China auf dem Sprung nach Rio 2016

Die Erfolge bei den Schwimmweltmeisterschaften von Kazan, die Gastgeberrolle Chinas bei der Durchführung der erfolgreichen Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Peking 2015 und nicht zuletzt die Erfolge der chinesischen Athleten bei dieser Heimweltmeisterschaft lassen die Sportführung Chinas äußerst zuversichtlich auf das olympische Jahr 2016 blicken. Bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro erwarten sie den endgültigen Durchbruch zur absoluten Weltspitze. Der Medaillenspiegel bei den Heimspielen 2008 und bei den erfolgreichen Spielen in London im Jahr 2012 haben es bereits in aller Deutlichkeit gezeigt: China befindet sich in einem Zweikampf mit den Vereinigten Staaten um die Krone des olympischen Sports. Die 38 Goldmedaillen, die China in London gewinnen konnte, bilden dabei die Grundlage auf der der zukünftige Erfolg weitergeführt werden kann. Die traditionellen Stärken, insbesondere in den Sportarten Wasserspringen, Tischtennis, Badminton, Schießen und Gewichtheben sollen dabei erhalten werden. Doch ist es das Ziel der chinesischen Sportführung eine ausgeglichenere Vorstellung bei den Olympischen Spielen in Rio zu offerieren. Dazu gehören vor allem Medaillen in den beiden Königsdisziplinen der Spiele – im Schwimmen und in der Leichtathletik, die über nahezu ein Jahrhundert von den Athleten des Westens dominiert wurden. Dr. Feng Shuyong, Cheftrainer des chinesischen Leichtathletik-Nationalteams, sieht in den Ergebnissen der Weltmeisterschaften von Peking eine Grundlage des Vertrauens, insbesondere in jene Disziplinen, wo man in der Vergangenheit nicht gut genug war. Es gibt ganz offensichtlich eine neue Welle von jungen chinesischen Athleten, die den Schatten verkürzen können, den der Hürdenstar Liu Xiang nach seinem Rücktritt zurückgelassen hat.

Bei den Weltmeisterschaften von Peking konnten die Chinesen neun Medaillen gewinnen: Eine Gold-, sieben Silber- und eine Bronzemedaille. Im Medaillenspiegel erreichten sie den elften Platz. Die ausgeglichene Entwicklung in allen Disziplinen ist dabei das Merkmal des besonderen Erfolges. „Beim Gehen, in den Läufen, den Sprüngen und den Würfen konnten wir zum ersten Mal in der Geschichte der Leichtathletik in gleicher Weise Podiumsplätze erreichen“ sagte Präsident Du Zhaocai. Zum ersten Mal gibt es einen chinesischen Sprinter, der die 100m unter 10,0 Sekunden laufen kann. Die 4x100m Staffel erreichte eine Bronzemedaille, was als Sensation bezeichnet werden muss. Nachdem die USA disqualifiziert wurde, wurde dieser Erfolg zu einer Silbermedaille aufgewertet. Der Sprinter Su Bingtian ist der erste asiatische Athlet, der ein 100m WM-Finale mit einer Zeit von 9,99 Sekunden erreicht hat. Der Weitspringer Wang Jianan, erst 19 Jahre alt, gewann ebenfalls eine Bronzemedaille mit 8,18m. Seine Mannschaftkameraden Gao Xinglong und Li Jinzhe wurden vierter und fünfter – man kann also von einer neuen Weitspringergeneration Chinas sprechen. Der Hochspringer Zhang Guowei gewann die Bronzemedaille mit 2,33m und die Speerwerferin Lyu Huihui erreichte mit 66,13m ebenfalls einen zweiten Platz.

Das Nationalteam der Schwimmer Chinas hatte bereits in London fünf Goldmedaillen gewinnen können. Diesen Erfolg möchte China in Rio wiederholen. Die erfolgreiche Teilnahme bei der FINA-Weltmeisterschaft in Kazan im Jahr 2015 lässt diese Erwartung als realistisch bezeichnen. Angeführt vom Olympiasieger von London Sun Yang und dem neuen aufsteigenden Star Ning Zetao erreichte China fünf Gold-, eine Silber- und sieben Bronzemedaillen und wurde dritter in der Nationenwertung hinter den USA und Australien. Die Goldmedaillen wurden dabei von Sun Yang auf den 400m und 800m Freistil-Strecken der Männer, Ning Zetao auf der 100m Freistil-Strecke der Männer, Fu Yuanhui auf der 50 Rücken-Strecke der Frauen und durch die 4x100m Frauen-Lagenstaffel gewonnen.

Die Perspektiven im Schwimmen und in der Leichtathletik lassen die Ziele der chinesischen Sportführung somit durchaus als realistisch erscheinen. Allerdings ist sich die chinesische Sportführung bewusst, dass sich der Kampf um die Spitzenplätze in den olympischen Disziplinen in den vergangenen Jahrzehnten äußerst verschärft hat. Die Spitzen im Turmspringen, Tischtennis, Badminton, Gewichthaben, Schießen und in der Gymnastik sind immer mehr zusammengerückt. Selbst das angeblich unbesiegbare chinesische Wasserspring-Team hat die Goldmedaille beim 10m Springen der Frauen verloren. Im Gewichtheben haben Kasachstan und Nordkorea immer größere Erfolge aufzuweisen. Das erfolgsverwöhnte Badmintonteam muss ebenfalls mit scharfer Konkurrenz rechnen. Gleiches gilt für die Schieß- und Kunstturnwettbewerbe.

Die Vorbereitung auf die Olympischen Spiele in Rio ist in China in vollem Gange. Die beste Expertise kann dabei nicht gut genug sein. Es sind ca. 65 ausländische Trainerinnern und Trainer in den 28 Sommersportarten tätig, die teilweise mit hoch dotierten Verträgen für die individuelle Betreuung vieler Kandidaten für die olympischen Finals zuständig sind. Die sportwissenschaftliche Begleitung der olympischen Vorbereitung ist vorbildlich. Die Trainingszentren zeichnen sich durch höchste Qualität aus. China verfügt derzeit über die besten Voraussetzungen, das anspruchsvollste Ziel im olympischen Wettbewerb zu erreichen – mehr und erfolgreichere Finalisten in den olympischen Sportwettbewerben aufzuweisen als die Vereinigten Staaten. Es geht um nichts weniger und um nichts mehr.

Welche Rolle bei dieser sportlichen Leistungssteigerung das Doping spielt, bleibt die Frage, die man derzeit nur mit Vermutungen beantworten kann. Die Vergangenheit des olympischen Sports in China spricht diesbezüglich eine eindeutige Sprache. Wie in so vielen Leistungssportnationen ist mittlerweile das offizielle staatliche Kontrollsystem nahezu perfekt. Auf der Hinterbühne hat sich jedoch ein Manipulationssystem entwickelt, dass sich immer häufiger durch wissenschaftliche Professionalität auszeichnet und den Betrügern einen nahezu unüberwindbaren Schutz gewährt.

Verfasst: 17.05.2016