Halbzeitbilanz – Thomas Bachs IOC Präsidentschaft

Am 16.9.2013 wurde Thomas Bach als erster Deutscher zum Präsident des Internationalen Olympischen Komitees gewählt. Acht Jahre dauert seine erste Amtszeit. Um vier Jahre kann sie verlängert werden. Nach den ersten sechs Jahren seiner Präsidentschaft kann somit eine Halbzeitbilanz versucht werden.

Thomas Bachs Wahl erfolgte inmitten der größten Krise, die das IOC in seiner mehr als 100-jährigen Geschichte zu bewältigen hatte. Mehrere korrupte Mitglieder und fragwürdige Vergabeentscheidungen hatten das Komitee in Verruf gebracht. Das Dopingproblem hatte ein Ausmaß erreicht, wie es noch vor wenigen Jahrzehnten nicht vorstellbar gewesen war. Die Olympischen Spiele befanden sich in einem ungezügelten Wachstum, was das IOC mehr und mehr in einen gefährlichen Prozess der Selbstzerstörung geführt hatte.

Präsident Bach stand somit vor Herausforderungen, die er vermutlich vor seiner Wahl in ihrer Reichweite nicht einschätzen konnte. Umso bemerkenswerter ist es, wie sich unter der Führung von Bach innerhalb von kurzer Zeit die Olympische Bewegung durch eine neue Qualität auszeichnet. Im Dezember 2014 verabschiedete die IOC-Vollversammlung eine neue „Olympische Agenda 2020“, die ganz wesentlich von der Handschrift des neugewählten IOC-Präsidenten geprägt wurde. 40 Reformen wurden darin vorgeschlagen und das IOC gab sich damit eine neue Zukunftsstrategie. Im Zentrum steht dabei die Forderung nach einer vollständigen Transparenz der Organisationen des IOC und ihrer Entscheidungen. Ziel ist es, sämtliche Empfehlungen der Olympischen Agenda 2020 bis zu den Olympischen Spielen in Tokyo zu realisieren. Mittlerweile wurden alle Reformprogramme in Angriff genommen. Mehr als die Hälfte der Reformen wurden bereits umgesetzt oder stehen kurz vor der Vollendung. Einige dieser Veränderungen verdienen es, dass sie besonders hervorgehoben werden:

Da ist zunächst der Beitrag des IOC im Kampf gegen das Dopingproblem zu erwähnen. Das IOC hat es möglich gemacht, dass die WADA sich zu einer Institution entwickeln konnte, die weitgehend unabhängig von ihren Mitgliedsstaaten und damit von der Politik und den internationalen Sportorganisationen ist. Die finanzielle Unterstützung der WADA wurde durch das IOC niemals infrage gestellt. Zuletzt hat das IOC eine Summe von 5 Mio. US $ zugunsten der olympischen Spitzenverbände bereitgestellt damit mehr als 22.000 Proben über einen Zeitraum von zehn Jahren aufbewahrt werden können, da der World Anti-Dopingcode die Re-Analyse aller durchgeführten Proben noch zehn Jahre nach dem Zeitpunkt ihrer Kollektion zulässt. Für das neue Forschungsprogramm der WADA und für die „WADA Intelligence and Investigative Unit“ steuerte das IOC jeweils 2,5 Mio.US $ bei. Daneben wird das Testprogramm für die Zeit vor den Olympischen Spielen in Tokyo 2020 mit weiteren 10 Mio. US $ unterstützt.

Für mich ist es allerdings völlig unverständlich, dass sich Bach über viele Jahre gegen ein Anti-Doping-Gesetz ausgesprochen hat und damit mit dazu beitrug, dass das von mir bereits 1993 geforderte Anti-Doping-Gesetz erst vor wenigen Jahren in Kraft treten konnte. Alle seine Befürchtungen, die er während seiner Amtszeit als DOSB-Präsident zum Ausdruck brachte, haben sich mittlerweile als falsch erwiesen. Wenngleich auch gesagt werden muss, das mit dem neuen Anti-Doping-Gesetz nicht jene Ziele erreicht wurden, die sich die Befürworter von ihm versprochen haben. Bachs Anti-Doping-Engagement bleibt davon unberührt. Es war und ist glaubwürdig und sollte für nationale und internationale Sportfunktionäre ein Vorbild sein.

Eine zweite Reform ist ebenso wichtig erwähnt zu werden. Die Modernisierung der Olympischen Spiele ist vor allem von der Zukunft des Sportartenprogramms abhängig. Eine Reform der Olympischen Sportarten war und ist schon längst überfällig. Auch diesbezüglich sind erste Erfolge aufzuweisen. Bei den Spielen in Tokyo werden Skateboarding, Surfing, Klettern, Karate, Softball und Baseball in das olympische Programm aufgenommen. 15 neue Events innerhalb der bestehenden Sportarten sollen darüberhinaus das Programm für junge Menschen etwas attraktiver machen. Nicht alles ist dabei wirklich neu oder für junge Menschen ausreichend attraktiv, ein erster Schritt zur Innovation des Programms ist damit jedoch getan. Das bestehende Basketball-Programm wird durch das Spiel „drei gegen drei“ ergänzt. Bei den Olympischen Jugendspielen hat sich dieser Wettbewerb als eine sinnvolle Bereicherung erwiesen. Bei den nächsten Olympischen Jugendspielen werden sowohl bei den Winter- als auch bei den Sommerspielen neue Sportarten erprobt und die Möglichkeit scheint gegeben zu sein, dass man auf diese Weise wieder das Interesse junger Menschen am aktiven Sporttreiben zurückgewinnen kann. Der während der Amtszeit von Bach gegründete Fernsehsender „Olympic Channel“ sollte dabei eine Hilfe sein.

Als dritte Reform ist die mittlerweile erreichte Geschlechtergerechtigkeit zu nennen. In Tokyo kann man davon ausgehen, dass sich nahezu die gleiche Zahl männlicher und weiblicher Athleten bei den einzelnen Wettkämpfen messen werden. Bei den Olympischen Jugendspielen kann gar von einer vollständigen Geschlechtergerechtigkeit gesprochen werden. Offen ist lediglich die Frage wie man zukünftig mit dem sog. „Dritten Geschlecht“ umgehen möchte, das mittlerweile in mehreren Nationen staatliche Anerkennung erhalten hat. Hier scheinen ganz neue Initiativen notwendig zu sein. Der bisher eingeschlagene Weg, durch medizinische Manipulationen faire Wettkämpfe zu gewährleisten, kann ganz gewiss keine Lösung sein. Die diesbezüglich geäußerte Kritik von Menschenrechtsorganisationen sollte dabei dringend beachtet werden.

Für IOC-Präsident Bach war es vielleicht die wichtigste Aufgabe die Athletenmitbestimmung zu reformieren. Seine eigenen Erfahrungen als Athletenvertreter haben dies nahegelegt. Mittlerweile sind alle gewählten Athletenvertreter für die Dauer Ihrer Amtszeit stimmberechtigte Mitglieder des IOC. Darüber hinaus ist ein Sprecher der Athleten auch Mitglied im Exekutivkomitee. Die Mitbestimmung der Athleten bleibt aber nach wie vor eine große Herausforderung angesichts der Forderung einiger Athleten, zukünftig vermehrt an den Gewinnen des IOC beteiligt zu sein. Diese Forderung deutet darauf hin, dass es bislang dem IOC nicht gelungen ist den Non-Profit-Charakter seiner Organisation der Weltöffentlichkeit zu vermitteln. Es ist wohl eine Tatsache, dass das IOC 90 % seiner Einnahmen an die olympische Bewegung ausschüttet. Allein in den letzten vier Jahren hat das IOC 5 Mrd. US $ an die Organisationskomitees der zukünftigen Olympischen Spiele, an die Athleten und an die Mannschaften aller 206 Nationalen Olympischen Komitees verteilt. Ebenso wurden sämtliche internationalen olympischen Sportorganisationen mit den Einnahmen aus Verkauf der Fernsehrechte finanziell in erheblicher Weise unterstützt. Der Öffentlichkeit und vor allem den Athletinnen und Athleten selbst sind diese Zusammenhänge weitestgehend unbekannt. Das finanzielle Image des IOC ist vielmehr nach wie vor negativ. Es bedarf dringend einer völlig neuen und kreativen Bearbeitung, um die bestehenden Vorurteile zu beseitigen. Für das IOC ist es dabei ein Ärgernis, dass die Internationalen Olympischen Sportverbände, deren nationale Mitglieder und die 206 „Nationalen Olympischen Komitees“ so gut wie nie in transparenter Weise aufgezeigt haben, wie durch sie olympische Athleten und Athletinnen materiell und finanziell unterstützt werden.

Die wohl wichtigste Reform für die Zukunft der Olympischen Spiele war und ist die Reform des Bewerbungsprozesses und die Reform der Durchführung zukünftiger Olympischer Spiele. Diesbezüglich kann Bach von einem seiner größten Erfolge während seiner bisherigen Amtszeit sprechen. Bei seinem Amtsantritt war die Zukunft Olympischer Spiele nahezu ungesichert. Ein kostenintensiver Bewerbungsprozess, zu große Anforderungen und zu hohe Kosten für die Durchführung der Spiele hatten dazu geführt, dass immer weniger Städte und Nationen sich für die Durchführung zukünftiger Spiele interessierten. Mittlerweile wurde mit „The New Norm“ ein völlig neues Bewerbungsverfahren implementiert. Es enthält 118 Veränderungsvorschläge und mündete mittlerweile in drei Maßnahmenkatalogen: „Redesigning of the Candidature Process“ begleitet die Bewerberstädte während des gesamten Bewerbungsprozesses, so dass allein schon die Bewerbung einen Nutzen für die Bewerber abwerfen kann. „The IOC Legacy Strategic Approach“ weist den Weg wie ein Ausrichter Partner für den bestmöglichen Erfolg finden kann, und „7-Year Journey Together“ enthält einen „Werkzeugkasten“ mit 100 verschiedenen „Werkzeugen“ mit denen man zukünftig Olympische Spiele erfolgreich durchführen kann. Die Kosten für zukünftige Bewerber wurden dank dieser Maßnahmen ganz wesentlich reduziert, das Evaluationsverfahren wurde vereinfacht und für die Durchführung der Spiele wurden neue Bedingungen und Maßstäbe gesetzt. Die Nachhaltigkeitsstandards entsprechen höchsten Ansprüchen. Tokyo hat davon bereits profitiert. Die Tokyo-Spiele 2020 können bereits heute als die am besten vorbereiteten Spiele bezeichnet werden. Mehr als 200.000 Personen haben sich für das Volunteerprogramm beworben, mehr als 8 Millionen ließen sich bereits für den Ticketkauf registrieren und das Nationale Marketingprogramm hat bereits Rekordeinnahmen erzielen können. Die Spiele selbst werden als die ersten „Carbon Neutral Games“ in die Geschichte der Spiele eingehen.

Paris und Los Angeles wissen die neuen Anforderungen ebenfalls zu schätzen. Ausrichter zukünftiger Spiele können bei guter Planung und Durchführung damit rechnen, dass mit den Spielen ein wesentlicher Beitrag zur gesellschaftlichen Entwicklung ihrer Nation geleistet werden kann.

Mit der Offenlegung der Finanzen des IOC hat Bach ohne Zweifel einen sehr wichtigen Beitrag zur Wiedergewinnung der Glaubwürdigkeit der Olympischen Bewegung geleistet. Ihm ist es zu verdanken, dass das IOC sämtliche Einnahmen und Ausgaben transparent offenlegt. Hierzu gehört ebenso die Höhe der Ehrenamtspauschale für den Präsidenten, wie die Höhe der Tagegelder und der Reisekostenerstattungen. Es wäre wünschenswert, wenn sich alle übrigen internationalen und nationalen Sportorganisationen an diesem Vorbild orientieren würden.

Die hier beispielhaft angeführten Reformen machen deutlich, dass unter Bachs Führung das IOC lernfähig geworden ist. Dazu gehört auch, dass für die Spiele in Tokyo der Zeitplan für die Marathon- und Geher-Wettbewerbe nachträglich geändert wurde, wenngleich man die klimatischen Bedingungen Japans bereits bei der Entscheidung zu Gunsten von Tokyo hätte wissen können. Eine etwas späte Einsicht ist jedoch immer noch besser, als Athletinnen und Athleten bei inakzeptablen Wettkämpfen unter klimatisch gefährlichen Bedingungen antreten zu lassen.

Beim Blick zurück auf die erste Halbzeit von Bachs Präsidentschaft könnten noch die Gründung der sog. Flüchtlingsteams bei den Olympischen Spielen, die Kooperation mit den Vereinten Nationen und deren „Olympic Truce Resolution“, die neuen Initiativen zum E-Sport, eine neue Digitalstrategie und die äußerst erfolgreiche Vermarktung und der nicht weniger erfolgreiche Verkauf der Fernsehrechte erwähnt werden. Das IOC ist somit weit über die Amtszeit von Präsident Bach hinaus finanziell solide abgesichert. Zu beachten ist auch die Aufwertung der IOC-Ethikkommission und des IOC Ethik-Codes und die vom IOC angeregten Maßstäbe für eine gute Verbandsführung („good governance“).

Nicht jede Initiative ist dabei lobenswert und manche Reform steht noch bevor. Die Rekrutierung der zukünftigen IOC-Mitglieder gehört hier ebenso auf den Prüfstand wie das Politikverständnis des IOC. Erst jüngst warnte es vor einer wachsenden Politisierung des Sports. Dabei wäre es dringend angebracht, dass sich die Organisationen des Weltsports ihrer politischen Qualität aktiv bewusstwerden. Nicht die Politisierung des Sports ist das Problem, sondern die Ansprüche an den Sport, die von außen an ihn herangetragen werden und damit seine Identität gefährden. Das IOC hat sich proaktiv gegen eine Inanspruchnahme der verschiedensten politischen Systeme zu wehren. Jegliche Einmischung in die Veranstaltungs- und Regelkompetenz der Sportorganisationen muss entschieden abgewehrt werden. Dies gelingt aber nur, wenn das IOC sich durch eine eigenständige Politik auszeichnet und dabei seiner politischen Rolle sicher ist.

Trotz dieser kritischen Hinweise und auch trotz einiger fragwürdiger Entwicklungen innerhalb des IOC und seiner Mitglieder, muss eine distanzierte und unabhängige Bewertung der Halbzeitbilanz des IOC-Präsidenten Bach überwiegend positiv ausfallen. Mit enormem Fleiß, mit umfassenden diplomatischen Bemühungen, auch in Bezug auf die Konfliktherde dieser Erde (Korea, Syrien Afghanistan etc.) und mit mehreren von ihm selbst initiierten Reformen, hat Bach das IOC in seiner inneren Verfasstheit stabilisiert und den zukünftigen Weg der Olympischen Bewegung auf transparente Weise vorgegeben. Außerhalb Europas wird diese Leistung durchaus anerkennend zur Kenntnis genommen und in positiver Weise gewürdigt. In wenigen Ländern Europas, vor allem aber in Deutschland wird hingegen seine Präsidentschaft nur ganz selten oder unangemessen gewürdigt. Der Prophet gilt ganz offensichtlich im eigenen Lande nichts oder nur wenig. Ja, er wird vielmehr geschmäht und in vieler Hinsicht von der Öffentlichkeit in völlig unangemessener Weise bewertet und teilweise auch verurteilt. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen und einige Leitmedien der Presse spielen dabei eine äußerst fragwürdige Rolle. Nicht selten wird in beleidigender Weise sein beruflicher Werdegang als Jurist und Anwalt infrage gestellt. Seine erfolgreiche Arbeit mit seiner Anwaltskanzlei, die eigentlich einen besonderen Respekt verdienen würde, wird von einigen Journalisten in einer bösartigen Weise verleumdet, ohne dabei zu erkennen, dass auch Sportfunktionäre einen Beruf auszuüben haben, wollen sie sich und ihren Familien einen befriedigenden Lebensunterhalt sichern. Bachs Karriere als Sportfunktionär wird immer wieder mit Korruptionsvorwürfen in Verbindung gebracht ohne dass auch nur einer dieser Vorwürfe nachvollziehbar belegt würde. Seine Reformerfolge werden nicht zur Kenntnis genommen oder in unsachlicher Weise diskreditiert. An den Stammtischen des deutschen Sports ist Bach der abhängige und eigennützige Freund Putins, man sieht ihn als einen IOC-Präsidenten, der sich von arabischen Herrscherhäusern finanzieren lässt und als einen Sportfunktionär der den Dopingbetrug verharmlost. Seine vielfältigen vorbildlichen Anti-Doping-Aktionen in den verschiedensten Gremien des IOC seit mehr als zwei Jahrzehnten werden nicht zur Kenntnis genommen. Die Verbesserung der Bewerberlage für zukünftige olympische Spiele wird klein geredet. Eine ständig sich wiederholende Berichterstattung ohne jeglichen neuen Erkenntniswert wird hingegen gepflegt und manchmal sogar mit höchsten Preisen ausgezeichnet. Dies alles hat dazu geführt, dass zumindest aus deutscher Perspektive die Präsidentschaft von Thomas Bach sich in gewisser Weise durch eine tragische Komponente auszeichnet. Für ihn selbst wäre es gewiss sein größter Wunsch, wenn es in der nächsten Zukunft möglich wäre, dass zum zweiten bzw. zum dritten Mal in seiner Heimat Olympische Winter- oder Sommerspiele stattfinden. Die öffentliche Wahrnehmung seines Tuns steht dazu jedoch im krassen Gegensatz und lässt eine erfolgreiche deutsche Bewerbung um zukünftige Olympische Spiele als höchst unwahrscheinlich erscheinen.

Eine Prognose zur zweiten Hälfte der Amtszeit von IOC-Präsident Bach ist mit Schwierigkeiten verbunden. Die politische Weltlage ist unsicher. Dies gilt für die wirtschaftliche Entwicklung gleichermaßen, wie für die erwartbaren klimatischen Veränderungen. Vermutlich werden die Winterspiele ganz neu zu überdenken sein. Mit der Vergabe der Sommerspiele an Paris und Los Angeles ist es Bach zumindest gelungen den jüngst entstandenen Eindruck zu verdrängen, dass zukünftig Olympische Spiele nur noch in autoritären politischen Systemen ein Interesse finden werden. Dem IOC ist es zu wünschen, dass die von Bach initiierten Reformen konsequent fortgeführt werden, dass das IOC durch kreative Köpfe und kluge und verantwortungsvolle Berater bereichert wird, so, dass wir uns auch in der weiteren Zukunft an qualitativ anspruchsvollen Olympischen Spielen erfreuen können.

Verfasst: 30.12.2019