Sportnation Katar

Sport weist längst imperiale Züge auf. Mittlerweile hat er auch die letzten Ecken dieser Welt erreicht. Der Urwald ist von ihm ebenso wenig verschont geblieben wie die Wüste. Der Sport ist im wahrsten Sinne global. Meine Gutachtertätigkeit in Entwicklungsprojekten der Bundesregierung hat mich in viele junge Nationen in Südamerika, Afrika und vor allem auch in Südostasien geführt. Ich musste dabei sehr schnell erkennen, wie sich Sportsysteme unter kulturellen Gesichtspunkten unterscheiden können und wie verlockend der Sport für die politisch Mächtigen in den jeweiligen Gesellschaften sein kann. Von einer Autonomie des Sports konnte dabei nirgendwo die Rede sein, vielmehr musste ich begreifen, dass die Organisation des Sports über freiwillige Vereinigungen, wie wir sie in Deutschland als etwas Selbstverständliches empfinden, von der großen Mehrheit der Sportnationen als etwas völlig Fremdes empfunden wird. Die politische Instrumentalisierung des Sports ist meist üblich, er erscheint den meisten Regierungen als ideales Instrument der nationalen Repräsentation und wird deshalb über verschiedene staatliche Einrichtungen und Instrumente gefördert. Besonders eindeutig und klar wurde mir dieser Sachverhalt, als ich mit einem Kulturraum in Kontakt treten konnte, der mir zuvor noch verschlossen gewesen war. Die arabische Welt, Saudi-Arabien, die Emirate, Katar, Bahrain, Oman, Dubai – sie spielen heute eine immer wichtigere Rolle in der internationalen Sportentwicklung. Für mich war es Scheich al-Thani aus Katar, durch den ich einen Einblick in diese besondere Sportkultur erlangen konnte. Al-Thani war über mehrere Jahre mein Council-Kollege in der IAAF, wenngleich ihm die Leichtathletik als Sportart völlig fremd gewesen ist. Auf Geheiß des Emirs von Katar kandidierte er für dieses Amt und da die Kandidatur für Katar bedeutsam war, wurden die notwendigen Mittel investiert, um seine Wahl zu sichern. Auf diese Weise saß ein Council-Mitglied über mehrere Jahre mit Sitz und Stimme im IAAF-Council, ohne an dem was in den Sitzungen verhandelt wurde auch nur das geringste Interesse zu haben. Dies hatte zur Folge, dass er immer nur lediglich bei der Eröffnung der Sitzungen anwesend war. Meist dokumentierte er dabei seine Herkunft durch einen Thawb – der typischen Bekleidung eines muslimischen Mannes aus Katar. Seine erhöhte Position in der Gesellschaft von Katar wurde durch ein mitgereistes Fernsehteam dargestellt, das seine Teilnahme bei der Eröffnung der Sitzung dokumentierte. Wenige Stunden nach der Eröffnung wechselte er in westliche Kleidung und verabschiedete sich von mir bis zum Ende der Sitzung, um seinen Geschäften nachzugehen. Besondere und für einen Muslim sehr fragwürdige Freizeitinteressen waren ihm in dieser Zeit wichtiger.

Al-Thani war dabei lediglich ein Rädchen im Machtgetriebe Katars. Der Emir hatte entschieden, dass die Weltsportorganisationen möglichst umfassend mit Repräsentanten Katars zu besetzen sind. Die notwendigen Investitionen wurden getätigt und auf diese Weise wurden in nahezu allen Weltsportarten Vertreter Katars in die entscheidenden Führungsgremien gewählt. Dies lässt sich bei der FIFA ebenso beobachten wie im IOC. Aber auch alle übrigen internationalen Sportfachverbände sind von dieser Strategie betroffen. Der Erfolg dieser Politik lässt sich in vielen erfolgreichen Bewerbungen für sportliche Großveranstaltungen erkennen, die Katar zwischenzeitlich durchgeführt hat. Katar wurde auf der Grundlage einer derart umfassenden Strategie zu einer Weltmacht des Sports. Asienspiele, Commonwealth Spiele, Fußball-, Handball- und Leichtathletik-Weltmeisterschaften – die Zahl der Großereignisse, die mittlerweile in Katar stattgefunden haben oder noch stattfinden werden, scheint unendlich zu sein. Die Rolle Katars in den Entscheidungsgremien des Weltsports muss angesichts der geringen Größe des Landes auch heute noch überraschen.

Khalifa Stadium

Khalifa Stadium – hier findet 2019 die Leichtathletik-WM statt

Katar ist das reichste Land der Welt. Es weist eine hohe Geburtenrate auf und hat eine außergewöhnlich hohe Einwanderungsquote. Die Bevölkerungszahl wuchs seit dem Jahr 1950 von 50.000 auf 2,7 Millionen im Jahr 2017. Die eigentlichen Katarer, die Inländer hingegen, weisen eine nahezu konstante Größe von 300.000 Einwohnern auf. Katar hat ein außergewöhnlich hohes Pro-Kopf-Einkommen, ein gutes soziales Fürsorgesystem, die medizinische Versorgung ist qualitativ anspruchsvoll und wird kostenlos zur Verfügung gestellt. Auch der Schulbesuch ist kostenlos und es besteht Schulpflicht für alle. Katar ist eine relativ junge Nation. Scheich Mohammed al-Thani begründete das Emirat 1878, stand jedoch bis 1970 unter englischer Schutzherrschaft. Am 03. September 1971 wurde die Unabhängigkeit Katars proklamiert und seit dieser Zeit wird der Staat Katar nicht mehr von einem Scheich, sondern von einem Emir angeführt, dessen Macht in erster Linie auf die Erdölvorkommnisse, die 1939 entdeckt wurden, und auf die Erdgasfelder, die 1971 entdeckt wurden, zurückzuführen ist. Katar gilt als absolute Monarchie, unterscheidet sich diesbezüglich allerdings von keinem seiner arabischen Nachbarstaaten. Ein Parlament oder politische Parteien gibt es nicht. Der Emir ernennt die Mitglieder der beratenden Versammlungen. Der Einfluss der Emir-Familie al-Thani ist umfassend und die Familie kontrolliert alle gesellschaftlich relevanten Bereiche. In den vergangenen Jahrzehnten war die wirtschaftliche Entwicklung Katars außergewöhnlich erfolgreich. USA und Deutschland zählen zu den wichtigsten Wirtschaftspartnern Katars. Katar verfügt über ein gut ausgebautes Straßennetz und macht immer wieder durch spektakuläre Bauprojekte auf sich aufmerksam. So unter anderem durch die künstliche Insel Namens „The Pearl“ oder durch den internationalen Flughafen Hamad. Die Deutsche Bahn ist beim Projekt eines „Bahn-Metro-Systems“ wichtigster Partner. In einem mittelfristigen Entwicklungsprogramm „Vision 2030“ spielt nicht nur die Weiterentwicklung der Infrastruktur eine zentrale Rolle, auch der Medien- und Sportsektor wurden dabei zu bedeutsamen Industriesektoren erklärt, deren Förderung vorrangige Bedeutung haben muss.

Übersichtskarte Aspire Academy Katar

Übersichtskarte Aspire Academy Katar

Was dies in der Praxis bedeutet konnte ich bei meinen Besuchen in Katar sehr schnell erkennen. Diese Besuche wurden durch die sportpolitischen Erfolge der Familie al-Thani möglich. Dank der Mitgliedschaft al-Thanis im IAAF-Council wurde Katar Ausrichtungsort eines Golden-League-Meetings, erhielt den Zuschlag der Hallen-Weltmeisterschaft und in jüngster Zeit wurde die Leichtathletik-Freiluftweltmeisterschaft 2019 ebenfalls an Katar vergeben. Bereits bei einem meiner ersten Besuche wurde ich in das Projekt der „Aspire Academy“ eingeführt, die im Jahr 2004 gegründet wurde und die mittlerweile das weltweit größte Trainings- und Wettkampfzentrum für Spitzensportler darstellt. Der erste Direktor kam aus Deutschland, wie überhaupt die Beziehung zwischen Katar und Deutschland sich schon sehr früh als äußerst eng und intensiv darstellte. An der Universität von Katar wurde eine Sportfakultät gegründet, deren erster Dekan ebenfalls ein Deutscher war. Deutsche Profi-Fußballvereine sind sehr schnell in eine enge Kooperation mit Katar eingetreten und die Sportereignisse Katars waren für die internationalen Athleten nicht zuletzt deshalb attraktiv, weil bei ihnen beste Preisgelder verdient werden konnten.

Zuschauer bei der Handball-WM Männer 2015

Zuschauer bei der Handball-WM Männer 2015

Die Sportpolitik Katars ist strategisch ausgerichtet und sie zeichnet sich durch eine besondere Systematik aus. In vergleichbarer Weise wurde bislang noch in keinem anderen Land der Welt das Phänomen des Sports zu einem industriellen Sektor, durch den gemeinsam mit dem Sektor des Tourismus neue Einnahmequellen erschlossen werden sollen. Orientierungspunkt der sportpolitischen Strategie sind die Olympischen Spiele. Der Weg zur Ausrichtung Olympischer Spiele wurde über eine Vielzahl von verschiedenen Meilensteinen vorgezeichnet. Immer beginnt man zunächst mit der Ausrichtung von kleineren Sportveranstaltungen, um dann das Ziel der größten Sportveranstaltung in der jeweiligen Sportart anzustreben. Mittlerweile hat das Sportministerium Katars in mehr als zehn Sportarten bereits die höchsten internationalen Ziele erreichen können (vgl. Tabelle 1). Jährlich findet ein Golf-Masters-Turnier statt, bei der die weltbesten Golfspieler antreten. Im Handball hat man über die Asienmeisterschaft und die Club-WM die erste Handball- Weltmeisterschaft der Männer im Jahr 2015 erreicht. In der Leichtathletik ging der Weg über ein Grand-Prix-Ereignis, über den Super-Grand-Prix hin zur Golden League, gefolgt von einer Hallen-Weltmeisterschaft und im Jahr 2019 wird die neuntägige Freiluftweltmeisterschaft in Katar stattfinden. Im Motorsport findet jährlich ein Grand-Prix-Rennen statt, die Motorrad-Weltmeisterschaft hat ebenfalls bereits stattgefunden. Im Radsport wird ein Tour-Rennen sowohl für Männer als auch für Frauen angeboten. Im Springreiten findet jährlich ein Weltklasse-Turnier statt, im Squash und im Tischtennis fanden Weltmeisterschaften und die Katar-Open statt und im Schwimmen waren es die Kurzbahn-Weltmeisterschaften und wird es demnächst der Weltcup sein. Ganz bedeutsam sind Multi-Sportwettkämpfe. Auch hier hat man sehr erfolgreich die Asienspiele und fast sämtliche Asienmeisterschaften aller olympischen Sportarten organisiert. Darüber hinaus war die Gymnasiade in Katar zu Gast, sowie die Panarabischen Spiele. Die meisten dieser Veranstaltungen wurden vom Gastgeber engagiert organisiert und konnten auch mehr oder weniger als erfolgreich bezeichnet werden. Katar war dabei nicht nur Gastgeber, sondern es bediente sich umfassender ausländischer Expertise, um eigene Athletinnen und Athleten in die internationalen Sportereignisse hineinzuführen und auch hier konnten überraschend Erfolge erzielt werden. Solche Erfolge sind meist einer Einbürgerungspolitik zuzuschreiben, wie sie nur in autoritären Monarchien möglich ist. Dass Katar sportliche Erfolge mittels internationaler Spitzenathleten erreichen konnte ist jedoch vor allem den internationalen Sportverbänden zuzuschreiben, die in ihren Regeln diesen Weg möglich machen. Katar hat sich im Interesse der eigenen nationalen Politik diese Möglichkeiten besonders engagiert zu eigen gemacht und konnte auf diese Weise in relativ kurzer Zeit Handball-Vizeweltmeister werden, ohne dass man über eine eigene Handballkultur in Katar verfügt. Auch in der Leichtathletik konnten eingebürgerte Athleten sehr schnell internationale Erfolge zugunsten Katars erreichen. Angesichts der Größe des Landes und angesichts der in einigen Sportarten völlig unzureichenden Teilnehmerzahlen sind die sportlichen Erfolge Katars außergewöhnlich.

SportartJahrEreignis
Badminton2006Asienmeisterschaft
Fußball2011
2013
2016
2022
Asienmeisterschaft
Westasienmeisterschaft
U-23-Fußball-Asienmeisterschaft
FIFA WM
Golfseit 1998Qatar Masters
Handball2002, 2010-2016
2006
2015

Super Globe (Klub-WM)
Asienmeisterschaft
WM Männer
Leichtathletikjährlich

2008, 2016
2010
2015
2019
Qatar Athletic Super Grand Prix (seit 2010 Teil der Wettkampfserie IAAF Diamond League)
Hallen-Asienmeisterschaft
Hallen-WM
IPC-WM
Freiluft-WM
Motorsportseit 2004MotoGP-Rennen
Billardseit 2010
2016
WPA 9-Ball-WM
Snooker-WM
Radsportseit 2002
seit 2009
2016
Tour of Qatar (Etappenrennen)
Ladies Tour of Qatar (Etappenrennen)
Straßen-WM
Reitsport2008,2009, seit 2011Global Champions Tour (Springreiten)
Schwimmen2014
2017
2023
Kurzbahn-WM
Weltcup
WM
Squash2002
2004
2012
2014
Frauen-WM
Männer-WM
Männer-WM, Junioren-WM
Männer- WM
Tennisjährlich
2008-2010
Qatar Open
WTA Finale Frauen
Tischtennisjährlich
2004
Qatar Open
WM
Volleyball2009-2012Klub-WM Männer
Sonstige Veranstaltungen2005
2009
2010
2018
WM Gewichtheben
Gymnasiade
Panarabische Spiele
Kunstturn-WM

Tabelle 1: Wichtige Sportereignisse in Katar seit 2000

Sport ist dabei für Katar nicht nur ein industrieller Faktor, er ist auch bei der Bevölkerung beliebt, ist geeignet für die nationale Identifikationspolitik und dient der nationalen Repräsentation. Außenpolitisch trug der Sport zur Öffnung der Gesellschaft Katars bei. Bereits bei meinem Besuch des ersten Leichtathletik-Grand-Prix-Meetings wurde zum ersten Mal der Besuch von Frauen bei Sportveranstaltungen erlaubt. Wenige Jahre danach wurde der Start von weiblichen Athleten in sogenannten „Tops“ zugelassen und die Förderung des Mädchen- und Frauensports hat mittlerweile höchste Priorität. Die Rolle der Frau unterliegt in Katar einem außergewöhnlich dynamischen Wandel. An den Universitäten, aber auch in höchsten Führungspositionen sind Frauen mittlerweile eine Selbstverständlichkeit geworden.

Waren vor 100 Jahren die Zelte der Nomaden und ihre Kamele die Wahrzeichen Katars, so sind es heute die Türme von Bankhäusern, Shopping Malls, Sternehotels und Monumentalbauten, die ihresgleichen suchen. Katar ist zum Eldorado der modernen Architektur geworden und in der Finanzwirtschaft tritt Katar als globaler Investor auf. Die größten Bauunternehmer Deutschlands sind ständiger Partner Katars, ebenso wie die Deutsche Bank, Mercedes und andere deutsche Großunternehmen, die mit Katar auf das Engste zusammenarbeiten.

Die öffentliche Meinung und das Bild, das in den deutschen Massenmedien von Katar gezeichnet wird, sind jedoch ganz anderer Natur. In der deutschen Sportberichterstattung wird jeder sportliche Erfolg Katars in Frage gestellt, die Ausrichtung eines sportlichen Großereignisses wird als Skandal beschrieben. Katar hat demnach dazu beigetragen, dass der Sport käuflich ist, dass Korruption mehr und mehr den internationalen Sport erreicht, dass vor allem die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar nur durch Kauf von Stimmen möglich geworden ist. Nach Auffassung der meisten deutschen Sportjournalisten verbietet sich die Durchführung einer Fußball-Weltmeisterschaft in Katar alleine aus klimatischen Gründen. Ein weiterer Grund, der nach Auffassung der deutschen Medien gegen sportliche Großereignisse in Katar spricht, ist der Bau der Sportstätten, die man für die sportlichen Großereignisse benötigt. Da sich Katar sogenannter Fremdarbeiter bedient, die im Vergleich zu europäischen Arbeitsbedingungen in inakzeptablen Arbeitslagern leben und deren geringe Löhne einer Ausbeutung gleichkommen, wird hier ein Problem angesprochen, dass in Katar ohne Zweifel existiert. Auch die Vorwürfe der Korruption und die fraglichen klimatischen Schwierigkeiten haben durchaus ihre Berechtigung. Dennoch stellt sich die Frage, ob die umfassende Kritik in den deutschen Medien den tatsächlichen Verhältnissen in Katar gerecht wird und inwiefern diese Kritik als fair zu bezeichnen ist. Es fällt auf, dass sich die deutsche Kritik am deutschen Sportsystem und dessen demokratischer Verfasstheit, seiner Finanzierungsformen, seiner Führungs- und Organisationsmuster und seiner Sportgeschichte orientiert.

Es fällt aber auch auf, dass Deutschland sich wohl am globalen Weltsport beteiligen möchte, Weltmeistertitel für das deutsche Sportsystem wichtig sind, olympische Erfolge angestrebt werden sollten und Weltmeisterschaften und Olympische Spiele möglichst unter solchen Bedingungen stattzufinden haben, wie man sie für Deutschland voraussetzen kann. Dabei müsste eigentlich sehr schnell erkannt werden, dass unter solchen Voraussetzungen eine Weiterentwicklung der Olympischen Spiele und des Weltsports nicht möglich sein wird.

Wird die Vergabe internationaler Sportveranstaltungen von diesen Bedingungen abhängig gemacht, so wird es Weltvergleiche im internationalen Sport zukünftig nicht mehr geben. Menschenrechtsverstöße gibt es in 159 Ländern und die Meinungsfreiheit ist in mehr als 96 Ländern eingeschränkt. Menschenrechtsverletzungen sollten deshalb meines Erachtens kein Ausschlusskriterium sein, sie sollten vielmehr verpflichtender Anlass sein, dass sich die Verantwortlichen des internationalen Sports mit den politischen Problemen ihrer Gastgeberländer intensiv auseinandersetzen und dass die internationalen Sportereignisse ein Medium zur Öffnung fragwürdiger Gesellschaftsordnung werden.

Fußballplätze in der Aspire Academy

Fußballplätze in der Aspire Academy

Zukünftig müssen sich die Athleten aus der Nordhälfte auf die Bedingungen der Südhälfte unseres Globus ebenso einstellen, wie dies bislang umgekehrt der Fall war. Gleiches gilt für die Ost-West-Beziehungen. So wie in Deutschland und Europa Olympische Spiele und Weltmeisterschaften durchgeführt werden sollen, so ist es auch der Anspruch und der Wunsch aller anderen Regionen der Welt, für diese Großereignisse Gastgeber zu sein. Dies bedeutet, dass sich die internationalen Sportorganisationen in Abhängigkeit der jeweiligen klimatischen Bedingungen flexibel zeigen müssen und dass nicht notwendigerweise eine Wintersaison von einer Sommersaison zu unterscheiden ist. Auch die Erwartung, dass man bei internationalen Sportereignissen erfahrene und kompetente Zuschauer anzutreffen hat, kann den globalen Herausforderungen des Sports nicht gerecht werden. Es liegt vielmehr in der Natur der Sache, dass Sportarten zukünftig in Ländern durchgeführt werden, in denen noch keine tragfähige Sportkultur besteht, dass bei vielen Vorrundenspielen halbleere Stadien und Veranstaltungsorte anzutreffen sind und dass allenfalls die Eröffnungsfeier von der großen Mehrheit der Bevölkerung zur Kenntnis genommen wird. Die Frage ob solche Entwicklungen unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten erwünscht sein können, stellt sich dabei ohne Zweifel. Doch auch hier muss respektiert werden, dass andere Nationen autonom über ihre Zukunftsinvestitionen entscheiden können und sie dabei nicht notwendigerweise dem Modell der westlichen Demokratien folgen werden. Für Katar, das kann schon heute gesagt werden, hat sich die Sportvision in Bezug auf einen zukünftigen ökonomisch tragfähigen Sportsektor bereits heute gelohnt. Für die Regierung von Katar sind zukünftige Olympische Spiele längst nicht nur eine Vision. Sie sind vielmehr konkreter Höhepunkt einer bereits erfolgreich durchgeführten sportstrategischen Politik.

Die Kritik an den Arbeitsbedingungen beim Bau der Sportstätten Katars war hilfreich und notwendig. Sie hat dazu geführt, dass sich der internationale Gewerkschaftsbund an den Protesten beteiligte und auch die FIFA und andere Sportorganisationen diese Kritik an die zuständigen Behörden Katars herangetragen haben. Mittelweile sind hier erhebliche Verbesserungen eingetreten, wenngleich die Lebensbedingungen der Gastarbeiter nach wie vor sehr unbefriedigend sind und unter Menschenrechtsgesichtspunkten einer ständigen Beobachtung unterstellt sein müssen. Allerdings muss auch in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen werden, dass vergleichbare Bedingungen nicht nur in Katar, sondern in fast allen Staaten des Nahen Ostens und in der großen Mehrheit der asiatischen Staaten bestehen. Für viele der Gastarbeiter sind die Bedingungen heute in Katar besser als die Bedingungen in ihren Herkunftsländern. Das Problem der Ausbeutung der Arbeiterschaft ist somit nicht nur ein Problem Katars, es hat internationalen Charakter. Wird diese Kritik immer nur im Zusammenhang mit Sportereignissen vorgetragen, so ist sie deshalb auch meist wirkungslos. Die eigentlich Schuldigen an dieser Problematik – die Großkonzerne, die internationalen Investoren und die großen Industrienationen – werden mit dieser Kritik so gut wie nicht erreicht.

Verfasst: 13.07.2017