Ein Memorandum zur Leichtathletikweltmeisterschaft 2019

Die IAAF Leichtathletik-Weltmeisterschaft ist ohne Zweifel das wichtigste Leichtathletikereignis in der Welt. Diese Weltmeisterschaft zeichnet sich durch einen einzigartigen Charakter aus. In neun Tagen in ein und derselben Stadt begegnen sich Athletinnen und Athleten aus 210 Ländern, um den besten Athleten bzw. die beste Athletin in 47 Disziplinen herauszufinden. Mehr als 2000 Athletinnen und Athleten gehen dabei an den Start, mehr als 5000 Betreuer und Offizielle sind anwesend. Das Ereignis wird in mehr als 200 Ländern übertragen und mit den Übertragungen werden außergewöhnlich hohe Einschaltquoten erzielt.

Dieser positiven Bilanz stehen einige Entwicklungen entgegen, die schon seit mehreren Jahren zu beobachten sind und die darauf hindeuten, dass die Bindung der Zuschauer an die Weltmeisterschaften der Leichtathletik schwächer wird und dass es vor allem den Verantwortlichen der Leichtathletik nicht gelingt, die heranwachsenden jungen Generationen als Zuschauer an die Leichtathletik zu binden. Rückläufig sind dabei sowohl jene Zahlen, die sich auf die Zuschauer im Stadion beziehen, als auch die Zuschauerzahlen im Fernsehen. Blickt man zurück, so muss man feststellen, dass – mit Ausnahme von London 2017 – seit der Weltmeisterschaft in Helsinki 2005, Osaka 2007, Berlin 2009, Daegu 2011, Moskau 2013, Peking 2015 bei keiner Weltmeisterschaft das Stadion ausreichend gefüllt war. Teilweise fanden die Wettkämpfe vor halbleeren Rängen statt. Selbst der Höhepunkt der Weltmeisterschaft, das 100m-Finale war nicht ausreichender Anreiz für ein ausverkauftes Stadion.

Für die weitere Entwicklung der Weltmeisterschaften der Leichtathletik ist diese negative Tendenz äußerst gefährlich, deshalb ist es zwingend angebracht, dass die Verantwortlichen, d.h. der Präsident der IAAF gemeinsam mit seinem Council, möglichst schnell Lösungen finden, um den beobachteten Problemen entgegenzutreten.

Die folgenden Hinweise sollen hierzu einen Diskussionsbeitrag leisten. Sie sind als Vorschläge zu betrachten, bei deren Umsetzung zu erwarten ist, dass sich die Leichtathletik ihren Zuschauern zukünftig attraktiver präsentieren wird, als dies bislang der Fall war. Auf diese Weise könnte der Unterhaltungswert der Leichathletik kurz- und mittelfristig gesichert werden. Damit würde auch der ökonomische Wert der Weltmeisterschaft erhalten bleiben und könnte auf Dauer für die Partner aus der Wirtschaft und aus den Massenmedien attraktiv und anschlussfähig sein. Folgende Vorschläge erscheinen dabei diskussionswürdig:

 

  1. Die Leichtathletikweltmeisterschaft sollte zukünftig nur noch in Stadien ausgetragen werden, deren Zuschauerkapazität nicht mehr als 50 000 Zuschauer beträgt. In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass die Leichtathletikweltmeisterschaft mit ihren Wettkämpfen ein größeres Stadion nicht füllen kann. Zu große Stadien haben den Nachteil, dass sie sowohl für die Athleten als auch für die Zuschauer keine angemessene Wettkampfatmosphäre ermöglichen. Die Qualität der Präsentation der Leistungen wird deshalb negativ beeinträchtigt. Sollte für die Ausrichtung in einem Land lediglich ein größeres Stadion zur Verfügung stehen, so ist ein angemessener Rückbau auf eine Kapazität auf 40.000-50.000 Zuschauer zwingend erforderlich. Dies bedeutet, dass für den Rückbau auch ausreichende finanzielle Mittel bereitgestellt werden, sodass das Gesamtbild und damit auch das Fernsehbild des rückgebauten Stadions attraktiv bleiben.
  2. Für das Gelingen der Gesamtveranstaltung ist der erste Tag der Weltmeisterschaften entscheidend. Wenn der erste Abend entsprechend attraktiv ist und eine große Aufmerksamkeit in den Medien hervorruft, dann wird positiv über die Sportart Leichtathletik berichtet, im weiteren Verlauf wird man sich leichter tun, das Stadion zu füllen und mehr Zuschauer vor den Fernseher zu bekommen, als wenn man am ersten Tag, wie es bislang üblich ist, negativ beginnt und dann tagelang gegen die negative Berichterstattung ankämpfen muss. Der attraktive erste Tag ist ein einfaches Marketinginstrument, das sich schon immer bewährt hat, das jedoch bei der WM bisher noch nie Beachtung gefunden hat. Wie bei so vielem im Leben ist der erste Eindruck entscheidend und es muss mit allen Mitteln verhindert werden, dass man einen schlechten ersten Eindruck abliefert. Im Augenblick ist der WM-Auftakt mit dem ersten Tag so schlecht, dass man selbst mit dem besten Willen keinen positiven ersten Eindruck bekommen kann und es somit unmöglich ist, dass der berühmte Funke auf die Menschen überspringen kann.
  3. Bei der Leichtathletikweltmeisterschaft stehen 47 Entscheidungen an. Dies bedeutet, dass an jedem Abend durchschnittlich fünf Finalveranstaltungen stattfinden können. Will man dies gewährleisten, so ist vor Beginn des ersten Wettkampftages ein Qualifikationstag zu schalten, an dem ausreichende Qualifikationswettkämpfe stattfinden um für den ersten Wettkampftag fünf Finalentscheidungen zu ermöglichen. Im Zentrum des neuntägigen Wettkampfprogramms der IAAF-Weltmeisterschaft stehen dabei neun Abendveranstaltungen jeweils mit einer Dauer von zwei bis maximal zweieinhalb Stunden. Während jeder Abendveranstaltung finden ausschließlich Finals und Halbfinals statt. Besser wäre ohne Zweifel eine Reduktion des Programmes auf lediglich sechs Abendveranstaltungen, wie dies bei den europäischen Leichtathletikmeisterschaften der Fall ist. Samstag bis Montag könnten dann Qualifikationen stattfinden, gegebenenfalls könnten an diesen Tagen auch alle Straßenwettbewerbe durchgeführt werden. Zu überlegen wäre sogar, ob die 10.000 Meter nicht besser auf der Straße ausgetragen werden sollten. Das erste Wochenende könnte deshalb als „Road Running Wochenende“ deklariert werden, verbunden mit einem Jedermann-Rennen auf der offiziellen Strecke. Am Qualifikationstag Montag könnten die Schulklassen der jeweiligen Ausrichterstadt eingeladen werden. Käme es zu einer Kürzung des Programmes auf sechs Tage, so könnte man an jeder Abendveranstaltung sieben Entscheidungen präsentieren.
  4. Die Qualifikationsrunden an den Vormittagen sind unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchzuführen, d.h. sie sind nicht Teil des offiziellen WM-Wettkampfprogramms. Sie stehen wohl den Zuschauern zur Verfügung, es werden jedoch keine Eintrittskarten für die Vormittagsveranstaltungen verkauft. Außerdem wird nicht erwartet, dass diese im Fernsehen live übertragen werden. Ein internationales Signal wird jedoch gesichert.
  5. Die Ausführung der Wettkämpfe in den Abendveranstaltungen sollte sich vermehrt an der Organisation der Finalveranstaltungen anderer Fachverbände so z.B. an den Schwimmweltmeisterschaften orientieren, d.h. die Vorbereitungszeiten der Athleten in der Arena sollten äußerst kurz gehalten werden. Unmittelbar nach den Finalläufen sollten die Siegerehrungen erfolgen. Man sollte sich bemühen, dass der Spannungsbogen für die gesamte Abendveranstaltung aufrechterhalten wird.
  6. Während des Wettkampfprogramms sollten deshalb die Hospitalityräume geschlossen sein, so dass das ständige Kommen und Gehen wie es bislang üblich war nicht mehr möglich ist. Vergleichbar mit der Spannung in anderen Sportarten werden die Zuschauer durch das Ereignis selbst fasziniert und verlassen deshalb ihre Plätze nicht mehr.
  7. Ganz wesentlich zu verbessern wäre die Kommunikation mit dem Zuschauer über den jeweiligen Ablauf der Wettkämpfe. Der jeweilige Stand des Wettkampfes ist den Zuschauern auf großen Anzeigetafeln zu vermitteln. Jeder Wettkampf benötigt hiezu seine eigene Anzeigetafel. Die Eventpräsentation ist ganz wesentlich zu professionalisieren. Aufgrund der elektronischen Überwachung der Würfe und Sprünge, könnte auf einen großen Teil der Kampfrichter verzichtet werden. Wichtig ist auch eine professionelle Lautsprecheranlage auf hohem Niveau. Die Führung der Zuschauer im Stadion durch den Sprecher ist ein entscheidender Faktor, um dorthin zu schauen, wo gerade die wirklich entscheidenden Dinge passieren. Wenn der Sprecher schlecht oder gar nicht zu verstehen ist, so ist es für den normalen Zuschauer kaum möglich, das große Stadion so zu überblicken, damit er immer weiß, wann und wo gerade etwas Spannendes passiert.
  8. Auch alte Rituale müssen überdacht werden. So u.a. der Transport der Wettkampfkleidung der Athleten in Waschkörben entlang der 100m-Linie. Dieses Ritual kann in der heutigen Zeit nur belächelt werden.
  9. Die Siegerehrungen sollten vorrangig von ehemaligen Athleten durchgeführt werden, die mit ihrer Anwesenheit die Weltmeisterschaft aufwerten. Darüber hinaus sollten herausragende Vertreter der Sponsorenschaft die Möglichkeit haben, Siegerehrungen durchzuführen. Das Podium für die Siegerehrungen sollte sich den verschiedenen Wettkampfarten anpassen. Es sollte somit mobil sein.
  10. Die „event-presentation“ ist für den Zuschauer der entscheidende Faktor, ob der Funke überspringt oder nicht. Die angebotenen Wettkämpfe müssen Entertainment auf höchstem Niveau sein. Mit der richtigen Musik und mit weiteren kleinen Show-Elementen muss dafür gesorgt werden, dass im Stadion immer etwas geboten wird, dass immer eine gute Stimmung unter den Zuschauern herrscht und dass für die Zuschauer keine Langeweile aufkommt. Dies ist ein entscheidender Faktor, um junge Menschen für die Leichtathletik zu begeistern. Ein Stadion-Besuch muss ein besonderes Erlebnis sein. Dazu zählt auch, das man dem meist nicht aus Experten bestehenden Stadion-Publikum hilfreich erläutert, welche Athleten in einem Wettbewerb die großen Stars sind, welche Duelle zu erwarten sind, auf die sich die Zuschauer zu konzentrieren haben und wer gerade für eine große Überraschung gesorgt hat bzw. wer im Laufe des Wettkampfes für eine Überraschung sorgen kann.

Diese Vorschläge sind vermutlich nicht ausreichend, um die notwendige Modernisierung der Weltmeisterschaften durchzuführen. Sie sollten einen ersten Beitrag zu einer weiteren Diskussion darstellen. Wünschenswert wäre es, wenn Athleten, Trainer, Manager, Medienvertreter und IAAF-Funktionäre gemeinsam möglichst schnell ein neues Format für die Weltmeisterschaft finden, das den modernen Unterhaltungsinteressen entspricht und dass auch den Ansprüchen der Athleten genügt, die diese an ihr wichtigstes Sportereignis richten.

Verfasst: 19.12.2018