Vorbemerkungen
Von 1995 bis zum Jahr 2015 war ich Mitglied des Leitungsgremiums der internationalen Leichtathletik. In dieser Zeit war ich mit verantwortlich für die Entwicklung einer wichtigen olympischen Sportart. Waren für diese Sportart bis zum Jahr 1980 die Olympischen Spiele das wichtigste internationale Sportereignis, so hat sich diese Sportart nach den ersten Leichtathletik-Weltmeisterschaften im Jahr 1983 in Helsinki in einer Weise weiterentwickelt, wie sie für viele olympische Sportarten in den vergangenen Jahrzehnten typisch gewesen ist. Den Freiluft-Weltmeisterschaften folgten Hallen-Weltmeisterschaften, Halbmarathon-Weltmeisterschaften und Weltmeisterschaften für das Gehen. Der vierjährige Rhythmus für die Freiluft-Weltmeisterschaften wurde auf zwei Jahre verkürzt. Es folgten Jugend-Weltmeisterschaften, Junioren–Weltmeisterschaften, ein Welt-Cup und ein Welt-Finale. Ich selbst habe darauf gedrängt, dass eine Staffel-Weltmeisterschaft eingeführt wird und war an der Ideenentwicklung für zukünftige attraktive Leichtathletik-Weltereignisse beteiligt. In den letzten Jahren meiner Amtszeit sind noch „Hammer Throw Challenge“ „World Combined Events Challenge“, „Label Road Races“, „Diamond League“, „Continental Tour“, „World Indoor Tour“, und „World Challenge“ hinzugekommen. Das heißt in einem Zeitraum von 30 Jahren wurden allein in einer olympischen Sportart die Anzahl der internationalen Sportveranstaltungen um das 15-fache erhöht. Während diesen 20 Jahren war ich in jedem Jahr bei vielen internationalen Sportereignissen, flog von Land zu Land und mein Meilenkonto dokumentierte meine internationale Reisetätigkeit. Oft war ich mehr als 100 Tage in der Welt unterwegs und habe in dieser Zeit mehr als 100 Länder besucht. Ein ökologisches Problem habe ich bei all meinem Handeln dabei nicht erkennen können, allenfalls beunruhigten mich die möglichen gesundheitlichen Schäden, die die Vielfliegerei bei Menschen hervorrufen kann.
Dass der internationale Sport mit seinem ständigen Wachstum ein großes ökologisches Problem darstellen kann wurde mir erst in den letzten Jahren durch die Diskussionen über das Artensterben und den Klimawandel bewusst. In jüngster Zeit spielte für mich dabei die „Fridays for Future“-Bewegung eine wichtige Rolle. Hinzu kamen die Aufklärungsversuche meines Sohnes, der als promovierter Ökologe beim Umweltbundesamt tätig ist. Das Nachdenken über mein eigenes Tun veranlasste mich zu dem folgenden Essay. Gewiss hat dieses Essays für viele den Charakter einer Nestbeschmutzung. Ein Schweigen über den ökologischen Fußabdruck des internationalen Sports kann für mich jedoch keine Alternative sein. Eine späte Einsicht in eigene Fehler kann möglicherweise Fehler in der weiteren Zukunft verhindern. Hierzu soll dieser Beitrag eine Hilfe sein.
Der Weltsport, die aktuelle Coronavirus-Bedrohung und der Klimawandel
In der Rhetorik über den Sport spielt die Frage nach dessen Bedeutung eine besondere Rolle. Mit den Beispielen, dass beim 400m-Lauf der Läufer an jenen Punkt zurückkehrt von dem er losgelaufen ist und dass beim Hochsprung der Springer sich die Mühe macht über eine 2m hohe Latte zu springen, obgleich er unter ihr durchgehen könnte, wird dabei sehr häufig auf den nutzlosen Charakter des Sports hingewiesen. In der Tat: Guter Sport ist Spiel, er ist nicht existenziell. Das Überleben der Menschheit ist ganz gewiss nicht von sportlichen Ereignissen abhängig.
Das vergangene Jahrzehnt sollte vom Weltsport und den dafür verantwortlichen Organisationen längst als ein besonderes Mahnmal wahrgenommen werden. Der weltweit wahrnehmbare Klimawandel, das Artensterben und die derzeit alle Staaten der Welt belastende Coronavirus-Pandemie sollte dabei als ein unüberhörbares Signal bewertet werden, dem dringend Entscheidungen über die zukünftige Entwicklung des Weltsports folgen müssen.
Wenn Sportpolitiker aus London den japanischen Ausrichtern der nächsten Olympischen Spiele, die in diesem Jahr in Tokyo stattfinden, anbieten, angesichts der aktuell zu beklagenden japanischen Corona-Fälle die Spiele zu übernehmen, so kann dies durchaus als eine unverfrorene Unverschämtheit bewertet werden, die sich angesichts der schwierigen Lage in der sich die Menschheit weltweit befindet, selbst entlarvt.
Das Angebot macht jedoch deutlich, dass das IOC darüber nachzudenken hat, wie aktuell und zukünftig eine Großveranstaltung wie die Olympischen Spiele veranstaltet werden kann. Eine Pandemie, wie die aktuelle, kann durchaus zum Ausfall geplanter Spiele führen, so wie in diesen Tagen sehr viele internationale Sportveranstaltungen aus diesem Grunde bereits abgesagt werden mussten.
Ökonomisch sind solche Absagen für die Organisationen des Sports äußerst folgenreich: Verpflichtungen gegenüber Sponsoren und Fernsehanstalten können nicht eingehalten werden, verkaufte Lizenzrechte werden infrage gestellt, Forderungen nach Ausfallentschädigungen werden relevant, geeignete Versicherungspolicen sind nur im Ausnahmefall vorhanden.
Die Absage von Sportveranstaltungen aufgrund nicht verschuldeter höherer Einflüsse ist nichts Neues. Auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene mussten in der Vergangenheit immer wieder Wettbewerbe abgesagt werden. Gleiches gilt für internationale Sportveranstaltungen in nahezu sämtlichen Sportarten.
Stellen sich die Verantwortlichen des Weltsports, allen voran das IOC, den Fragen, die sich der Menschheit durch den weltweit ereignenden Klimawandel und den damit verbundenen ökologischen Herausforderungen stellen, so erhält die Frage nach Absagen, beziehungsweise nach einer Abkehr von den derzeit existierenden globalen Strukturen des Weltsports eine ganz neue Qualität.
Maßloses Wachstum
Der internationale Hochleistungssport zeichnete sich in den vergangenen Jahrzehnten durch ständiges Wachstum und einer ständig sich steigernden Mobilität aus. Tag für Tag, Woche für Woche reisen Athleten, Trainer, Funktionäre, Betreuer, Sportexperten und Sportgerät rund um den Globus. Das Wort „Welt-Cup“ verweist auf das allumfassende Ereignis fast jeder Sportart. Weltmeisterschaften finden in mehr als 100 olympischen und nichtolympischen Sportarten statt (vgl. Tab. 1). Manche ereignen sich jährlich, andere alle zwei Jahre. Weltkongresse der Sportorganisationen finden fast in jeder Sportart statt, wobei oft mehrere Hundert Delegierte aus mehr als 200 Ländern sich über mehrere Tage treffen, um Entscheidungen zu treffen, die meist bereits im Vorfeld der Veranstaltung ausgehandelt wurden. Waren zunächst die internationalen Wettkämpfe nur auf erwachsene Athleten beschränkt, so sind schon längst Weltmeisterschaften für Junioren, Jugendliche aller Altersklassen und teilweise auch für Kinder hinzugekommen.
Veranstaltung | Austragung seit | Turnus (in Jahren) | |
---|---|---|---|
1 | Badminton-Weltmeisterschaft | 1977 | 1 |
2 | Baseball World Cup | 1938 | 2 |
3 | Basketball-Weltmeisterschaft | 1950 | 4 |
4 | Beachvolleyball-Weltmeisterschaft | 1997 | 2 |
5 | Weltmeisterschaften im Bogenschießen | 1931 | 2 |
6 | Boxweltmeisterschaften | 1974 | 2 |
7 | Fechtweltmeisterschaften | 1937 | 1 |
8 | Fußball-Weltmeisterschaft | 1930 | 4 |
9 | Weltmeisterschaften im Gewichtheben | 1891 | 1 |
10 | Handball-Weltmeisterschaft | 1938 | 2 |
11 | Hockey-Weltmeisterschaften | 1971 | 4 |
12 | Judo-Weltmeisterschaften | 1956 | 1 |
13 | Kanu-Weltmeisterschaften | 1938 | 1 |
14 | Karate-Weltmeisterschaften | 1970 | 2 |
15 | Leichtathletik-Weltmeisterschaften | 1983 | 2 |
16 | Leichtathletik-Hallenweltmeisterschaften | 1985 | 2 |
17 | Halbmarathon-Weltmeisterschaften | 1992 | 2 |
18 | Crosslauf-Weltmeisterschaften | 1973 | 2 |
19 | Geher-Team-Weltmeisterschaften | 1961 | 2 |
20 | Weltmeisterschaften im Modernen Fünfkampf | 1949 | 1 |
21 | Bahn-Radweltmeisterschaften | 1893 | 1 |
22 | Straßen-Radweltmeisterschaften | 1921 | 1 |
23 | Mountainbike-und-Trial-Weltmeisterschaften | 1990 | 1 |
24 | Mountainbike-Marathon-Weltmeisterschaften | 2003 | 1 |
25 | Cyclocross-Weltmeisterschaften | 1950 | 1 |
26 | Hallenradsport-Weltmeisterschaften | 1956 | 1 |
27 | Weltreiterspiele | 1990 | 4 |
28 | Ringer-Weltmeisterschaften | 1904 | 1 |
29 | Ruder-Weltmeisterschaften | 1962 | 1 |
30 | Schieß-Weltmeisterschaften Gewehr | 1897 | 4 |
31 | Schieß-Weltmeisterschaften Pistole | 1900 | 4 |
32 | Schieß-Weltmeisterschaften Wurftauben | 1929 | 4 |
33 | Schwimmweltmeisterschaften | 1973 | 2 |
34 | Segel-Weltmeisterschaften | 1922 | 1 |
35 | Taekwondo-Weltmeisterschaften | 1973 | 2 |
36 | Tennis-Weltmeisterschaften | 1970 | 1 |
37 | Tischtennisweltmeisterschaft | 1926 | 1 |
38 | Triathlonweltmeisterschaft | 1989 | 1 |
39 | Weltmeisterschaften im Gerätturnen | 1903 | 2 |
40 | Weltmeisterschaften der Rhythmischen Sportgymnastik | 1963 | 2 |
41 | Weltmeisterschaften im Trampolinturnen | 1964 | 1 |
42 | Volleyball-Weltmeisterschaften | 1949 | 4 |
43 | American-Football-Weltmeisterschaft | 1999 | 4 |
44 | Australian Football International Cup | 2002 | 3 |
45 | Cricket-Weltmeisterschaft | 1975 | 4 |
46 | Lacrosse Weltmeisterschaften | 1967 | 4 |
47 | Rugby-League-Weltmeisterschaft | 1954 | 4 |
48 | Rugby-Union-Weltmeisterschaft | 1987 | 4 |
49 | Squash-Weltmeisterschaft | 1976 | 1 |
50 | Faustball-Weltmeisterschaft | 1968 | 4 |
51 | Floorball-Weltmeisterschaft | 1996 | 2 |
52 | Gleitschirm-Weltmeisterschaft | 1989 | 2 |
53 | Golf-Amateurweltmeisterschaften | 1995 | 1 |
54 | Golf-Profi-Weltmeisterschaften | 1946 | 1 |
55 | Grasski-Weltmeisterschaft | 1979 | 2 |
56 | Inline-Speedskating-Weltmeisterschaften | 1989 | 1 |
57 | Kletter-Weltmeisterschaft | 1991 | 2 |
58 | Motorrad-Weltmeisterschaft | 1949 | 1 |
59 | Superbike-Weltmeisterschaft | 1988 | 1 |
60 | Rallye-Weltmeisterschaft | 1973 | 1 |
61 | Tourenwagen-Weltmeisterschaft | 1987 | 1 |
62 | Formel-1-Weltmeisterschaft | 1950 | 1 |
63 | Weltmeisterschaften der Standardtänze | 1909 | 1 |
64 | Alpine Skiweltmeisterschaft | 1931 | 2 |
65 | Biathlon-Weltmeisterschaften | 1958 | 1 |
66 | Bob-Weltmeisterschaft | 1930 | 1 |
67 | Curling-Weltmeisterschaft | 1959 | 1 |
68 | Eishockey-Weltmeisterschaft | 1920 | 1 |
69 | Eiskunstlauf-Weltmeisterschaften | 1896 | 1 |
70 | Eisschnelllauf-Einzelstreckenweltmeisterschaften | 1996 | 1 |
71 | Eisschnelllauf-Mehrkampfweltmeisterschaft | 1893 | 1 |
72 | Eisschnelllauf-Sprintweltmeisterschaft | 1970 | 1 |
73 | Freestyle-Skiing-Weltmeisterschaften | 1986 | 2 |
74 | Nordische Skiweltmeisterschaften | 1924 | 2 |
75 | Rennrodel-Weltmeisterschaften | 1955 | 1 |
76 | Shorttrack-Weltmeisterschaften | 1981 | 1 |
77 | Skeleton-Weltmeisterschaft | 1982 | 1 |
78 | Skiflug-Weltmeisterschaft | 1972 | 2 |
79 | Snowboard-Weltmeisterschaften | 1993 | 2 |
80 | Naturbahnrodel-Weltmeisterschaft | 1979 | 2 |
81 | Telemark-Weltmeisterschaft | 1987 | 2 |
82 | Weltmeisterschaften im Wellenreiten | 1976 | 1 |
83 | Weltmeisterschaften im Skibergsteigen | 2002 | 2 |
Tabelle 1: Auswahl von Weltmeisterschaften in verschiedenen olympischen und nichtolympischen Sportarten. Teilweise werden die Weltmeisterschaften für Frauen und Männer getrennt durchgeführt. Zudem gibt es meist Weltmeisterschaften U18, U20, U23 und für Senioren.
Neben Weltmeisterschaften gibt es für fast alle Sportarten auch Kontinentalmeisterschaften, die angesichts der Größe der Kontinente oft ein ebenso großes Flugaufkommen haben wie dies bei Weltmeisterschaften der Fall ist. Die Multi-Sportorganisationen wurden nicht müde nahezu jährlich neue Wettkämpfe zu erfinden. Neben die Olympischen Sommer -und Winterspiele sind die Universiaden, die Paralympics und Special Olympics getreten. Olympische Jugendspiele, World Games, World Combat Games, World Mind Sports Games, World Beach Games oder X-Games bilden längst eine nicht enden wollenden Anzahl von Weltsportereignissen, die lediglich dem Ruf des Geldes folgen, deren kulturelle Sinnhaftigkeit aber gewiss nicht gegeben ist. Die Liste über die derzeit existierenden Multi-Sport Events ist nicht nur für Menschen erschütternd, die sich Sorge um den Klimawandel machen (vgl. Tab. 2).
Veranstaltung | Austragung seit | Turnus (in Jahren) | |
---|---|---|---|
1 | Afro-Asian Games | 2003 | 4 |
2 | African Games | 1965 | 4 |
3 | Asian Games | 1951 | 4 |
4 | Asian Indoor Games and Martial Arts Games | 2005 | 2 |
5 | Arafura Games | 1991 | 2 |
6 | Arnold Sports Festival | 1984 | 1 |
7 | Commonwealth Games | 1930 | 4 |
8 | Commonwealth Youth Games | 2000 | 4 |
9 | CPISRA World Games | 1989 | 3 |
10 | CPLP Games | 1990 | 2 |
11 | Deaflympics | 1924 | 4 |
12 | Défi sportif | 1984 | 1 |
13 | European Games | 2015 | 4 |
14 | Gay Games | 1982 | 4 |
15 | Gymnasiade | 1974 | 2 |
16 | Islamic Solidarity Games | 2005 | 4 |
17 | Invictus Games | 2014 | 2 |
18 | Jeux de la Francophonie | 1989 | 4 |
19 | Lusophony Games | 2006 | 4 |
20 | Maccabiah Games | 1932 | 4 |
21 | Military World Games | 1995 | 4 |
22 | Mind Sports Olympiad | 1997 | 1 |
23 | Nitro World Games | 2016 | 1 |
24 | Olympic Games | 1896 | 4 |
25 | Pan Arab Games | 1953 | 4 |
26 | Pan American Games | 1951 | 4 |
27 | Paralympic Games | 1960 | 4 |
28 | SELL Student Games | 1923 | 1 |
29 | Special Olympics | 1968 | 4 |
30 | TAFISA World Sport for All Games | 1992 | 4 |
31 | Universiade | 1959 | 2 |
32 | World Beach Games | 2019 | 2 |
33 | World Games | 1981 | 4 |
34 | World Masters Games | 1985 | 4 |
35 | World Mind Sports Games | 2008 | 4 |
36 | World Outgames | 2006 | 4 |
37 | World Police and Fire Games | 1985 | 2 |
38 | World Wheelchair and Amputee Games | 1948 | 2 |
39 | Youth Olympic Games | 2010 | 4 |
Tabelle 2: Auswahl internationaler Multi-Sport Events
Berechnet man die stattfindenden Sportgroßereignisse über ein ganzes Jahr, so muss man feststellen, dass nahezu jede Woche ein Multi-Sport Event oder eine Weltmeisterschaft stattfindet.
Erschütternde Klimabilanz
Zu all diesen Sportereignissen müssen aus allen Teilen der Erde meist mehrere 1000 Athletinnen und Athleten, Trainer und Trainerinnen, Funktionäre, Helfer und Experten eingeflogen werden. Zehntausende Zuschauer und tausende Vertreter der Massenmedien werden dabei aus aller Welt angelockt. Viele dieser Ereignisse haben Sonderflüge zur Folge. Es gibt wohl kaum ein anderes kulturelles System, das am Wachstum des internationalen Flugverkehrs intensiver beteiligt ist, als dies beim Weltsport der Fall ist. Das Flugmeilenkonto des Weltsports ist extraordinär hoch; gleichzeitig ist die Klimabilanz der internationalen Sportorganisationen erschütternd. Der ökologische Abdruck dieses Weltsports hat eine enorme Größe erreicht. Hinzu kommt, dass auch die Produktion von Konsumgütern (Sportbekleidung und Sportgeräte) und weitere Umweltfaktoren wie Flächenversiegelung und Ressourcenverbrauch vom Weltsport mit verantwortet werden muss. Sein Anteil an dem derzeit sich ereignenden negativen Klimawandel kann von niemandem übersehen oder bestritten werden.
Angesichts der kritischen Lage der Menschheit in Bezug auf den zu beobachtenden Klimawandel stellt sich dieser Weltsport als bloßer Luxus dar. Würde man auf ihn verzichten, so gebe es für einige Betroffene gewiss einen größeren Schaden. Doch das Überleben der Menschheit ist davon gewiss nicht betroffen.
In diesen Tagen wurde die Hallenweltmeisterschaft der Leichtathletik abgesagt, einige internationale Wintersportveranstaltungen in China können nicht stattfinden, ebenso das Formel 1 Rennen im April in Shanghai. Fast 38.000 Marathonläufer müssen auf den Tokyo-Marathon verzichten. In Italien wurden Fußballspiele abgesagt und sämtliche Großveranstaltungen verboten. Qualifikationsturniere für die Olympischen Spiele müssen verschoben werden oder fallen aus.
Für Menschen, die sich gute Unterhaltung wünschen gibt es dabei einen vielfältigen Ersatz. Ist die Menschheit in Not, so erweist sich der Sport für die meisten Menschen als überflüssig und es zeigt sich, dass man auf internationale Sportgroßereignisse aus guten Gründen verzichten kann.
Kann dieser Analyse zugestimmt werden, so stellt sich angesichts des weltweiten Klimawandels und angesichts eines globalen Artensterbens für die Weltsportorganisationen die Frage nach einem grundlegenden Verzicht. Ein „weiter so“ verbietet sich und auf manches liebgewonnene muss zukünftig verzichtet werden:
- Müssen weiterhin Trainingslager europäischer Athleten in Südafrika oder in den Vereinigten Staaten durchgeführt werden?
- Muss es U23, U20, U18 Weltmeisterschaften geben?
- Können internationale Sportkongresse nicht online unter Verzicht auf sämtliche Flugreisen durchgeführt werden?
- Kann das Wachstum weiterer globaler Multi-Sportveranstaltungen zurückgenommen werden?
- Müssen weiterhin internationale Abenteuersportevents stattfinden, die die Natur überdurchschnittlich hoch belasten?
- Kann auf Massenexzesse beim Hiking, Biking und Flying verzichtet werden?
- Kann die Zahl der nahezu unendlichen Weltmeisterschaften auf einen WM pro olympische Sportart beschränkt werden?
- Benötigen wir Olympische Jugendspiele?
- Könnte der Erhalt der Olympischen Spiele als einziges internationales Sportereignis bei gleichzeitigem Verzicht auf alle übrigen globalen Sportereignisse ein besonderes Dokument der ökologischen Nachhaltigkeit des Sports werden?
Eines scheint dabei sicher zu sein: Eine Reduzierung auf weniger Veranstaltungen ist dringend nötig. Sie könnte zu einer Aufwertung der erhaltenswerten Veranstaltungen führen. Denn es ist ja längst eine Übersättigung eingetreten, die zu einem sinnlosen Kampf um Zuschauer und Sponsoren und Sendezeiten durch die konkurrierenden Sportarten geführt hat.
Umweltsünder Weltsport
Die Liste der Fragen, die heute zu stellen ist, ist unvollständig. Sie bedarf dringend einer Ergänzung. Noch dringender sind jedoch die ausstehenden Antworten, die von den Verantwortlichen des Weltsports zu geben sind. Dabei sollten sich diese des folgenden Sachverhalts klar sein.
- Beim Coronavirus reagiert der Sport. Er verzichtet auf Veranstaltungen. Warum, weil Menschenleben kurzfristig in Gefahr sind.
- Gegenüber der Umwelt verhält sich der Sport genau umgekehrt. Er weitet sein Angebot ständig aus. Warum, weil er und andere immer mehr Geld damit verdienen.
Im Angesicht der drohenden Klimakatastrophe wird kein Gedanke darauf verschwendet, dass er unter allen „Organisationen“ zu den größten Umweltsündern zählt und damit langfristig mit Menschenleben spielt. Damit sind nicht die Umweltzerstörungen vor Ort gemeint, sondern nur diejenigen, die durch die Mobilität der Sportkaravanen und der Zuschauer verursacht werden. Menschen tun sich ganz offensichtlich schwer auf Ereignisse in angeblich ferner Zukunft zu reagieren, während kurzfristige Ereignisse zu schnellen Entscheidungen führen.
Ein Blick auf das CO2-Emmissionskonto des Sports macht dies mehr als deutlich. Der Klima-Fußabdruck eines deutschen Teilnehmers bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro erreichte bei seinem Flug von Frankfurt nach Rio und zurück einen Wert von 5800kg CO2. Zum Vergleich: die Pro-Kopf-Jahresemission in Indien beträgt 1600kg CO2; ein Jahr Autofahren mit einem Mittelklassewagen wird mit 2000kg CO2 bewertet und das klimafreundliche Jahresbudget eines Menschen wird mit 2300kg CO2 bemessen. Am Beispiel der Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Doha im Oktober 2019 lässt sich der CO2-Fußabdruck, der ausschließlich durch die Reisetätigkeiten der Teilnehmer und Zuschauer entsteht, anschaulich verdeutlichen:
Bei den Weltmeisterschaften in Doha nahmen ca. 2000 Athletinnen und Athleten teil. Sie wurden von ca. 500 Trainern und Betreuern begleitet und ca. 200 internationale Kampfrichter betreuten die Wettkämpfe. Beim Kongress der IAAF und bei den Weltmeisterschaften waren für die 210 Mitgliedsorganisationen 600 Delegierte anwesend. Die Massenmedien waren mit ca. 1000 Personen für die Bereiche Fernsehen, Internet, Radio und Presse präsent. Die internationalen Sponsoren waren mit 300 Personen beteiligt. Ca. 30.000 Zuschauer aus allen Ländern der Welt waren bei den Wettkämpfen vor Ort. Zur Vorbereitung der Weltmeisterschaft reisten rund 500 Personen mindestens zweimal nach Doha. Addiert man alle Flüge die aus Anlass der WM durchgeführt wurden, so ist eine Gesamtzahl von etwas mehr als 70.000 Flügen zu bilanzieren. Berechnet man pro Flug einen durchschnittlichen CO2-Ausstoß von 2500kg, so ergibt dies einen Fußabdruck für die Leichtathletik WM von 175.000.000kg CO2, der ausschließlich durch die Reisetätigkeiten der Teilnehmer und Zuschauer entstanden ist.
Von einer Kompensation des CO2-Fußabdrucks des Weltsports ist bislang jedoch nirgendwo die Rede.
Nationale Sportwettkämpfe mit klimafreundlicher Mobilität und einem weitgehenden Verzicht auf Flugreisen können durchaus einen hohen Unterhaltungswert besitzen, das haben sie in der Vergangenheit längst bewiesen. Es bedarf lediglich einer verantwortbaren massenmedialen Partnerschaft und einer fairen Unterstützung durch die Wirtschaft. Doch angesichts der Dominanz des internationalen Sports sind nationale Sportereignisse in den vergangenen Jahrzehnten nahezu bedeutungslos geworden. Für die zukünftige Entwicklung des Sports könnten sie jedoch eine große Aufwertung verdienen. Der Unterhaltungswert des Sports würde sich dadurch wohl verändern; für die kulturelle Qualität des Sports könnte dies jedoch sehr nützlich sein.
Der Steigerungsimperativ „Höher-Weiter-Schneller“ des modernen Sports wurde in der Vergangenheit und auch bis heute noch viel zu oft falsch verstanden und von Menschen missbraucht, die lediglich eigennützige Interessen verfolgten und verfolgen. An die Stelle eines missbrauchten Sports könnte ein kulturell wertvoller Sport treten, der sich seiner pädagogischen Bedeutung bewusst ist und der sich verantwortungsvoll an einer Klima- und Umweltpolitik beteiligt, die sich im Interesse zukünftiger Generationen für einen Erhalt der Erde einsetzt, die Heimat für alle Arten ist.
Verfasst: 22.02.2020