Zur Zukunft des IOC

Der moderne Olympismus hat ohne Zweifel eine abwechslungsreiche Geschichte aufzuweisen. Von Erfolgen und Misserfolgen, von politischer Inanspruchnahme, von gut und schlecht organisierten Spielen, von guten und fragwürdigen Entscheidungen, von Fair Play und Betrug, und nicht zuletzt von großartigen sportlichen Leistungen ist dabei zu berichten.Vor allem aber ist auch von der Gefahr der Selbstzerstörung zu reden. Boykotte waren es, die die Olympischen Spiele in Frage gestellt haben, denn 1980 lagen sie nahezu am Boden. Es gab kaum noch ausreichende Bewerberstätte und von einer erfolgreichen Vermarktung der Spiele konnte nicht die Rede sein.

Mit der Wahl von Samaranch begann die eigentliche Blütezeit der modernen Olympischen Spiele. Er veränderte mit seiner Diplomatie die olympische Welt. Sie wurde nicht zuletzt durch seine Hinwendung zu Asien eine globale Welt und mit den erfolgreichen Spielen von Los Angeles wurden Marketingerfolge und TV-Einnahmen möglich, wodurch die Spiele eine einmalige Attraktivität erhalten konnten. Jede Metropole dieser Welt zeigte Interesse an der Ausrichtung Olympischer Spiele. Ein Mangel an Bewerberstädten war nicht mehr zu beklagen.

Jacques Rogge konnte als IOC-Präsident die Blütezeit des modernen Olympismus erleben. In seiner zehnjährigen Amtszeit präsentierte mit China die größte Nation die größten Spiele aller Zeiten und die Spiele von London darf man wohl zu Recht als die schönsten Spiele der Neuzeit bezeichnen. Jacques Rogge arbeitete auf den Schultern eines Riesen, in gewisser Weise verwaltete er die Erfolge von Samaranch. Doch er zeichnete sich auch mit besonderen Initiativen im globalen Kampf gegen Doping aus. Er erkannte die Notwendigkeit der Einbindung des Sports in das digitale Zeitalter und er war bemüht, die Jugend an die Olympische Bewegung heranzuführen, was zur fragwürdigen Gründung Olympischer Jugendspiele führte. Auch dem Wettbetrug, der Korruption und dem Match-Fixing sagte er den Kampf an. Unter finanziellen Gesichtspunkten konnte Rogge seinem Nachfolger eine gesunde Olympische Bewegung übertragen. Die Marketingerfolge von Peking, Vancouver und London haben Rücklagen ermöglicht, auf die sein Nachfolger aufbauen kann.

Doch Blütezeiten sind naturgemäß von kurzer Dauer und vieles deutet daraufhin, dass das IOC einer schwierigen Zukunft entgegensieht. Dr. Thomas Bach, der amtierende Präsident des IOC steht vor den größten Herausforderungen, die sich der Olympischen Bewegung in der Neuzeit je gestellt haben. Ist das Haus unter finanziellen Gesichtspunkten noch gut bestellt, so haben sich in den letzten zehn Jahren seiner Vorgänger Altlasten angehäuft, deren Bewältigung mit großen Schwierigkeiten verbunden ist.

Das war für Bach zunächst das Bewerbungsverfahren um Olympische Spiele, wie es sich in den letzten 20 Jahren herausgebildet hat. Die Anforderungen, die dabei an Bewerberstädte gestellt wurden, zeichneten sich durch ein Übermaß an Bürokratie aus, was eine abschreckende Wirkung hatte. Abschreckend waren dabei vor allem die Kosten, die die Bewerberstädte zu tragen haben, ohne dass eine angemessene Risikoabschätzung möglich gewesen wäre und ohne dass dabei die Kosten als sinnvolles Investment betrachtet werden könnten. Es konnte kaum überraschen, dass sich immer weniger Bewerberstädte für die Ausrichtung der Olympischen Spiele interessierten und dass dabei vor allem solche Nationen der Ausrichtung eine Absage erteilten, in denen vor einer Bewerbung ein demokratisch geprägtes Mandat einzuholen ist. Die Volksabstimmungen in Deutschland, Österreich, Norwegen und in der Schweiz sollten dabei als ein besonderes Warnsignal gedeutet werden.

Als zweites müsste vom IOC möglichst schnell geprüft werden, ob das Nebeneinander von zwei verschiedenen Olympischen Spielen auf Dauer Sinn machen wird. Die Olympischen Jugendspiele sind eine sehr teure Investition, deren Erfolg jedoch mehr als fragwürdig ist. Bislang wurden die angestrebten jugendlichen Zielgruppen mit diesen Spielen nicht erreicht. Massenmedial sind diese Spiele irrelevant und als Erziehungsmedium sind sie allenfalls für jugendliche Hochleistungssportler geeignet, die ihre jeweilige Sportart bereits auf höchstem Niveau betreiben.

Als drittes Problem bedarf die Ausgestaltung des olympischen Programms schon seit längerer Zeit einer nachhaltigen Lösung. Die Frage, was ein olympisches Sportprogramm von einer Addition von Weltmeisterschaften unterscheidet, bedarf nach wie vor einer modernen Antwort. Dabei wäre eine bloße modernistische Orientierung an kurzfristigen Jugendinteressen sicher nicht der richtige Weg. Der Aufstieg nicht-olympischer Sportarten in den elitären Kreis der olympischen Sportarten muss erleichtert werden, der Abstieg von und die Verkleinerung der Traditionssportarten müssen aber auch möglich sein. Eine Ausrichtung an den Zuschauerinteressen ist dabei durchaus naheliegend und wird für den zukünftigen Bestand der Olympischen Spiele von höchster Bedeutung sein. Einschaltquoten, verkaufte Eintrittskarten in Relation zur Größe der Sportanlagen, Atmosphäre der Wettkämpfe, Zuschauerurteil und Unterhaltungswert müssen zu Recht nachvollziehbare Indikatoren sein. Sie dürfen dabei jedoch nicht alleine ausschlaggebend für die Qualitätsdefinition des Programms sein.

Die Frage nach der Qualität und Quantität des zukünftigen Programms hängt aufs Engste mit der Frage nach der Größe der Spiele zusammen, die in gewisser Weise als die wichtigste Frage zu diskutieren ist. Wollen die Spiele überleben, so dürfen sie auf keinen Fall einem weiteren Wachstum unterliegen. Sie müssen organisier- und finanzierbar bleiben auch für Nationen, die nicht zu den Reichsten der Welt gehören. Die Athletenzahl sollte möglichst unter der Marke von 10.000 festgeschrieben werden, die Größe der IOC-Familie und die Anzahl der Betreuer bedürfen dringend einer Reduktion und auch die massenmediale Begleitung der Spiele muss auf den Prüfstand gestellt werden. Die Qualitätsanforderungen an die Unterbringung müssen flexibler werden und die Dauer der Spiele darf auf keinen Fall ausgeweitet werden.

Die Größe und das Programm der Spiele verweisen auf die Kosten. Die Kosten für die Ausrichtung sind längst zu einem unkalkulierbaren Spiel geworden, das unter Risikogesichtspunkten politisch kaum noch verantwortbar ist. Hinterlassen die Spiele dann noch weiße Elefanten, die als Schandmal der Olympischen Bewegung zu deuten sind, so ist dies nicht nur kontraproduktiv für zukünftige Ausrichter, es ist vor allem auch abschreckend. Die Kosten der Spiele könnten ganz erheblich gesenkt werden, wenn sich die Erwartungshaltung des IOC bezüglich der Quantität und Qualität der Spiele ganz wesentlich verändert. Luxusdienstleistungen könnten gestrichen, das aufwändige Transportsystem kann vereinfacht werden und temporäre Sportstätten können zu einer wesentlichen Kostenminderung beitragen.

Bachs Agenda 2020 hat diesbezüglich bereits tragfähige Veränderungen eingeleitet. „THE NEW NORM“ kann als ein vorbildliches Reformkonzept bezeichnet werden, das bereits auch erste Erfolge aufweist. Ein Blick auf die Planungskonzepte der neuen Bewerberstädte und auf deren Budgets macht deutlich, dass zukünftige Olympische Spiele sich durchaus durch eine Win-Win-Situation auszeichnen können.

Vom IOC auf den Prüfstand zu stellen sind auch die derzeit noch wirksamen Marketingstrategien. Dazu gehört das „Top-Programm“, wie es vor Jahrzehnten eingeführt wurde. Auch hier bedarf es einer Modernisierung. Es gibt Anzeichen, dass die Fortführung der Strategie zukünftig nicht mehr die gleichen finanziellen Erfolge ermöglichen wird. Dies gilt für die Fernsehpartnerschaften gleichermaßen wie für die Partnerschaften mit großen Wirtschaftsunternehmen. Das IOC hat sich damit abzufinden, dass hohe Wachstumsraten der Vergangenheit angehören und seine Mitglieder, insbesondere die NOKs und Internationalen Fachverbände müssen lernen, dass Sparsamkeit und Bescheidenheit sinnvolle Tugenden sein können. Eng mit der Vermarktung hängt auch die Kommunikationspolitik des IOC zusammen und auch hier kann nur gehofft werden, dass die ängstliche und zurückhaltende Kommunikationspolitik der vergangenen Jahre überwunden wird, das IOC sich vermehrt durch Selbstkritik auszeichnet und dass Kritik und Transparenz neue Vermarktungsmöglichkeiten eröffnen können. Neue innovative, digitale Strategien sind deshalb dringend vonnöten. Dies gilt für die Kommunikation gleichermaßen wie für das Marketing.

Das siebte Problem mit dem sich der IOC-Präsident zukünftig zu beschäftigen hat, zielt auf die Mitgliederstruktur des IOC ab. Will das IOC seine fachlichen Probleme lösen, so bedarf es vermehrter fachlicher Kompetenz. Das heißt, die Rekrutierung neuer Mitglieder ist dringend an eine fachliche Überprüfung zu binden. Nur auf diese Weise wird ein neuformiertes IOC den Herausforderungen gerecht werden können. Adelige Herkunft allein bedeutet nicht gleich Kompetenz. Gleiches gilt für das Merkmal der politischen Macht. Aber auch Athleten sind nicht alleine dadurch kompetent, dass sie praktische Erfahrungen im Sport aufweisen oder eine Medaille gewonnen haben. Man darf hoffen, dass die Kompetenzkriterien, die IOC-Präsident Bach bei seiner Wahl zum Präsidenten des IOC in die Waagschale werfen konnte, auch für die Definition zukünftiger Kompetenzen von entscheidender Bedeutung sein werden.

Waren die bislang genannten Probleme eher ökonomischer, finanzieller, organisatorischer und personeller Natur, so sind für die zukünftige Entwicklung drei weitere Probleme von entscheidender Bedeutung, die man als den ethischen Komplex der Olympischen Spiele bezeichnen könnte.

Im Zentrum steht dabei das Doping-Problem. Kommt es bei der Bekämpfung des Doping-Betruges nicht zu einem Strategiewechsel, so wird das IOC mit seinen Olympischen Spielen allein schon aus Kostengründen scheitern. Ein immer teurer werdendes Anti-Doping-Kontroll-System, das präventiv nicht erfolgreich ist hat keine Zukunft. Im Gegenteil, es ist heute schon zu erkennen, dass es den Betrug zumindest sogar teilweise mitbedingt. Wenn auf Dauer der Betrug im Hochleistungssport einer Epidemie gleichkommt, kann das kein tragfähiger Weg in die Zukunft sein.

Bedrohlich ist auch der zweite Teil des Ethik-Komplexes, die immer noch vermehrt auftretenden Korruptionsfälle in der Olympischen Bewegung. Dies hängt aufs Engste mit der Rekrutierung der IOC-Mitglieder zusammen, vor allem machen diese Fälle deutlich, wie attraktiv die Olympische Bewegung unter finanziellen Gesichtspunkten für eine persönliche Bereicherung ihrer Mitglieder ist. Hier bedarf es entscheidender Aufklärungsmaßnahmen und Sanktionen, will das IOC in Zukunft seine Glaubwürdigkeit zurückgewinnen.

Eine besonders schwierige Herausforderung für das IOC stellt schließlich die Frage der Menschenrechte dar. Bislang ist es dem IOC nicht gelungen, eine nachvollziehbare Position in Bezug auf Menschenrechtsverletzungen einzunehmen. Dies gilt vor allem dann, wenn es angebracht gewesen wäre, sich auf die Seite der Schwächeren zu stellen, ohne Rücksicht auf autoritäre Politiksysteme, mit denen man aus naheliegenden Gründen bei der Durchführung Olympischer Spiele eine zeitlich begrenzte Partnerschaft einzugehen hat.

Für die Entwicklung moderner Gesellschaften ist deren ständige Veränderung wünschenswert und Wertewandel bedeutet nicht notwendigerweise Verfall. Vielmehr befinden sich moderne Gesellschaften unter einem ständigen Modernisierungsdruck, kreative Lösungen in Bezug auf auftretende Probleme sind zwingend erforderlich. Das IOC befindet sich in diesen Tagen ohne Zweifel unter einem enormen Modernisierungsdruck. Eine ethisch fundierte strategische Führung ist dringend vonnöten. Wichtig wird jedoch auch sein, dass man sich einem visionären Leitbild stellt, das für das alltägliche Handeln praktische Richtschnur und Maßstab ist. Dr. Thomas Bach ist zu dieser strategischen Führung durchaus befähigt und er ist sich jeder der genannten Herausforderungen bewusst. Er verfügt über die notwendige Macht und die wichtigsten Entscheidungsbefugnisse. Seine bereits erreichten Führungserfolge sind durchaus bemerkenswert. Deren empirischen Befunde lassen sich wohl kaum bestreiten auch wenn ihm die deutsche massenmediale Öffentlichkeit wider besseren Wissens eher feindlich und ablehnend gesinnt ist. Im Interesse des modernen Olympismus ist ihm gerade auch deshalb weiterhin Glück und Erfolg zu wünschen.

letzte Überarbeitung: 18.04.2019