Bei allem was Menschen gemacht und erfunden haben wird um die Urheberrechte gestritten. Darf es deshalb verwundern, dass sich auch im Handball verschiedene Nationen die Urheberschaft streitig machen? Handball gilt allenthalben als „deutsches Spiel“ und natürlich sehen vor allem Deutsche ihre Heimat als Ursprungsland dieser Sportart. Diese Annahme ist jedoch falsch. Von Historikern¹ des Sports wird mittlerweile übereinstimmend darauf hingewiesen, dass es erwiesen sei, dass im ost – und südeuropäischen Raum, vor allem in der Tschechoslowakei bereits 1892 „CESKA HAZENA“ gespielt worden sei und dass ein gewisser Herr Karas 1905 die ersten Regeln zu diesem Spiel veröffentlicht habe. In Dänemark gab es bereits 1898 ein „HAANDBOLD“ – Spiel und in Schweden tauchte 1905 das „HANDBOLL“ auf.
In Deutschland wird hingegen von den Sporthistorikern erst mit dem Namen HAGEBAUER 1907 erwähnt, der in Wiesbaden das Spiel mit der Hand eingeführt hatte. Dieses Spiel hatte freilich sehr viel weniger Gemeinsamkeit mit unserem Handballspiel als die tschechischen und skandinavischen Vorläufer. Deutet dort alles bereits auf das Hallenhandballspiel hin, so zeigte sich das deutsche Spiel mit der Hand zunächst noch mit vielen Ähnlichkeiten zum Korbballspiel.
Erst 1915 entwickelte sich ein Spiel mit der Hand, das als eigentlicher Vorläufer des deutschen Feldhandballspiels bezeichnet werden kann. Ein Turnlehrer namens MAX HEISER führte zu dieser Zeit ein Handballspiel als „Kampfspiel“ für Frauen in Berlin ein. Dieses Spiel sollte weniger körperbetont und zweikampforientiert sein als das Fußballspiel, was damals allenfalls für Buben aber keinesfalls für Mädchen als pädagogisch geeignet erachtet wurde.
Erst auf dessen Grundlage entwickelte KARL SCHELENZ 1919 das eigentliche deutsche Handballspiel, den Feldhandball. 1922 wurde dann bereits die erste Deutsche Meisterschaft ausgetragen und 1925 gewann Österreich das erste Feldhandball- Länderspiel gegen Deutschland. Handball war in jener Zeit in erster Linie ein Turnspiel und da es einen ähnlichen Kampfcharakter wie Fußball hatte, war es für die Jugend das attraktivste Turnspiel und gewann schnell an Popularität. Die deutsche Turnlehrerschaft sah im Handball ein geeignetes Mittel, die Jugend von der unerwünschten „Engländerei“, dem Fußballspiel abzuhalten. Heute ist das deutsche Handballspiel, der Feldhandball, beinahe in Vergessenheit geraten. Er wurde vom internationalen Flair des Hallenhandballs verdrängt. In den Handball-Ländern der Dritten Welt ist von Feldhandball nur noch in Geschichtsbüchern die Rede, und auch in Deutschland dominiert in erster Linie das Spiel auf dem kleinen Feld mit sieben Spielern, das heute in mehr als 200 Ländern der Welt von fast 30 Millionen Spielern gespielt wird.
Der Streit um die Urheberschaft ist für die meisten dieser Spieler bedeutungslos, sie spielen Handball, weil das Spiel ihnen Spaß macht und manche von ihnen betreiben sogar den Handballsport als Beruf.
Der internationale Hallenhandballsport wird nach wie vor von europäischen Nationen dominiert. Doch die internationale und weltweite Entwicklung des Handballs ist dennoch bemerkenswert. Zum ersten Mal wurde Handball 1925 bei der Arbeiterolympiade gespielt. Aus Anlass der Olympischen Spiele 1928 gründeten elf Länder den ersten internationalen Handballverband IAHF und 1936 wurde Feld-Handball zum ersten Mal bei Olympischen Sommerspielen gespielt. Vor 100.000 Zuschauern, der höchsten Zuschauerzahl die jemals im Handball erreicht wurde, gewann Deutschland die Goldmedaille im Endspiel gegen Österreich. 1938 wurden die ersten Weltmeisterschaften im Feld und im Hallenhandball ausgerichtet. 1949 fand die erste Frauenweltmeisterschaft auf dem Feld statt, gefolgt von der ersten Frauenhallenweltmeisterschaft 1957. Hallenhandball wurde dann 1972 in München zum ersten Mal olympisch. 1976 konnte auch Frauenhandball olympische Disziplin werden. Beach Weltmeisterschaften gibt es seit 2004.
Die IHF ist mittlerweile im wahrsten Sinne des Wortes ein Weltverband geworden. Sie weist 209 Mitgliedsverbände auf. In jedem seiner sechs Kontinentalverbände gibt es alle zwei Jahre Kontinentalmeisterschaften für Männer, Frauen, Junioren und Jugendliche. Insgesamt wird auf der Welt von 27 Millionen Menschen in 128.000 Teams und in 28.000 Clubs Handball gespielt. Bei den Olympischen Spielen zählte zuletzt in Tokyo2020 Handball zu den populärsten Sportarten und mit seiner eigenen Weltmeisterschaft der Männer erreichte der Handballsport im Jahr 2019 mehr als 2 Billionen Fernsehzuschauer. 900.000 Zuschauer waren bei den Spielen in den modernsten Handballarenen Ägyptens im Jahr 2021 anwesend und die Spiele der beteiligten Nationalmannschaften wurden 6190 Stunden von internationalen Fernsehsendern übertragen.
Die Entwicklung des modernen Hallenhandballs ist von vielen Regeländerungen geprägt. Als besonders spektakuläre Änderung kann dabei jene Regel bezeichnet werden, durch die das Spiel ohne Torwart d.h. das Spiel mit sieben Feldspielern ermöglicht wurde. Für das Angriffsspiel wurden dabei völlig neue taktische Varianten eröffnet. Doch gleichzeitig hat sich das Risiko von erfolgreichen Würfen des Gegners auf das leere Tor bei einem Ballverlust ganz wesentlich erhöht. Auch technisch und taktisch hat sich der Handballsport ganz wesentlich weiterentwickelt. In den Anfängen, insbesondere im Feldhandball, war das Spiel vom sog. Stemm – oder Kernwurf und vom Sprungwurf geprägt. Später kamen der Fallwurf, der Hüftwurf, der „Kempa-Trick“ („Flieger“) hinzu. Der Heber, der Knickwurf, der Luftdreher und verschiedene angeschnittene Würfe sind weitere neuere Wurfvarianten, die teilweise nur deshalb möglich sind, weil es im Hallenhandball schon seit Jahrzehnten üblich geworden ist, Ball und Hände mit Harz zu beschmieren, um damit eine höhere Wurfgenauigkeit und Wurfsicherheit zu erzielen. Im Bereich der Taktik werden heute zahlreiche Angriffs – und Abwehrsysteme unterschieden und die international erfolgreichsten Mannschaften sind in der Lage, in einem Spiel von 2 × 30 Minuten oft mehr als zehn verschiedene taktische Spielzüge zur Anwendung zu bringen und sie dabei auch meist zu einem Erfolg zu führen.
Heute ist neben dem dominanten Hallenhandball und dem als historische Reminiszenz nur noch von wenigen Handballvereinen gepflegten Feldhandballspiel das „jugendliche“ Beach – Handballspiel als neue internationale Handballdisziplin hinzugekommen.
Von HEISERS Idee, mit dem Handballspiel ein Sportspiel einzuführen, das weniger zweikampforientiert und körperbetont ist, ist allerdings angesichts der durchaus bemerkenswerten Erfolgsgeschichte des Handballsports nur wenig übriggeblieben. Hallenhandball gehört heute bei Olympischen Spielen zu den härtesten Mannschaftssportarten. Dies gilt gleichermaßen für Frauen wie für Männer. Das athletische Profil der Spielerinnen und Spieler hat sich in den vergangenen Jahrzehnten entscheidend verändert. Die Körpergröße wurde immer mehr zum leistungsbestimmenden Faktor und Kraft und Schnelligkeit sind spielbestimmende Faktoren geworden. Im internationalen Handball liegt die durchschnittliche Körpergröße bei Männernationalmannschaften bereits über 1,90 m und auch das Gewicht der Spieler hat sich ständig erhöht. Spieler mit mehr als 100 kg Körpergewicht sind heute keine Ausnahme mehr. Von den prägenden Merkmalen, die bei der Gründung des Handballspiels eine ursächliche Bedeutung hatten, ist heute nichts mehr übriggeblieben. Der moderne Handball ist körperbetont und zweikampforientiert. Er hat diesbezüglich die damalige Vergleichssportart Fußball bereits um Längen übertroffen.
Sollte dennoch einer der Tatsache nachtrauern, dass Handball kein deutsches Spiel ist, so kann er mit dem Hinweis getröstet werden, dass es auch für das tschechische und skandinavische Handballspiel vermutlich noch zahlreiche Vorläufer gegeben hat. Schließlich zeigen uns Wandzeichnungen der Mayas, dass dort ein Spiel mit der Hand bereits sehr populär war und HOMER beschreibt den griechischen Handballspieler als einen Mann, der „behend hochspringt, um den Ball in der Luft zu fangen, ehe der Fuß den Boden berührt“. URANIA und HARPASTON hieß damals das Spiel und bei den Römern wurde deren Handballspiel HARPASTUM genannt.
Letzte Bearbeitung: 2.April 2022
¹ Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf „gendergerechte“ Sprachformen – männlich weiblich, divers – verzichtet. Bei allen Bezeichnungen, die personenbezogen sind, meint die gewählte Formulierung i.d.R. alle Geschlechter, auch wenn überwiegend die männliche Form steht.