Am 4. Februar werden die Olympischen Winterspiele in Peking eröffnet. Deutschland wird dabei mit einer Olympiamannschaft von voraussichtlich 150 Sportlern¹ sowie 170 Trainern und Betreuern teilnehmen. Erste Mitglieder des deutschen Teams werden bereits am 21. Januar nach Peking fliegen.
Wie in Tokio bei den Sommerspielen 2020 werden auch in Peking bei den Winterspielen im Jahr 2022 strenge Regeln zu beachten sein, um vor allem die Athletinnen und Athleten während der noch immer andauernden Corona – Pandemie vor einer Infektion zu schützen. Während ihres Aufenthaltes werden sie sich in einer sog. „Olympiablase“ aufhalten, in die sie nur eintreten dürfen, wenn sie vor ihrer Abreise vollständig geimpft waren und zwei negative PCR -Tests aufweisen, die nicht älter als 72 Stunden vor der Abreise durchgeführt wurden. Einen weiteren PCR – Test haben sich die Sportler und Betreuer beim Eintreffen am Flughafen in Peking zu unterziehen. Anschließend werden sie täglich getestet. Bei all diesen Analysen muss der so genannte CT – Wert nach Ansicht der chinesischen virologischen Experten wenigstens bei 40 liegen, um eine Einweisung in ein Krankenhaus oder in eine Quarantäneeinrichtung zu vermeiden. Mit diesem strengen Wert unterscheidet sich die chinesische Präventionskonzeption von der deutschen. Das RKI gibt einen Grenzwert von 30 an, von dem an kein Infektionsrisiko mehr bestehen soll. Die Weltgesundheitsorganisation WHO nennt einen Grenzwert von 37.
Gemäß der Corona-Schutzregeln des Organisationskomitees und des IOC könnten Athleten auch ungeimpft einreisen, doch müssten sie sich dann nach der Einreise in eine vorgeschriebene Quarantäne von 21 Tagen begeben, was für Athleten und Athletinnen, die sich auf Wettkämpfe vorbereiten, keine Option sein kann. Die deutsche Olympiamannschaft wird vollständig geimpft in China an den Start gehen. Der größte Anteil der Mannschaft ist „geboostert“.
Die bevorstehenden Winterspiele in China gehören ohne Zweifel zu den schwierigsten Olympischen Spielen, die jemals stattgefunden haben. Das mit 1,4 Milliarden Einwohnern bevölkerungsreichste Land der Welt weist ein Einparteiensystem auf, bei dem die Kommunistische Partei äußerst autoritär die gesellschaftliche Entwicklung dieses Landes steuert. Besonders kritisch muss dabei die Machtfülle bewertet werden, die mittlerweile Chinas Staatspräsident Xi Jingping erreicht hat und die mittlerweile auch in einem maßlosen Personenkult ihren besonderen Ausdruck findet. Konnte unter seinem Vorgänger Hu Jintao noch eine chinesische Gesellschaft beobachtet werden, die sich nach außen geöffnet hatte, so hat sich China unter Xi Jinping seit 2012 unübersehbar in ein totalitäres politisches System verwandelt, indem jeder Lebensbereich der Kontrolle des Staates unterworfen wird. Für die ausländischen Gäste der Winterspiele 2022 wird dies jeden Tag zu spüren sein. China ist in den letzten Jahrzehnten ohne Zweifel neben den USA zu der wichtigsten Weltmacht aufgestiegen und kann auf ökonomische Erfolge verweisen, die ihresgleichen suchen. Die Konkurrenzsituation zwischen den USA und China hat sich dabei ebenso verschärft wie die Beziehungen zwischen der EU und China in jüngster Zeit immer schwieriger geworden sind. Angesichts gravierender Menschenrechtsverletzungen, die nahezu täglich in China zu beklagen sind, steht China vor allem in westeuropäischen und nordamerikanischen Medien am Pranger und mit Boykottforderungen werden die Olympischen Spiele in Peking mittels einer massenmedialen Kampagne infrage gestellt. Vor diesem schwierigen politischen Hintergrund kann es nicht überraschen, dass nicht zuletzt aus Sicht von teilnehmenden Athletinnen und Athleten bei diesen Olympischen Winterspielen viele Fragen aufwerfen. Bei einigen Athletinnen und Athleten sind verständliche Ängste aufgekommen, durch die ihre Vorbereitung auf die Spiele teilweise erheblich beeinträchtigt wurde. Hinzu kommt die ebenfalls sehr gut nachvollziehbare Unsicherheit in Bezug auf die Corona Pandemie und deren Einfluss auf die Spiele in China. Zumal nach wie vor davon auszugehen ist, dass die Pandemie ihren Ursprung in China hatte. Seit diesem Ausbruch hat sich China zu einer Zero-COVID-Strategie verpflichtet, die in ihrer Härte und Reichweite unvergleichlich ist, die jedoch bis heute auch sehr erfolgreich zu einer Beherrschung der Corona-Pandemie geführt hat. Die statistischen Befunde der WHO können dies eindrucksvoll belegen.
Angesichts dieser schwierigen Situation stellt sich die Frage wie sich die deutsche Olympiamannschaft auf die Winterspiele in Peking vorbereitet hat und welche Vorkehrungen getroffen wurden, dass sich die Athletinnen und Athleten bei möglichst fairen Wettkämpfen mit den Besten der Welt bei diesen Spielen messen können.
Um diese Frage zu beantworten, soll zunächst auszugsweise eine Chronologie zu medialen Äußerungen über den Gastgeber China vorgestellt werden, die man in den vergangenen zwei Monaten in deutschen Medien sehen, hören und lesen konnte:
14.10.2021 – sid
Spionage bei Olympia in Peking: DSV holt sich Tipps beim BND
In der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele 2022 in Peking hat der Deutsche Skiverband (DSV) Kontakt mit dem Bundesnachrichtendienst BND aufgenommen. „Wir bringen ja sensible Daten mit“, erklärte Alpin-Chef Wolfgang Maier am Rande der Einkleidung der DSV-Mannschaften in Schwäbisch Hall, deshalb habe der Verband beim Auslandsgeheimdienst nachgefragt, wie er sich verhalten solle. Die „Schlapphüte“ hätten dem DSV geraten, seine Daten etwa zum Wachsen von Skiern oder der Materialforschung „zu Hause zu lassen“ und Geräte mit nach China zu nehmen, „auf denen nur das Notwendigste drauf ist“, berichtete Maier. Um Spionage auszuschließen, sei die Kontaktaufnahme mit dem BND logisch gewesen, sagte Mayer. „Wen sollst du sonst dazu fragen? Wir mussten uns an irgendwen wenden“.
12.12.2021 – ARD, B24 Sport
„Wie ein Gefangener“: Schockierende Berichte aus Peking
Der Rennrodler Tobias Arlt klingt beim Thema Olympia 2022 in Peking überzeugt: „Ich sag es ganz ehrlich: wenn die Spiele nicht wären… zu einer Weltmeisterschaft würde ich da nicht rüberfahren“ sagte er im Sportschau-Beitrag.
Der Berchtesgadener Arlt hat eben seine Erfahrungen gemacht mit dem Olympia-Ort. Als einer der wenigen Wintersportler hat er den Austragungsort im Februar schon gesehen – die Rodler hatten ihre Saison auf der Olympia-Bahn begonnen – und die Strecke dort knapp drei Wochen lang kennen gelernt.
Plastikkanister für Toilettengänge
Schon die Anreise war außergewöhnlich. Nach 23 Stunden Flug und Warterei stiegen die Athleten in Busse. Dort mussten sie anschließend noch einmal 2 Stunden warten, bis sie weiterfahren durften. Nur: Toilettengänge waren trotz der Warterei nicht möglich. „Da wurden dann Plastikkanister durchs Fenster rein gegeben. Das finde ich schon auch krass“, sagt Arlts Teamkollegin, die Olympiasiegerin Natalie Geisenberger.
Sie macht sich ihre Gedanken, ob sie an den Spielen teilnehmen soll.
Arlt wurde dort positiv getestet – und umgehend von der Bahn abgeholt und abtransportiert: „Dann sind wir da mit Blaulicht mit gefühlt 150 km/h ins Krankenhaus gefahren. Da kommst du dir vor wie ein Gefangener. Du weißt nicht was jetzt als Nächstes passiert“. Im Krankenhaus wurde ohne Arlts Einwilligung Blut abgenommen, zudem wurden Tests gemacht. Das Ergebnis: Er ist nicht an COVID-19 erkrankt, der Test war wohl falsch- positiv. Trotzdem wird er erst einmal in ein Quarantänehotel gebracht. Dort erblickte er tote Fliegen und tote Wanzen am Boden, wie er im Beitrag erzählt.
08.01.2022 – ARD-Sportschau Live von Adelboden
DSV – Alpindirektor Maier: „Finde es unverantwortlich, dass man uns nach China schickt“
DSV-Alpintrainer Maier:
„Ich halte es für nicht verantwortungsvoll, von keinem, dass man uns nach China schickt, wo eine Willkür stattfinden kann, wie man es gerne macht. Die setzen einen CT-Wert von 40 an und du bist denen komplett ausgeliefert, weil du nicht weißt, was sie testen, wie sie testen und ob es dein Test auch wirklich ist. Das sind Themen, finde ich, die muss man schon kritisch diskutieren dürfen.
Wir leben jeden Tag davon, dass man am nächsten Tag von irgendjemand isoliert werden kann. Man hat jetzt genug Beispiele gesehen im deutschen Sport was passiert, speziell bei den Rodlern und bei den Snowboardern, was da alles abgeht und da finde ich es ist einfach nicht in Ordnung, wenn man nicht auch mal von Seiten des IOC und der NOKs hier mal eine klare Linie fordert. Man sagt wissenschaftlich, wenn man über einen CT-Wert von 30 ist, ist man nicht mehr infektiös und die Chinesen können 40 ansetzen.
Ich finde es nicht in Ordnung, dass man auf der einen Seite politisch sagt, wir gehen da nicht hin, wir bleiben da weg, aber uns Sportler schickt man dahin und wir gehen unter keinen standardisierten Bedingungen dorthin…
Das wäre zum Beispiel ein politisches Statement zu sagen, okay Leute, wir ziehen keine Förderung ab, weil dieses Thema so präsent ist und so prekär ist, dass man es verstehen kann, wenn einer sagt, nein danke da will ich nicht dabei sein.
ARD – „Experte“ Neureuther:
“Man kann das Ganze auch noch weiterspinnen. Ich sage mal so, Dopingproben wurden in Sotschi vertauscht, wie ist es mit PCR Test und so weiter.
DSV-Alpintrainer Maier:
„Also mit denen Tests sind Tür und Tor geöffnet für alles. Wenn da noch einer glaubt, dass man hier nicht in die Kiste greifen kann. Wie gesagt, wir konnten uns viele Dinge in Sotschi nicht vorstellen, wir konnten nicht vorstellen, dass man Dopingproben durch Wände austauschen kann und mit einem PCR Test kann ich sofort jeden sportlichen Gegner aus dem Rennen nehmen und es braucht mir keiner sagen, dass das ein Hirngespinst von mir ist, weil, das weiß man, um was es dabei geht. Es geht auch darum, dass Nationen sich darstellen und besonders als Veranstalter. Und ich habe ein Mittel in der Hand gegen das wir keine Chance haben. Wenn der sagt du bist positiv, dann gehst du raus. Und das Procedere was im Kopf abläuft, und ihr habt die Rodler bei euch in den Sportstudios gehabt, was das heißt in ein Quarantänezimmer zu müssen, wo Kakerlaken rumlaufen, was es heißt, wenn du komplett weggesperrt wirst in einem fremden Land, wo niemand Englisch oder Deutsch spricht mit dir. Das sind Themen, die braucht man nicht und auch den der es anspricht nicht in eine Schublade drängen. Das ist einfach ein Fakt“.
09.01.2022 – Deutschlandfunk
Schimmelpfennig: Wir nehmen die Bedenken sehr ernst
Man habe Verständnis für die Bedenken und die Skepsis der Athleten, die um ihre Sicherheit bei den Olympischen Winterspielen infolge möglicher Manipulationen durch gefälschte PCR – Tests in China bangen, sagte Dirk Schimmelpfennig, Chef de Mission des deutschen Olympia – Teams in Peking, im Deutschlandfunk. Allerdings verwies er auf positive Erfahrungen bei den Olympischen Sommerspielen 2021 in Tokio. „Das IOC hat uns deutlich erklärt, dass es – wie in Tokio –, eine internationale Expertengruppe ist, die konkret entscheidet über die Abläufe im COVID-Fall. Wir kennen die Prinzipien aus Tokio, die auch in Peking Anwendung finden, sagte das Vorstandsmitglied im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB).
09.01.2022 – dpa:
DSV-Präsident: “Keine Erkenntnisse“ zu Betrug
Präsident Franz Steinle vom Deutschen Skiverband hat sich von Aussagen über eine Manipulationsgefahr bei Corona – Tests während der Olympischen Winterspiele in Peking distanziert. „Da liegen uns überhaupt keine Erkenntnisse vor. Wir wüssten ehrlich gesagt auch nicht mit welcher Intention so etwas geschehen sollte“, sagte Steinle beim Biathlon – Weltcup in Oberhof. „Nach Rücksprache mit den Verantwortlichen bei DOSB und IOC gehen wir aber davon aus, dass die notwendigen Absprachen auf Expertenebene getroffen werden, so dass wir mit klaren Regeln und klaren Vorgaben in die Olympischen Spiele gehen können“. Das Internationale Olympische Komitee verwies darauf, dass die Corona- Gegenmaßnahmen in den Playbooks klar definiert seien. Jede unklare Situation werde durch ein medizinisches Expertengremium aus chinesischen und internationalen Experten geprüft.
10.01.2022 – SZ
Sorge vor Manipulationen
Alpinchef Wolfgang Maier hat seine Befürchtungen bekräftigt, wonach es bei den Olympischen Spielen in Peking zu Manipulationen durch Corona-Tests kommen könnte. „Mit einem PCR – Test kann ich sofort jeden sportlichen Gegner aus dem Rennen nehmen. Es braucht mir keiner sagen, dass das jetzt ein Hirngespinst von mir ist, weil man weiß um was es geht“, sagte der Topfunktionär des Deutschen Skiverbands (DSV) am Rande des Weltcups in Adelboden in der ARD. Es gehe darum, sagte Maier, sich als Nation darzustellen, besonders als Veranstalter. Dieser habe nun ein Mittel in der Hand, gegen das man keine Chance habe. Etwa wenn es heiße: „Hey, du bist positiv, dann gehst du raus“.
Gegenüber der SZ hatte Maier bereits zuvor gesagt, seiner Ansicht nach seien aktuell „Manipulation Tür und Tor geöffnet“. Er bitte die Offiziellen seit Monaten zu definieren, ab welchem CT – Wert ein Corona Test als positiv oder negativ gewertet werde – wie sensibel die Tests eingestellt sind, sehr grob gesagt – um klare Richtlinien zu schaffen. Weder das Internationale Olympische Komitee noch die lokalen Organisatoren hätten in der Frage bislang für Klarheit gesorgt. Das setze Athleten großer Ungewissheit aus.
Maier verwies außerdem auf Snowboarder und Rodler, die bei dem Testwettkämpfen in Peking über widrige Bedingungen berichtet und ebenfalls Angst vor Manipulationen geäußert hatten. Der Sportfunktionär beschrieb dabei das Kopfkino, das einsetzen würde: „Was das heißt, in ein Quarantänezimmer zu müssen, wo Kakerlaken rumlaufen. Was es heißt, wenn du weggesperrt wirst in einem fremden Land, wo niemand Englisch oder Deutsch spricht mit dir“ sagte Maier. Auch dies seien Themen, die dringend geklärt werden müssten.
11.01.2022 – ARD – Sportschau
Olympiaarzt Wohlfahrt besorgt: Teststrategie könnte Wettbewerb verzerren
Anders als Alpinchef Wolfgang Maier hält der leitende Arzt der deutschen Olympiamannschaft Bernd Wohlfahrt, Manipulation bei den Corona Tests rund um die bevorstehenden Winterspiele in Peking für „eher unwahrscheinlich“. Die Vorgaben für eine Einreise seien für ihn „eigentlich sehr klar und nichts, was für Olympia neu gesetzt wurde, sondern Teil der Zero – COVID – Politik der chinesischen Regierung“ sagte Wohlfahrt bei einer digitalen Pressekonferenz des Instituts für angewandte Trainingswissenschaft in Leipzig am Dienstag. „Bei der Einreise werden negative PCR- Tests abverlangt und dafür wurde der CT- Wert von 40 in den Raum gestellt“, erklärte Wohlfahrt. Es handele sich um eine „andere Herangehensweise als in Europa, sie wurde aber klar kommuniziert“.
Da Tests eben auch nach Wochen noch leicht positiv, die betroffenen Personen aber nicht mehr ansteckend sein können, sei es wichtig, dass ein Gremium aus chinesischen und internationalen Fachleuten gebildet wurde, so Wohlfahrt. Dieses soll derartige Fälle prüfen und über eine Einreise der Person nach China entscheiden. Es werde mehrfach getestet und gebe „immer noch mal die Möglichkeit entsprechende Kontrolluntersuchungen zu beantragen“. Das sei auch schon bei den Sommerspielen in Tokio im vergangenen August so gewesen.
14.01.2022 – FAZ
„Vorsicht Spionage!“
Der Deutsche Olympische Sportbund empfiehlt seiner Mannschaft für die Olympischen Winterspiele in Peking, eigens dafür zur Verfügung gestellte Handys zu nutzen… Wie der DOSB am Freitag klarstellte, handelt es sich bei den Geräten, die von den deutschen Sportlern in Peking genutzt werden sollen, um jene, die vom Olympia-Sponsor Samsung für das Internationale Olympische Komitee an alle Athleten verteilt werden. In den Tagen vor Abflug in Deutschland sieht der DOSB kein Problem beim Download der App auf das private Handy – in China sollten sich die Sportler damit aber nicht ins Netz einwählen, heißt es.
Der DOSB hat sich mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik zur Gefahr der digitalen Ausforschung in China ausgetauscht.
Diese im Vorfeld der Olympischen Winterspiele 2022 im Fernsehen, im Radio, im Internet und in der Presse geäußerten Meinungen deutscher Funktionäre und Athleten über die bevorstehenden Olympischen Spiele werfen für mich eine ganze Reihe von Fragen auf.
Die wohl wichtigste Frage ist jene nach der verantwortungsvollen Führung der deutschen Olympiamannschaft, die in diesen Tagen zu den Spielen nach Peking reisen wird. Wie ist es möglich, dass Alpinchef Maier, einer der wichtigsten Sportfunktionäre des wichtigsten Wintersportfachverbandes in der Öffentlichkeit beleidigende Vorwürfe und Vermutungen gegenüber dem chinesischen Gastgeber der Winterspiele 2022 äußert, ohne die dafür zwingendnotwendigen Belege vorzulegen? Wie ist es möglich, dass ihm von den führenden Funktionären des Deutschen Skiverbandes (DSV) und des DOSB nicht öffentlichkeitswirksam widersprochen wird? Wie hat man sich die interne Kommunikation im DSV und die Kommunikation zwischen dem DOSB und dem DSV vorzustellen, wenn ein leitender Angestellter und Cheftrainer nur wenige Wochen vor Beginn der Spiele nicht wußte, was auf ihn und auf seine Athleten bei den Spielen in Peking zukommt? Immerhin wurden die Spiele bereits vor sieben Jahren vom IOC an Peking vergeben und es stellt sich die Frage, welche vorbereitenden Maßnahmen die deutsche Sportführung in diesem Zeitraum ergriffen hat? Auch die Corona Pandemie dauert bereits mehr als zwei Jahre und es muss gefragt werden, warum wenige Wochen vor Beginn der Spiele Fragen aufgeworfen werden, deren Beantwortung längst möglich gewesen wäre? Welche Rolle spielen die Play Books des IOC für die interne Kommunikation der Wintersportverbände und für die Kommunikation des DOSB mit den Olympischen Wintersportfachverbänden? Warum wendet sich ein Cheftrainer mit seinen Fragen an die Öffentlichkeit, die er eigentlich an den verantwortlichen Olympiaarzt und den Chef de Mission richten müsste? Stimmen seine Vorwürfe, dass seine Fragen über Wochen nicht beantwortet wurden? Wer trägt hierfür die Verantwortung? Warum können sich Athletinnen und Athleten über die Testverfahren in China voller Verwunderung äußern, obgleich die Verfahren hinlänglich bekannt sind und vergleichbare Verfahren auch bereits in Tokio ihre Anwendung gefunden haben? Wer hat die Athletinnen und Athleten wann und wie aufgeklärt? Hat sich der DSV-Alpinchef vor seinen Äußerungen vor laufender Kamera mit seinen Fragen an „DOSB Vorstand“ und „Chef de Mission“ Dirk Schimmelpfennig gewandt? Wenn nein, warum nicht? Wenn ja, wie konnte es dann zu diesen Äußerungen kommen? War die Anfrage von Alpinchef Maier an den BND mit dem DOSB abgesprochen? Wenn ja, kann ernsthaft angenommen werden, dass es in Deutschland noch Wachsgeheimnisse gibt, die man den chinesischen Gastgebern vorenthalten sollte? In diesem Zusammenhang muss wohl auch angemerkt werden, dass bei keinem Weltcuprennen in der aktuellen Saison des alpinen Skisports chinesische Athleten am Start waren. Auch in den aktuell gültigen Weltranglisten der FIS sind chinesische Athleten in den alpinen Disziplinen nicht vertreten.
Haben sich Herr Maier und all jene, die ihm applaudierten, einmal die Frage gestellt, wie Deutschland reagieren würde, wenn China umgekehrt an Deutschland jene Vorwürfe richten würde, die gegen China in den vergangenen Monaten von deutschen Funktionären und Athletinnen und Athleten erhoben wurden?
Die Liste der Fragen müsste von den Verantwortlichen des Deutschen Olympischen Sportbundes noch fortgeführt werden. Eine Antwort kann jedoch schon heute als gesichert gelten. Nie zuvor wurde ein olympischer Gastgeber von einem teilnehmenden Nationalen Olympischen Komitee in einer Weise beleidigt, wie dies in den vergangenen Monaten in Deutschland der Fall war. Wenn das Prinzip des Fair Play das höchste Gut des Olympischen Sports sein soll, so wäre eine Entschuldigung durch die Führung der deutschen Olympia Mannschaft gegenüber dem chinesischen Gastgeber wohl das Geringste was man erwarten könnte.
Folgt man dem neuen Motto der Olympischen Spiele „höher, schneller, weiter, gemeinsam“, das ja ein Appell an die dringend erforderliche Solidarität in der Gemeinschaft des Sports sein soll, so müsste im Verhältnis des deutschen Sports zu China eigentlich eher das Gegenteil in diesen Tagen der Fall sein. Die Entwicklung des Wintersports hat in China erst vor wenigen Jahren begonnen. Die meisten Disziplinen der Olympischen Winterspiele sind für die Menschen in China noch etwas völlig Fremdes. Schon bei der Bewerbung Chinas um die Spiele hat Chinas Sportführung um internationale Hilfe nachgefragt. Für die angestrebten 300 Mio. Freizeitskiläufer wird ein Skischulsystem benötigt. Das deutsche Ausbildungssystem wäre dabei für die Chinesen durchaus ein attraktives Angebot gewesen. Skisportexperten aus Skandinavien, aus der Schweiz, Slowenien und Österreich haben die Chinesen in den vergangenen Jahren bei deren verschiedensten Bemühungen um einen Aufbau eines Wintersportsystems geholfen. Die österreichischen Seilbahnbauer Doppelmayr und Bartholet haben längst ihre eigenen Niederlassungen in China. Der größte Teil ihrer neuesten Anlagen können in China besichtigt werden. Für alle Alpenländer ist China zum Wachstumsmarkt ihrer Skiindustrie geworden. Gleiches gilt für die Winter – Sportkleidung und Ausrüstung. In der Wintertourismusindustrie setzen diese Länder auf einen neuen asiatischen Kundenkreis, wie umgekehrt sich China mit seinen vielen neuen Bergbahnen in mehr als 600 Skiresorts auf einen wachsenden internationalen Skitourismus hofft.
Im „Sportdeutschland“ des DOSB gefallen sich dagegen im Hinblick auf die Olympischen Spiele in Peking einige Sportfunktionäre aus der „zweiten Reihe“, einige Sportjournalisten und auch einige selbsternannte „Experten“ eher in unsachlicher, selbstgefälliger Kritik und im Zeichnen von sportlichen Horrorszenarien.
¹ Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf „gendergerechte“ Sprachformen – männlich weiblich, divers – verzichtet. Bei allen Bezeichnungen, die personenbezogen sind, meint die gewählte Formulierung i.d.R. alle Geschlechter, auch wenn überwiegend die männliche Form steht.
Letzte Bearbeitung: 18. 1. 2022