Die Spiele im Jahr 2022 in der Sommerolympiastadt Peking werden sich von den Sommerspielen 2008 ganz wesentlich unterscheiden. Waren die Chinesen im Vorfeld der Spiele 2008 noch eher ängstlich und unsicher, ging es bei diesen Spielen vor allem darum zu zeigen, dass man in der Lage ist ein derart großes Sportereignis zu organisieren und zu verantworten, werden die Spiele im Jahr 2022 vor allem durch eine außergewöhnliche kapitalistische Durchdringung gekennzeichnet sein. Bereits nach der Bekanntgabe des Ergebnisses zugunsten von Peking durch IOC-Präsident Bach sind die Grund- und Bodenpreise in der Provinz Hebei, zwanzig Kilometer nordwestlich vom Austragungsort der Winterspiele, um 50% gestiegen. Bei den Spielen im Jahr 2022 geht es der Regierung vor allem um Wirtschaftsentwicklung, Arbeitsmarktpolitik und Ausbau eines neuen Dienstleistungssektors mittels eines groß angelegten Regionalentwicklungsprojekts. Die Pläne für die Peking-Tianjin-Hebei-Agglomeration, die die Chinesen als „Jing-jin-ji“-Projekt bezeichnen, werden als mögliches Modell für die weitere Urbanisierung Chinas betrachtet. Bei einer langsamer wachsenden Gesellschaft gilt es in der Zukunft den Anschluss der unterentwickelten Provinzen zu sichern. In den vergangenen 30 Jahren gab es eher ein Ungleichgewicht in Bezug auf das Wachstum der großen Städte im Vergleich zu den kleinen und zu den landwirtschaftlich geprägten Provinzen. Viele große Städte weisen nun ernste soziale Probleme und schwierige Umweltherausforderungen auf. Beim Jing-jin-ji-Projekt geht es um die Integration eines neuen Transportsystems für die Region, um umweltschützende Maßnahmen und um eine industrielle Modernisierung. Die Winterspiele werden in diese Konzeption eingepasst. Die Konstruktion der Infrastruktur wird die dringendste und erste Aufgabe für die Spiele sein. Bei den Olympischen Spielen werden die olympischen Eiswettbewerbe in Peking abgehalten. Die Organisatoren können auf die olympischen Sportstätten von 2008 zurückgreifen. Nur eine einzige Sportstätte wird neu zu erstellen sein. Die Eisschnelllaufarena wird in der Nähe des olympischen Forestpark ihre Premiere haben. Die Wettbewerbe auf Schnee, ebenso wie die Bob- und Rennrodel-Wettbewerbe finden in der Chongli-Provinz, auf einer Höhe von ca. 2000m statt. Geplant ist ein Hochgeschwindigkeitszug, der Gäste von Peking nach Zhangjiakou in 50 Minuten befördert. Dies bedeutet einen großen Zeitgewinn im Vergleich zu den derzeit notwendigen vier Stunden Fahrtzeit. Eine mehrspurige Schnellstraße von Peking nach Zhangjiakou ist darüberhinaus geplant, außerdem werden zwei Flughäfen gebaut. Gilt Zhangjiakou bis heute eher als eine benachteiligte und relativ arme Stadt, so soll sie durch die Spiele in einem neuen Glanz erscheinen, der sich vor allem durch seine Freizeit- und Tourismusindustrie auszeichnet. Mittlerweile arbeiten bereits 800 Bauarbeiter an den neuen Einrichtungen zugunsten der Olympischen Spiele. Das alpine Skizentrum „Genting Resort Secret Garden“ hat 35 Pisten aufzuweisen. Weitere 53 werden bis zum Jahr 2022 gebaut. Derzeit gibt es in Genting ein Fünf-Sterne-Hotel und ein Vier-Sterne-Hotel befindet sich in Planung. Mit großer Entschiedenheit werden bereits in diesen Tagen auch die Kontrollmaßnahmen gegen die Luftverschmutzung vorangetrieben. Der Umweltschutz hat in den olympischen Provinzen höchste Priorität. Die Region von Zhangjiakou, in der die Winterspiele im Wesentlichen stattfinden werden, ist bis heute nahezu vollständig abhängig von der Kohleenergie. Diese ist der Hauptverursacher für die gesundheitsgefährdende Luftverschmutzung. Zhangjiakou wurde nun von der Regierung als nationales Umweltschutzprojekt ausgelobt, in denen erneuerbare Energien zur Erprobung gelangen. Die Olympiaregion wurde zum ersten Photovoltaik-Industriezentrum Chinas ernannt. Mittlerweile hat Zhangjiakou auch Windkraftunternehmen an sich binden können, die bereits 70 Windfarmen aufgebaut haben. Allen Unternehmen, die mit erneuerbaren Energien und mit neuen Technologien arbeiten, werden derzeit günstige steuerliche Startbedingungen durch die Provinzregierung offeriert. Das Ganze ist eingebunden in den Chongli-Action Plan 2013-2017. Durch die Winterspiele hofft man noch vor dem Jahr 2030, was als offizielles Ziel vorgegeben ist, einen blauen olympischen Himmel in den Austragungsorten zu sichern. Für dieses Programm investiert Peking alleine 130 Billionen Yuan. Bereits in den vergangenen zwei Jahren konnte der Kohleverbrauch in dieser Region um 30% gesenkt werden. Außerdem wurden mehr als eine Million Autos aus dem Verkehr genommen, die sich durch zu hohe Emissionswerte ausgezeichnet haben. Fabriken, die in der Vergangenheit mit ihren Abgasen zur Umweltverschmutzung beigetragen haben, werden Schritt für Schritt stillgelegt. Dies gilt für Zhangjiakou ebenso wie für die gesamt Hebei Provinz.
Ganz besonders soll auch die Sportindustrie von den Winterspielen profitieren. Der Wintersport war in der Vergangenheit so gut wie kein Thema staatlicher Sportpolitik. Seine Förderung hat nur in wenigen Ausnahmen stattgefunden. Nun ist ein schnelles Wachstum der Wintersportindustrie zu erwarten. Als weitere Entwicklungsmaßnahme werden bereits im nächsten Jahr neue Skischulen aufgebaut, Themenparks für Eltern und Kinder sollen erstellt werden, um ihnen den Wintersport nahezubringen.
Im Jahr 2025 werden 300 Billionen Yuan pro Jahr, 50 Billionen mehr als heute, auf der Einnahmenseite erwartet. Bereits jetzt ist auch die Zahl der Urlauber im Genting Resort Secret Garden um mehr als 50% gestiegen. Es wird erwartet, dass in der Region das Bruttosozialprodukt außergewöhnlich schnell ansteigt und dadurch viele Arbeitsplätze geschaffen werden können. Energieeffizienz soll dabei das zentrale Merkmal aller Entwicklungsprojekte sein und alle Neukonstruktionen sollen sich am Merkmal der Erneuerbarkeit und der Nachhaltigkeit messen lassen. War „APEC blue“ das Resultat einer kurzfristigen Anti-Polution-Politik aus Anlass der Asia Pacific Economic Cooperation und dessen Forum in Peking im Jahr 2014, so wird nunmehr mit dem Titel „Olympic Blue“ ein zeitlich überdauerndes Ziel definiert. Die meisten Entwicklungsprojekte haben dabei die Organisationsform einer public-private-partnership. Auf diese Weise sollen das know-how und die Erfahrungen der privatwirtschaftlichen Unternehmen auf die Planungen und Interventionen der Regierung intensiver Einfluss nehmen, als dies in der Vergangenheit der Fall war. Das olympische „Birdnest“ in Peking ist dabei der interessante Bezugspunkt. Nachdem es zunächst nach den Spielen 2008 keinen Gewinn abgeworfen hat, wurde es einem neuen privaten Management unterstellt. Seitdem ist das Birdnest finanziell gesund. Für die Spiele 2008 hatte die chinesische Regierung sehr viel staatliches Geld investiert. Die Spiele 2022 sollen nunmehr privatwirtschaftlich geprägt sein. Die Marktkräfte sollen die Wege zeigen, was finanziell möglich und nützlich ist. Höchste Erwartungen hat vor allem Chongli County, das im Norden an die Stadt Zhangjiakou grenzt. Bis heute gehört diese Region zu den ärmsten Chinas. Mit der Vergabe eines Teils der Spiele an diese Region ist in kürzester Zeit ein Goldrausch zu beobachten, der in China seinesgleichen sucht. Mit seinen 125.000 Einwohnern ist Chongli von Preissteigerungen betroffen, die zuvor unvorstellbar gewesen sind. Der Preis für Baugrund hat sicher innerhalb von drei Monaten verdoppelt (2670 US Dollar pro Quadratmeter). Die Preise für Lebensmittel und sonstige Haushaltsgüter sind ebenfalls sehr schnell angestiegen. Die Skiindustrie ist der neue Hoffnungsfaktor. Das Skifahren begann in dieser Provinz bereits vor 20 Jahren. Das erste Skigebiet wurde im Jahr 2003 eröffnet. Im letzten Winter waren bereits zwei Millionen Besucher zu verzeichnen. Bereits ein Sechstel der Bevölkerung hat einen Arbeitsplatz in der Skiindustrie gefunden. Sportindustrie im Allgemeinen und die Wintersportindustrie im Speziellen werden von der chinesischen Regierung als bedeutsamer Entwicklungsfaktor definiert. Derzeit hat die chinesische Sportindustrie einen Anteil von 0,6% am chinesischen Bruttosozialprodukt. Das Ziel sind 2%, um auf diese Weise mit den großen Industrienationen gleichzuziehen. Deshalb wird dem Sportsektor ein großes Wachstumspotenzial zugewiesen. Doch noch immer mangelt es an vielem. Viel zu wenige Taxis sind vorhanden, auch die Restaurantstruktur ist völlig unzureichend. Doch alle Bewohner der Chongli-Provinz zeichnen sich durch Zuversicht aus. Sie sehen ihre Chance durch die Ausrichtung der Winterspiele im Jahr 2022 und schon heute lassen sich im privaten Sektor erste Erfolge beobachten. In den nächsten Jahren wird es noch zu vielen Veränderungen kommen.
In sieben Jahren wird Peking die erste Stadt sein, die Gastgeber sowohl von Sommer- als auch von Winterspielen gewesen ist. Die Ausrichtung der Olympischen Spiele 2022 in der Jing-jin-ji-Region kann bereits heute als das wohl wichtigste und größte Entwicklungsprojekt Chinas im 21. Jahrhundert bezeichnet werden.
Verfasst: 15.12.2015