen. Die Sportarten Tennis, Fußball und Skilauf nahmen z.B. bei der ARD in den Jahren 1984 und 1985 zwischen 50 % und 60 % des Gesamtsportprogrammangebotes ein (vgl. ARD-Angaben). Selbst in den dritten Fernsehprogrammen dominierten Tennis, Ski alpin und Fußball. Mittlerweile gab es dabei bemerkenswerte Verschiebungen, so zum Beispiel zu Gunsten von Biathlon und anderen Wintersportarten. Die Einseitigkeit der Auswahl und die Dominanz des Fußballs  blieb jedoch bis heute erhalten.

Die Auswahl der Inhalte in der Sportberichterstattung richtet sich noch immer in erster Linie nach vier festen Regeln. Berichtenswert sind demzufolge besondere Leistungen und sportliche Erfolge, Krisen im System des Hochleistungssports, Geschichten, die „human interest“ erzeugen und schließlich „Personality-Stories“ über Athleten (vgl. BECKER 1983, 76 und 81 – 82).

Die Sportberichterstattung orientiert sich also in erster Linie am Prinzip der spektakulären Leistung. Im Mittelpunkt steht die relativ leicht überschaubare und spannende sportliche Höchstleistung. Die sportliche Höchstleistung wird dabei meist auf das angeblich wesentliche einer Sportart reduziert. Fußball setzt sich deshalb insbesondere bei Zusammenfassungen aus Torschuss und Tor zusammen, in der Leichtathletik ist vor allem der Rekord oder die überraschende Niederlage eines Stars bedeutsam. Ferner steht die Ergebnisberichterstattung im Mittelpunkt. Wie es zu den Ergebnissen gekommen ist, was Athleten dafür zu tun haben, wie sie trainieren, welche Rolle dabei die Trainer spielen, wie Erfolge im Sport über langfristige Sozialisationskarrieren erarbeitet werden müssen, über diese Welt des Sports wird hingegen höchst selten berichtet. Das heißt, die Sportjournalisten produzieren eine neue Welt des Sports. In dieser Welt geht es meist um Perfektion, um das Besondere und um angeblich Einmaliges, obgleich sich die besonderen Ereignisse des Sports Woche für Woche nahezu gleichen. Wird eine perfekte oder spektakuläre Leistung erreicht, so wird diese über den Einsatz der Superzeitlupe ästhetisch stilisiert. Durch mehrfaches Wiederholen soll das angeblich Unvorstellbare bzw. das gleichsam Unmachbare so sichtbar gemacht werden, wie es dem normalen Auge üblicherweise vorenthalten bleibt. Unfälle bei Formel-I-Rennen, Tore des Monats und spannende Zieleinläufe der Leichtathletik sind dabei besonders willkommene Anlässe. Dennoch wird dadurch ein oberflächlicher Eindruck von der sportlichen Leistung vermittelt und es entsteht die Auffassung, dass es Sensationen sind, aus denen in erster Linie der Sport gebaut ist. Ansonsten dominiert das Zählbare des Sports: Olympischer Rekord, Weltrekord, Zuschauerrekord, Rekord an gelben Karten, Rekord an roten Karten, Rekord an Toren, Rekordgewinne. Der Sinn des Sports wird somit durch das Prinzip des Überbietens und Scheiterns auf eine wohl treffende, aber dennoch sehr einseitige Weise festgelegt. Ein humanitär bedeutsamer Sinn, den Athleten möglicherweise mit ihrem Sporttreiben verfolgen und hervorbringen, gerät auf diese Weise nur selten oder gar nicht in den Blick.

Ist dies gefährlich? Muss eine derartige Berichterstattung negativ bewertet werden, oder könnte dies nicht auch ein positives Kennzeichen der Sportberichterstattung sein?

Aus einer wertneutralen Position lässt sich eine derartige Sportberichterstattung als ein „Erzählen von Märchen“ deuten. Wenn Sportjournalisten Olympische Spiele noch immer als ein Ereignis im „idyllischen geweihten olympischen Hain“ trotz Doping, Kommerzialismus und politischer Inanspruchnahme darstellen, wenn Paris-Roubaix noch immer in die „Hölle des Nordens“ führt, trotz der Veränderungen, die im Industriegebiet Nordfrankreichs natürlich sich in den letzten 50 Jahren vollzogen haben, wenn Turnerinnen „rührend“, „lieblich“, „grazil“, „zart“, „Spatz“ oder „Kobold“ genannt werden, ganz gleich, ob sie spindeldürr, 12 oder 21 sind, wenn 10-Kämpfer bewundernswerte „Supermänner“ sind, sie sich durch eine „unerhörte Leistungsstärke“ auszeichnen und entweder eine „Glückssträhne“ oder eine „Pechsträhne“ haben, wenn Sprinter immer die „Schnellsten“, Gewichtheber immer die „Stärksten“, Marathonläufer immer die „Ausdauerndsten“ sind, wenn – ganz gleich, wie Fußballspiele tatsächlich ablaufen – Siege verdient, allenfalls noch dem Glück zu verdanken sind und wenn Siege vor allem begründbar sind, selbst dann, wenn der Sieger vom Besiegten nur eine Hundertstelsekunde getrennt ist, so können in diesen Beispielen mythologische Züge erkannt werden, die auf eine literarische Qualität der Sportberichterstattung verweisen, die vermutlich so nur selten erkannt wurde (vgl. GEBAUER 1983 ).

Gerade unter dem Aspekt einer hier angestrebten konstruktiven Kritik ist GEBAUERs Beobachtung hilfreich. Sportberichterstattung kann sich in der Tat durch literarische Qualitätsmerkmale auszeichnen, und möglicherweise liegt eben darin ihre unterhaltende Wirkung.

Jene Journalisten im Sport, die z. B. meinem Unterhaltungsinteresse am meisten entsprechen, haben eine Vorliebe für die Legende.  Die Legenden im Sport handeln von den „Wundern im Sport“. Der Leistungssport ist dabei eine unerschöpfliche Wunderquelle. Jesse Owens, Jaques Anquetil, Helmut Rahn, Manfred Germar sind z.B. Namen für meine Wunder. Jede Generation wird vermutlich ihre eigenen haben, wobei besonders jene wenigen Wundernamen zu beachten sind, die mehrere Generationen überdauern. Mittlerweile gibt es jeden Tag eine einmalige Leistung, jeden Monat ein „Tor des Monats“ und jedes Jahr einen „Sportler des Jahres“. Die Wunder sind dadurch kleiner geworden. Doch noch immer ist der Athlet dabei ein Repräsentant „unbekannter Kräfte“. Die Ähnlichkeit zu religiösen Wundern ist dabei noch immer offensichtlich. Sportliche Großtaten hinterlassen reliquienartige Gegenstände, die für die Imitatoren große Bedeutung gewinnen: Einen Tennisschläger, ein Paar Laufschuhe von einer ganz bestimmten Firma, ein Rennrad, ein Fußballtrikot. Bei Versteigerungen aus Wohltätigkeitsveranstaltungen spiegelt sich ihr Wert in höchsten Preisen wider. GEBAUER weist darauf hin, dass die Legenden im Sport auch zu Gegenlegenden werden können. Sie handeln dann vom abtrünnigen Sohn, vom Versager. Allerdings scheint kein Fehler so groß zu sein, dass sich der Unheilige nicht wieder in den Heiligen verwandeln könnte. Paul Breitner spielte dieses Rollenspiel nahezu perfekt und „bad guys“ wie Niki Lauda, Boris Becker oder Bernd Schuster wurden zu „nice guys“ im Sport, wann immer sie es wollten. Den Charakter der Legende gewinnt die Sportberichterstattung auch dadurch, dass in ihr sehr häufig moralisch argumentiert wird, d.h. das naive moralische Empfinden des Lesers findet seine Befriedigung. GEBAUER weist darauf hin, dass es eine ganze Rhetorik gibt, die Siege von Repräsentanten eines Clubs oder einer Nation als gerecht darstellt, um damit die Niederlagen anderer Teilnehmer moralisch zu begründen (vgl. GEBAUER 1983).

Eingangs wurde der Sportberichterstattung eine wirklichkeitsfremde Inszenierung des Sports in der Presse, im Rundfunk und im Fernsehen vorgeworfen, sie einer einseitigen Auswahl bezichtigt. Wenn Sportberichterstattung zumindest teilweise bloßes „Geschichtenerzählen“ ist, wie es eben aufzuzeigen versucht wurde, so scheint dieser Vorwurf unberechtigt zu sein. Gute Geschichten unterhalten. Menschen brauchen gute Unterhaltung, sie benötigen Märchen, eine gute, sinnlich erfahrbare Ästhetik und Möglichkeiten zur Identifikation.

Diese positive Beschreibung lässt sich nur schwer widerlegen. Die empirischen Fakten machen deutlich, dass jene Form der. Sportberichterstattung, die auf Unterhaltung zielt, mit der größten Resonanz beim Publikum rechnen kann.

Eine Sportberichterstattung in der Presse, deren einseitige Meßlatte der Unterhaltungswert ist, befindet sich jedoch in der Gefahr, in Widerspruch zu den weiteren Aufgaben zu geraten, die üblicherweise Journalisten in unserer Gesellschaft zu erfüllen haben. Wird Sportberichterstattung auf deren unterhaltende Funktion reduziert, so widerspricht sie den journalistischen Pflichten und Möglichkeiten, die den‘ Massenmedien in einer aufgeklärten und aufklärungsbedürftigen Gesellschaft zukommen.

Die Sportmedien berücksichtigen bei ihrer Berichterstattung in 98 % der Fälle nur den Hochleistungssport, der in der Bundesrepublik Deutschland von ca. 2000 Athleten betrieben wird. Die über 24 Millionen DOSB-Mitglieder in mehr als 90.000 Vereinen bewegen sich, spielen und wetteifern jedoch vornehmlich im so genannten Freizeitsport. Allein dieser Vergleich deutet darauf hin, dass sich die Ziele der Berichterstattung und die Ziele, die viele Menschen im Sport verfolgen, nicht decken. Dieser Widerspruch ist m. E. kaum problematisch. Unterhaltsam, im Sinne eines Unterhaltungsthemas in der Zeitung, ist für Menschen vermutlich kaum jener Sport, den sie selbst alltäglich betreiben. Es könnte jedoch sein, dass das Sportinteresse der Bevölkerung den Interessen der Sportberichterstattung weit vorauseilt und damit Trends sichtbar werden, die zumindest unter dem Aspekt des Aufklärens und Informierens bzw. der Animation neue Chancen für die Sportberichterstattung eröffnen könnten.
Angesichts des noch immer zu beobachtenden Phänomens der redundanten Informationsverdoppelung im Verbund der Sportmedien ist diese Entwicklung von besonderer Bedeutung.
Die Sportjournalisten meinen noch immer viel zu oft, sie müssten ein- und denselben Gegenstand immer wieder aufs Neue „aufputzen“. Dadurch entsteht eine Tendenz zur Informationsverdoppelung, die angesichts der Kurzlebigkeit und Bedeutungslosigkeit der Informationen nur Verwunderung hervorrufen kann. Die Bedeutungslosigkeit kommt dabei meist dadurch zustande, dass Sportjournalisten – vor allem im Bereich des Fernsehens – etwas erkunden wollen, wo nichts zu erkunden ist, weil das, was erkundet wird, jedem Menschen klar ist. Wenn z.B. vor einem Fußballspiel gefragt wird, wie die Stimmung in der Mannschaft ist, welche Chancen die Mannschaft hat, so liegen die Antworten auf dem Tisch. Was soll ein so Gefragter wohl antworten? Dennoch prasseln Woche für Woche, Jahr für Jahr auf den wehrlosen Hörer, Seher und Leser die gleichen inhaltlosen Phrasen nieder. Woche für Woche geben Trainer nach einem Spiel Pressekonferenzen und erklären den Sportjournalisten alles das, was diese schon längst wissen. Die Journalisten geben ihrem Publikum davon jenes weiter, was dieses ebenfalls längst schon weiß. Damit entsteht eine Redundanz, die in ihrer Banalität kaum noch übertroffen werden kann.

Durch die Mehrfachnutzung von Medien wird die‘ Tendenz zur Informationsverdoppelung und unsachlichen Informationen noch verstärkt. Heute sind inhaltliche Überschneidungen für alle Medienkonsumenten zum Normalen geworden. Jeder einzelne steht in einem Netzwerk der Medienkommunikation, das auf Überinformation abzielt, und die Merkfähigkeit bzw. Vergesslichkeit des Konsumenten außer Acht lässt. So können die Zeitungen über das noch einmal berichten, was im Fernsehen auf einem Kanal zuerst gesendet und auf drei Kanälen bereits wiederholt wurde. Es wird also etwas über ein Sportereignis nachgelesen, was die Rezipienten aus dem Fernsehen, aus Sozialen Medien oder aus dem Funk tags zuvor bereits erfahren haben. Entsprechende Tests zeigen, dass unmittelbar danach jedoch die sportlichen Informationen trotz intensivster Wiederholung aus dem Gedächtnis der Rezipienten verschwunden sind. Dies mag erwünscht und sinnvoll sein. Doch einige Kritiker fragen sich angesichts dieses Phänomens zurecht, warum Sportjournalisten die Ergebnis- und Rekordberichterstattung so ernst nehmen, ja warum sie sich zum Teil ausschließlich dieser Aufgabe zuwenden. Könnte hier nicht weniger mehr und dafür anderes unterhaltsamer und informativer sein?

Besonders kritisch scheint dabei die Entwicklung des Fernsehsports zu sein. Das Sportfernsehen scheint sich in einer Eigendynamik zu befinden, ohne dass noch eine korrigierende Kontrolle möglich ist. Es gilt immer häufiger der Satz „wo ein Markt ist, ist ein Weg“. Was technisch machbar ist, wird gemacht. Insofern finden vor allem auch im Sportfernsehen ständig Neuerungen statt, aber der Rezipient wird dadurch weder besser informiert noch besser unterhalten. Große Teile des Sportfernsehens sind für die Welt des Sports schon längst nicht mehr ein ehrlicher Seismograph von dessen Wirklichkeit und vermutlich nur noch sehr selten ein zentraler Initiationsfaktor für ein aktives Engagement im Sport. Vor allem die Showsendungen des Fernsehsports haben immer mehr bewirk(, dass sich die Welt des Sports gespalten darstellt. Es gibt heute den freudvollen Sport; Bewegung, Sport und Spiel als individuelle Erfahrung, als Selbstzweck, so wie er alltäglich auf vielfache Weise von immer mehr Menschen betrieben wird. Daneben gibt es den morbiden, hypertrophen, zirzensischen Sport, so wie er in den zentralen Sendungen des Fernsehsports zur Darstellung kommt. Das Sportereignis ist dabei ein „Happening“, bei dem Geld und Mode bestimmend sind. Der Athlet ist der manipulierte Statist, wobei für einige zumindest das daraus resultierende Einkommen eine mehr als ausreichende Entschädigung darstellt. Angesichts der Deutungsmacht, die in unserer Gesellschaft das Fernsehen besitzt, ist dieser Zustand vermutlich nicht ungefährlich. Immer mehr Menschen sehen im Sport eine menschenverachtende Institution, in der es um utopische Gagen, Manipulationen, Glamour und Menschen ohne Würde geht. Für Menschen, denen als Informationsquelle über den Sport nur der Fernsehsport zur Verfügung steht, wird solch ein Vorurteil beinahe zwingend nahegelegt. Der Sport, wird er nur noch über den Fernsehsport definiert, befindet sich in der Gefahr, zur Karikatur seiner selbst zu werden. Wenn Fernsehsport Personenkult, unkritische Leistungsvergötterung, Maßstablosigkeit und neurotische Unverhältnismäßigkeit ist und wenn die Sportjournalisten nur noch Komplizen der Sportindustrie sind, wenn Sportjournalismus zum Public-Relation-Geschäft verkommt und wenn Sport im Fernsehen nur noch totale Show und totaler Kommerz ist, so kann vermutet werden, dass dies weitreichende Folgen haben wird. Schon heute scheint es so zu sein, dass bei vielen Fernsehsportjournalisten eine berufsethische Einstellung immer häufiger außer Kraft gesetzt wird, dass immer mehr Sportjournalisten des Fernsehens sich gesellschaftspolitisch aus jeglicher Verantwortung davongestohlen haben. Begünstigt wird dieser Wandel von einem so genannten „liberalen Konzept“ deutscher Medienpolitiker , in dem die Einschaltquoten die Qualität prägen: Nivellierung der Inhalte und Formen der Sportberichterstattung ist eine nahezu zwangsläufige Folge davon. In der Sprache des Schweizer Medienexperten BLUM geht es deshalb im Fernsehsport von heute nur noch um „Sauglatismen und Videotie“, um „Einfalt statt Vielfalt“. Zukünftige Hoffnung auf das Sportfernsehen scheint somit vergeblich zu sein. Es ist weder Sinnstifter noch Heilbringer, es wird auch nicht die Rolle des großen Korrektors einnehmen können. Dennoch ist es eine Macht, die ganz wesentlich die weitere Entwicklung des Sports prägen wird.

Folgen der Sportberichterstattung

Das zweite Problem, das besondere Beachtung verdient, wird dann sichtbar, wenn wir nach den Konsequenzen fragen, die das über die Medien vermittelte Bild vom Sport für das Wissen, die Einstellungen und das Handeln des Publikums im Bereich des Sports und in anderen Lebensbereichen hat. Bezogen auf diese Fragen lassen sich kaum so klare Antworten wie auf die Frage finden, die sich auf die Auswahlproblematik der Sportberichterstattung bezogen hat. Die Frage, ob und mit welcher Intensität die Sportberichterstattung die Einstellungen des Publikums beeinflusst, kann heute nicht gesichert beantwortet werden. Nicht weniger unwissend stehen wir der Frage gegenüber, ob und mit welcher Reichweite die Sportberichterstattung für unser Wissen. Denken. Handeln und Fühlen Konsequenzen hat.

Unser Wissen über den Sport wird durch die Sportberichterstattung ohne Zweifel bereichert, wenngleich die Bereicherung meist als unbedeutsam zu betrachten ist. Die Banalität der Information (oben wurden Beispiele hierzu erwähnt) scheinen dabei das besondere Übel der Sportberichterstattung zu sein. Werner SCHNEYDER – ehemaliger Kabarettist und Sportjournalist zugleich – ist zuzustimmen, wenn er es als eine Vergeudung öffentlicher Gelder bezeichnete, „wenn ein Fußballtrainer oder Vereinspräsident im Fernsehen sagen darf: ‚Für uns geht es heute um sehr viel‘. Wenn er dann noch dazusagen darf, auch der Gegner hätte die Punkte dringend nötig, dann hat man den Hörer Seher endgültig zu dem gemacht, als den der Sport ihn hoffentlich nicht nötig hat: zum Idioten“ (SCHNEYDER 1980, 161). Nicht alle Formen der Sportberichterstattung sind jedoch von dieser Kritik betroffen. Das zeigen jene guten Gegenbeispiele, die es auch in der Sportberichterstattung gibt und gerechterweise muss hinzugefügt werden, dass in einigen Sportpresse-Redaktionen gute Arbeit auf diesem Sektor geleistet wird. Ungerecht wäre ein Urteil bezüglich der Wissensvermittlung vor allem dann, wenn lediglich von jenen Sportberichten die Rede ist, deren Produktion von bescheidener journalistischer Kompetenz gekennzeichnet ist. Das Dilemma liegt dabei nicht in einem Mangel an journalistischen Handlungsformen, sondern eher in einem fragwürdigen Verständnis vom Beruf des Sportjournalisten.

Die Wirkungsforschung befindet sich nach wie vor – was Fragen und Probleme im Bereich der Sportberichterstattung betrifft – im Stadium der Hypothesenbildung. Es gibt eine Reihe von mehr oder weniger fundierten Plausibilitätsannahmen. Eine Tendenz ist dabei unübersehbar: Die Sportberichterstattung wird von Kritikern pauschal verurteilt, ohne das jeweilige Urteil fundiert zu begründen. Wirkungsfragen gehören jedoch zu den wichtigsten Fragen, die uns die Medien aufgeben. Deshalb muss bei ihrer Beantwortung auch eine besondere Sorgfalt abverlangt werden; So ist es z.B. nicht zulässig, von sprachlichen Entgleisungen in Reportagen, oft sogar nur über ein Beispiel belegt, auf aggressive Wirkungen der gesamten Berichterstattung zu schließen. Unzulässig ist es auch, einen eindeutigen Zusammenhang zwischen der Berichterstattung und ihrer Wirkung zu behaupten, wenn es offensichtlich ist, dass z.B. dieselbe sprachliche Handlung, z.B. eine positive Beschreibung einer Foulhandlung, bei verschiedenen Rezipienten ganz unterschiedliche Folgen haben kann. Schließlich ist diese vorschnelle Kritik auch deshalb unzulässig, weil man sprachliche Ausdrücke und Bilder nicht Wirkungen zusprechen kann, ohne dass man prüft, wie diese Mitteilungen von den Adressaten verstanden werden. Genau diese Prüfung ist jedoch bis heute noch nicht erfolgt (vgl. MUCKENHAUPT 1984a, b; VOLKNANT 1988; DIGEL 1983, 1989, 1992). Hinzu kommt, dass es auch hilfreich sein könnte, zwischen „Wirkung“ (d.h. kausal auf einer Ursache beruhend) und Folge (die jemand für sein eigenes Tun aus einem Sachverhalt zieht) zu unterscheiden. Es ist deshalb zum jetzigen Zeitpunkt verfehlt, wenn man der Sportberichterstattung mit Blick auf die zunehmende Gewalt im Stadion eine direkte induzierende Wirkung zusprechen würde. Die wenigen empirischen Befunde weisen nicht schlüssig auf jene Sachverhalte hin, von denen in vielen Vorwürfen ausgegangen wird.

Die Besorgnis, dass Journalisten in ihrer sprachlichen Beschreibung von Foulhandlungen diese verharmlosen und damit Foulhandlungen in zukünftigen Sportereignissen ermöglichen, zumindest nicht dazu beitragen, dass sie verhindert werden, verliert deshalb jedoch nicht an Berechtigung. Äußerungen von Reportern, wie „Müller hat die Notbremse gezogen“ oder „Maier ist zweikampfstark, er hat seinen Gegenspieler ausgeschaltet“, die sich jedoch auf eindeutige Regelverstöße beziehen, sind keineswegs so harmlos zu bewerten, wie einige Fernsehlobbyisten es uns nahelegen. Der Sport hat weder einen Kriegsjargon, noch eine in Vokabeln versteckte nationale Hetze verdient (vgl. SCHNEYDER 1980, 162). Aber auch Superlative, Metaphorik und Plattitüden können Instrumente einer fragwürdigen Form von Unterhaltung sein. Erst jüngst zeigte sich dies wieder einmal bei den Fernsehübertragungen zu den European Championships von München, bei denen sich die Moderatoren und Reporter bzw. Moderatorinnen und Reporterinnen in einem Überbietungswettbewerb des Selbstlobs und der Superlativen befunden haben und jeden Interview und Gesprächspartner zur Teilnahme verpflichtet haben.

Die oben bereits erwähnte Annahme, dass Themen, die in den Medien nicht behandelt werden, für die Bevölkerung aufgrund ihrer Vernachlässigung kaum eine besondere Relevanz besitzen können, hat ebenfalls ihre Berechtigung. Für den Sport heißt das, Sport ist z. B. für so genannte Vielseher immer mehr jenes, was im Fernsehen zur Darstellung kommt. Hingegen ist jener Sport, wie er tausendfach ohne Beobachtung durch die Medien betrieben wird, für solche Zielgruppen immer weniger relevant. Probleme, wie sie im Schulsport, im Behindertensport, im Seniorensport und bei anderen Zielgruppen zu beobachten sind, existieren in gewisser Weise somit nicht. Dennoch werden die tatsächlich existierenden Ausformungen des Sports von diesem Fernsehsport beeinträchtigt. Für den Schulsport ist der Mediensport zum Beispiel insofern ein Problem, als der Fernsehsport für die Schüler die Funktion eines fragwürdigen Modells einnehmen kann. Die Annahme ist z.B. naheliegend, dass Fernsehsport bei Kindern und Schülern bestimmte Kaufwünsche zeitigt, dass die im Fernsehen dargestellten Handlungen zur Imitation führen können, dass die Regeln des Fernsehsports handlungsleitend werden, nicht zuletzt, dass aggressives Handeln, das im Fernsehen zur Darstellung kommt, Aggressivitäten auf Seiten des Zuschauers zur Folge haben können (vgl. DIGEL/VOLKNANT 1986). Ob der Fernsehsport tatsächlich so wirkt, ist heute mehr denn je umstritten. Dass er wirkungslos ist, wird vermutlich jedoch kaum jemand behaupten wollen. Eines scheint dabei unbestreitbar zu sein: Betrachtet man den Auftrag der Sportjournalisten, den sie sich selbst gegeben haben, bzw. jenen, der über das Grundgesetz nahegelegt wird, so wird immer deutlicher, dass Sportjournalisten zumindest unter ethischen Gesichtspunkten immer häufiger im Widerspruch zu ihrem eigentlichen Auftrag geraten.

Sportjournalisten als Anwälte des Sports

Das dritte hier zu analysierende Problem ist das der Einmischung, das dadurch entsteht, dass Sportjournalisten sehr häufig Anwaltsfunktion für den Sport und dabei vor allem für den Profisport übernehmen. Die Sportberichterstattung hat sich von Anfang an als Anwalt des Sports verstanden. Das zeigen die ersten Leitsätze der Sportpresse aus dem Jahr 1927 sehr deutlich. Dies scheint auch nicht notwendig von Übel zu sein. Ihre Anwaltsfunktion hat sich in den letzten Jahren jedoch wesentlich verändert. Das Problem ist dabei nicht, dass sich Sportjournalisten mit ihren Berichtsgegenständen identifizieren, wie dies z.B. in der Nachrichten-Berichterstattung nur selten der Fall ist. Das Problem ist vielmehr die Parteilichkeit zugunsten einer bestimmten Variante des Sports, zugunsten einer bestimmten Gruppe von Sportfunktionären, Trainern und Athleten und zugunsten einer bestimmten kommerziellen Sportlobby. Diese ist wiederum dann besonders problematisch, wenn dadurch Kumpanei, Abhängigkeit oder gar fragwürdige ökonomische Verflechtungen erwachsen. Angesichts einiger abschreckender Beispiele sah deshalb Werner SCHNEYDER in Sportjournalisten „Sportvertreter“. „Sie berichten nicht über den Sport, sie kritisieren ihn nicht, ja sie bejubeln ihn nicht einmal. Sie vertreten ihn. Sie sind Agenten eines Betriebes, sorgen für Wortumsatz und für Sportumsatz. Wenn sie am Sport etwas stört, dann etwas, was seinem Massenerfolg entgegensteht. Etwas, was das Nationalprestige im internationalen Wettbewerb mindert, … Was sie aber nicht stört, sind Übelstände in der Substanz. (…) Die Sportjournalisten sind von einer geradezu unappetitlichen Treue. Die normalen Zuschauer können es sich leisten, in den Helden der Arenen ihre Kinderträume wiederzuerkennen, können es sich leisten, sich in die Helden zu projizieren, ihre Tore mitzuschießen, ihr Finish mitzusprinten. Menschen, die das als Journalisten immer noch tun, sind Berufsverfehler“ (SCHNEYDER 1980, 155).

Will man der Frage nachgehen, welche meinungsbildenden Folgen diese Art von Sportberichterstattung haben kann, so ist den Werturteilen von Sportjournalisten besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Die bewertenden sprachlichen Äußerungen sind deshalb von besonderer Bedeutung, weil – wie MUCKENHAUPT (1984b) beobachtete – in der Sportberichterstattung der Anteil von Bewertungshandlungen besonders hoch ist im Vergleich z.B. zur Nachrichten-Berichterstattung. Die dort geforderte strikte Trennung von Nachricht und Meinung wird in der Sportberichterstattung nicht im gleichen Umfang berücksichtigt. Ärgerlich ist dabei vor allem, dass Sportjournalisten häufig feige sind. Über Krisen wollen sie berichten, auch dann, wenn es keine gibt. Kritische Töne, die zur sachgerechten Analyse von Krisen notwendig sind, werden meist jedoch nur indirekt ins Spiel gebracht, über die Meinung Dritter, wobei Äußerungen als Zitate ausgewiesen werden, die meist so nie gemacht wurden. Zitatfälschungen sind nicht nur in der Sportpresse mittlerweile etwas alltägliches. Nicht wenige Sportjournalisten betreiben gar einen Journalismus nach dem Prinzip der „Verbrannten Erde“. Die Intimsphäre von Betroffenen wird dabei meist nicht beachtet und das Vertrauen von Informanten wird missbraucht. Dies ist nicht nur ein moralisches Problem. Unter kommunikativen Gesichtspunkten ist dies auch ein qualitatives Problem. Viele Sportjournalisten neigen dazu, im Vor, Um- und Nachfeld von sportlichen Ereignissen Meinungen gerade dort einzuholen, wo sie am uninteressantesten sind, nämlich bei den Beteiligten. Doch dort sollen lediglich die genauen Sachverhalte recherchiert werden. Meinungen sollten die Sportjournalisten selbst haben. Deshalb ist heute die Handschrift der Sportjournalisten in Kommentaren und Sendungen nur sehr selten zu erkennen. Ist dies jedoch ausnahmsweise der Fall, so kann ein Sportjournalist, der dies tut, der Kollegenschelte ebenso sicher sein wie der Kritik der Sportverbände . Ansonsten werden die Kommentare von Sportjournalisten für den Tag gemacht. Wer heute noch verteufelt wird, wird nach dem nächsten Sieg in den Himmel gehoben. Die Funktion der Kommentare wird auf diese Weise zweckentfremdet. Der Kommentar dient nicht mehr der Analyse und sachlichen Beurteilung, sondern er ist bloßes Mittel zur Story. Dabei müsste den Sportjournalisten eigentlich selbst klar sein, dass eine bloße Berichterstattung für den Tag sie zu „affektiven Narren ihres Berufsstandes macht“, wie Werner SCHNEYDER diesen Sachverhalt bezeichnete.

Das unzuverlässige und feige Handeln gipfelt in einem ebenso fragwürdigen wie inkompetenten Umgang mit den immer einflussreicher werdenden Nachrichtenagenturen des Sports. Vergleiche zwischen Agenturtexten und abgedruckten Tageszeitungstexten zeigen uns heute übliche Manipulationstechniken, die den Betrug des Lesers begünstigen und das Prinzip der wahrhaften Berichterstattung über Bord werfen (vgl. FISCHER 1990). Bei Agenturanteilen von 52 % (46 % im Wortlaut, 2 % dem Duktus folgend und 4 % sinngemäße Übernahme) in 14 ausgewählten Tageszeitungen war dieser Sachverhalt in einer Studie aus dem Jahr 1990 von weitreichender Bedeutung. Dies galt vor allem deshalb, weil für Sportjournalisten ein sorgfältiger Umgang mit Quellen eher unüblich ist. So wurden von den übernommenen Agenturberichten 37 % als Eigenbeiträge gekennzeichnet und überraschend hoch mit 29 % ist auch der Anteil der übernommenen Artikel, die in den Zeitungen gar nicht gekennzeichnet werden (vgl. MUCKENHAUPT 1990, 118 – 122). Ein Mangel an Quellentransparenz ist somit offenkundig.

Schlussbemerkungen

Die Ausführungen zu den hier ausgewählten Problemen der Sportberichterstattung sollten vor allem eines deutlich machen: Die Sportjournalisten ziehen die Grenzen ihrer journalistischen Kompetenz in unerlaubter Weise zu eng, denn der Sport lässt eine bessere, d.h. auch unterhaltsamere Berichterstattung zu. Wenn sich die Arbeit eines Sportjournalisten auf das Kommentieren von Spielzügen, das Nennen von Namen und das Erzählen von Geschichten beschränkt, so hat er nur die halbe Arbeit vollbracht. Der Sport braucht mehr Kommentare, d.h. Meinungen der Sportjournalisten; er braucht Bewertungen, an denen sich Diskussionen entzünden; Bewertungen, die möglicherweise auch unangenehm sind. Der Sport braucht eine Berichterstattung, die im Umgang mit Sportorganisationen, Funktionären und Sportlern jene Vorsicht walten lässt, die ihnen ermöglicht, in distanzierter Sicht Aufklärer und Kritiker zugleich zu sein. Der Sport, die Athleten, die Vereine und Verbände haben – ebenso wie das Publikum der Sportberichterstattung – ein berechtigtes Interesse, dass über Sport umfassender berichtet wird. Die künftige Entwicklung der Medienlandschaft in der Bundesrepublik bietet dazu eine Chance. Die Gefahr ist aber ebenso offensichtlich, dass der Sport noch mehr als es bereits heute der Fall ist, zu einem Spektakulum, zu einer Zirkusshow wird.

„Wenn das alles den Anschein erweckt, als sei das Dasein eines Sportreporters eine recht oberflächliche Angelegenheit, dann nur, weil es das tatsächlich ist. Und es ist deswegen noch lange kein schlechter Beruf und ich bin das will ich zugeben für diesen Beruf auch nicht ganz ungeeignet.“ (Zitat aus dem Roman „Richard Ford Der Sportreporter“, Reinbek 1989, 88 – 89)

Berücksichtigte Literatur

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