Treibt jemand regelmäßig und längere Zeit aktiv Sport, spielt Tennis, läuft im Wald, schwimmt seine Bahnen in Rücken- oder Brustlage, trainiert und spielt in einer Volleyballmannschaft und fährt im Winter Ski, dann weiß der auf so verschiedene Weise aktive Sportler sehr genau die Qualität seines Sports zu schätzen. Begibt man sich in die Erlebniswelten des aktiven Sports, so hat man Freude, erlebt seinen Körper auf äußerst intensive Weise, trifft sich mit anderen in geselliger Runde, verbringt seine Freizeit in sinnvoller Weise und sein gesundheitliches Wohlbefinden wird dadurch ganz wesentlich erhöht. Sicher ist manchmal auch Askese notwendig, hartes Training ist angesagt. Man bereitet sich auf eine anspruchsvolle Leistung vor und auch Verletzungen sind immer ein bedrohlicher Hintergrund.
Der Sport, so wie ihn Millionen von Menschen Woche für Woche in den Vereinen und in Fitnesseinrichtungen, in organisierter und unorganisierter Weise betreiben, ist für unsere Gesellschaft ohne Zweifel ein wertvolles Gut. Wichtige Werte unserer Gesellschaft wie Eigenverantwortung, Solidarität, Hilfsbereitschaft, Fair Play, Leistungsbereitschaft, bürgerschaftliches Engagement und Ehrenamtlichkeit kommen dabei zum Tragen. Der Sport, so wie er in den Massenmedien vorkommt, ist ein ganz anderer Sport. Mediensport ist Zahlensport und Mediensport ist Heldensport. Es geht um Siege, Niederlagen, Rekorde, Statistiken, Preisgelder, Gewinnprämien und Transfererlöse. Es geht vor allem um Geld und dies zeigt sich uns in wahrhaft inflationärer Weise. Für den Mediensport ist dabei vor allem jener Athlet ideal, der auch in der Lage ist, die Rolle eines Stars auszufüllen. Mediensport ist Massensport. Zuschauer und Medien zeichnen sich gleichermaßen durch die Gier nach Stars und Helden aus. Die sportliche Leistung ist dabei eine Ware, mit der sehr viel Geld verdient werden kann. Dies gilt für Athleten, Trainer, Manager, Funktionäre, Medien und Wirtschaft gleichermaßen.
Dieser Spitzensport von heute ist somit Teil des Wirtschaftslebens und wird deshalb immer häufiger von Wirtschaftsexperten unternehmerisch gestaltet und durchgeführt. Die sportliche Leistung ist vorrangig Unterhaltungsware und sie hat sich in der Konkurrenz der Unterhaltungsindustrie zu bewähren. Der Sport ist Massenunterhaltung. Er ist Teil des Boulevards und von einer anspruchsvollen kulturellen Bedeutung kann dabei nur selten die Rede sein. Dies gilt auch dann, wenn er immer wieder von einigen Literaten, Philosophen und Wissenschaftlern aus der Haltung eines naiven Fans heraus ideologisch überhöht und in lächerliche Hymnen überführt wird. Der eigentliche kulturelle Anspruch des Showsports zeigt sich in den öffentlich-rechtlichen Sendern beim Box-Event am Samstagabend, bei Formel 1-Ereignissen, bei der Tour de France und beim die volle Sendewoche erstreckenden Fußballspiel. Gewiss ist er dabei offen für alle Bevölkerungsschichten, doch dies gilt gleichermaßen für Peepshows, für Volksmusik und Volkstheater. Betrachtet man die dabei repräsentierten Werte, so kann gewiss nicht von einem besonders wertvollen Sport gesprochen werden. Immer häufiger ist vielmehr das Gegenteil der Fall. Sportliche Leistungen werden manipuliert, Wirtschaftsbetrug ist in diesem Sondersektor der Wirtschaft schon seit langem auf der Tagesordnung und wird vor allem dann offensichtlich, wenn man den umfassenden Dopingbetrug als das interpretiert was er ist, als Wirtschaftskriminalität bei der sich Wettbewerber auf betrügerische Weise materielle Vorteile verschaffen und damit ganz erheblichen finanziellen Schaden hervorrufen. Dass der Medien und Spitzensport eher als wertlos zu bezeichnen ist, zeigt sich auch an den vermehrt auftretenden Fällen der Korruption, des Wettbetrugs und der Gewalt. Das Prinzip des Fair Play wird in dieser Art von Sport schon seit langem immer häufiger außer Kraft gesetzt. Nicht nur Hooligans betrachten die gegnerischen Mannschaften als Feinde. Samstag für Samstag ist in nahezu allen Bundesligaarenen und in fast allen Mannschaftssportarten zu beobachten, wie der Gegner niedergeschrien wird, wie selbst ein akademisch gebildetes Publikum das Fair Play Prinzip missachtet und der Sport zum bloßen Aggressivitätsventil mutiert.
Als die Bundesrepublik Deutschland 1949 gegründet wurde und als es 1950 dann auch möglich war den Deutschen Sportbund in Hannover ins Leben zu rufen, war es die vorrangigste Aufgabe der damaligen Gründungsväter, dass aus den Verbrechen und Verfehlungen des Nationalsozialismus die richtigen Konsequenzen gezogen werden. Für den Sport bedeutete dies, dass man ihn von seinen ideologischen Abhängigkeiten und von staatlichen Interventionen zu befreien hatte, dass er zukünftig vor jeder einseitigen Bevormundung zu schützen ist und dass er sich in seinen Strukturen als demokratischer Sport erweisen kann. In den damaligen Diskussionen spielte der neue Begriff der „Einheitssportbewegung“ eine zentrale Rolle. Nicht weniger wichtig war das „Ein-Platz-Prinzip“. Der Sport sollte seine Basis in den demokratisch legitimierten Vereinen haben. Die regionalen Verbände sollten in einer nationalen Sportorganisation zusammengefasst sein. Diese Organisation hat sich zu Recht das Mandat gegeben, für alle Belange des Sports in Deutschland Sprecher und Partner zu sein. Für jede Sportart kann es dabei nur einen Verband geben und der in den Vereinen organisierte Sport kann mit der subsidiären Unterstützung durch den demokratischen Staat rechnen.
Betrachten wir die schillernden Erscheinungsweisen des Sports von heute, so fällt es schwer den Begriff der Einheitssportbewegung aufrecht zu erhalten. Der Sport findet zunehmend in zwei Welten statt, die weder unter Wertegesichtspunkten noch unter organisatorischen Gesichtspunkten viel gemeinsam haben. Wohl wird in Sonntagsreden im Interesse der politischen Legitimation der Sport der vielen aktiv Sporttreibenden als Basis des Spitzensports verherrlicht. Legitimieren Politiker den Spitzensport, so begründen sie diesen in der Regel mit den Werten des Breitensports. Diese Legitimationsversuche sind jedoch zunehmend plump und leer geworden. Immer deutlicher stellt sich die Frage, weshalb der Spitzensport öffentliche Förderung erfährt, weshalb der Steuerzahler für einen Sport aufzukommen hat, der sich zunehmend als „wert(e)los“ erweist. Diese Frage stellt sich nicht zuletzt auch deshalb, weil der Sport aus sich selbst heraus bislang nicht beweisen konnte, dass er den Gefährdungen Einhalt gebieten könnte. Aber auch staatlicherseits sind keine Bemühungen zu erkennen, wie das Kulturgut des Leistungssports geschützt werden könnte. Die Einführung eines Anti-Dopinggesetzes, das gegen den Widerstand der Sportorganisationen durchgesetzt wurde, ist dabei durchaus als ein Schritt in die richtige Richtung zu bewerten. Wie das Gesetz jedoch angewendet wird und wie es von deutschen Staatsanwälten umgesetzt wird, kann niemand zufrieden stellen. Latent findet vielmehr der Verfall einer Hochleistungssportkultur statt, die durchaus anspruchsvolle Werte repräsentieren könnte und dies auch im Wettkampfsport der Verein und Verbände nach wie vor tut.
Soll dieser wertvolle Leistungssport ernsthaft geschützt werden, möchte man ihn auch zukünftig bewahren und fördern, so sind klarere Grenzziehungen erforderlich. Dazu gehört eine grundlegende Wertedebatte. Notwendig scheint eine organisatorische Neudefinition des Sports zu sein. Dazu könnte ein Verzicht auf sinnlose Leistungsvorgaben und dazu müsste auch eine Neuorientierung der Olympischen Spiele gehören. Es bedarf eines Anti-Dopingkampfes, der nicht in Rhetorik erstarrt, sondern in einer konsequenten Partnerschaft zwischen Staat und Sport auf die Betrüger ausgerichtet ist und die sauberen Athleten schützt. Dazu gehören präventive Maßnahmen, die tatsächlich dem Anspruch der Prävention genügen. Weiter bedarf es schließlich auch eines Führungspersonals, dessen ethische und moralische Qualität nicht nur in Reden sondern in konkretem Handeln sichtbar wird. Der organisierte Sport benötigt ohne Zweifel eine geistige und intellektuelle Wende, will er seinem eigenen Sittenverfall Einhalt bieten.
Letzte Überarbeitung: 21.02.2021