Es musste ja so kommen. Der Totalisierungsprozess, der im Hochleistungssport zu beobachten ist, beschleunigt sich und weitet sich immer mehr aus. Spitzensport bedeutet heute mehr denn je, sich einer Sache völlig hinzugeben, nicht selten sieben Tage in der Woche zu trainieren und Ausbildung und Bildung hinten anzustellen. Die Auswirkungen sind offensichtlich. Formal ist wohl die Bildung der Spitzensportler mit Athleten früherer Zeiten noch zu vergleichen. Oft übertrifft sie sogar diese formalen Standards. Doch ein intensiver Wissenserwerb und die Bildung werden in der Praxis des modernen Hochleistungssports zurückgestellt. Athleten sind allenfalls gute Repräsentanten in der Öffentlichkeit. Ihre Wissens- und Bildungslücken sind jedoch unübersehbar. Dies wurde gerade in jüngster Zeit mehrfach offensichtlich, als Repräsentanten der Spitzenathleten sich zu Fragen der Mitbestimmung geäußert haben und bei deren Forderungen es auch ohne Zweifel um das wichtige Interesse ging, wie Spitzenathleten mehr Geld verdienen können.
Auf den ersten Blick ist dieses Anliegen verständlich, gibt es doch in der großen Mehrzahl der olympischen Sportarten Athleten, die nicht einmal angemessen für ihren Aufwand entschädigt werden und an finanzielle Gewinne nicht einmal im Traum denken können. Betrachtet man jedoch die Forderungen der Athletenvertreter, so haben diese Forderungen allerdings nur allenfalls am Rande etwas damit zu tun. Gefordert wird die Finanzierung einer unabhängigen deutschen Athletenvertretung, deren Geschäftsstelle und hauptamtliches Personal sollen dabei vom Steuerzahler finanziert werden. Die naheliegende Frage, welche Athleten dabei vertreten werden, welche Interessen dabei zu unterstützen sind und welche andererseits auszuschließen sind, wird dabei bis heute nur wenig eindeutig beantwortet. Folgt man den Aussagen der Athletenvertreter in einem Brief an die Vorstandsvorsitzende vom 08.06.2018, so soll Athleten Deutschland e.V. „grundsätzlich die Interessen aller für Deutschland startenden Athleten repräsentieren und deren Mitbestimmung fördern“.
Der Begriff Athletenvertretung ist höchst schillernd. Sollen die Interessen von Bundesliga-Fußballern vertreten werden? Oder von Martin Kaymer? Benötigt Robert Harting diese Athletenvertretung, der selbst mit seiner leichtathletischen Leistung bereits hohe Einkünfte erzielt hat? Benötigen Spieler der Handball-Bundesliga eine derartige Athletenvertretung? Wo und wie sollen die Athleteninteressen eingebracht werden? Was soll sich wirklich verändern im Vergleich zu den bisherigen Möglichkeiten der Athletenvertretung innerhalb der Athletenkommission des DOSB?
Aus naheliegenden Gründen war schon immer das demokratische Mandat der Athletensprecher in den Sportverbänden äußerst schwach. Ohne das Drängen der Funktionäre würden die entsprechenden Interessenvertretungen meist nicht existieren. Die Wahlbeteiligung bei Athletensprecherwahlen war und ist völlig unbefriedigend. Die Teilnahme der gewählten Athletenvertreter bei den Sitzungen in den Verbänden ist völlig unzureichend. Dies ist alles aus nachvollziehbaren Gründen verständlich. Zeit ist für Athleten eine knappe Ressource und Präsidiumssitzungen der Spitzenverbände sind meist nicht effizient und von vielen Tagesordnungspunkten sind die Athleten auch nicht betroffen. Die Gefahr, dass Verbände über die Köpfe von Athleten hinweg Regelentscheidungen treffen ist angesichts dieser mangelhaften Situation nicht auszuschließen. Wer glaubt, dass ein derartiges Problem durch eine zentrale Athletenvertretung über alle Sportverbände hinweg gelöst werden könnte, der kennt jedoch die Entscheidungspraxis in den einzelnen Verbänden nicht. So wie der DGB nur stark ist durch seine Einzelgewerkschaften, so wäre eine allgemeine Athletenvertretung jeweils dann stark, wenn sie in den Verbänden auf starke Repräsentanten zurückgreifen könnte. Genau dies ist jedoch nicht der Fall und so stellt sich die Frage, was die Arbeit der Athletenvertretung Deutschland ausmachen soll und wie über eine derartige Vertretung bessere Lösungen erreicht werden können, als über die bestehenden Strukturen.
Nicht weniger von Unwissenheit geprägt ist die zweite Forderung der Athletenvertretung, über die spektakulär in den Medien berichtet wurde. Das IOC soll endlich seine unsäglichen Gewinne ausschütten und die Athleten an den Spielen finanziell beteiligen. Was diese Forderung einmal mehr auszeichnet ist, dass bei den neuen Forderungen wieder einmal das materielle Interesse der Athletenvertretung im Vordergrund steht, obgleich in der Satzung von Athleten Deutschland e.V. andere Aufgaben höher gewichtet werden, so z.B. Anti-Doping, sexualisierte Gewalt und Qualifikationskriterien. Betrachtet man die Olympischen Spiele als ein wirtschaftliches Produkt, das auf einem Weltmarkt vertrieben wird, so kann die Frage nach der Gewinnbeteiligung der Athleten durchaus angemessen sein. Die Kosten der Olympischen Spiele müssen dabei ebenso auf den Prüfstand gestellt werden, wie die Ausgaben des IOC. Die mit den Olympischen Spielen erzielten Gewinne sind zu bestimmen und die Frage des Investments ist zu beantworten, damit die Zukunft der Olympischen Spiele auch gesichert ist. Sieht man jedoch die Einnahmen und Ausgaben des IOC auf der Grundlage der überprüfbaren Zahlen, scheinen die Forderungen der Athleten eher durch Unkenntnis geprägt zu sein, als dass man von einer angemessenen und gerechten Forderung sprechen könnte. Der Vorwurf der Geldverschwendung ist dabei ebenso wenig angebracht, wie in Bezug auf den Haushalt des IOC von einer Bereicherung von IOC-Funktionären gesprochen werden könnte. Vielmehr scheint das IOC die einzige internationale Sportorganisation zu sein, die vorbildlich ihre Einnahmen und Ausgaben offenlegt und dabei zum Ausdruck bringt, dass alles Geld, das mittels der Olympischen Spiele erwirtschaftet wird, zurückfließt an die beteiligten Mitglieder und die Weiterentwicklung der Olympischen Spiele. Der Verkauf der Medienrechte führt zu außergewöhnlichen Einnahmen, die jedoch nahezu vollständig an die olympischen Mitgliedsfachverbände ausgeschüttet werden. Viele dieser Verbände würden heute nicht mehr existieren, könnten sie auf diese Mittel nicht zurückgreifen. Die Einnahmen aus dem Verkauf von Marketinglizenzen fließen nahezu vollständig in die 210 Nationalen Olympischen Komitees und auch hier muss gesehen werden, dass die große Mehrheit dieser olympischen Komitees ohne die Zuschüsse des IOCs nicht arbeiten könnte. Hinzukommt das Olympic Solidarity Programm, mit dem Nachwuchsathleten aus allen Ländern der Welt gefördert werden. Aber auch wichtige Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen werden durch die Einnahmen des IOC finanziert. Die Kosten für die Verwaltung und für das IOC Management sind vergleichsweise gering. Lediglich zehn Prozent der Einnahmen des IOC werden für die IOC Zentrale in Lausanne und ihre Mitarbeiter aufgewendet. 90% fließen hingegen in wichtige Fördermaßnahmen, ohne die die Olympische Bewegung nicht existieren könnte.
Wer eine finanzielle Beteiligung der Athleten an den Gewinnen des IOC verlangt, der sollte auch die Frage beantworten, welche Athleten in welcher Höhe wie zu beteiligen sind. Schon eine Teilnahmeprämie in Höhe von 10.000 $US hätte bei 12.000 olympischen Athleten, wie sie üblicherweise mittlerweile bei Olympischen Spielen anzutreffen sind, einen erheblichen Mehrkostenaufwand zur Folge. Die meines Erachtens bedeutsame Idee der werbefreien Olympischen Spiele würde sofort infrage gestellt. Die wunderschöne Atmosphäre der werbefreien Stadien müsste über Bord geworfen werden. Athleten bei Olympischen Spielen wären dieselben Werbesäulen, wie sie im amerikanischen Mannschaftssport angetroffen werden können. Schnell würde sich auch die Frage stellen – sollen Sieger und erfolgreiche Athleten anders behandelt werden, d.h. höhere Prämien erhalten, oder ist eine Gleichbehandlung aller olympischen Athleten anzustreben?
Von jenem der solche Forderungen erhebt dürfte durchaus erwartet werden, dass er sie etwas genauer konkretisiert und die wirtschaftlichen Auswirkungen auch zu beschreiben weiß. Gerade an dieser Forderung der Athletenvertretung wird jedoch auch deutlich, wie überfordert und teilweise auch unwissend die große Mehrheit der Athleten ist, wenn es um die Beschreibung der finanziellen Rahmenbedingungen ihrer sportlichen Leistung geht. Sportliche Höchstleistung war und ist schon immer eine Leistung auf den Schultern von vielen und es ist ganz offensichtlich folgenreich, wenn die sportliche Spitzenleistung ideologisch als Individualleistung gesehen und ausschließlich der Athlet ins Zentrum der Aufmerksamkeit gestellt wird. Von ideologisch geblendeten Medien wird er dabei meist als bedauernswertes Wesen dargestellt, dessen Ausbeutung unendlich zu sein scheint.
Dabei ist auch gerade unter nationalen Gesichtspunkten die Situation der Spitzenathleten sehr viel differenzierter zu beschreiben, als dies üblicherweise in den Medien der Fall ist. Ist heute jemand Mitglied einer Nationalmannschaft in einem der olympischen Verbände, so werden ihm wie selbstverständlich eine ganze Reihe von Vorleistungen zur Verfügung gestellt, die unter finanziellen Gesichtspunkten einen eheblichen Aufwand bedeuten. Athleten trainieren meist kostenlos auf Sportanlagen, die ihnen letztendlich der Steuerzahler zur Verfügung gestellt hat. Sie werden intensiv von Übungsleitern, Trainern bereits als C-Kader, B-Kader und A-Kader Athleten betreut. In Deutschland ist mittlerweile ihre sportmedizinische Betreuung vorbildlich. Als Kaderathleten können die Athleten auf Serviceleistungen in Landesstützpunkten, Bundesstützpunkten, Olympiastützpunkten zurückgreifen, um deren Kosten in Millionenhöhe sie sich nicht zu kümmern haben. Athleten trainieren in nationalen und internationalen Trainingslagern. Ihre Fahrtkosten werden finanziert. Vor Großereignissen wie Weltmeisterschaften und Olympische Spiele erhalten sie eine oft monatelange personell differenzierte aber auch sehr kostenintensive Betreuung. All die Kosten, die hierfür zu bewältigen sind, werden entweder von den Verbänden oder von überregionalen und nationalen Organisationen beglichen. All diese Aufwendungen zugunsten der Athleten sind notwendig, will man international konkurrenzfähig sein. Die Athleten haben sich diesbezüglich deshalb nicht in besonderer Weise als dankbar zu erweisen, sie sollten jedoch zur Kenntnis nehmen, dass ihre Spitzenleistungen ohne diesen hohen finanziellen Aufwand nicht stattfinden könnten.
Der Olympiasieger benötigt Kampfrichter, die ehrenamtlich arbeiten, tausende Helfer, die ihre Freizeit zugunsten dieses Ereignisses opfern, Funktionäre, die sich oft seit mehr als einem Jahrhundert um die Entwicklung ihrer Sportart bemühen, und schließlich auch Politiker, die sich für die Belange des Sports einsetzen. Nichts von diesen Beiträgen ist kostenlos zu erhalten und so stellt sich die Frage, ob die Verteilung der Kosten gerecht ist, wer von dieser Kostenverteilung profitiert und wer dabei möglicherweise der Verlierer ist. Eine Athletenvertretung die Sinn macht, muss genau auf diese Fragen ausgerichtet sein. Eine Athletenvertretung die Sinn macht, muss äußerst exakt die Probleme benennen, die zu lösen sind. Von Sportart zu Sportart muss dabei unterschieden werden, ebenso von Athlet zu Athlet. Die finanziellen Probleme eines Gehers oder eines Hammerwerfers sind gewiss nicht die Probleme eines Sprinters und eines Stabhochspringers. Die mediale Präsenz mancher olympischer Sportarten ist nicht selten völlig unzureichend. Hingegen können andere olympische Sportarten hochdotierte Fernsehverträge abschließen und Athleten dieser Sportarten können auf entsprechend gut dotierte Sponsorenverträge zurückgreifen. Genau diese Differenzen müssen von einer Athletenvertretung berücksichtigt werden, sollen ihre Forderungen nachvollziehbar sein.
Der Sport bedarf einer äußerst differenzierten Analyse, sollen Athleteninteressen angemessen vertreten werden. Dies setzt Wissen und Kenntnis des Sports voraus. Der Sport ist in seiner gesamten Komplexität zu erfassen und ganz gewiss darf dabei der Sport nicht durch jene einseitige und kursichtige Brille betrachtet werden, wie sie der Mehrheit der Massenmedien eigen ist und die deshalb die Forderungen der deutschen Athletenvertretung mit großem Applaus begleitet haben. Die Frage der zukünftigen Finanzierung der Athletenvertretung wurde von den massenmedialen „Opinion-Leadern“ zum Dauerkonflikt zwischen Athleten und DOSB stilisiert und den Verantwortlichen im DOSB wurde eine Parteilichkeit unterstellt, die es angesichts der Problematik in den einzelnen Fachverbänden so gar nicht gibt und die Forderungen der Athleten wurden unkritisch übernommen, ohne sie einmal fachlich auf den Prüfstand zu stellen. Einmal mehr wurde damit deutlich, dass es manchen Journalisten entgegen aller Erwartungen in ähnlicher Weise an Wissen und fachlicher Kompetenz über die Komplexität des Sports mangelt, wie dies aus verständlichen Gründen bei den Athleten der Fall ist. Vom Beruf des Journalisten dürfte man allerdings erwarten, dass eine angemessene akademische Ausbildung und eine ständige Weiterbildung den Journalisten auf einen Wissenstand bringen, um der Komplexität der Fragestellungen und Probleme des modernen Hochleistungssports gerecht zu werden. Leider ist dies immer weniger der Fall und so ist in der öffentlichen Meinungsbildung immer häufiger Unkenntnis zu beklagen und es findet eine unbegründete Parteinahme statt, ohne dass die Prämissen dieser Parteinahme überprüft wurden.
Verfasst 25.06.2018