Warum die aktuellen Reformbemühungen des deutschen Hochleistungssports scheitern müssen

Die Bemühungen um die Reform des Hochleistungssports in Deutschland, mit dem Ziel ihn wieder international auf höchstem Niveau konkurrenzfähig zu machen, gleicht einer „unendlichen Geschichte“ bei der ein Ende nicht absehbar ist. Im vergangenen Jahrzehnt und auch zuvor wurden mehrere Reformprogramme vom DSB und dessen Nachfolger von DOSB verabschiedet. Sie zielten auf das Problem der Trainerqualifikation¹, einer besseren Begleitung der Kaderathleten, auf eine Optimierung der Trainings- und Betreuungsmaßnahmen der Athletinnen und Athleten, auf die Belohnungs- und Kostenerstattungs-und Besoldungssysteme für die Athleten aber auch für die Trainer, auf das Problem der Rekrutierung von Nachwuchstrainern etc. Das aktuelle 10-Punkte-Programm des DOSB zur Dualen Karriere für die Jahre 2021 – 2028 ist in diese Fortschreibung von Konzeptionen einzuordnen. Ungeachtet der realen praktischen Wirksamkeit ist sich der DOSB bei aller Bescheidenheit sicher: „Internationale Vergleiche, aber auch zahlreiche EU-Projekte belegen, dass aktuell Deutschland in Bezug auf die Systematik der Herangehensweise in dieser komplexen Thematik der Dualen Karriere weltweit führend ist.“ Diese Selbstzuschreibung und damit zum Ausdruck gebracht Selbstüberschätzung kann angesichts der Reichweite der aktuellen Krise des deutschen Hochleistungssports eigentlich nur noch als ärgerlich bezeichnet werden. 

Der Problem- Katalog könnte fortgeführt werden. Einen gewissen Höhepunkt dieser Reformbemühungen bildete dabei die Einführung des sog. Potenzial-Analyse -Systems („POTAS“), an dem vor allem das Bundesministerium des Innern interessiert war, um auf diese Weise die Mittelzuwendung für die zu fördernden Athleten transparenter und erfolgsorientierter auszurichten. Immer war man dabei an sog. “Top -Down“ Lösungen interessiert. Man nahm an, dass dann, wenn die Strukturen an der Spitze der Leistungspyramide angemessen verändert werden, sich der Erfolg schon wieder einstellen würde. Das eigentliche Problem des deutschen Spitzensports wurde somit und wird auch noch derzeit in erster Linie als ein Steuerungsproblem gesehen. Deshalb ist man auch gerade heute noch auf der Suche nach der angemessenen Steuerungsinstanz für das gesamte System. Neue Steuerungsmodelle aus der Wirtschaft oder aus der Konzeption von Stiftungen stehen dabei ebenso zur Diskussion wie eine stärkere staatliche Steuerung.
Auffällig ist dabei, dass in allen veröffentlichten Reformvorschlägen die Frage zu keinem Zeitpunkt gestellt und angemessen diskutiert wurde, wo der Ausgangsort für eine Leistungsportkarriere einer Athletin oder eines Athleten sein soll, wo die Basis für eine erfolgreiche Karriere im Leistungssport zu verankern ist. Dass das Problem des deutschen Spitzensports auch ein Problem des „Bottom Up““ sein könnte, wurde in den jüngeren Diskussionen über die Reformmaßnahmen so gut wie nicht berücksichtigt. 
Stillschweigend wurde und wird vielmehr dabei angenommen, dass die Basis des deutschen Spitzensportsystems heute und auch in der weiteren Zukunft die Turn-und Sportvereine sein sollen, so wie sie es über die vergangenen Jahrzehnte gewesen sind. Noch im Jahr 2005 wurde der Sportverein in einem Beitrag in der Zeitschrift „Leistungssport“ als der wahreFruchtboden“ für die leistungssportliche Grundbildung der Kinder und Jugendlichen betrachtet. Die Talentförderung im Sportverein stand im Zentrum der Analysen und Konzeptualisierungen. Die Vereine galten als Grundlage und Keimzelle des Nachwuchsleistungssports (vgl. Leistungssport, 2005 H. 5/6). 

Kinder und Jugendliche finden demnach den Weg zur sportlichen Höchstleistung über das Sportangebot in der jeweiligen Sportart in einem Turn-und Sportverein. Dieser soll zumindest beim Karriere-Beginn der zentrale Ort sein, an dem der Athlet trainiert, von dem aus er seine ersten Wettkämpfe bestreitet und mit dem sich der Athlet identifiziert. Der Turn- und Sportverein ist sozusagen die „Heimat der Höchstleistung“ des bundesdeutschen Sports. Andere deutsche Erfahrungen und Ansätze wurden bewusst vernachlässigt und des Öfteren auch diffamiert. Obwohl in den 1990er und 2000er Jahren gut belegt wurde, dass der Anteil von Kaderathleten bestimmter Olympischer Sportarten in den neuen Ländern signifikant höher lag als in den alten Ländern und dass die Vergabe des „Grünen Bandes“ für vorbildliche Talentförderung in den Vereinen überproportional an ostdeutsche Vereine erfolgte, wurden die Basisstrukturen des DDR- Sports völlig unzureichend und vor allem vorurteilsbeladen reflektiert. Im oben bereits zitierten Beitrag in der Zeitschrift Leistungssport sind hierzu folgende Ausführungen zu finden: „Die Befunde sind nicht verwunderlich, da heutige Eliteschulen des Sports einschließlich der Sportinternate schließlich Nachfolgeeinrichtungen oder aber Adaptionen der früheren Kinder- und Jugendsportschulen (KJS) sind, der Wettbewerb „Jugend trainiert für Olympia“ letztlich den Versuch einer Reaktion auf die Kinder- und Jugendspartakiade der DDR darstellt und sich in Olympiastützpunkten in den neuen Bundesländern heute Funktionsanteile der früheren Sportclubs (SC) wiederfinden.“ (Leistungssport 2005, H.6, S.54). Analysiert man diese Aussagen genauer, gelangt man zu der Feststellung, dass die Autoren weder die Strukturen und Funktionen der alten DDR- KJS der 70er und 80er Jahre verstanden haben und – das wiegt sehr viel schwerer – dass die innovativen Transformationsleistungen auf dem Gebiet der eher schulgebundenen Leistungssportförderung, beispielsweise an der Brandenburgischen Spezialschule Sport (Potsdam; Cottbus; Frankfurt/O.) völlig verkannt wurden. Eine Eliteschule des Sports in NRW oder eine NRW-Sportschule unterscheidet sich trotz gleichen Prädikats erheblich von den brandenburgischen Spezialschulen. Die dort eingesetzte Zahl der Lehrertrainer, das leistungssportliche Trainieren auf der Grundlage schulinterner Lehrpläne (SILP), die Schaffung schulischer Zeitfenster für ein zweimaliges Training je Schultag, die Flexibilisierung des Prüfungsgeschehens (Additives Abitur), die Ermöglichung multisportiver Wechseldynamiken, schulnahe Wohnheime und eine hohe zeitliche Flexibilität im Jahresablauf schaffen Förderbedingungen für einen humanen Leistungssport, der zu einer aufgeklärten liberalen Demokratie passt. Die Gründe für das bewusste Verkennen, Ignorieren und Ausblenden derartiger Errungenschaften sind vielfältig. Die Bereitschaft des „Westens“ vom „Osten“ zu lernen war und ist noch immer schwach ausgeprägt und das Engagement des „Ostens“ diese Vorzüge ambitioniert zu propagieren ließ und lässt auch heute noch zu wünschen übrig.
Die Konzeptionen und Modelle der eher vereinsgebundenen Leistungssportförderung in den alten Bundesländern, waren in der Vergangenheit durchaus erfolgreich. Doch es stellt sich die Frage, ob diese Basis auch in diesen Tagen für die Entwicklung junger Talente zu Gunsten einer erfolgreichen Leistungssportkarriere nach wie vor in gleicher Weise geeignet ist oder ob es ergänzt werden oder gar an dessen Stelle eine neue Basis geschaffen werden muss. 

Will man diese Fragen beantworten, so muss man zunächst die Situation beleuchten, in der sich die Vereine derzeit befinden. Man muss sich fragen wie sich die Situation der Vereine in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt und verändert hat und welche Rolle im Angebot der Turn- und Sportvereine in Deutschland leistungssportorientierte Trainings- und Wettkampfangebote spielen. 

Tut man dies, so wird man schnell erkennen, dass sich die Turn- und Sportvereine in den vergangenen Jahrzehnten in ihren Strukturen, bei ihrem Personal, in Bezug auf Ihr Angebot und in Bezug auf die Professionalität von jenen Personen, die für den Talentbereich des Wettkampf- und Leistungssports verantwortlich sind, erheblich verändert haben. Gäbe es in Deutschland einen exakten „Sportatlas“, in dem alle Vereine mit ihrem Angebot und mit ihrem für die Unterbreitung eines fachlichen Angebots vorhandenen Personals transparent ausgewiesen wären, so müsste man erkennen, dass immer weniger Vereine in der Lage sind, insbesondere für die Olympischen Sportarten ein spezifisches Angebot zu unterbreiten, das auf individuelle Talententwicklung und Leistungsoptimierung angelegt ist.
Möchte zum Beispiel ein Kind oder ein Jugendlicher in dem Ort, in dem ich wohne, Leichtathletik betreiben, so gibt es beim ansässigen Turn-und Sportverein für dieses Interesse kein Angebot. Das betreffende Kind müsste mindestens eine Fahrdistanz von 30 km überwinden, um ein geeignetes Angebot in einem Verein zu finden. Ist ein Jugendlicher in meiner Gemeinde an Badminton oder Hockey interessiert, so erhöht sich die Fahrdistanz bereits auf 50 km. Die quantitative und qualitative Differenz zwischen den einzelnen Olympischen Sportarten in Bezug auf erreichbare und tatsächlich unterbreitete Angebote für Wettkämpfe und Training ist dabei unter geographischen Gesichtspunkten teilweise äußerst dramatisch.
Doch selbst wenn ein Kind oder ein Jugendlicher in der näheren Umgebung seines Wohnorts das von ihm erwünschte Angebot in einer Olympischen Sportart finden kann, stellt sich die Frage, ob das ihm unterbreitete Angebot den Ansprüchen genügen kann, die zu beachten sind, wenn tatsächlich eine Spitzensportkarriere in der gewählten Sportart von einem Jugendlichen angestrebt werden soll. Welche Qualität und welche Professionalität weisen der Übungsleiter, der ja meist ehrenamtlich arbeitet, oder der nebenamtliche Trainer bei der Unterbreitung des Angebots, also bei deren nahezu täglichen Arbeit auf, wie sie für den heutigen Hochleistungssport erforderlich ist. Auf welchem Stand des fachlichen Wissens befinden sie sich, werden sie regelmäßig fort- und weitergebildet, über welche pädagogischen und psychologischen Fähigkeiten verfügen sie? Sind die Trainingsstätten und deren Geräteausrüstung angemessen? 

Die hier versuchte Situationsanalyse müsste umfassender und noch genauer fortgeführt werden. Sie müsste vor allem sportartspezifisch und innerhalb der Olympischen Sportarten für jede einzelne Disziplin transparent, objektiv, reliabel und valide durchgeführt werden. 

Das Ergebnis dieser Analyse kann jedoch vorweggenommen werden: Wer sich die Mühe macht und die Basis des Spitzensports in Deutschland genauer beleuchtet, wird sehr schnell erkennen, dass die Turn- und Sportvereine heute nur noch sehr unzureichend eine professionelle und fachlich kompetente und pädagogisch und psychologisch qualifizierte Basis für die Entwicklung des Hochleistungssports darstellen. Vereine, die im Schwerpunkt wirklich an der Entwicklung des Hochleistungssports einer bestimmten Sportart beteiligt sein möchten und sich dafür interessieren, stehen heute nur noch in begrenzter Zahl zur Verfügung. Ein Großteil der gegenwärtigen Sportvereine ist schlicht überfordert und auch nicht mehr gewillt, wenn sie die komplexen Anforderungen einer systematischen Talentförderung bewältigen sollen. 
Was könnte neben einer sachlichen Aufarbeitung der deutschen Förderstrukturen noch notwendig sein? Über was muss nachgedacht werden? 

Nahe liegend könnte es zum Beispiel sein, dass man sich zunächst einmal fragt, wie sich die Basis des Hochleistungssports in anderen Sportnationen darstellt. Über welche Basisstrukturen verfügt der olympische Hochleistungssport in den USA? Welche sind in den weiteren angelsächsischen Nationen wie Großbritannien, Australien, Neuseeland anzutreffen? Welche Basis gibt es in im Sport zentralistisch ausgerichteten Sportsystemen wie in Frankreich oder Italien? Welche Verhältnisse lassen sich in Ländern wie Polen, Ukraine aber auch in Ungarn antreffen? Welche schulischen Strukturen beeinflussen in welcher Weise den sportlichen Erfolg in totalitären Systemen wie Russland und China? 

Ganz wichtig wäre es wohl auch, dass man aus einer theoretischen Position heraus die Frage stellt, welche Basisstrukturen für die Entwicklung des Hochleistungssports prinzipiell für das Gesamtsystem eines Hochleistungssports zur Verfügung stehen?  

  • Bei der Beantwortung dieser Frage wird man in Deutschland zunächst und vor allem die Möglichkeiten und Grenzen der eingetragenen gemeinnützigen Vereine erkennen.
  • Daneben müssten staatliche Strukturen beachtet werden, so wie sie ja auch in den Sportsystemen der Konkurrenten anzutreffen sind. 
  • Drittens müssten private Strukturen in den Blick genommen werden. Auch hier finden sich erfolgreiche Beispiele bei den Konkurrenten. 
  • Weiter wäre der Sektor der Wirtschaft, also z.B. Wirtschaftsunternehmen zu beachten, die ebenfalls in einigen Sportnationen an der Basisförderung beteiligt sind.
  • Schließlich könnte es aber auch eine Basisstruktur sein, die heute noch gar nicht vorhanden ist, sondern innovativ und kreativ neu zu schaffen wäre, um eine erfolgreiche Zukunft des deutschen Spitzensportsystems abzusichern. Es spricht dabei manches auch für hybride Lösungen. Die Bildung von Leistungssport – Vereinen an den Eliteschulen des Sports, die Kenn- und Auszeichnung von leistungssportfreundlichen Schulen durch KMK und DOSB könnte durchaus ein weiterführender Ansatz sein. 

Es scheinen somit unter prinzipiellen Gesichtspunkten für die Weiterentwicklung des deutschen Hochleistungssportsystems fünf unterschiedliche Basisstrukturen zur Verfügung zu stehen und es müsste geprüft werden, welche dieser Möglichkeiten angesichts der aktuellen Entwicklungssituation des deutschen Sports unter Berücksichtigung unseres Gesellschaftssystems die geeigneten sind. Ob Kombinationen von verschiedenen Strukturen einen erfolgsversprechenden Weg eröffnen, wäre ebenfalls zu prüfen. Dabei müssten auch die Unterschiede zwischen Individualsportarten und Mannschaftssportarten, die auf Spezialsportstätten angewiesen sind, wie zum Beispiel Rudern, Kanu, Wildwasser, Wintersport (Skisprung, Bob, Biathlon, Schlitten, Skeleton, Eislauf) und Bahnradsport in den Blick genommen werden. 

Für viele Olympische Sportarten scheinen private Basisstrukturen unter Kostengesichtspunkten und mit Berücksichtigung der Quantität der zu fördernden Athletinnen und Athleten kaum wahrscheinlich zu sein. In einigen Olympischen Sportarten sind jedoch bereits zunehmend auch private Initiativen an der Basis zu erkennen so zum Beispiel im alpinen Skirennsport. Der Hochleistungstennissport hat zunehmend private Basisstrukturen aufzuweisen und in einigen weiteren Olympischen Sportarten gibt es diesbezüglich bereits Konkurrenz zu bestehenden Vereinsstrukturen. Mittlerweile sind auch von vermögenden Eltern privatfinanzierte Jugendteams im Olympischen Hochleistungssport keine Ausnahme mehr.  

Industrieunternehmen, d.h. die Wirtschaft als Basis für den Hochleistungssport zu erachten, scheint nur bedingt ein erfolgsversprechender Weg zu sein, denn bislang haben Betriebssportstrukturen in Deutschland zumindest bei der Entwicklung des Hochleistungssports keine Rolle gespielt und Wirtschaftsunternehmen sind in der Regel nur an der Vermarktung sportlicher Höchstleistungen interessiert. Ein Interesse an Maßnahmen zur Talentsichtung, zur Förderung und Begleitung der Talente in langfristigen Karrieren, die ja auch mit vielen Risiken verbunden sind, kann bis heute nicht erkannt werden. Werden ganze Teams des Hochleistungssports von Wirtschaftsunternehmen geführt und verantwortet, wie dies in Asien meist bei Bankunternehmen oder in Afrika bei staatlichen Unternehmen wie der Polizei, Feuerwehr, Eisenbahn und Armee der Fall ist, so werden von dieser Förderung in der Regel nur „fertige“ erwachsene Athleten berücksichtigt. Dies gilt auch für „Red Bull“, das wohl international erfolgreichste private Sportteam der Wirtschaft. 

Erfolgversprechender scheint ein Blick auf die möglichen staatlichen Strukturen zu sein zumal es hierfür in der Vergangenheit immer wieder Beispiele gegeben hat, bei dem diese an der Entwicklung von jungen, talentierten Athletinnen und Athleten eine wichtige Rolle spielen konnten. 

Bei den möglichen staatlichen Strukturen ist zunächst und vor allem an das öffentliche Schulwesen zu denken. Da es eine Schule nahezu an jedem Ort gibt, wären Schulen vermutlich eine vergleichbar umfassende Basisstruktur wie die – bis heute die Sportstrukturen bestimmenden – Turn- und Sportvereine. Es waren jedoch vor allem die Olympischen Fachverbände, die in der Vergangenheit der Bundesrepublik die Bedeutung des öffentlichen Schulwesens für die Entwicklung des Hochleistungssports (im Gegensatz zur ehemaligen DDR) ganz wesentlich unterschätzt hatten und dies auch noch bis heute tun. Dabei liegt es eigentlich auf der Hand, dass staatliche Schulen eine weit höhere Professionalität und damit auch aus institutioneller und organisationstheoretischer Sicht eine höhere Qualität in Bezug auf die Führung von jungen Menschen aufweisen können als dies für freiwillige Vereinigungen, wie zum Beispiel für den Turn- und Sportverein der Fall und möglich ist. Der fachliche Vergleich beider Institutionen legt den Gedanken eigentlich sehr schnell nahe, dass man sich auch eine Kombination von beidem vorstellen könnte. 
Das „Rad“ müsste dabei keineswegs „neu erfunden“ werden, wie ein Blick auf die jüngere Geschichte der Bundesrepublik zeigen kann. Bei diesem Blick kommt mir eine erst jüngst erstellte umfassende Analyse von Klaus Paul2 zur Hilfe, dem ehemaligen leitenden Ministerialbeamten im hessischen Kultusministerium, der über Jahrzehnte die Sportpolitik Hessens, vor allem aber auch die Entwicklung des Bundeswettbewerbs der Schulen „JUGEND TRAINIERT FÜR OLYMPIA mitgeprägt und begleitet hat:  

Seit die Leibeserziehung, die Leibesübungen, Spiel und Sport zum Unterrichtsfach an öffentlichen Schulen werden konnten, sind sportliche Wettkämpfe von Schülerinnen und Schülern ein konstituierendes Merkmal dieses Unterrichtsfaches. Dies gilt auch für den „Sportunterricht“, wie das Fach nun seit circa 50 Jahren im Kanon der Unterrichtsfächer des öffentlichen Schulwesens genannt wird. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es bereits in den frühen fünfziger Jahren regionale Schul-Mannschaftswettbewerbe auf der Grundlage der Bundesjugendspiele in den Sportarten Leichtathletik, Schwimmen und Turnen sowie in Fußball, Handball Basketball und Tischtennis, die in Rundenspielen ihre Schulmeister ermittelten. Diese Wettbewerbe wurden in der Regel von engagierten Sportlehrkräften und /oder von den Schülern selbst im Rahmen der Schülermitverwaltung (SMV) ausgeschrieben und organisiert. Schulen organisierten Schulsportfeste und nahmen auch an stadtweit organisierten Staffelläufen für unterschiedliche Jahrgänge und Streckenlängen mit eigenen Mannschaften teil. Es fanden „Sportwochen“ statt. In den größeren Städten gab es jährlich schulische Stadtmeisterschaften und viele Städte hatten auch schon eigene Schulauswahlmannschaften, mit denen sie gegen Auswahlmannschaften anderer Städte antraten. In einer Stadt wie Wiesbaden gab es zum Beispiel eine „Handballspiel-Runde“ von Herbst bis Ostern zur Ermittlung des Schulhandballmeisters. Gleiches gab es für Fußball, Schwimmen, Turnen und Tischtennis.
Diese Aktivitäten konnten von einer besonders engagierten Schülerschaft eines Wiesbadener Gymnasiums nur verfolgt werden, weil sie eine besonders kreative Idee in die Tat umgesetzt hatten: Sie führten für alle Schüler der Schule einen „Sportgroschen“ ein, der monatlich zu entrichten war. Auf diese Weise standen bei 1200 Schülern dem Sportausschuss der SMV monatlich 120 DM zur Verfügung. Damit konnten Fahrten zu Wettkämpfen finanziert werden und fehlende Wettkampftrikots beschafft werden.
Durch den Erfolg der in Wiesbaden geschaffenen schulischen Sportstrukturen wurden die Schüler und Lehrkräfte ermutigt, zum ersten Mal nach dem Krieg alle Schulen aus Hessen zu einem Handball- Turnier einzuladen. Ab 1954 wurden dann jährlich „Hessen-Meisterschaften der Schulen“ durchgeführt. Diese Meisterschaften wurden sehr bald auch von örtlichen Vereinen unterstützt und auch die Hessischen Sportfachverbände waren an diesen Hessen – Meisterschaften sehr interessiert. Ab 1960 gab es dann bereits die deutschen Schulhandballmeisterschaften an wechselnden Austragungsorten. Innerhalb des deutschen Handballbundes war der Schulhandball zu dieser Zeit sehr geschätzt.
Eine ähnliche Entwicklung nahmen auch die Sportarten Basketball, Volleyball und Fußball, wobei oft die Sportlehrkräfte der Schulen auch wichtige Funktionen in den jeweiligen Fachverbänden ausübten. Sie organisierten Turniere und Wettbewerbe bis zur Ermittlung der jeweiligen deutschen Schulmeister.
1969 gab es das erste Bundesfinale „Jugend trainiert für Olympia“ und dabei spielte Leichtathletik wie in der gesamten Weiterentwicklung von „Jugend trainiert für Olympia“ eine wichtige Rolle. Der deutsche Leichtathletikverband zeigte ab der ersten Stunde seiner Neugründung im Jahr 1950 Interesse an der schulischen Leichtathletik. Bereits 1953 wurden deutsche Schulmeister der Leichtathletik über einen Fern- Mehrkampfwettbewerb ermittelt. Leichtathletische Leistungen, die Schüler in der Schule erbracht hatten, wurden an die Geschäftsstelle des DLV gemeldet und dort wurde über die eingegangenen Wettkampfdaten der deutsche Schulmeister der Leichtathletik ermittelt.
Waren es 1954 2919 Schulmannschaften, die an der DJMM teilnahmen, so waren es 1964 bereits 15.528 Mannschaften. Bereits in diesem Jahr war die Zahl der teilnehmenden Schulmannschaften um das 7,35fache größer als die Zahl der teilnehmenden Leichtathletik- Vereine, die nur 2112 Mannschaften an den Start brachten.
Im Zeitraum 1950 bis 1970 gründeten sich in Deutschland auch zahlreiche „Schulsportvereine“. 1959 stand an der Spitze der Tabelle der Deutschen Jugend- Mehr kampfmannschaftsmeisterschaften des DLV sogar der „Schulsportverein Gymnasium Bad Kreuznach“. Damit hatte zum ersten Mal ein Schulsportverein die Spitzenposition aller deutschen Jugendleichtathletikmannschaften inne. Für den damaligen DLV war es deshalb wichtig, in einer seiner Präsidiumssitzungen folgendes zu protokollieren: „Für die Weiterentwicklung der Leichtathletik ist es unerlässlich, dass das Verhältnis Schule – Verein immer harmonischer wird und die Möglichkeiten der Förderung der Leichtathletik durch die Teilnahme der Lehrer aller Schularten an den Lehrgängen des DLV und der Länder weiter ausgebaut werden.“ Im DLV-Jahrbuch 1965 wird deshalb die Absicht bekundet, „die Zahl der Leichtathletikwettkämpfe der Schulen zu erhöhen. Die Schulbesten sollen in den einzelnen Disziplinen zu Schülermeisterschaften der Städte, Kreise und Länder eingeladen werden. Die talentierten Jugendlichen aus den Neigungsgruppen der Schulen sollen im Beratungslehrgängen der Landessportschulen und der DLV-Leistungszentren zusammengefasst werden“. 
Dazu ist es jedoch nie gekommen. Vielmehr wurde von immer mehr olympischen Sportfachverbänden der Schulsport kritisiert. Es wird eine „Schulsportmisere“ behauptet, ohne sich allerdings auf fundierte Daten über das damit angesprochene Problem berufen zu können. Den Sportlehrkräften wird pauschal vorgeworfen, dass ihr Engagement zu Gunsten des Vereinssports nur noch selten vorhanden sei, ohne allerdings exakte statistische Erhebungen über die Beteiligung von Sportlehrkräften in ihren Vereinen und Verbänden vorgenommen zu haben. Es muss an dieser Stelle überraschend konstatiert werden, dass es eine derartige Erhebung bis heute noch immer nicht gibt. 
Auch bei der Verwendung des Begriffs der „Schulsportmisere“ fällt auf, dass wohl dabei vom „Schulsport“ gesprochen wird, die Kritik jedoch vorrangig auf den Sportunterricht und die obligatorischen Stundentafeln zielt.
Dass die Mängel des Schulsports nach dem Krieg und bis in die 1970er Jahre möglicherweise auch auf eine sehr schlechte Schulraumsituation, auf unzureichende oder nicht vorhandene schulische Sportstätten und auf einen Mangel an akademisch ausgebildeten Fachlehrkräften zurückzuführen ist, wird in der pauschalen Kritik der Sportorganisationen am Schulsport so gut wie gar nicht berücksichtigt. Die immer wieder geforderte tägliche Sportstunde und die Kritik, dass nicht einmal die dritte Sportstunde bundesweit gesichert ist, verweist allerdings eher auf ein Scheitern der Sportpolitik des DSB bzw. des DOSB und der Olympischen Fachverbänden bei der Durchsetzung ihrer Interessen gegenüber den jeweiligen Bundesregierungen, den Abgeordneten im Deutschen Bundestag und insbesondere gegenüber der KMK und den zuständigen Landesregierungen. Denn in den Schulen tätigen Sportlehrkräften ist dies ganz gewiss nicht vorzuwerfen. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Olympischen Sportfachverbände aber auch die Landessportbünde in der seit 1965 bestehenden „Kontaktkommission“ zwischen der Kultusministerkonferenz (KMK) und dem DSB bzw. DOSB in den jeweiligen Delegationen des Sports nie vertreten waren. 

Dabei kann man in der Zeit von 1965 bis 1972 durchaus von einer gewissen Aufbruchstimmung sprechen, von der sowohl die Sportorganisationen als auch die Verantwortlichen für den Schulsport im öffentlichen Bildungswesen in Bezug auf die Förderung des Wettkampfsports von Schülerinnen und Schülern erfasst waren. So verabschiedete das Kultusministerium von Nordrhein-Westfalen 1968 einen „Förderplan Leistungssport“. Im selben Jahr kam es in Hessen zur Gründung eines „Schulsportzentrums Schuldorf Bergstraße“ auf der Grundlage eines Entwurfs des „Aktionsprogramms der Landesregierung zur Förderung des Sports in Schulen und Vereinen“. Vergleichbare Förderprogramme zu Gunsten des Leistungssports wurden in Rheinland-Pfalz, Berlin Baden-Württemberg, Niedersachsen und Saarland verabschiedet.  

Beim 23. Verbandstag des DLV in Berlin 1971 wurde die Startberechtigung der Schulen an der DJMM aufgehoben und die Schulen wurden auf die Beteiligung an dem schulischen Mannschaftswettbewerb „Jugend trainiert für Olympia“ verwiesen.
Nicht nur in der Leichtathletik begann bereits damals eine immer mehr ideologisch geprägte Diskussion über die Bedeutung der schulischen Sportwettkämpfe. Viele Funktionäre und Trainer vertraten immer häufiger die Ansicht, dass die schulischen Wettkampfstrukturen ihre Vereinsarbeit durch Abwerbung von Schülern aushöhlen würden und sie glaubten, dass ihr Alleinvertretungsanspruch für ihre Sportart verloren gehen könnte. Nicht nur einige führende Funktionäre, sondern auch Bundestrainer in herausragenden Positionen innerhalb der Sportfachverbände haben seitdem immer wieder die Vermutung nahegelegt, dass sie die Chancen der Kooperation von Schule und Sportvereinen für die Leistungssportentwicklung nicht erkannt bzw. nicht verstanden haben. 
Diesbezüglich hat sich bis heute nur wenig verändert. Es gibt wohl in Deutschland die 43 „Eliteschulen“ für den Sport im öffentlichen Bildungswesen mit ihren Sport- Internaten, die längst zu einer der tragenden wichtigen Säulen für Athleten im Pflichtschulalter und darüber hinaus geworden sind. Die Akzeptanz schulsportlicher Wettbewerbe allerdings, die in nahezu allen Schulen und von der Schulgemeinde insgesamt getragen wurde, gehört jedoch seit längerer Zeit der Vergangenheit an. Man kann nur mit großer Be- und Verwunderung auf die Zeit vor 50 Jahren blicken, in denen es in Deutschland an den Schulen noch einen lebendigen Wettkampfsport gegeben hat und wo von einigen Verbänden sogar – zumindest teilweise – eigene schulische Sportvereinsstrukturen akzeptiert wurden. Eine Neubetrachtung und Neubewertung des Zusammenspiels von Schulen, Vereinen und Verbänden ist dringend geboten. 

Im Gegensatz zu dem, was der Volksmund uns sagt, kann man durchaus „das Rad der Zeit“ zurückdrehen. Man muss dies nur wollen. Ein genauerer Blick in die Basisstrukturen der internationalen Konkurrenten des deutschen Hochleistungssports zeigt uns, dass bei allen erfolgreichen Sportnationen in der Regel nach wie vor ein umfassendes tragfähiges Wettkampfsportsystem in deren öffentlichen Schulsystemen existiert. Betrachten wir die erfolgreichsten acht Nationen bei den jüngsten Olympischen Sommerspielen in Japan so kann man sehr schnell erkennen, dass in jeder dieser Nationen ein besseres und ein umfassenderes, finanziell abgesichertes schulisches Wettkampfsystem existiert als dies in Deutschland der Fall ist. So überlebt z.B. der leistungsorientierte Bundeswettbewerb der Schulen „Jugend trainiert für Olympia“ seit seiner Gründung im Jahre 1969 letztlich nur durch das zusätzliche Einwerben von Sponsorengeldern und das Erheben von Teilnehmergebühren von Mitgliedern der Schulmannschaften, die an den Bundesfinalveranstaltungen teilnehmen. Im Haushaltsentwurf für das Jahr 2015 des Bundesministers des Innern war sogar der Beitrag des Bundes für die Bundesfinals gänzlich gestrichen. Erst durch massives Einwirken auf die politischen Entscheider wurden die Kürzungsabsichten durch den Haushaltsausschuss des Parlaments abgewendet. Erschwerend kommt noch hinzu, dass z.B. bei den Bundesjugendspielen die Leistungsanforderungen im Vergleich zu den fünfziger und sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts ganz erheblich abgesenkt werden mussten. Die über viele Jahre zu beobachtende Absenkung der Leistungsanforderungen ist die Anpassung an eine Realität, für die in mehreren wissenschaftlichen Studien ein dramatischer motorischer Leistungsrückgang bei Kindern und Jugendlichen in der deutschen Gesellschaft diagnostiziert wird. 
Will man, dass die Reform des deutschen Hochleistungssports auch die Basisstrukturen erfasst, so wird man nicht umhinkommen, die Frage aufzuwerfen, wie zukünftig der Wettkampfsport im öffentlichen Schulsystem aktiviert werden kann, welche Investitionen hierfür erforderlich sind, welches neue Personal an den Hochschulen für diese Tätigkeiten in diesem Bereich auszubilden ist und wie man zukünftig die Organisation der Zusammenarbeit zwischen den schulischen Sportstrukturen und den Vereinsstrukturen der Turn- und Sportvereine optimal im Interesse der Förderung von Athletinnen und Athleten gestalten muss. Aber auch alle anderen möglichen Basisstrukturen gehören auf dem Prüfstand gestellt 
Nicht zuletzt stellt sich dringend die Frage, ob wir kreativ und innovativ genug sind, um auch ganz neue Basisstrukturen zu entwickeln und zu fördern. Eine neue Schulsportpolitik ist dabei ebenso von Nöten wie eine neue Einstellung der Sportfachverbände, insbesondere des für den Leistungssport zuständigen Personals, und eine Überprüfung ihres Verhältnisses zum öffentlichen Schulwesen.
Eines kann für mich als gesichert gelten. Wer bei der Reparatur eines Hauses nur an das Dach und nicht an das Fundament denkt wird scheitern. Wird bei der Problemanalyse des deutschen Hochleistungssports nur ein Steuerungsproblem an der Spitze der Leistungspyramide erkannt und glaubt man, dass die Probleme des deutschen Hochleistungssports nur durch einen Austausch und eine Erneuerung der Steuerungsinstanzen erreicht werden kann, so muss eine derartige Reform notwendigerweise scheitern. Die zukünftigen Erfolge deutscher Athletinnen und Athleten hängen entscheidend von der Situation der Basisstrukturen des deutschen Hochleistungssports ab. Hängen also von den Bedingungen ab, die an den Orten anzutreffen sind, wo diese Athleten und Athletinnen täglich zu trainieren haben. Werden diese so belassen wie sie derzeit sind, so werden die erhofften Erfolge ganz gewiss nicht eintreten. Beim Handel von Konsumgütern spricht man von einem „Etikettenschwindel“, wenn bei einem Produkt bei gleichbleibendem Inhalt lediglich der Name ausgetauscht wird. Wenn sich die Reform des deutschen Hochleistungssports darauf beschränkt, die bestehende Etikette „e.V.“, bzw. „Abteilung Leistungssport des DOSB“ durch  „GmbH“, „GbH“, „AG“, „Agentur“ oder „Stiftung des öffentlichen Rechts“, also lediglich durch ein neues Namensschild an der Außenfassade des Gebäudes beschränkt, im Gebäude, in dem die Arbeit verrichtet wird und in dem nahezu  dasselbe Personal unter ähnlichen oder gleichen bürokratischen Zwängen weiter arbeitet, so ist vorher zu sehen, dass die aktuell angestrebte Reform scheitern wird. 

¹ Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf „gendergerechte“ Sprachformen – männlich weiblich, divers – verzichtet. Bei allen Bezeichnungen, die personenbezogen sind, meint die gewählte Formulierung i.d.R. alle Geschlechter, auch wenn überwiegend die männliche Form steht.

Letzte Bearbeitung: 30.1.2023