Handball im Wandel – Perspektiven zukünftiger Entwicklungen

Vorbemerkungen

Die Antwort auf die Frage nach der Zukunft des Handballsports ist in der alltäglichen Arbeit in den 4.356 Handball-Vereinen zu finden (Stand: 01.01.2016). Sie hängt ab von der Arbeit der Abteilungs- und Übungsleiter und der Trainer, die mehrmals in der Woche ihre Freizeit dem Handballsport opfern und dabei bemüht sind, Handballmannschaften verschiedenen Geschlechts, verschiedener Altersklassen Woche für Woche so vorzubereiten, dass sie möglichst besser sind als die Gegner und dass die jeweils gesteckten Ziele in den Ligen des Handballsystems erreicht werden. Diese Arbeit ist heute schwieriger denn je und die für den Handballsport an der Basis Verantwortlichen müssen schon seit längerer Zeit Probleme lösen, denen sie immer weniger gewachsen sind, die immer komplexer werden und bei deren Lösung sie dringender denn je Hilfe von ihrer Dachorganisation und den übergeordneten Sportverbänden benötigen.

Will man von den Perspektiven des Handballsports in Deutschland reden, so muss von diesen Problemen gesprochen werden, die sich uns meist auf strukturelle Weise stellen und die nicht selten gesellschaftlich bedingt sind. Im Folgenden möchte ich auf einige Aspekte der aktuellen Problemlage des Handballsports in Deutschland näher eingehen. Ich möchte dabei vor allem die Meinung der Praktiker vor Ort beachten. In Diskussionen mit vielen im Handballsport ehrenamtlich Tätigen hatte ich Gelegenheit, deren Erfahrungen und Meinungen zu den Perspektiven des Handballs in Deutschland kennenzulernen. Folgt man außerdem den wenigen empirischen Untersuchungen, die es zu die­ser Fragestellung gibt, so lassen sich sechs Bereiche unterscheiden, in denen sich der Handballsport als zukünftiges Problem darstellt.

Zunächst und vorrangig zu nennen ist dabei der Handballsport als Gegenstand eines beson­deren Zielkonfliktes. Zum zweiten stellt sich der Handballsport als ein kul­turelles Problem dar. Drittens ist der Handballsport ein Mitgliederproblem. Viertens gehen viele Probleme, die heute in Bezug auf den Handballsport in Vereinen zu beobachten sind, mit dem Problem der Mitarbeitergewinnung ein­her. Fünftens ist der Handballsport vermehrt ein organisatorisches Problem. Schließlich und vor allem ist der Handballsport auch ein Finanzierungsproblem. Es ist mir im Folgenden nur möglich, jeden dieser Bereiche skizzenhaft zu kennzeichnen. Dort, wo es mir sinnvoll erscheint, auch entsprechende Daten aus empirischen Untersuchungen bereitzustellen, die geeignet sind, das Problem etwas genauer zu erhellen, soll dies versucht werden.

Handball als Zielkonflikt

Der Zielkonflikt des Handballsports spiegelt sich im Angebot wider, das Vereine ihren Mitgliedern unterbreiten. Auf einen Nenner gebracht und gewiss sehr grob vereinfachend lautet der Konflikt: Soll der Sportverein den Prinzipien der sportlichen Leistung, des Wetteifers, der Konkurrenz verpflichtet sein, oder soll der Verein möglichst vielen Menschen ein Angebot unterbreiten, das in erster Linie Spaß macht, wobei das Können, die sportliche Leistung und die zu überbietenden Maßstäbe nur eine nachgeordnete Rolle spielen? Mit anderen Worten ausgedrückt stellt sich somit die Frage: Welchen Zielen ist die Arbeit im Verein verpflichtet? Ist sie der Idee des Wetteifers, des Leistungsprinzips und einer an feste Regeln gebundenen Sportart wie beim Hallenhandball ver­pflichtet, oder einem Sport, der sozial- und gesundheitspolitisch orientiert ist und individualistischen Freizeitbedürfnissen entspricht? Dies muss gewiss kein Gegensatz sein, doch deutet vieles darauf hin, dass heute beides nur mit Mühen miteinander vereinbart werden kann.

Der Handballsport scheint in diesem Konflikt zurzeit eher auf der Verliererstraße zu sein. In immer mehr Vereinen werden zumindest neue Angebote, die den Mitgliedern unterbreitet werden, an der Idee des sogenannten „Freizeit-und Gesundheitssports“ ausgerichtet. Dies gilt vor allem für mittlere und große Vereine. Und je mehr ein Verein sich dem Sport ohne organisierte Wettkämpfe zuwendet, desto geringer wird sein Engagement im Bereich des organisierten Wettkampfsports. Die Tendenz, dass der Wettkampfsport auf der Verliererstraße ist, zeigt sich uns auch, wenn wir einen Blick in die zukünftigen Pläne der Sportvereine werfen. Fragt man die Vereinsvorsitzenden, was sie in der nächsten Zukunft beabsichtigen, fragt man z.B. ob sie eine neue Sportart in ihr Vereinsangebot als reinen Wettkampfsport aufzunehmen bereit sind, oder ob sie eher ein neues Übungsangebot als rein freizeit- bzw. gesundheitssportliches hinzufügen werden, so zeigt sich, dass auch diesbezüglich die zukünftige Orientierung der Vereine dem sogenannten Freizeit- und Gesundheitssport gilt. Die Gründung neuer Handballabteilungen in bestehenden Vereinen oder die Gründung neuer Handballvereine ist deshalb so gut wie nirgendwo zu beobachten.

Mit der Orientierung zum Freizeitsport folgen die Vereine den Empfehlungen der Experten und ihrer eigenen Dachorganisationen; sie folgen aber auch den Bedürfnissen ihrer Mitglieder. Nicht zuletzt folgen sie einem Trend, der dem aktuell herrschenden Zeitgeist entspricht. Ein Sport wie der Handballsport, der am Prinzip der organisierten Konkurrenz, des organisierten Überbietens, des Trainings, der langfristigen Leistungssteigerung und auf Wettkampfereignisse ausgerichtet ist, entspricht ganz offensichtlich nur noch selten den Interessen einer großen Mehrheit Jugendlicher und Erwachsener. Fragt man z.B. nach den Wünschen von Jugendlichen, die sie mit dem Sporttreiben verknüpfen, so nehmen in der Rangskala der Wünsche „Spaß haben“, „sich körperlich wohlfühlen“, „Abwechslung haben“, „sich austoben“, „mit anderen Menschen Zusammensein“ vorrangige Positionen ein. Hingegen ist es für viele Jugendliche immer weniger wichtig, dass sie ihre „Kräfte mit anderen messen“, „anderen zeigen, was sie können“, „die Besten zu sein“ und selbst die „Teilnahme an Sportwettkämpfen“ ist eher ein unbedeutendes Bedürfnis im Vergleich zum Wunsch, „mit Freunden gemeinsam Sport zu treiben“. Einige Vertreter des Wettkampfsports, die noch aktiv in den Vereinen tätig sind, neigen angesichts solcher Trends zur Resignation. Diese Resignation scheint beinahe verständlich zu sein, wenn man die erschwerten Bedingungen beachtet, unter denen Handballsport heute zu organisieren ist. Handball steht nicht nur in Konkurrenz zu den vielen unorganisierten Formen des Sporttreibens, auch innerhalb der Wettkampfsportarten selbst hat sich die Konkurrenz in den letzten Jahren ganz wesentlich verschärft. Dies wird uns deutlich, wenn wir das zweite Problem betrachten.

Handballsport als Mitgliederproblem

Betrachten wir die Mitgliederstatistik des DHB, so besteht die Gefahr, dass man sich dabei in die eigene Tasche lügt. Die Vereinigung mit der ehemaligen DDR hat dem Deutschen Handballbund einen großen Mitgliederzuwachs beschert. Die Realität der Mitgliederentwicklung sieht jedoch ganz anders aus. Dies wird auf der Ebene der Vereine deutlich, wenn man einige ausgewählte Regionen des deutschen Handballs betrachtet. Dabei macht es Sinn, die Entwicklung in verschiedenen Zeiträumen zu beobachten, so z.B. in der Zeit zwischen 1984 und 1991. In dieser Zeit hatte der Deutsche Handballbund allein in den alten Bundesländern 276 Vereine verloren – das waren 5,9% aller seiner Vereine. In manchen Regionen, so z.B. in Hamburg, war ein Verlust von 13,1%, in der Region Niederrhein von 15% und in Westfalen von 7,5% zu beklagen. Nicht weniger dramatisch war der Rückgang wenn wir die Mannschaften beobachten, die Handball in den einzelnen Ländern gespielt haben bzw. heute spielen. So hat der Deutsche Handballbund in dem genannten Zeitraum 4040 Mannschaften verloren, was immerhin einen Verlust von 11,5% aller gemeldeten Mannschaften bedeutete.

In der Zeit von 2002 bis 2009 konnte der DHB seine Mitgliederzahl auf einem relativ stabilen Niveau von etwa 830.000 bis gut 840.000 halten. Seit 2011 nimmt hingegen die Mitgliederzahl jährlich ab und im Jahr 2017 wurde ein Tiefstand von rund 757.000 Mitgliedern erreicht, was einem Verlust von 10,6 % im Vergleich zum Stand von 2010 gleichkommt (vgl. Abb. 1). Seit 2010 verliert der Verband jährlich durchschnittlich zwei Prozent seiner Mitglieder. In der Mitgliederrangliste der Olympischen Verbände fiel der DHB dabei vom sechsten auf den siebten Platz zurück (vgl. Abb. 2). Immerhin konnte der Abwärtstrend nach den neuesten Zahlen für 2017 vorerst gestoppt werden und es wird in Zukunft spannend zu sehen sein, wie diese Entwicklung weitergeht.

JahrMitliederVereine
2002831.903k.A.
2005833.5633.255
2008842.070k.A.
2011832.2974.651
2014786.7484.467
2017756.9074.281

Tabelle 1: Entwicklung der Mitgliederzahlen und Anzahl der gemeldeten Vereine im Zeitraum von 2002 bis 2017 (DOSB)

 


Platz
2010
Verband

Mitglieder
2017
Verband

Mitglieder
1Deutscher Fußball-Bund6.756.562Deutscher Fußball-Bund7.043.964
2Deutscher Turner-Bund4.972.043Deutscher Turner-Bund4.939.125
3Deutscher Tennis Bund1.559.412Deutscher Tennis Bund1.391.986
4Deutscher Schützenbund1.439.111Deutscher Schützenbund1.352.356
5Deutscher Leichtathletik-Verband885.664Deutscher Alpenverein1.145.873
6Deutscher Handball-Bund846.359Deutscher Leichtathletik-Verband815.627
7Deutscher Alpenverein831.762Deutscher Handball-Bund756.907
8Deutsche Reiterliche Vereinigung737.103Deutsche Reiterliche Vereinigung687.036
9Verband Deutscher Sportfischer638.128Deutscher Golf Verband643.158
10Deutscher Tischtennis-Bund614.179Deutscher Behindertensportverband577.184

Tabelle 2: TopTen der Spitzenverbände im DOSB nach ihren Mitgliederzahlen, 2010 und 2017

 

Besonders problematisch sind die Verluste im Jugendbereich. In der Gruppe der 15-18-jährigen männlichen Jugendlichen wurden von 2011 bis 2017 alleine rund 10.600 Jugendliche, bei den weiblichen Jugendlichen von 2008 bis 2017 knapp 10.000 verloren.

JahrMitglieder
(15-18 Jahre, männlich)
Mitglieder
(15-18 Jahre, weiblich)
200256.96746.804
200559.03349.158
200864.18451.051
201165.29649.753
201462.39145.568
201754.66941.409

Tabelle 3: Entwicklung der Mitgliederzahlen der 15-18-Jährigen (männlich und weiblich) von 2002 bis 2017 (DOSB)

 

Die Ursachen für die beschriebenen Verluste sind vielfältiger Natur. Man kann heute nur noch im Sinne einer belehrenden Wiederholung auf die Tatsache hinweisen, dass sich bestimmte Gruppen in der Bevölkerung der Bundesrepublik in den nächsten Jahrzehnten ganz wesentlich verringern werden. Dies gilt noch immer für die Gruppe der Jugendlichen und immer mehr für die Gruppe der jungen Erwachsenen. Dabei reduziert sich grundsätzlich die Zahl jener Menschen, die potentiell bereit sein könnten, Handball in den Vereinen zu spielen. Dieses Potential reduziert sich aber auch deshalb, weil gleichzeitig immer mehr Sportarten in der Bundesrepublik betrieben werden und daneben der Freizeit-und Gesundheitssport für immer mehr Menschen an Attraktivität gewonnen hat. Allein die Anzahl der Sportarten hat sich in den letzten 40 Jahren von ca. 30 Sportarten auf mehr als 100 Sportaktivitäten erhöht. Dem Handballsport ist somit zunächst im System des Wettkampfsports selbst Konkurrenz erwachsen. Mit der Entwicklung des immer attraktiver werdenden „Freizeit- und Gesundheitssports“ ist ihm darüber hinaus eine vermutlich noch wirkungsvollere Konkurrenz entgegengetreten. Die zwangsläufigen Folgen einer derartigen Entwicklung sind bereits heute offensichtlich. In immer mehr Sportarten gibt es bzw. wird es zukünftig immer weniger Athleten geben. Das umfassend ausdifferenzierte System des Wettkampfwesens im deutschen Sport wird brüchig werden. Im Handballsport wird dabei die Entwicklung der Mannschaftsmeldungen, insbesondere im Jugend- und Erwachsenenbereich, auch weiterhin das alarmierende Problem sein. Die Klagen der Abteilungs- und Übungsleiter über das Problem der Mannschaftsbildung sind allenthalben zu hören. Vereine mit großer Wettkampftradition müssen plötzlich erkennen, dass es ihnen bereits über einen Zeitraum von mehreren Jahren nicht mehr gelingt, die möglichen Mannschaften von der C- bis zur A-Jugend mit Jugendlichen zu bestücken und nicht selten müssen Mannschaften mangels aktiver Spieler vom Spielbetrieb zurückgezogen werden. Dort wo es dennoch gelingt, wird unter Bedingungen gespielt, die vor zehn Jahren als völlig undenkbar betrachtet wurden. Für Vereine, die über wenige jedoch talentierte Athleten verfügen, kommt erschwerend hinzu, dass die Förderung solcher Athleten durch Abwerbung und Abwanderung in Frage gestellt wird. Motivationsverlust der Mitarbeiter ist eine, die Einsicht in die Nutzlosigkeit von Investitionen zur Förderung junger Handballtalente die andere sehr weitreichende Folge.

Eine Vermutung in Bezug auf das Rekrutierungsproblem im Handballsport sei an dieser Stelle angemerkt. In einer Untersuchung über die Herkunft der Handballtalente wurde deutlich, dass für eine Karriere im Handballsport ganz wesentlich die Eltern und die Freunde von Bedeutung sind. Sportlehrer hingegen spielen kaum noch eine Rolle. Aber auch Vereinswerbung zugunsten des Handballspiels ist nicht jene Ursache, die Kinder und Jugendliche dem Handball zuführen. Hingegen ist es besonders auffällig, dass meist solche Kinder Handball spielen, deren Vater und/oder Mutter selbst aktiv waren oder noch immer Handball spielen. Handballübungsleiter rekrutieren sich im Vergleich zu anderen Übungsleitern nahezu vollständig aus dem Kreis der ehemals aktiven Handballspieler oder spielen noch aktiv Handball. Von den verschiedenen Migrationsbewegungen der letzten Jahrzehnte und von den jüngsten Flüchtlingsströmen konnte der Handballsport so gut wie nicht profitieren. Anders als mehrere andere olympische Sportarten scheint er für Jugendliche aus diesen gesellschaftlichen Gruppen nicht ausreichend offen zu sein.

Generalisiert man diese Beobachtungen, so heißt das, dass der Handball sich in erster Linie aus sich selbst heraus entwickelt, sich weitestgehend als „geschlossenes System“ darstellt, das für andere Interessenten, die von außen kommen, kaum zugänglich ist. Stimmt diese Beobachtung, so könnte für den Handballsport die Gewinnung neuer Mitglieder ein kaum lösbares Problem sein.

Handball als kulturelles Problem

Meine bisherige Analyse des Handballsports könnte Pessimismus nahelegen, wenngleich ich eben gegen diese Einstellung mit meinen Reflexionen ankämpfen möchte. Bevor wir jedoch zu aktivem, optimistischem Handeln im Handballsport kommen können, ist ein nüchternes Nachdenken zu empfehlen. Dazu gehört meines Erachtens auch, dass wir uns der schwierigen kulturellen und kultur-anthropologischen Lage des Handballsports in unserer Gesellschaft bewusst werden. Aus kultur-anthropologischer Sicht hat sich die kritische Situation des Handballsports nicht überraschend eingestellt. Vor dreißig Jahren waren Ballspiele mit der Hand noch feste Bestandteile der kindlichen und jugendlichen Spiel- und Lebenswelt. Mittlerweile sind viele Handballspiele verschwunden. Ob Torball, Ball über die Schnur, Burgball oder Brennball – Ballspiele mit der Hand haben nur noch künstlichen Charakter. Das für sie grundlegende Handlungsmuster Werfen kann bei Kindern und Jugendlichen nur noch über mühsam konstruierte Arrangements erhalten werden. Heute sind Handballspiele somit künstliche Spiele, sie sind nicht mehr auf eine natürliche Weise in unsere Lebenswelt eingebunden. Das sportmotorische Muster des Werfens hat in einer hoch entwickelten Industriegesellschaft offensichtlich keine Bedeutung mehr. Will man es erhalten, so muss es auf ein völlig neues Fundament gestellt werden. Von besonderem Nachteil ist dabei, dass die Freizeitindustrie, die ansonsten jedes Bewegungsmuster vermarktet und damit hoffähig machen kann, die Handballspiele bis heute nicht entdeckt bzw. diese sich für den Markt nicht angeboten haben. Kindern und Jugendlichen fehlt es so im Alltag an Wurfgelegenheiten und Angeboten zum Werfen und sie müssen sich notgedrungen in der technisierten Welt andere Bewegungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten aneignen. Gewiss liegt dies auch an der Situation des Schulsports. Der Schulsport scheint ganz offensichtlich nicht in der Lage zu sein, den Kindern jene bewegungs- und entwicklungsfördernden elementaren Erfahrungen zu vermitteln, die für die Entwicklung der Wurf- und Spielfähigkeit im Bereich der Handballspiele erforderlich wären. Die entscheidendere Rolle spielt meines Erachtens jedoch unsere Wohnumwelt. Eng bebaute Wohngebiete beeinträchtigen den Bewegungs- und Spielraum unserer Kinder. Ballspielende Kinder sind deshalb nur noch selten anzutreffen. Und gibt es Freiflächen, so werden diese höchstens für das Fuß- und Basketballspiel genutzt.

Wenn in der Alltagswelt der Kinder und Jugendlichen Werfen und Fangen nicht mehr möglich ist und wenn beides als Voraussetzung für den modernen Handballsport nach wie vor unverzichtbar ist, so müssten Gelegenheiten geschaffen werden, in denen Werfen und Fangen erprobt, erlernt und geübt werden können. Der Schulsport im Grundschulalter wäre dabei ein besonders wichtiger Ort. Für die Entwicklung des Handballspiels würde dies jedoch kaum ausreichen. Vielmehr müssen neue Orte und Institutionen geschaffen werden, in denen das spielerische Werfen und Fangen ihren Platz haben.

Handball ist jedoch nicht nur unter anthropologischen Gesichtspunkten problematisch geworden. Es wurde ebenso auch die kulturelle Bedeutung des Handballspiels in Frage gestellt. Zu erinnern ist dabei an den Fall Jenet aus dem Jahr 1991. Für den Handballspieler Marco Jenet war es gewiss eine Genugtuung, als seinem Widerspruch stattgegeben wurde und er den Kriegsdienst mit der Waffe verweigern durfte. Für den Handballsport hatte dieser Fall jedoch eine besondere symbolische Qualität. Die Überschrift in den Zeitungen „Wer Handball spielt handelt kriegerisch“ sollte von den Verantwortlichen des Handballsports nicht nur als kabarettistische Unterhaltungsnummer aufgefasst werden. „Gerade das Handballspiel, bekanntlich eine der härtesten Mannschaftssportarten mit seinen unausweichlichen Körperkontakten und großen Verletzungsgefahren setzt eine äußerste Kampf- und Gewaltbereitschaft sogar gegenüber Freunden voraus. Ohne starken körperlichen Einsatz mit offener regelgerechter und verdeckter regelwidriger Gewaltanwendung ist ein erfolgreiches Spiel anscheinend kaum möglich. Wenn also der Antragsteller jahrelang aktiver Spieler war und jetzt auch noch, nachdem er notgedrungen auf die aktive Teilnahme als Spieler verzichten muss (Verletzung), ständig Kinder betreut und diese in das Spiel einführt und sie trainiert, liegt der Schluss nahe, dass zumindest in diesem Teilbereich eine ausgeprägte Gewaltbereitschaft des Antragstellers mit dem Wissen, andere – wenn auch ungewollt -möglicherweise zu verletzen, vorliegen muss. Demgegenüber ist die angebliche bedingungslose Ablehnung von Gewalt, auf die sich der Antragsteller beruft, schlicht unglaubhaft„. Diese Auszüge aus dem Bescheid des Ausschusses für Kriegsdienstverweigerer beim Kreiswehrersatzamt in Frankfurt vom 04.12.1991 spiegeln eine gesellschaftspolitische Einschätzung des Handballsports wider, die die Krise des Handballsports auf einen Punkt bringt. Dem Handballsport ist es offensichtlich nicht gelungen, das, was ihn treffend kennzeichnet, als positive Qualität herauszustellen. In einem Zeitalter der Kosmetika, in dem der Schweißgeruch durch Deos verbannt wird, in einer Zeit, in der Körperkontakt nur auf stilisierte Weise erwünscht ist, in Form von Bussis oder zarten Umarmungen, scheint eine Körperlichkeit, bei der der ganze Körper beteiligt und bei der die Interaktionen mit dem Partner sowohl in der eigenen Mannschaft wie auch mit dem Gegner im Wesentlichen auf einer ganzheitlichen Körperlichkeit beruht, für immer mehr Menschen etwas Fremdes zu sein. Zumindest scheint es schwer zu sein, diese Werte in das derzeit gültige Wertekonzept unserer Gesellschaft zu integrieren. Dabei ist es häufig so, dass man als Zuschauer den harten Umgang mit dem menschlichen Körper, wie er mittlerweile beim Handball üblich geworden ist, durchaus als unterhaltsam empfindet, für den eigenen Körper oder für die seiner Kinder scheint diese Sportart aber keine Option zu sein.

Das kulturelle Problem des Handballsports ist somit offensichtlich. Sowohl aus kultur- und spielanthropologischer Sicht als auch mit Blick auf einige Aspekte des gesellschaftlichen Wertewandels ist die kulturelle Position des Handballspiels heute mehr denn je in Frage gestellt. Gesellschaftlicher Wandel ist jedoch unaufhaltsam. Ein Schwimmen gegen den Strom kann für den Handballsport keine Perspektive sein. Das kulturelle Problem ist aber nicht nur fremdbestimmt. Vieles ist hausgemacht und sollte deshalb dort gelöst werden, wo es verursacht wird: im Verband, im Verein und vor allem bei den Handballspielen selbst.

Einige Funktionäre im deutschen Handball setzen auf den Markt. „Brot und Spiele“ heißt ihre Devise. Wenn es um Geld geht, scheint auch im Handball dabei jedes Mittel recht zu sein. Kurzfristig mag diese Politik Erfolge zeitigen, mittel- und langfristig wird sie jedoch dem Handballsport keine Zukunft weisen. Handball ist als Ressource nicht unendlich auszuweiten. Dies lässt allein der Körper des Athleten nicht zu. Ein zukunftsfähiger Handballsport benötigt zukunftsfähige Zuschauer und Veranstalter von Handballspielen, zukünftige Funktionäre, Trainer und Spieler. Bestimmte Entwicklungen der Vergangenheit weisen dabei gewiss in die falsche Richtung. Die hohe Schule des Handballs zeichnet sich durch herausragende Taktik und Technik aus, durch die kreative Lösung von überraschenden Problemen, durch Individualität seitens der Spieler, durch Ästhetik in ihrem Handeln. Zur hohen Schule des Handballs benötigt man ein mündiges und sachkundiges Publikum – nicht blinde Einpeitscher die selbst Katastrophen in Kauf nehmen und für die Gastfreundschaft und Fair Play Fremdworte sind. Was man heute teilweise bei Bundesligaspielen erleben muss, in welcher Dümmlichkeit Hallensprecher die eigene Mannschaft anfeuern, den Gegner demütigen und Handball damit auf das Niveau einer Catch-as-Catch-Can-Show erniedrigen, so kann dies von einer verantwortlichen Führung des Deutschen Handball-Bundes in Zukunft nicht mehr toleriert werden. Auch Hallensprecher müssen sich an Regeln halten, die dem Prinzip des Fair Play des Sports gerecht werden. Die Fürsorgepflicht gegenüber den Spielern wird aber auch dadurch verletzt, dass man aus Gewinnsucht Spielmodi entwickelt, die im Widerspruch zur natürlichen Leistungsfähigkeit der Athleten stehen. Jedes neue sogenannte „Handballevent“ befindet sich in der Gefahr, dass dem Prinzip Spannung wohl entsprochen wird, das Handballspiel selbst jedoch auf der Strecke bleibt. Die große Zahl verletzter Bundesligaspieler und das ungezügelte Verhalten der Zuschauer scheinen Indizien dafür zu sein. Das ganze wird begünstigt durch eine Presse, der die fachlichen Belange des Handballsports weitestgehend fremd sind. Dies gilt vor allem für das Fernsehen, dessen Kommentatoren meist über das Nennen der Namen jener Spieler nicht hinauskommen, die eben einen Ball gefangen oder geworfen haben.

Will man Lösungen für die angesprochenen Probleme finden, so sollten möglichst viele und verschiedenartige Vorschläge beachtet werden. So könnten z.B. neutrale Hallensprecher erprobt werden. Dem Prinzip des Fair Play würden sie gewiss eine neue Qualität geben. Volle Hallen, das heißt volle Kassen, können nicht der alleinige Gradmesser für die weitere Entwicklung des Handballs sein. Wenn Fanatismus Fair Play ersetzt, wenn Erfolgsgier anstelle von Rücksicht tritt, dann kann dies immer nur kurzfristig einer Sportart nützen. Wenn Handballspiele zu einer Frage des „Überlebens“ werden, dann sind Verstöße gegen die Regeln und eine Missachtung der Würde des Gegners eine naheliegende Konsequenz.

Handballsport als Mitarbeiterproblem

Die Notwendigkeit ehrenamtlicher Mitarbeit in Vereinen wird in Festreden häufig hervorgehoben. Die ideelle und materielle Leistung, die heute in den Vereinen des Handballsports von Ehrenamtlichen erbracht werden, ist nach wie vor herausragend und bedarf einer angemessenen politischen Würdigung. Solch eine Bewertung kann jedoch nicht verdecken, dass die ehrenamtliche Mitarbeit in den Vereinen selbst immer mehr zum Problem geworden ist. Auch scheint es z.B. so zu sein, dass die ehrenamtliche Mitarbeit in einer Handballabteilung sehr viel problematischer ist als in den neuen freizeitsportorientierten Abteilungen. Zum einen liegt dies vermutlich daran, dass die Tätigkeit im Bereich des Freizeitsports in gewisser Weise attraktiver, weniger risikoreich und teilweise auch finanziell lukrativer ist. Zum anderen liegt es aber vor allem daran, dass die Mitarbeiter selbst, sind sie zum Beispiel dem Handballsport verpflichtet, zeitlich sehr viel intensiver belastet und dabei vor allem von ihrem Fachverband und von den übergeordneten Organisationen in vielerlei Hinsicht vernachlässigt oder überfordert werden. Eine zeitliche Überforderung zeigt sich in mehrfacher Weise. In vielen Handballvereinen müssen jene, die den Übungsbetrieb leiten, meist noch zusätzliche ehrenamtliche Arbeiten erbringen. Viele Handballübungsleiter betreuen mehr als eine Übungsgruppe und benötigen hierfür einen durchschnittlichen Zeitaufwand von oft mehr als sechs Stunden pro Woche. Eine intellektuelle Überforderung könnte das Resultat einer Anpassung an Erwartungen sein, die zu einer Infragestellung traditioneller Laienkompetenz in den Handballabteilungen geführt hat. Dabei scheinen viele Vereine nur noch bedingt in der Lage zu sein, ihre Übungsleiter auf jenem qualifizierten Niveau zu halten, das wünschenswert wäre, wenn sich der Wettkampfsport kontinuierlich weiterentwickeln soll. Dies ist angesichts der Tatsache, dass der hauptamtliche Trainer bzw. die Trainerin, aber auch ein hauptamtliches Organisationspersonal im Handballsport so gut wie keine Rolle spielen, als eine besonders gravierende Mangelsituation zu kennzeichnen.

In der DHB-Konzeption „Aufbruch in die 90er Jahre“ wurde darauf hingewiesen, dass die zukünftige Sportpolitik nur dann gelingen kann, wenn möglichst auch jene Handballer den Handballsport unterstützen und in den Vereinen und auf den einzelnen Verbandsebenen Führungsaufgaben wahrnehmen, die ehemals den Handballsport ausgeübt haben. Hierzu soll die Verbandskultur gepflegt werden, eine Handballfamilie soll in positivem Sinne entstehen. Deshalb soll der Kontakt zu jenen gepflegt werden, die aus dem aktiven Sport ausgeschieden sind, um sie im Kreis der Handballfamilie zu halten.

Dies ist gewiss ein sinnvolles Ziel. Entsprechende Erfolge waren in den beiden letzten Jahrzehnten jedoch nur ganz selten zu erkennen. Dem Handballsport gehen nach wie vor sehr viele ehemalige Spieler verloren und noch viel zu selten bedient man sich jener Gruppen, die aus dem Handballsport kommen und sich beruflich im Sport weiterentwickelt haben. Kaum ein Verband hat es in der Vergangenheit so entschieden versäumt, sich der Erforschung seiner Sportart zu versichern, wie dies beim Handballsport der Fall war. Wissenschaftliche Untersuchungen über den Handballsport sind deshalb auch vergleichsweise selten anzutreffen. Nicht wenige ehemalige Handballspieler, die den Beruf des Wissenschaftlers ausüben, sind in anderen Sportarten tätig, weil es für sie im Handballsport kein Anwendungsfeld gibt. Ein Glück, dass die jüngsten Präsidien des Deutschen Handball-Bundes in dieser Hinsicht die Weichen neu zu stellen scheinen.

Ein besonders trauriges Kapitel des Mitarbeiterproblems im Handballsport ist der Umgang mit Schiedsrichtern. Die Beleidigungen, die Schiedsrichter heute Woche für Woche zu ertragen haben, sind unerträglich geworden. Es ist schon bewundernswert, dass sich überhaupt noch Männer und Frauen finden lassen, die mit ihrem Tun dem Handballsport die entscheidende Grundlage für die Ausübung dieser Sportart bieten. Wird das Problem der Rekrutierung neuer Schiedsrichter nur den Schiedsrichtern selbst überlassen, so wird das gesamte Wettkampfwesen des Handballsports in Frage gestellt sein. Will man gut ausgebildete und ausreichend viele Schiedsrichter haben, so muss man die Rolle des Schiedsrichters neu justieren. Schiedsrichter haben nie Heimspiele, ihr Familienleben wird mehr beeinträchtigt als das aller übrigen Beteiligten an einem Handballspiel. In gewisser Weise sind sie Wochenende für Wochenende Fremde in einer Welt, die sich durch die Pole des Schmeichelns und Beeinflussens auf der einen und durch das Anpöbeln und die Aggression auf der anderen Seite auszeichnet. Es ist ganz offensichtlich, dass angesichts dieser Situation das Schiedsrichterwesen einer dringenden Unterstützung bedarf. Neue Formen der finanziellen Belohnung, neue Ausbildungswege und eine kreativ gestaltete Akquisitionspolitik bei ehemaligen Aktiven müssten dabei bedacht werden.

Ähnlich kritisch stellt sich mir das Problem der ehrenamtlichen Funktionäre dar. Auch der Handballsport wird maßgeblich von Funktionären geführt, die ihre Ämter meist Proporz-Entscheidungen verdanken. Fachliche Kompetenz oder gar bestimmte Leistungsnachweise sind in der Regel für ein Amt nicht zu erbringen. Anpassungsfähigkeit wird eher erwartet als Kreativität und kritisches Bewusstsein. Dies spiegelt sich im Führungshandeln der Verbände wider. Langfristig angelegtes Steuerungshandeln findet nur selten statt und unpopuläre Entscheidungen werden vertagt. Peinliches Gerangel um Positionen ist hingegen üblich und freiwillige Rücktritte zugunsten jüngerer Funktionsträger sind eher selten. Dabei liegt zumindest teilweise eine Lösung auf der Hand: Viele Gremien müssten verkleinert werden, dafür müsste häufiger und intensiver getagt werden; die Positionen in den Gremien müssten nach fachlichen Gesichtspunkten besetzt werden und nach zwei Amtsperioden müsste eine Auffrischung erfolgen; Verantwortung müsste schließlich definiert sein, so dass Erfolge der Funktionäre ebenso wie Misserfolge überschaubar werden.

Handballsport als Organisationsproblem

Nachdem ich vier Probleme der aktuellen Vereinsarbeit gekennzeichnet habe, stellt sich die Frage, ob der Verein noch der richtige Ort ist, in dem Spitzenleistungen im Handball ihre Basis haben können. Es stellt sich aber auch die Frage, ob die organisatorischen Strukturen auf Kreis-, Landes- und Bundesebene noch stimmen, oder ob hier eine Strukturreform dringend vonnöten wäre. Werfen wir einen Blick zurück, so können wir sehen, dass das Organisationssystem des deutschen Wettkampfsports in erster Linie deshalb intakt war, weil der Hochleistungssport auf ein breit angelegtes Wettkampfsystem an der Basis in den Vereinen zurückgreifen konnte. Idealerweise begann dabei die Wettkampfausrichtung im Handball im E-Jugendbereich und reichte über D-, C-, B- und A-Jugendmannschaften hinein in den Erwachsenensport, um dann in einem AH-Wettkampfsystem auszuklingen. Dieses Wettkampfsystem des Handballs ist schon seit längerer Zeit brüchig geworden. Einerseits sind einige wichtige Glieder in der Kette vom Kinderhandball zur Nationalmannschaft schwach geworden und manche, wie z.B. der Juniorenhandball, fehlen nahezu ganz. Andererseits ist der fließende Übergang vom niedrigen Wettkampfsystem zu höherem Wettkampfwesen durch eine Vielzahl von institutionellen Veränderungen in Frage gestellt worden. Dazu gehören Maßnahmen der Talentfindung und Talentförderung, neue Organisationsformen für das Training, der Aufbau von Stützpunkten, die Einrichtung der Olympia-Stützpunkte. Der Handballsport hatte in dieser Entwicklung eher eine nachgeordnete Rolle gespielt.

Erschwerend kommt hinzu, dass durch eine umfassende Kommerzialisierung des Handballsports, durch eine Gewinnorientierung auf Seiten der Spieler bis hinein in die untersten Leistungsklassen das Gefüge der Handballvereine zueinander erheblich ins Schwanken geraten ist. Heute sind reiche und arme Vereine zu unterscheiden, privilegierte Funktionäre und wirklich ehrenamtlich arbeitende Helfer. Nach Habenichtsen und gut Verdienenden lassen sich die Spieler gruppieren. Geld als Lockmittel bewirkt Fluktuation in den Handballvereinen. Mit Abwerbung ist es leichter, eine Steigerung der Leistung zu erzielen als durch solides Training und langfristig angelegte Aufbauarbeit. Die Organisation des Handballsports muss nunmehr mit einer Vielzahl von Verfahren gestützt werden, die auf diese Probleme ausgerichtet sind.

Das zentralste Organisationsproblem hängt jedoch mit dem Mitgliederproblem und mit Veränderungen im Arbeitsleben zusammen. Ein pyramidal angelegtes Wettkampfwesen macht es notwendig, dass die Zahl der jugendlichen Wettkämpfer ungleich höher sein muss als jene Zahl der erwachsenen bzw. fertigen Handballspieler, die auf höherer Ebene erfolgreich Spitzensport betreiben. In seiner Grundstruktur ist dieses Organisationssystem bis heute noch erhalten. Die breite Basis, die dazu vonnöten ist, ist jedoch aufgrund der Mitgliederentwicklung nicht mehr zu sichern. Verschärft wird dies dadurch, dass es immer schwieriger ist, gemeinsame Trainingszeiten für junge Menschen und berufstätige Erwachsene zu finden, die in einer Gesellschaft leben, deren Zeitstrukturen gerade in den letzten Jahren ganz wesentlich verändert wurden. Die Forderung nach individuellen Lebensstilen ist nicht zuletzt eine Forderung, die aus der Veränderung im Arbeitsleben resultiert. Flexible Arbeitszeitstrukturen bedingen flexible Freizeitstrukturen. Wenn immer mehr das Wochenende in Frage gestellt wird, wenn immer mehr Arbeitszeit zu jeder denkbaren Tageszeit sein kann, dann wird es immer weniger wahrscheinlich sein, dass man 15 junge Menschen oder 15 Erwachsene zum gleichen Zeitpunkt zu einer Aktivität zusammenführt, die man nur gemeinsam ausführen kann. Das Organisationsproblem des Handballsports ist somit umfassend. Es hängt aufs Engste mit gesellschaftlichen Entwicklungen zusammen, es war aber auch in vielen Teilen hausgemacht. Glücklicherweise werden einige der Fehler erkannt und erfolgsversprechende Reformen eingeleitet.

Die Sportdirektion des DHB unter der Leitung von Sommerfeld hat in dieser Hinsicht neue Konzeptionen erarbeitet, die auch heute noch wegweisend sein können. Die DHB-Eliteförderung und das Mentorensystem sind Fundamente in der neuen DHB-Rahmenkonzeption für den Leistungssporthandball. Aber auch die neuen Initiativen zum Beachhandball sind zu erwähnen, die gewiss weiterführend sein werden. Ebenso der AOK-Grundschulaktionstag und die Unterrichtshilfen des DHB für die Grundschulen weisen in die richtige Richtung, was eine bessere Kooperation mit den Schulen betrifft.

Handballsport als Finanzierungsproblem

Der Handballsport im Verein ist in den letzten Jahren immer teurer geworden. Es scheint dabei die Regel zu gelten, dass die finanziellen Probleme eines Vereins mit seinen Erfolgen zunehmen. Dieser Satz gilt vor allem dann, wenn für Trainer und Athleten nicht nur Aufwandsentschädigungen oder Übungsleiterpauschalen zu bezahlen sind, sondern Honorare und Gehaltsforderungen anstehen, wenn Reisekosten für alle Auswärtsspiele und Turniere zu erstatten sind und wenn das Handballspiel selbst hohe Ausstattungskosten mit sich bringt. Meldekosten und die Kosten für Schieds- und Kampfgericht tun ein Übriges.

Ein Blick auf die Etatentwicklung der Bundesliga-Vereine zeigt, dass sich in den letzten Jahren eine inflationäre Ausgabenentwicklung ereignet hat, wobei bezeichnend hinzuzufügen ist, dass ein detaillierter Einblick in die Bilanzen der Bundesliga-Vereine Außenstehenden nicht erlaubt ist. Aber auch Vereine der unteren Spielklassen sind von einer inflationären Entwicklung nicht verschont geblieben. Nicht selten ist es so, dass sich mit dem Aufstieg in eine höhere Liga die Ausgaben so gravierend erhöhen, dass der Konkurs der Abteilung wahrscheinlich geworden ist. Die Annahme, dass die Professionalisierung des Personals in den Handballvereinen weit vorangeschritten sei, hat deshalb kaum eine Grundlage, hingegen ist die Forderung nach ehren- und hauptamtlicher Professionalität heute dringender denn je.

Die Finanzierung des Handballsports ist durch eine Reihe selbstverschuldeter Aktionen in Misskredit geraten. Dazu gehört seit langem die meist unzureichend geklärte Bezahlung von Athleten, nicht nur in den höheren Klassen, und die teilweise überhöhten Zahlungen an Trainer. Darüber hinaus strapazieren Trainer- und Athletenwechsel, die meist nur sehr ungenügend begründet sind, die finanzielle Belastbarkeit der Vereine nicht unwesentlich. In Misskredit sind die Vereine aber auch durch die Tatsache geraten, dass immer häufiger externe Kräfte in die Handballvereine hineinwirken und dabei das demokratische Prinzip in der Vereinsarbeit in Frage stellen. Gewiss eröffnen sich dadurch den Vereinen zumindest teilweise völlig neue Finanzierungsformen. Oft ist es jedoch so, dass die externe Finanzierung der Handballabteilung dem Verein seine zentralen Kontrollinstrumente nimmt, letztlich somit den Verein in seiner organisatorischen Substanz in Frage stellt. „Alle Vereinsmaier raus“ lautet dabei die Aussage der Externen. Meist geht es jedoch darum, dass letztlich nur noch der Sponsor das Sagen hat. Was die Idee eines Sportvereins ausmacht, scheinen dabei weder die Mitglieder dieses Vereins noch dessen neuer Sponsor zu wissen. Sportvereine als Privatbesitz, eine selbstzerstörerischere Maxime für Sportvereine kann es wohl kaum geben.

Empfehlungen

Ich habe sechs Aspekte skizziert, von denen ich glaube, dass sie die alltägliche Lage des Handballs in den Vereinen kennzeichnen. Akzeptiert man, dass der Handballsport im Verein eine wichtige und notwendige Aufgabe der deutschen Sportvereine sein sollte, und folgt man der Auffassung, dass auch zukünftig die Vereine die Basis für ein umfassendes Wettkampfsystem bleiben müssen, so werfen die sechs Themen die Frage auf, was in der Praxis in unserer unmittelbaren Zukunft zu tun ist, wenn dem Handballsport im Verein geholfen werden soll.

„Gemeinsamer Aufbruch in die 90er Jahre“ hieß die Konzeption des DHB, mit der einige der von mir genannten Probleme gemeistert werden sollten. Viele der dort beschriebenen Aufgaben sind auch heute noch sinnvoll und sollten vom Verein bis hoch zum Deutschen Handball-Bund in Angriff genommen werden. Papier ist jedoch geduldig und die Dachorganisationen des Sports befinden sich schon seit längerer Zeit in der Gefahr, ihre Arbeit mit der Verabschiedung von theoretischen Positionspapieren, die schriftlich niedergelegt werden, als erledigt zu betrachten. Angesichts einer Informationsflut in unserer Gesellschaft, die eher zu Resignation als zu Neugier verleitet, ist meines Erachtens jedoch eines gewiss: Mit der Basis des Handballsports sollte man nicht nur auf diese Weise kommunizieren, wenn man wirklich etwas verändern möchte.

Die konkrete praktische Arbeit in den Vereinen sollte sehr viel direkter beeinflusst werden. Meine abschließenden sechs Empfehlungen sollen hierzu ein erster Versuch sein:

    • Zunächst und vor allem möchte ich den Verantwortlichen im Handballsport einen nüchternen Realismus, gleichzeitig aber auch einen überzeugenden Bekennermut empfehlen. Der Handballsport in den Vereinen muss sich in seiner weiteren Entwicklung auf eine realistische Pragmatik einlassen. Das komplexe und weit gefächerte Sportsystem in Deutschland ist nicht von heute auf morgen zu vereinfachen. Die Verantwortlichen des Handballsports müssen deshalb davon ausgehen, dass sie auf absehbare Zeit ihre Athleten und Mannschaften aus einem sich kontinuierlich verringernden Potential von Interessierten zu rekrutieren haben. Will der Handballsport dabei erfolgreich sein, so muss er die besonderen Werte des Handballspiels gegenüber anderen Sportarten akquisitorisch herausstellen. Werbung für den Handball ist somit angesagt. Dabei sollte man sich nicht seiner eigenen Werte, die den Handballsport auszeichnen, jedoch von einigen Kritikern angeprangert werden, schämen; diese Werte sollten vielmehr aggressiv gegenüber den Kritikern verteidigt werden. Meine Empfehlung ist somit konträr zu vielen offiziellen Reaktionen im Bereich des Handballs. Die Verantwortlichen des Handballsports sollten sich offensiv zu den besonderen Qualitäten der Spiel-, Kampf- und Mannschaftssportart Handball bekennen und sich nicht für etwas entschuldigen, was aus der Sicht der Betroffenen gar nicht zutrifft. In der Diskussion über Aggression und Gewalt im Sport muss gerade von der Seite des Handballsports darauf hingewiesen werden, dass in diesem Spiel auf höchst diffizile Weise geregelt ist, welcher harte körperliche Einsatz erlaubt ist und wann die Grenzen des Erlaubten überschritten werden. Es muss herausgestellt werden, dass Härte und Körpereinsatz im Handballspiel zur Idee dieses Spiels gehören und keineswegs auf Persönlichkeitsdefizite von Handballspielern zurückzuführen sind. Für Außenstehende, die die Regeln des Handballsports nicht kennen und die das Spiel als gewalttätig interpretieren, nur weil in deren Lebenswelt zwischenmenschlicher Kör­perkontakt und ein betonter körperlicher Einsatz keinen Platz haben, bedarf es einer spezifischen Aufklärung, aber gewiss keiner Reue. Der Handballsport hat sich also nicht zu entschuldigen, er hat sich vielmehr aktiv mit jenen Merkmalen zu rechtfertigen, die das Spiel für bestimmte Frauen und Männer attraktiv machen. Handball ist ein Spiel, das sich durch eine besondere Dynamik auszeichnet. In einem begrenzten und überschaubaren Raum wird mittels kluger taktischer Maßnahmen und außergewöhnlicher technischer Fertigkeiten eine Spannung erzeugt, die gerade auch im engen Kontakt zum Zuschauer die Faszinationskraft dieser Sportart ausmacht. Statischer Handball, Handball ohne Körpereinsatz, Handball ohne Dynamik, Handball als Höflichkeitsritual, dies alles kann keine Zukunft für diese Sportart sein. Die Verantwortlichen des Handballsports haben also den Spieß umzudrehen. Das Image des Handballsports wird dadurch aufgewertet, dass man den Handballsport als eine Sportart herausstellt, in der noch Härte, körperlicher Einsatz, Dynamik, Artistik und Kreativität möglich sind. In der Frage der kulturellen und pädagogischen Verortung, aber auch in der Frage der Vermarktung und Aufwertung des Images des Handballsports gibt es somit nur eine Möglichkeit: Der Handballsport muss in seinen ihn kennzeichnenden positiven Qualitäten kultiviert werden.
      Mir scheint dabei auch wichtig zu sein, dass sich der DHB gezielt um die Aufwertung des öffentlichen Images von Handballspielern bemüht. Es ist bedauerlich, dass herausragende Handballspieler im öffentlichen Bewusstsein so gut wie keine Rolle spielen. Legendäre Handballspieler sind selten geworden. In kaum einer anderen Sportart werden Spielerpersönlichkeiten so schnell vergessen wie im Handball. Dabei gibt es gewiss genügend herausragende Persönlichkeiten im deutschen Handballsport. Nicht jeder ist dabei zum „Kempa-Trick“ in der Lage und kann damit seinen Namen unvergesslich machen. Notwendig wäre es jedoch, dass Handballspieler zumindest in vergleichbarer Weise in der Öffentlichkeit zur Darstellung kommen, wie dies im Fußballsport der Fall ist.

 

    • Meine zweite Empfehlung zielt auf das Organisationsproblem und auf die Qualität des Trainings im Kinder- und Jugendbereich. Unter organisatorischen Gesichtspunkten ist zukünftig Kooperation angesagt. Der Handballsport ist auf Kooperation mit anderen Wettkampfverbänden angewiesen. Vor allem aber ist die Kooperation zwischen den Vereinen zwingend notwendig. Traditionelle Vorurteile gegenüber Nachbarvereinen sind aufzugeben, auch Fusionen zur Bildung von Brückenpositionen sind erforderlich. In einzelnen Handballabteilungen der Vereine muss die Einsicht um sich greifen, dass das gegenseitige Abwerben von Kindern und Jugendlichen weder den Interessen der Kinder noch der Entwicklung des Handballsports dient. Es ist ein falscher Weg, wenn man glaubt, dass man die Handballentwicklung dadurch beeinflussen könnte, dass man möglichst frühzeitig Kinder für ein spezielles Handballtraining gewinnt. Übungsleiter sollten deshalb die Kinder auch nicht zu früh in handballspezifischen Fertigkeiten trainieren und vor allem sollten sie dies nicht ausschließlich tun. Die Entwicklung der motorischen Grundlagen muss sich vielmehr durch ein vielfältiges Angebot auszeichnen, das kindgemäß ist. Umso entschiedener muss jedoch nach dieser allgemeinen Ausbildung eine spezielle Förderung des Handballsports erfolgen. Dabei müssen Voll- und Teilzeitinternate und Handballstützpunkte eine wichtige Institution sein. Soll Handball auf höchstem Niveau im Erwachsenenalter gespielt werden, so müssen bereits im Jugendalter hierfür die athletischen, technischen, taktischen und spielerischen Voraussetzungen geschaffen werden. Dies kann nur gelingen, wenn die Kinder auf optimale Weise pädagogisch und sportmedizinisch betreut werden. Alle neueren Erkenntnisse zum Problem der Fluktuation im Leistungssport deuten darauf hin, dass das Trainingsumfeld eine entscheidende Rolle spielt, ob und wie lange man bereit ist, als junger Mensch den harten Weg zum Hochleistungssport zu gehen. Eine bedenkenswerte Konzeption bieten dabei auch die CVJM-Jugenddörfer. Nicht nur im Wintersport wurde dort gezeigt, wie man über eine sinnvolle pädagogische Hinführung und Begleitung und ein verantwortungsvolles Training Kinder und Jugendliche zu sportlichen Höchstleistungen führen kann. Mittelfristiges Ziel des Deutschen Handball-Bundes sollte deshalb sein, in jedem Bundesland zwei Leistungsstützpunkte zu installieren. Von jedem dieser Stützpunkte sollte mittels eines Kooperationsvertrages ein Talentförderprojekt betreut werden. Diesen Talentzentren müsste eine sorgfältige orthopädische Betreuung gewährt und eine internistische Begleitung gesichert werden und insbesondere müsste die soziale Absicherung der Talente über eine intensive pädagogische Betreuung und Kooperation mit der Schule gewährleistet sein.
      Der Hinweis auf die Notwendigkeit vermehrter Kooperation der Vereine untereinander machte bereits deutlich, dass sich zukünftig der Handballsport im Gefüge zu den anderen Handballvereinen neuer Organisationsformen bedienen muss. Spielgemeinschaften sind dabei ebenso vonnöten wie die Möglichkeit zur Doppelmitgliedschaft. Das Spielrecht für den neuen Verein und eine eingeschränkte Spielerlaubnis für den alten Verein sollten dabei möglich sein. Organisatorisch und inhaltlich neu zu fassen ist auch das Verhältnis zwischen Schule und Verein, wobei die aktuellen Mängel und deren Gründe auf beiden Seiten gleichermaßen auszumachen sind. Eine enge Kooperation zwischen Schule und Verein kann für den Handballsport im Verein personell und inhaltlich der Garant für eine sinnvolle Weiterentwicklung sein. Dazu ist jedoch vonnöten, dass sich der Handballsport in der Schule didaktisch mehr als es heute der Fall ist am Handballsport in Vereinen orientiert und umgekehrt der Verein den Schulsport als jene Institution begreift, die er in seiner Alltagsarbeit zentral zu berücksichtigen hat.
      Die Frage der Organisation des zukünftigen Handballsports ist im Wesentlichen auch eine Frage der haupt- und ehrenamtlichen Strukturen und eine Frage der Mitbestimmung. Es muss dabei darum gehen, dass sich die Vereine in die übergeordneten Organisationen des Leistungssports, ihren Meinungen und Auffassungen einbringen können. Dies darf und kann nicht nur im Sinne von Empfehlungen erfolgen, vielmehr sind juristisch abgesicherte Interventionsformen nötig, d.h. die Partizipation der Abteilungen, die an der Basis den Handballsport vorbereiten, muss bis hinauf in die Olympia-Stützpunkte gesichert werden. Voraussetzung für Lösungen dieser Art sind Bewusstseinsänderungen aller Beteiligten. Gefordert sind dabei vor allem die entsprechenden Maßnahmen der jeweiligen Landes-Handball-Verbände selbst. Eine Strukturreform der Verbandsarbeit auf dieser Ebene scheint mir dringend angeraten zu sein.

 

    • Das von mir beschriebene Mitarbeiterproblem ist quantitativer und qualitativer Art. Unter quantitativen Gesichtspunkten scheint es zwingend notwendig zu sein, dass der zeitliche Aufwand für Ehrenamtliche im Handball zu begrenzen ist. Es muss verhindert werden, dass eine Mitarbeit im Handball gleichbedeutend damit ist, dass man auf eigenes Sporttreiben zu verzichten hat. Vielmehr sollten die Möglichkeiten zum eigenen Sporttreiben möglichst unter Einbezug der Familie der besondere Anreiz zur Mitarbeit sein. Für manche Aufgaben sollten ehrenamtliche Aufträge auf Zeit vergeben werden und vor allem sollte es selbstverständlich werden, dass alle Aufgaben, die bislang von Männern erledigt wurden, auch von Frauen bearbeitet werden können. Es muss auch akzeptiert werden, dass es Quereinsteiger gibt, die sich nicht durch einen besonderen Vereinsgeruch auszeichnen, die jedoch bereit sind, im Gefüge des Vereins gemäß der Idee des Vereins mitzuarbeiten.
      Die qualitative Seite des Problems liegt in erster Linie darin, dass die ehrenamtlichen Übungsleiter im Wettkampfbereich nicht überfordert werden sollen, dabei sich aber dennoch einer konsequenten praxisnahen Fort- und Weiterbildung unterziehen müssen. Praxisnähe könnte dabei in erster Linie bedeuten, dass sich die Aus- und Weiterbildung vorrangig auf die Lösung der praktischen Probleme jener Personen bezieht, die Abend für Abend in den Vereinen die Übungs- und Trainingsstunden leiten.
      Der „qualifizierte Laie“ sollte dabei die leitende Orientierung für die Handball-Übungsleiterausbildung sein. Die alte Ausbildung war orientiert am Bild des Lehrers. Der qualifizierte Laie hingegen zeichnet sich durch ein spezielles Engagement neben seiner anders gearteten beruflichen Arbeit aus. Er erbringt Leistungen als Mitglied für ein anderes Mitglied. Dieser Übungsleiter ist somit kein Experte von außen. Er sollte nicht auf Halde lernen, sondern die Ausbildung sollte direkt wirksam sein. Der Qualifikationsprozess muss dabei den Charakter der Belohnung und der Motivation haben. Der Verein muss das Thema der Ausbildung sein, eine freiwillige Vereinigung braucht nicht einem abstrakten Allgemeinen zu gehorchen. Durch die Ausbildung sollte Loyalität und Bindung erzeugt werden.

 

    • Besondere Beachtung wird dem Frauenhandball zu schenken sein. In der Gleichbehandlung von Mädchen und Jungen, von Frauen und Männern liegt die besondere Zukunftschance des Deutschen Handball-Bundes. Dies gilt für die Rolle der Spielerinnen gleichermaßen wie sie für die Funktionen des Trainers, Schiedsrichters und Funktionärs gilt. Wenn die Hälfte der Handballvereine von Frauen geführt werden, wenn Trainerinnen ebenso häufig wie Trainer Mannschaften in Vereinen führen, wenn in der Führung des Deutschen Handball-Bundes Frauen ebenso eine Selbstverständlichkeit sind wie Männer, wenn Männer akzeptieren, dass ihre Spiele auch von Schiedsrichterinnen geleitet werden, dann könnte der weiteren Entwicklung des Handballsports mit Gelassenheit entgegengesehen werden. Zumindest wäre das Mitgliederproblem des Deutschen Handball-Bundes nahezu gelöst.

 

    • Die Kritik am Wettkampfsport, insbesondere im Jugendbereich, ist alt und wurde mehrfach wiederholt. Sie ist nicht in allen Teilen akzeptabel. Dort wo sie jedoch das pädagogische Problem des Handballsports betrifft, scheint sie berechtigt zu sein. Wer dem Handballsport verpflichtet ist, der muss verstehen, dass ein Handballsport für Kinder und Jugendliche, der als Imitation des Erwachsenensports zu betrachten ist, letztlich den Handballsport selbst gefährdet. Nicht nur von anderen Sportarten wissen wir, dass kindgerechte Wettkämpfe eine bedeutsame Grundlage für eine langfristige Leistungsentwicklung sind. Training ohne Wettkampf macht keinen Sinn. Dies ist gerade im Kindes- und Jugendalter von Bedeutung. Sind jedoch die Kinder- und Jugendwettkämpfe identisch mit denen der Erwachsenen, so besteht die Gefahr, dass auch das Training eine Kopie der Erwachsenenwelt darstellt. Gerade deshalb ist es wichtig, dass sich der Kinder- und Jugendhandball durch eigene Qualitäten auszeichnet, sowohl im Training als auch im Wettkampf. Besonders zu bedenken ist dabei die Möglichkeit von Kombinationswettkämpfen und Mehrkämpfen, d.h. die Umwelt des Handballwettkampfes muss genauer bedacht werden. Gute Vorarbeiten der Landesverbände und des DHB gibt es hierzu genug. Sie müssten nunmehr endlich bundesweit in die Tat umgesetzt werden.Die Basis des Handballsports, das sollte deutlich sein, liegt in der Möglichkeit des einzelnen Mitglieds, sich über selbst definierte Maßstäbe persönliche Leistungserlebnisse zu eröffnen. Wer im Leistungsprinzip ein wichtiges Bezugssystem für den Handballsport im Verein sieht, der muss begreifen, dass dieses Prinzip nur Sinn macht, wenn es in Verbindung mit dem Prinzip der Mündigkeit vorkommt. Die Fähigkeit zur Selbst- und Mitbestimmung, die Kritik und Urteilskraft, d.h. eine umfassende Handlungsfähigkeit der Mitglieder im Verein, muss deshalb für Jugendliche wie für Erwachsene erwünscht sein, gefördert und über entsprechende Angebote ermöglicht werden. Radikaler formuliert muss deshalb unsere Forderung lauten: Als Leistung darf im Sportverein nichts gefördert werden, was die Hinführung des jungen Menschen zu Selbst- und Mitbestimmungsfähigkeit, zur Kritik und Urteilsfähigkeit und somit auch zur Fähigkeit begründeter Distanzierung gegenüber bestimmten Leistungsanforderungen im Sport hindert. Dazu sind vielfältige Formen der Kommunikation zwischen den Generationen erforderlich. Nicht eine ausgegrenzte Jugendwelt im Verein ist vonnöten, der Wettkampfsport der Jugendlichen sollte vielmehr als Erfahrungsraum erkannt werden, in dem junge Menschen sich in Interaktion mit Erwachsenen in wichtige Rollen der Erwachsenenwelt einüben können.

 

    • Das Finanzierungsproblem ist in erster Linie dadurch zu lösen, dass die Finanzierungsprobleme offengelegt werden. Die Finanzierung sollte dabei an den Prinzipien der Leistung und Gegenleistung orientiert sein und wo immer der Handballsport die juristisch definierten Grenzen von Aufwandsentschädigungen und Fahrtkosten verlässt, sollte der Verein sich jenen Prinzipien beugen, die außerhalb der Vereine für solche Finanzierungen gelten. Sehr viel entschiedener sollten jedoch die Handballvereine ihre Forderung gegenüber dem Verband geltend machen. Dies wäre vor allem dann vonnöten, wenn der Dachverband über außergewöhnliche Einnahmemöglichkeiten verfügt, die Basis in den Vereinen jedoch davon gar nicht oder nur auf sehr indirekte Weise profitiert. Deshalb ist es auch dringend notwendig, die Diskussion über die Gemeinnützigkeit mit neuen Akzenten zu versehen. Die Vereine sollten fordern, dass die Bewertung der Gemeinnützigkeit des Sports nicht daran gemessen wird, wie sich Verbände und Vereine ihre finanziellen Mittel verschaffen, sondern daran, wie diese Mittel verwendet werden.
      In der Lösung des Finanzproblems liegt ganz ohne Zweifel der Schlüssel zur Lösung der Probleme des Handballsports. Mit Geld allein ist allerdings die kritische Situation des Handballsports, die ich aufzuzeigen versuchte, nicht zu meistern. Materielle Lösungen ohne einen ideellen Hintergrund sind allenfalls kurzfristig tragfähig. Wer den Handballsport im Verein wirklich fördern will, muss auch die Gründe nennen, warum dies notwendig ist. Sind die Vereine dazu nicht in der Lage, so wird die weitere Entwicklung des Handballs in Deutschland kaum günstig sein. Pessimismus ist jedoch nicht angebracht. Es gibt auch heute noch genügend Kinder und Jugendliche, die mit Freude den Handballsport wettkampfmäßig betreiben möchten. Diese Kinder und Jugendlichen hätten Spaß am täglichen Training, würden einige jener Hindernisse ausgeräumt, die dies heute gefährden. Es liegt an den Handballverantwortlichen selbst, alles heute schon mögliche auch wirklich zu tun. Dazu braucht es den guten Willen und den Mut, zu den Ansichten und Zielen eines öffentlich verantwortbaren Handballs zu stehen und das bestmögliche aus der momentanen Situation zu machen. Die Lösung der von mir genannten Probleme liegt deshalb in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. In all unseren Bemühungen muss diese Arbeit im Zentrum unserer Aufmerksamkeit sein.

Verfasst: 13.02.2018