Zu Strukturproblemen der deutschen Sportverbände

  • Es ist richtig, dass die Sport- und Organisationsentwicklung in erster Linie in den Vereinen stattfindet. Deren autonome Entscheidungen können durch zentrale Konzepte und Strategien nur bedingt beeinflusst werden. Der bislang vollzogene und aktuell sich ereignende Prozess der Sportvereinsentwicklung resultiert nur im Ausnahmefall aus bewussten Überlegungen, auf Strategien mit Zielvorgaben, aus definierten Aufgabenstellungen. Alltagszwänge, finanzielle Unwägbarkeiten, personelle Fluktuation und Wissensvarianz lassen die Vereinsentwicklung an der Basis als ein zufälliges Phänomen erscheinen. Die Gesamtheit der Entwicklung in den über 92.000 Vereinen ist dennoch überraschend einheitlich. Dies weist darauf hin, dass trotz der autonomen Konstellation der Vereine an der Basis deren Handeln im wesentlichen von vielfältigen Umwelteinflüssen bedingt wird, die wiederum durch einige Dominanzen geprägt sind. Zentral ist dabei vor allem das öffentliche Bild des Sports, so wie er in den Schulen gelehrt wird, wie er im Fernsehen gezeigt wird, wie über Sport gesprochen wird, wie Sport Assoziationen zu anderen gesellschaftlichen Bereichen eingegangen ist. Dieses Bild ist in erster Linie vom Deutschen Olympischen Sportbund und seinen Mitgliedsorganisationen zumindest in indirekter Weise zu beeinflussen. Meines Erachtens fand diese Beeinflussung bislang weitestgehend pragmatisch, situationsbedingt und nur im Ausnahmefall selbstreflexiv statt. Das Problem der Folgen und Nebenfolgen konnte dadurch nicht ausreichend erfasst und schon gar nicht gelöst werden.
  • Zur Problemlösung ist ein normativer Diskurs vonnöten, bei dem die unterschiedlichsten Interessen innerhalb der Sportorganisationen offengelegt werden, die Varianz der zugelassenen Normen wird dabei die Gewähr bieten, dass trotz normativer Pluralität ein Minimalkonsens für das Führungshandeln möglich wird. Dieser Diskurs hat bislang in aller Offenheit nicht stattgefunden. Die Normen fluktuieren in den Sportorganisationen schleichend, sie werden allenfalls über Personalkonflikte sichtbar.
  • Das zentrale Führungsproblem, bezogen auf die Ermöglichung einer normativen Diskussion, wird durch eine mangelhafte personelle Führungsstruktur bedingt. Die Rekrutierung des ehrenamtlichen Personals ist dabei gleichermaßen problematisch, wie die des hauptamtlichen Personals. Bei der Einstellung von hauptamtlichen Personen ist nicht zu erkennen, wie den Einstellungen ein mittelfristiges Personalentwicklungskonzept zugrunde liegt, welche Qualifikationskriterien für die Einstellung ausschlaggebend sind und wie nach der Einstellung eine entsprechende Karriereentwicklung des Personals geplant ist. Die Rolle des Generalsekretärs hat sich bislang mit ihren Führungsmöglichkeiten nach innen als ungenügend erwiesen. Die Geschäftsführer sind mit Personalführungsproblemen teilweise nicht vertraut, das geführte Personal unterliegt keinen Leistungskriterien, die Kontrolle über die erbrachten Leistungen findet nur im Ausnahmefall statt. Insgesamt betrachtet kann der derzeit anzutreffende personelle hauptamtliche Apparat in der großen Mehrheit der deutschen Sportorganisationen allenfalls als mittelmäßig bezeichnet werden. Soll das damit verbundene Problem gelöst werden, so bedarf es neuen Personals, einer eindeutigen hierarchischen Führungsstruktur und eines ausgewogenen Gratifikationssystems. Außerdem müssten die Geschäftsstellen der Sportverbände dringend den Anschluss an moderne Kommunikationstechnologien im Bürosektor finden. Ungelöst scheint auch das Fortbildungsproblem der Hauptamtlichen zu sein.Das Führungsproblem im ehrenamtlichen Sektor resultiert in erster Linie aus dem Sachverhalt, dass für die Positionen der führenden Ehrenämter kein Bewerbungsverfahren, aber auch kein Berufungsverfahren möglich ist. Bei der Besetzung von wichtigen Positionen, einschließlich der Positionen innerhalb des Präsidiums bzw. des Vorstands ist nur selten zu erkennen, wie fachliches Können und die erforderlichen Persönlichkeitsstrukturen eine zentrale Rolle spielen. Genaue Aufgabenbeschreibungen für die Positionen liegen in der Regel nicht vor und ganz selten werden Eingangsqualifikationen definiert. Auf diese Weise spielen auch heute noch Beziehungen, Vetternwirtschaft, Parteibuch und vieles mehr eine zentrale Rolle bei der Besetzung der Spitzenpositionen in den Organisationen des deutschen Sports. Besonders belastend scheint dabei zu sein, dass in erster Linie die Frage eine Rolle spielt, ob eine betreffende Person in das bestehende Gefüge passt, oder „zu uns“ gehört. Hier wird auf eklatante Weise das Phänomen des „Stallgeruchs“ überbewertet. Angesichts der anstehenden Führungsarbeit in den deutschen Sportorganisationen zeichnet sich die aktuelle Situation der ehrenamtlichen Führung durch Überforderung aus. Die vorhandenen bzw. zur Anwendung kommenden Führungsinstrumente sind angesichts der Probleme nahezu untauglich. Im zeitlichen Turnus der Sitzungen, in den Zeiträumen, die hierfür eingeplant werden, in der Festlegung der Tagesordnungspunkte und deren Behandlung, in der Vorbereitung der Sitzungen etc. sind Indizien zu erkennen, die das ungenügende Führungspotential mehr als nur verdeutlichen. Teilweise muss auch von Wissens- und Erfahrungsdefiziten gesprochen werden.Bei der Diskussion zur Lösung der anstehenden Probleme, im Bereich der ehrenamtlichen Führung wäre es wünschenswert, wenn über neue Modelle der ehrenamtlichen Führung (z.B. Aufsichtsratsmodell) nachgedacht wird. Denkbar wäre auch eine verstärkte hauptamtliche Führung über ein mehrköpfiges Führungsgremium, das von einer kleinen ehrenamtlichen Gruppe überwacht wird. Es stellt sich aber die Frage, ob diese haupt- oder ehrenamtlich sein muss.
  • Ohne einen handhabbaren Konsens über das, was den Sport innerhalb der jeweiligen Organisation kennzeichnet, ohne eine Verpflichtung auf den Gemeinnützigkeits- und Gemeinwohlcharakter und ohne entsprechende Instrumentarien in neu zu entwickelnde Beobachtungs- und Kontrollinstanzen, die die Einhaltung dieser konsensualen Festlegungen möglich machen, ist auf Dauer nicht abzusehen, wie die jeweiligen Sportverbände verantwortliche Träger einer gemeinsamen Sportbewegung sein können.Besonders unterstützenswert sind die Überlegungen zur Re-Organisation der Arbeitsweise des Präsidiums, der Vorstände und der Bundesausschüsse. Die bisherige Arbeitsweise ist zumindest teilweise durch bürokratische Ineffizienz geprägt und besonders problematisch ist dabei, dass viele Ausschussarbeiten folgenlos sind bzw. einmal vereinbarte Beschlüsse keiner Kontrolle unterworfen sind, ob sie auch durchführt werden. Insgesamt kann das bestehende Arbeitsverfahren als äußerst kostenintensiv bezeichnet werden. Es ist zu empfehlen, die ständigen Ausschüsse auf ein Minimum zu reduzieren, dabei ausgehend von einer umfassenden Problemanalyse und einer entsprechenden hierarchischen Festlegung der bedeutsamsten Probleme (die in regelmäßigen Abständen zu wiederholen sind) nur solche Ausschüsse auf Zeit mit Aufgaben zu betrauen, die in den nächsten Jahren als möglich und wahrscheinlich zu betrachten sind. Wichtiger erscheint, dass vermehrt Expertenaufträge vergeben werden. Dies alles macht allerdings nur dann Sinn, wenn das Präsidium hauptamtlich oder ehrenamtlich in der Lage ist, entsprechende Resultate zu verarbeiten, d.h. die Zeit zu finden, die erarbeiteten Ergebnisse zu registrieren, zu reflektieren und in sportpolitisches Handeln umzusetzen. In der Vergangenheit war dies nur selten zu erkennen. Deshalb scheint es zwingend notwendig zu sein, dass insgesamt die Präsidien und Vorstände vermehrt von Alltagsaufgaben entlastet werden (d.h. sie sollten sich nicht in jedes kleine Problem einmischen), um sich den wirklichen Führungsproblemen und -aufgaben widmen zu können.
  • Die derzeit bestehenden personellen und strukturellen Probleme innerhalb der Sportorganisationen können nicht durch vorschnelle personelle Entscheidungen gelöst werden. Es ist zu empfehlen, dass eine an der Sache orientierte Strukturdiskussion möglichst umgehend stattfindet. Hierbei sollte ein möglichst kleiner Expertenkreis gemeinsam mit dem Präsidium verschiedene Organisationskonzepte durchspielen, um auf der Grundlage verschiedener inhaltlicher, organisatorischer und personeller Abwägung eine tragfähige neue Struktur für die jeweilige Sportorganisation vorzuschlagen. Dabei müssen die Qualifikationen für die einzelnen Positionen möglichst exakt festgelegt werden, um vorschnelle personelle Vereinbarungen zu verhindern. Im Übrigen ist zu empfehlen, dass bei der Besetzung neuer Stellen keine Vorabsprachen stattfinden, Anwerbungen eher die Ausnahme sein müssten, hingegen offene Ausschreibungen auf der Basis verbindlicher Leistungskriterien die Regel sein sollten.

Letzte Überarbeitung: 31.02.2019