Wettkampfsport im Verein und im Verband – Eine kulturelle und pädagogische Notwendigkeit

Vorbemerkungen

Der Sport ist für jenen, der ihn betreibt, eine klare und verständliche Sache. Laufen, Werfen, Springen verbunden mit der olympischen Maxime des „Höher, Schneller, Weiter“ sind jene Inhalte und Kennzeichnungen, die z.B. das Phänomen der Leichtathletik hinreichend bestimmen lassen. Der Kern dessen, was Leichtathletik ist, scheint damit relativ überdauernd und hinreichend eindeutig festgelegt zu sein. Ein Blick in die Geschichte des Laufens, Werfens und Springens gibt uns jedoch sehr schnell zu erkennen, dass dieser Schein trügt. Der Begriff der Leichtathletik meint stilisierte Formen des Laufens, Werfens und Springens; Leichtathletik ist ein spezifischer Inhalt einer spezifischen und historisch gewachsenen Sportkultur und der Sport ist ein bestimmendes Merkmal unserer modernen Bewegungskultur. Ja, der Sport ist das kennzeichnende Merkmal einer Leistungskultur, die eine noch junge Geschichte aufweist, deren Ende aber hoffentlich noch lange nicht absehbar ist. Teilt man diesen Wunsch, so ist der Sport heute eine kulturelle Notwendigkeit für unsere Gesellschaft.

Der Begriff der Kultur ist schon seit langer Zeit vieldeutig und unscharf geworden. Meist dient er als Instrument der Aus- oder Abgrenzung. Doch leider wird er dabei dem Alltag und jenem kulturellen Leben, in das die Mehrheit der Menschen eingebunden ist, kaum gerecht. Kulturpolitik zielt häufig nur auf Museumspflege, Film- und Literaturpreise und die Edition alter literarischer Texte. Vom Sport, vom Spiel und von der Bewegungskultur der Menschen ist dabei jedoch nur selten die Rede. Diese Ausgrenzung verkennt, dass man mit dem Begriff der Kultur die Gestaltung unserer natürlichen und gesellschaftlichen Umwelt nach den Grundsätzen der Humanität meint. Das Kulturelle ist somit nicht vom Alltagsleben abzugrenzen. Das Kulturelle meint nicht nur die abgehobene Sphäre des Schöngeistig-Mythischen. Vielmehr möchte ich den Begriff der Kultur verstehen als die Gesamtheit der geistigen und materiellen Hervorbringung unserer Gesellschaft. Der Sport ist dabei ein wichtiger Aspekt, der diese Kultur kennzeichnet. Das Wort Kultur, angewendet auf den Sport, verweist darauf, dass es im Sport nicht um jenes geht, was man in der Natur einfach vorfindet, sondern um das, was der Mensch sich selbst geschaffen hat. Der Begriff der Kultur ist aufs Engste mit dem Begriff des besseren oder des guten Lebens verbunden. Der Mensch muss an der Welt tätig werden, will er dies erreichen. Insofern sind arbeiten, leisten, sich anstrengen und üben Begriffe, die eng verknüpft sind mit dem Ziel, kulturelle Qualität in einer Gesellschaft anzustreben. Dienstwerte sind notwendig, um zu bestimmten Zielwerten zu kommen. Institutionen, die Kultur formen und ausgestalten, haben dies zu beachten. Das Leisten ist somit eine fundamentale Bedingung menschlichen Lebens und Überlebens, ebenso wie die Arbeit. Oswald von Nell-Breuning nannte einmal die Wirtschaft das durchaus honorige Erdgeschoß der Kultur. Übertragen auf den Sport heißt das: Das Üben, Trainieren und langfristige sich Anstrengen ist das Erdgeschoß jenes Hauses, in dem im ersten Stock die sportlichen Erfolge zu finden sind. Der Begriff Kultur kennzeichnet somit jenes, was den Menschen wertvoll ist.

Die von mir formulierte These zur Diskussion zu stellen, ist eine leichte Sache. Sie zu begründen und zu verteidigen, scheint heute ein kaum lösbares Unterfangen zu sein. Wer von der Notwendigkeit einer Leistungskultur spricht, schwimmt gegen den Strom, redet wider den Zeitgeist, versucht etwas zu restaurieren, was angeblich nicht mehr zu retten ist.

Die weitere Entwicklung des Sports ist problematisch geworden

Die Entwicklung unserer Gesellschaft im Allgemeinen und des Sports im Speziellen haben eine Situation begünstigt, die für den Wettkampfsport als nachteilig zu bezeichnen ist. Der Zuwachs an Freizeit, der allgemeine Wertewandel, neue Formen des Freizeitverhaltens, die rückläufige Bevölkerungsentwicklung und die machtvolle Rolle der Massenmedien bei der Beantwortung der Frage, was in unserer Gesellschaft wichtig und was unbedeutend ist, hat vorrangig eine Karriere des sogenannten Freizeitsports begünstigt, welcher sich in seiner Wertstruktur zunehmend im Gegensatz zur Idee des Wettkampfsports befindet. Immer mehr Menschen suchen Aktivitäten im Sport, in denen der organisierte Wettkampf kaum eine Rolle spielt. Neben einer Karriere all jener lustorientierten Werte, wie sie für den Wandel der Werte im Allgemeinen diagnostiziert werden, kommt es vor allem zu einer gesundheitspolitischen Funktionalisierung des Sporttreibens. Für den organisierten Sport bedeutet dies, dass es immer schwerer geworden ist, für jene Formen des Sporttreibens, in denen Anstrengung und langfristige Planung vonnöten ist, genügend Interessenten zu finden. Es reduziert sich grundsätzlich die Zahl jener Menschen, die potentiell bereit sein könnten, Wettkampfsport im Verein zu betreiben. Dies hängt auch damit zusammen, dass sich in den letzten 20 Jahren der Sport in seinem Angebot immer weiter vervielfältigt hat.

Dem sozialen Wandel in unserer Gesellschaft wird auch zukünftig der Sport nahezu passiv ausgeliefert sein. Gesellschaftlicher Wandel vollzieht sich auch dann, wenn einzelne Institutionen sich gegen Veränderungen auflehnen. Immer deutlicher wird die Einsicht, dass gesellschaftlicher Wandel kaum planbar und schon gar nicht von nachgeordneten Institutionen steuerbar sein wird. Dies gilt auch für den Sport und vor allem in Bezug auf die Frage, inwiefern der Sport sich gegenüber Veränderungen in der Gesellschaft sperren oder gar entgegenstellen könnte. Solche Einsicht darf jedoch nicht zu jener Haltung führen, die heute in Kreisen des Sports weit verbreitet ist. Es wird dabei angenommen, dass man sich gegen die Veränderungen nicht wehren kann, dass das „Rad der Zeit“ nicht aufzuhalten sei und dass man sich deshalb möglichst schnell anzupassen habe. Nicht selten ist diese Haltung versteckter Opportunismus, vor allem wird dabei verkannt, dass viele Probleme, die der Sport heute zu lösen hat, aus eigenen Fehlern resultieren, die der Sport bzw. dessen Funktionäre selbst verschuldet haben, und dass bei aller Komplexität gesellschaftlicher Veränderungen das Haus des Sports von ihm selbst zu bestellen ist. Der Hausherr selbst hat hier die Steuerungsmacht.

Will man die hausgemachten Probleme lösen, so sind dazu allerdings keine vorschnellen Rezepte vonnöten, die sich des Beifalls eines unkundigen Publikums sicher sein können. Vielmehr benötigt man die Bereitschaft zur langfristigen Arbeit, die Fähigkeit, sich organisatorisch und personell auf neue Herausforderungen einzustellen und den Mut zur komplexen Lösung. Vor allem ist dabei vonnöten, dass die Verantwortlichen im System des Sports über ein Wissen und ein Bewusstsein darüber verfügen, worin die kulturelle Bedeutung des Sports liegt und warum gerade der Sport nahezu einmalig jene Leistungskultur repräsentiert, die unserer Gesellschaft bis heute so viel Nutzen gebracht hat. Wird dies als bedeutsam akzeptiert, so muss man sich auch mit jenen neueren Formen des Sporttreibens auseinandersetzen, die sich den Menschen heute bieten und die teilweise in Konkurrenz zum organisierten Wettkampfsport verwirklicht werden. Will man die kulturelle Notwendigkeit des Sports kennzeichnen, so muss man sich dabei vor allem mit jenem Phänomen auseinandersetzen, das sich selbst „Freizeitsport“ nennt.

Versuch einer Kritik des sogenannten Freizeitsports

Der Freizeitsport wird heute nahezu ungefragt positiv beurteilt. Wer heute Wohlbefinden, Geselligkeit, körperliche Fitness, Schönheit und Ausgleich für vielfältige Entsagungen verspricht, kann sich des Applaus‘ der Mehrheit sicher sein, braucht sich vor bissiger Kritik kaum zu fürchten.

Die positive Beurteilung des Freizeitsports resultiert zu einem nicht unwesentlichen Teil aus einer teils ausgesprochenen, teils unausgesprochenen Kritik an jenem Sport, von dem man sich – mit dem neuen Wort „Gesundheitssport“ noch begrifflich akzentuiert – absetzen möchte. Gemeint ist dabei der Leistungssport, also jener Sport, der von den Medien begünstigt und von der wissenschaftlichen Kritik be- und teilweise auch verurteilt wird.

Im Verhältnis zwischen dem angeblich problemlosen Freizeitsport und dem eher kritisch zu beurteilenden Leistungssport wird jedoch häufig verkannt, dass nicht nur begrifflich die Grenzen unscharf sind. Leistung und Freizeit sind begrifflich wohl kaum Widersprüche und Wettkampfsport ist ohne Zweifel mit Ausnahme des Berufssports als Freizeitsport zu bezeichnen. Aber auch historisch, politisch, organisatorisch und vor allem in Bezug auf die Sporttreibenden selbst ist eine derartige semantische Trennung kaum sinnvoll. Betrachtet man den Sachverhalt unter quantitativen Gesichtspunkten, so wird vielmehr sogar deutlich, dass nach wie vor die tragende Säule des deutschen Sports jener Sport ist, der sich tausendfach Samstag für Samstag in Sporthallen und Stadien ereignet und an dem in Mannschaften, die von der E-Jugend bis zu den Alten Herren reichen, sich Akteure beider Geschlechter millionenfach beteiligen. Der Sport ist dabei eine Ansammlung bewährter, aber auch neu hinzugekommener Sportarten und das Handeln der Athleten und Wettkämpfer orientiert sich an den traditionellen Maximen eines an persönlicher Leistungsverbesserung und gegenseitiger Konkurrenz organisierten Sports. Die olympische Empfehlung „höher, schneller, weiter“ gilt dabei für die Wettkampfmannschaft ebenso wie für die vielen Einzeldisziplinen innerhalb der Sportarten.

Die Apologien auf den Freizeitsport sind meines Erachtens ideologischer Natur. Meist verklären sie die positiven Möglichkeiten des Sports. Es werden dabei vor allem die sozial-integrativen und biologischen Funktionen des Sports überschätzt. Vor allem sind die Aktivitäten des Freizeitsports wohl kaum in der Lage, die herrschenden sozialen Differenzen in unserer Gesellschaft zu verändern. Der Freizeitsport verbindet wohl die Sporttreibenden miteinander, aber meist nur innerhalb der existierenden gesellschaftlichen Schichten. Er bildet die Grenzen zwischen den Schichten ungleich deutlicher heraus als dies bei einer Abgrenzung nach Geschlecht und Alter im organisierten Wettkampfsport der Fall ist.

In Anlehnung an das Distinktionskonzept von Bourdieu lässt sich der Freizeitsport als ein Medium betrachten, mit dem sich die Unterscheidungsmerkmale der gesellschaftlichen Fraktion, der man angehört, besonders trefflich darstellen lassen. Es muss deshalb in grundsätzlicher Weise die Frage gestellt werden, inwiefern Freizeitsport für sogenannte Randgruppen integrative Wirkung besitzen kann. Wenn der Freizeitsport in erster Linie als Bühne für die körperliche Darstellung des Lebensstils der Mittelschichten bezeichnet werden kann, so wird er vermutlich kaum in der Lage sein, Fremdkörper, d.h. Angehörige anderer Geschmackskulturen, in die Gesellschaft zu integrieren.

Gebauer weist meines Erachtens völlig zurecht darauf hin, dass Sportwissenschaftler, die einen sogenannten emanzipatorischen Sport in Abgrenzung zur Wettkampfkonkurrenz vertreten, völlig unbegründet von der Annahme ausgehen, dass sich in einem Sporttreiben, in dem Gewalt nicht entfaltet, und jede Form von Konkurrenzstreben aufgegeben wird, die Teilnehmer von Differenzen und Ungleichheiten verschont bleiben. Genau dies ist im Freizeitsport nicht der Fall. Der sogenannten emanzipierten Sportwissenschaft gelingt es nämlich nicht, jenen Mechanismus aufzuzeigen, der im angeblich konkurrenzfreien Sport die Einrichtung einer prinzipiellen Gleichheit bewirkt, „denn wir können nicht von der Existenz einer gesellschaftlichen Gleichheit aller Personen, die sich zum gemeinsamen Sporttreiben einfinden, ausgehen. Dadurch, dass man sich gemeinsam umzieht und körperlich betätigt, wird man nicht voreinander gleich. Ein Gleichheit erzeugender Mechanismus lässt sich auch im Sport, der auf Wettkampf verzichtet, nicht erkennen“ (Gebauer 1986, 116 – 117).

Die Aufgabe des Wettkampfgedankens führt vielmehr dazu, dass die gesellschaftlichen Differenzen, die außerhalb des Sports existieren, in den Sport hineintransportiert werden und dort teilweise noch ausgeprägter zum Ausdruck kommen. „Die Kleidung, die Gepflegtheit des Körpers, der Sitz der Frisur, das Prestige des Clubs und der Sportart, alles Merkmale des Sozialstatus, transportieren die Bedeutung, die sie in anderen Lebensbereichen haben, ohne jede Modifikation in den Freizeitsport. Die Aufgabe von Wettkampf bedeutet somit den Verzicht auf Neuorganisation der Differenzierungen zwischen den Teilnehmern. Unter den Bedingungen des Wettkampfes hingegen werden … die gesellschaftlichen Differenzen aufgehoben und für eine Neudefinition freigegeben“ (vgl. Gebauer 1986, 117). Der Wettkampfsport wird deshalb zu Recht als eine „Eigenwelt“ bezeichnet. Sein Raum ist der durch die Wettkampfregeln vorgegebene, von der übrigen Welt abgesperrte Raum. Der Freizeitsport verzichtet hingegen genau auf diese Art von Kennzeichnung. Er ist insofern ein durchaus als problematisch zu bezeichnender Antriebsmotor des Differenzierungsprozesses im System des Sports geworden. „Das hohe Tempo, mit dem die Konsumgüter- und Freizeitindustrie die wesentlichen distinktiven Merkmale der höheren Schichten den unteren finanziell und geschmacklich zugängig macht, erzwingt eine unaufhörliche Ausweitung und Erschließung von Bereichen, in denen neue Distinktionen entwickelt und aufrecht erhalten werden können“ (Gebauer 1986, 131). Das System des Sports ist davon mittlerweile nahezu am umfassendsten betroffen und das gefährliche Element ist dabei der Freizeitsport, der sich selbst so harmlos gibt.

Idealtypische Merkmale des Wettkampfsports

Ganz anders verhält es sich mit dem Wettkampfsport, wenn man ihn idealtypisch betrachtet. Im Ritual des Wettkampfes – folgt man den Überlegungen vor allem von Lenk und Gebauer – liegt eine Möglichkeit zur Ordnungsstiftung. Die Kompetenz und Leistungsfähigkeit, die im Wettkampfsport zum Ausdruck kommen, können für den Wettkämpfer ein beträchtliches „kulturelles Kapital“ bedeuten. Die Beherrschung einer Sportart und deren erfolgreiche Ausübung, die Mitwirkung an Wettkämpfen, z.B. das Auftauchen in Ergebnislisten, können die sozial-kulturelle Stellung des Athleten deutlich anheben. Gewiss ist die Reichweite dieser Funktion begrenzt. Sozialer Aufstieg durch den Wettkampfsport bleibt meist in den Grenzen der jeweiligen sozialen Schicht befangen. Die Reichweite des Wettkampfsports kann in seinem Verhältnis zur Gesellschaft nur bescheiden sein. Dennoch: Im Gegensatz zum Freizeitsport zeichnet sich der Wettkampfsport durch integrative und egalitäre Wertemuster, durch ein grundlegendes Solidaritätserlebnis aus.

Der Wettkampf ist von der Idee der prinzipiellen Gleichheit der Partner gekennzeichnet. Diese Gleichheit ist vor allem zu Beginn des Wettkampfes zu beachten. Im Kontrast zur Situation vor dem Wettkampf kann sie als rituelle Einrichtung, als Entdifferenzierung gedeutet werden.

Gewiss ist die Gleichheitsidee immer mehr in Frage gestellt. Sie hat aber in eingeschränkter Form bis heute noch Bedeutung. Ein Wettkampf, der auf offenkundiger Ungleichheit beruhen würde, würde vom Publikum kaum akzeptiert werden. Es muss wenigstens der Schein der Gleichheit gewahrt werden.

Das pädagogisch Bedeutsame am geregelten Wettkampf ist gerade darin zu sehen, dass er von einer radikalen Vorstellung von Gleichheit geprägt ist. Will man daran teilnehmen, so ist jede Differenz des Aussehens, der Herkunft und der Identität zwischen den Teilnehmern aufzugeben. Gleichzeitig ist der Wettkampf jedoch angelegt auf Differenzbildung durch Konkurrenz.

Gebauer nennt deshalb die Darstellungsweise des Wettkampfes „subversiv“, „unruhestiftend“, sie setzt Erfahrungsdimensionen frei, die im normalen Leben unter Kontrolle bleiben.

Sport – eine kulturelle und pädagogische Notwendigkeit; diese Behauptung resultiert in erster Linie aus der Überzeugung, dass das Wettkampf- und Leistungsprinzip, das im Sport auf eine äußerst positive Weise zur Darstellung kommt, ein nach wie vor relevantes und durchaus modernes Prinzip einer demokratischen Industriegesellschaft darstellt. Persönliche Leistungen oder Leistungen von Gruppen, im Wettkampf mit anderen erbracht, bei gegenseitiger Anerkennung der Regeln der Sportart, unter Berücksichtigung der Prinzipien des Fair Play, darin liegt die besondere Zeigefunktion des Sports für unsere Gesellschaft, die ihre wichtigsten positiven Errungenschaften demjenigen Prinzip zu verdanken hat, das damit zum Ausdruck gebracht wird. Mit dem Begriff „Wettkampfsport“ soll dabei gekennzeichnet werden, dass der Sport in Schule und Verein sich dadurch auszeichnet, dass er agonalen Charakter hat, dass der Sporttreibende sein Handeln an einer von ihm selbst oder von außen gesetzten Leistungsnorm orientiert, die er durch Einsatz eigener (also nicht fremdmanipulierter) Fähigkeiten und Anstrengungen zu erreichen sucht.

Diese Idee des leistungsbetonten Wettkampfes sollte auch zukünftig das sportliche Handeln prägen. Dabei ist es eher unwesentlich, ob solches Handeln alleine, in einer Gruppe, in organisierter Weise im Verein oder in Konkurrenz zwischen verschiedenen Vereinen stattfindet.

Mit diesem Verständnis von wettkampforientiertem Sport bleiben alle fragwürdigen Formen des Hochleistungssports in prinzipieller Weise ausgegrenzt.

Wie grundlegend das Leistungsprinzip aus anthropologischer Sicht für menschliches Handeln ist, wurde vor allem von Lenk und Weiss dargestellt. Weiss macht dabei vor allem den Sachverhalt noch einmal deutlich, dass das, was der Mensch ist, sich uns in erster Linie in seinem Handeln zeigt. Im Gegensatz zum Verhalten der Tiere zeichnet sich menschliches Handeln durch Zielorientiertheit aus, es kann an Resultaten gemessen werden. Die Resultate unserer Handlungen zeigen sich im Kontext sozialer Übereinkünfte als Leistung. Diese Leistungen sind beobachtbar, sie sind mess- und wertbar. Gerade deshalb macht es Sinn, die Leistung des Individuums zu einem gesellschaftlichen Ordnungsprinzip zu machen. Gerade deshalb ist die Leistung ein konstitutives Element für die westliche Zivilisation, für unsere industrielle Kultur. Die Beobachtbarkeit der Leistung impliziert die Selbst- und Fremdbeobachtbarkeit. Der Mensch kann seine eigene Leistung beobachten, er kann aber auch die der anderen zum Vergleichsmaßstab heranziehen. Indem der Mensch lernt, Perspektiven anderer in sein eigenes Handeln einzubeziehen, entwickelt er sich selbst. Das Selbst des Menschen entsteht im kontinuierlichen Austausch mit anderen. Auf diese Weise entsteht Selbstbewusstsein, was nicht unwesentlich von der Anerkennung durch andere abhängt. Das Sich-Vergleichen, Bewerten, das Sich-Einordnen – wie es im Sport möglich ist – scheint somit grundlegend für unsere Kultur zu sein (vgl. Weiss 1989, 3 – 7).

Leistung im Sport ist unter kulturellen Gesichtspunkten in gewisser Weise bedeutsamer als sonstige Leistung. Nahezu einmalig geht z.B. bei der Leistung bei einem 100-m-Lauf eine Symbiose von Aktion und Präsentation einher, die es sonst fast nirgendwo mehr gibt. Während in anderen Lebensbereichen Leistung oft undurchschaubar ist und nur noch von wenigen Experten gewürdigt werden kann, stellt sich im Sport der Erfolg als Anerkennung unmittelbar ein, weil er jedem verständlich ist. Es zählen Gramm, Sekunden, Zentimeter; Aktion und Präsentation verschmelzen miteinander. Der sportlich Handelnde gibt nicht wie etwa der Politiker vor, etwas zu sein, was er möglicherweise nicht ist. Die Präsentation der sportlichen Leistung ist nicht losgelöst von der Aktion, sie kann somit auch nicht das verhüllen, was in der Aktion zu bemängeln ist. Ein Fehlstart ist ein Fehlstart, auch dann, wenn ein Athlet noch so viel Mundwerk darauf verwendet, ihn aus der Welt zu schaffen. Im Sport ist der Sieger der Sieger (vgl. aber auch Gebauer 1972, 182 – 203 und Weiss 1989, 5). Gerade deshalb macht es Sinn, den Sport als ein besonders bedeutsames kulturelles Aktionsfeld zu bezeichnen. In ihm sind die gesellschaftlichen Werte und Normen unserer Industriekultur deutlicher sichtbar und erlebbar als sonst wo. Chancengleichheit, Konkurrenz, Allgemeinverständlichkeit der Leistungen, Objektivität, Exaktheit, Vergleichbarkeit, Messbarkeit, Zuweisung von Rangpositionen aufgrund von erbrachten Leistungen, Durchsichtigkeit der Leistungsdifferenzierung, das sind die Werte, die den Sport, der an Leistung orientiert ist, auszeichnen. Deshalb ist Leistungshandeln im Sport als beispielhaft zu bezeichnen.

In der Diskussion über das Pro und Contra des Leistungssports geht es immer auch um die Anerkennung oder Ablehnung unserer Gesellschaftsordnung. Weiss ist zuzustimmen, dass jeder, der das Werte- und Normensystem unserer Gesellschaft im Wesentlichen anerkennt, sich auch dafür einsetzen muss, dass dieses Werte- und Normensystem symbolisch tradiert wird und dort, wo Kinder und Jugendliche sich entwickeln, unter erzieherischen Gesichtspunkten zum Tragen kommt. Dies bedeutet aber nicht mehr und nicht weniger, als dass dieses Normen- und Wertesystem als generalisiertes Orientierungs- und Deutungsmuster den Handlungszielen der Akteure im Sport zugrunde liegen muss. Nur dann bietet der Sport eine Möglichkeit, Identitätsbestätigung und Anerkennung den Kindern und Jugendlichen zu eröffnen. Kindern und Jugendlichen muss dann in einem auf Wetteifer orientierten Sport gewährleistet sein, dass sie dort hohe soziale Vergütung in Form von Prestige und Status erreichen können. Auf diese Weise kann der Sport die Anerkennungsbedürfnisse der Kinder und Jugendlichen erfüllen. Deshalb ist es durchaus naheliegend, dass man eine Siegerurkunde, die man z.B. bei einem Leichtathletiksportfest erhält, herzeigt und Lob und Anerkennung erfährt. Der Aufbau sozialer Identität und die damit ersehnte soziale Integration hängen auf diese Weise aufs Engste zusammen. Durch die Anerkennung von Leistung, die für die bestehende Kultur von Bedeutung ist, werden das Kind und der Schüler sozial anerkannt. Sportliche Leistungen sind dabei der kleinste gemeinsame Nenner zur Begegnung und Kommunikation (vgl. Weiss 1989, 3 – 7).

Wider den sportpädagogischen Zeitgeist

Der sportpädagogische Zeitgeist setzt seit einigen Jahren auf die sogenannten Freizeitsportarten. Die Vereine und Verbände sind diesem Trend gefolgt. Es wird dabei angenommen, dass der Freizeitsport geeignet sei für Menschen jeden Alters. Die Frage, ob diese Annahme berechtigt ist, wird in der nächsten Zukunft beantwortbar sein. Wenn Freizeitsport mit Spaßsport gleichzusetzen ist, so sind diesbezüglich jedoch bereits heute Zweifel angebracht. Mit der Verwendung des Begriffes „Spaß“ wird zum einen so getan, als ob im Leistungssport Spaß nicht vorkomme und dieser ausschließlich dem Freizeitsport vorbehalten ist. Wenn es im Freizeitsport vorrangig nur um Spaß geht, dann kommt zum anderen jenes Verständnis von Sport gar nicht zum Tragen, das diesen in einem engeren Sinne auszeichnet. In der Tendenz befindet sich der Freizeitsport zunehmend auf der Seite des „inszenierten Spaß“. Der Spaß wird dabei zum zentralen Sinnersatz. „Ich will Spaß haben, ganz einfach Spaß“ wird zur Motivstruktur des Sports. Der Spaß täuscht dabei über das universale Sinndefizit in unserer Gesellschaft hinweg. Der Spaß im Freizeitsport wird immer entschiedener „durch Spaßmaschinen“ erzeugt, die von seiner finanzstarken Konsumindustrie hergestellt werden. Adorno wird in seiner Skepsis heute mehr denn je bestätigt. Die Freizeitindustrie kettet die Freizeit an ihren Gegensatz (vgl. Adorno 1969, 57, zit. n. Parmentier 1989). „Die Spaßproduktion verstärkt die Sinnvernichtung, über die sie hinweghelfen soll“ (Parmentier 1989, 113). Der Freizeitsport ist zu allererst Geschäft. Freie Zeit ist nicht frei verfügbare Zeit, sie ist kostenintensive Zeit. Freizeitsport wird direkt oder indirekt angedreht und organisiert um des Profits willen. Freizeitsport ist in aller Konsequenz Konsumsport. Der Freizeitsportler steht unter der Herrschaft des Konsums (vgl. Schelsky 1956, 258). Opaschowskis Freizeitfuturologien bzw. Apologien werden immer deutlicher entlarvt. Parmentier wirft ihm meines Erachtens zu Recht einen „Readers-Digest-Optimismus“ vor (vgl. Parmentier 1989, 113). Seine von ihm so oft propagierte „Freizeitpersönlichkeit“ erinnert tatsächlich an jenen Typ des „sekundären Analphabeten“, den Enzensberger einmal so eindrucksvoll beschrieben hat (vgl. Parmentier 1989, 113): „Er hat es gut, denn er leidet nicht an Gedächtnisschwund, an dem er leidet, dass er über keinen Eigensinn verfügt, erleichtert ihn. Dass er sich auf nichts konzentrieren kann, weiß er zu schätzen. Dass er nicht weiß und nicht versteht, was ihm geschieht, hält er für einen Vorzug. Er ist mobil, er ist anpassungsfähig, er verfügt über ein beträchtliches Durchsetzungsvermögen. Wir brauchen uns also keine Sorge um ihn zu machen. Zu seinem Wohlbefinden trägt bei, dass der sekundäre Analphabet keine Ahnung davon hat, dass er ein sekundärer Analphabet ist. Er hält sich für wohl informiert, kann Gebrauchsanweisungen, Piktogramme und Schecks entziffern und bewegt sich in einer Umwelt, die ihn hermetisch gegen jede Anfechtung seines Bewusstseins abschottet. Dass er an seiner Umgebung scheitert, ist undenkbar. Sie hat ihn ja hervorgebracht und ausgebildet, um ihren störungsfreien Fortbestand zu sichern. Der sekundäre Analphabet ist das Produkt einer neuen Phase der Industrialisierung“ (Enzensberger 1985).

Nicht nur einige Ideologen des Freizeitsports versprechen den Menschen „Selbstverwirklichung“. Fragt man, was denn unter dem Ziel der Selbstverwirklichung zu verstehen sein könnte, so wird dieses Ziel allerdings sehr schnell fraglich. Was wird verwirklicht, wenn man das Selbst verwirklicht? Wie weiß man, ob man das Selbst verwirklicht hat, oder etwas anderes? Was geschieht, wenn man endlich das Selbst angeblich verwirklicht hat? Auf all diese Fragen können Sportpädagogen, die dem Konzept der Selbstverwirklichung folgen, keine Antwort geben. Vielmehr ist zu vermuten, dass es sich dabei um ein Trugbild der Selbstverwirklichung, um ein „vormodernes Muße-Ideal“ handelt. Parmentier schlägt deshalb zu Recht vor: „Nützen wir unsere Freizeit für den Aufbau einer demokratischen und weltoffenen Kultur. Der Spaß kommt dann von selbst“ (Parmentier 1989, 116). Die Entwicklung des Freizeitsports befindet sich jedoch auf einem anderen Weg. Auch im Freizeitsport lässt sich schon seit längerer Zeit ein pädagogisch getarntes Sponsorship und eine pädagogisch getarnte Animationskultur beobachten, die letztlich nur um des Profites wegen erzeugt wird. Ganz offensichtlich ist es so, dass der „Aufschüttung neuer Berufsinseln“ auch im Bereich des Sports keine Grenzen gesetzt sind. Es kommt auch im Sport dadurch zu einer freizeitkulturellen Umwertung aller Werte. Rittelmeyer fasst dies so in Worte: „Die Lust an der Irritation ist bereits so weit gediehen, daß die Produktion immer neuer Scheinwelten statt Aufklärung gefragt ist“ (Rittelmeyer 1989, 123). Er weist dabei darauf hin, dass die Kettung der Freizeit an ihr Gegenteil so weit gediehen ist, dass jede neue Initiative, die zur Selbstverwirklichung und Selbstbestimmung angekurbelt wird, letztlich von der Gegenwelt eingeholt wird. „Jede revoltierende Aktivität gerät sogleich selber zum Moment des Systems, wird diesem zum sehnlichst gesuchten Vergnügen, denn das System macht sich sogleich auf seine Weise zum unerbetenen Mit-Revolutionär““ (Rittelmeyer 1989, 123). Was dabei gemeint ist, lässt sich auch im Sport beobachten. So wie die Werbeindustrie die Alternativszene eingefangen hat, so hat die Freizeit- und Konsumindustrie auch berechtigte Anliegen einer alternativen Sportbewegung längst erfasst. Auf diese Weise befindet sich Sportpädagogik, vorgetragen als Freizeitsportpädagogik, in der Gefahr, zur bloßen Entertainment-Pädagogik zu verkommen. Sie wird dann Teil einer umfassenden Unterhaltungsindustrie.

Im eigentlichen Sport, z.B. bei der Teilnahme an Wettkämpfen der Leichtathleten, geht es nicht ohne langfristige Anstrengung, ohne systematisches Lernen und Trainieren, ohne eine zumindest zeitweise asketische Einstellung. Wer nur im Hier und Jetzt lebt, nur seine aktuellen Wünsche befriedigen möchte, sich keine anspruchsvollen Ziele setzt, der wird kaum bereit sein, sich auf das Phänomen des Wetteifers im Sport einzulassen. Gerade im Gegensatz zum Freizeitsport geht es in dem von mir gemeinten Wettkampfsport somit nicht um den Augenblick, um das unmittelbare Hier und Jetzt, sondern um die sehr viel tiefere Freude an einer Leistung, die auf der Grundlage einer historisch geprägten und auf Zukunft ausgerichteten Anstrengung und Leistungsbereitschaft erbracht wird. Natürlich kann überzogenes Leistungsdenken auch Gefahren in sich bergen. Betrug, Manipulation und die Partner gefährdende Aggression sind im Leistungssport allenthalben zu beobachten. Auch übermäßiger Leistungsdruck im Training und im Wettkampf wird der Identitätsbildung gewiss kaum nützen. All dies sind jedoch keine prinzipiellen Argumente gegen das Leistungshandeln und das Wetteifern im Sport.

Der Wettkampf war, ist und sollte vielmehr auch in der weiteren Zukunft die zentrale Aufgabe der Vereine und bedeutsamer didaktischer Inhalt des Schulsports sein. Akzeptiert man diese Forderung, so heißt dies freilich nicht, dass nun alles beim Alten bleiben kann, dass die Rezepte der 50er Jahre, die Moden der Zukunft sein können. Neue Formen des Übens, Spielens, Trainierens sind notwendig, neue Wettkampferlebnisse sind zu kreieren, Kreativität und Innovationsbereitschaft sind angesagt. Biedenkopfs Aussage gilt auch für den Sport: „Jede Art von Tätigkeit kann auf kultivierte oder auf barbarische Weise betrieben werden“. Wir müssen uns um die kultivierte Art des Wetteiferns im Sport bemühen.


Literaturverzeichnis

Gebauer, G.: „Leistung“ als Aktion und Präsentation. In: Sportwissenschaft 2 (1972) 2, 182-203.

Gebauer, G.: Festordnung und Geschmacksdistinktion. Die Illusion der Integration im Freizeitsport. In: Hortleder, G./ Gebauer, G. (Hrsg.): Sport – Eros – Tod. Frankfurt 1986, 113-143.

Parmentier, M.: Katastrophenangst und Freizeitspaß – Inszenierung in der Postmoderne. In : Freizeitpädagogik 11 (1989), 3-4, 105-112.

Rittelmeyer, C.: Freizeit – Bildung – Spiel. In: Freizeitpädagogik 11 (1989), 3-4, 119-132.

Schelsky, H.: Beruf und Freizeit als Erziehungsziele in der modernen Gesellschaft. In: Die deutsche Schule, 48 (1956).

Weiss, O.: Warum Leistungssport für Schüler sinnvoll ist. Eine anthropologische Begründung. In: Leibesübungen – Leibeserziehung 43 (1989) 6, 3-7.


letzte Überarbeitung: 10.04.2018

Erstveröffentlichung: Wettkampfsport im Verein und im Verband – Eine kulturelle und pädago­gische Notwendigkeit. In: Digel, H. (Hrsg.): Wettkampfsport – Wege zu ei­ner besseren Praxis. Aachen 1991, S. 9-20.