IOC Präsident Bach auf dem Prüfstand

Die Olympischen Winterspiele 2022 sind vor einer Woche zu Ende gegangen und diese Spiele werden einen besonderen Platz in den deutschen Geschichtsbüchern über den Sport einnehmen. Deutschland hat sich eine Meinung über diese Spiele gebildet und diese Meinung lautet etwas verkürzt dargestellt folgendermaßen:

„Diese Spiele hätten vom IOC niemals an China vergeben werden dürfen, an ein Land, in dem die Menschenrechte mit Füßen getreten werden, das mutwillig seine Umwelt zerstört, in dem jeder dort sich zeitweilig aufhaltende oder ständig dort lebende Mensch überwacht und abgehört wird und wo das wichtigste Prinzip des Sports, das Fair Play Gebot, mit Füßen getreten wird. Dies alles hat ein deutscher IOC – Präsident zu verantworten, der ein Machtmensch ist, und der sich von den Autokraten dieser Welt korrumpieren lässt“.

Diese Meinung ist mittlerweile überall in Deutschland anzutreffen. An jedem Stammtisch, in jeder Talkshow, im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ebenso wie in allen privaten Sendern, in den Leserbriefen sämtlicher Tageszeitungen, in unzähligen Kommentaren vor, während und nach den Spielen, in Nachrichtenmeldungen, und in an Hässlichkeit und Dummheit kaum noch zu überbietenden Äußerungen in den sozialen Medien.
Diese öffentliche Meinung ist das Resultat einer angeblich freien Berichterstattung in den Massenmedien, wie sie für westliche Demokratien kennzeichnend sein soll. Diese Art von Berichterstattung sollte demnach Vorbild sein für all jene Länder, in denen Diktatoren oder Autokraten herrschen und die Pressefreiheit infrage gestellt haben.
Mit meiner Kommunikationsbilanz zu den Winterspielen in Peking in meinem Online – Magazin „sport-nachgedacht.de“ habe ich die journalistische Qualität der deutschen Berichterstattung über die Olympischen Spiele 2022 hinterfragt. Ich habe versucht, über ausgewählte Beispiele die ideologische Ausrichtung dieser Berichterstattung offenzulegen. Im Folgenden möchte ich den von mir eingeschlagenen Weg der empirischen, d.h. faktenorientierten Evaluierung fortsetzen. Ich möchte dabei den Zeitraum 2013 bis 2022, in dem IOC Präsident Bach für die Olympische Bewegung verantwortlich war, etwas genauer betrachten und ich möchte dabei vor allem auch versuchen, die Frage zu beantworten, ob das öffentliche Urteil über den IOC-Präsidenten und dessen Arbeit fair und gerecht ist.
Das Urteil zu dem mich meine Analyse geführt hat, möchte ich an dieser Stelle bereits benennen:

Mit Blick auf die von mir überprüften Fakten komme ich zu dem Ergebnis, dass IOC – Präsident Bach außergewöhnliche Verdienste durch seine Bemühungen erreicht hat, die Olympischen Spiele aus ihrer schwersten Krise herauszuführen, in der sie sich in den vergangenen Jahrzehnten befunden haben. Es ist vor allem sein Verdienst, dass die Olympischen Sommerspiele 2020 im Jahr 2021 in Tokio haben durchgeführt werden können. Gleiches gilt für die Durchführung der Winterspiele 2022 in Peking. Von ihm initiierte Maßnahmen, Projekte und Innovationen haben dazu geführt, dass auch zukünftig  Coubertins wegweisende Idee vom „Olympischen Frieden auf Zeit“ („Olympic Truce“) weitergeführt werden kann, dass die „Maxime der politischen Neutralität“ angesichts einer ständig wachsenden Politisierung des Sports dringender denn je ist, und dass mit der Durchführung von Olympischen Spielen nicht jene Maßnahmen zur Lösung von gesellschaftspolitischen Problemen erbracht werden können, die man  von den  Regierungen und politischen Parlamenten, die ureigentlich dafür politisch verantwortlich sind, zu Recht erwarten muss. Bachs Leistungen können deshalb unter friedenspolitischen Gesichtspunkten positiv bewertet werden.

Will man Bachs Leistungen auf den Prüfstand stellen, so hat man sich zunächst an den Zeitpunkt seiner Wahl zu erinnern. 2013 hatte die Olympische Bewegung den Gipfel einer über mehr als ein Jahrzehnt andauernden Krise erreicht, durch die das Fundament des modernen Olympismus in großen Teilen in Frage gestellt war, große Brüche und Risse aufwies, und die Zukunft der Olympischen Spiele unsicherer denn je gewesen ist. Korruptionsskandale legten offen, dass Mitglieder des IOC bestechlich waren und sind, dass die Vergabe zukünftiger Olympischer Spiele von kriminellen Manipulationen geprägt waren, dass die Wettkämpfe vieler olympischer Sportarten von Doping – Skandalen in Frage gestellt wurden und werden, dass die Mitsprache und Mitbestimmung der Athletinnen und Athleten völlig unzureichend waren, und dass das olympische Motto „höher, schneller, weiter“ immer öfter selbstzerstörerische Kräfte entwickelte. Ein besonderer Ausdruck der Krise war dabei auch der Sachverhalt, dass die Bewerbungsverfahren für zukünftige Olympische Spiele immer teurer wurden, was zur Folge hatte, dass immer weniger Städte an der Ausrichtung zukünftiger Olympischer Spiele interessiert waren. Nicht weniger problematisch war der Anstieg der Kosten, den Ausrichter von Olympischen Spielen zu tragen hatten und was bei einigen Spielen unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten zu hohen Verlusten führte, die nicht zu rechtfertigen waren. Die Frage nach der Nachhaltigkeit der Olympischen Spiele musste als nicht beantwortet beklagt werden. Dem IOC wurde dabei zu Recht vorgeworfen, dass die Spiele aus ökonomischen Gründen einem ungezügelten Wachstum in Bezug auf das Sportprogramm, die Anzahl der teilnehmenden Athletinnen und Athleten, die Dauer der Veranstaltung, die massenmediale Präsenz und in Bezug auf die Zuschauer unterliegen. Die Anforderungen an die Ausrichter wurden immer weiter gesteigert. Die Einnahmen des IOC erhöhten sich von Olympiade zur Olympiade, über das Top-Sponsorenprogramm und über den Verkauf der Fernsehrechte wurden außergewöhnliche finanzielle Erfolge erzielt. Von einer ausreichenden Transparenz der finanziellen Situation des IOC konnte jedoch bis zur Wahl von Dr. Bach zum IOC – Präsidenten im Jahr 2013 nicht gesprochen werden.

Vor dem Hintergrund dieser skizzenhaften Situationsbeschreibung für die Jahre vor dem Zeitpunkt der Wahl von Thomas Bach zum IOC-Präsidenten im September 2013 bei der 125. IOC Session in Buenos Aires stellt sich die Frage, in welcher Verfasstheit sich heute – acht Jahre danach – das IOC befindet und was in den vergangenen Jahren an Reforminitiativen auf den Weg gebracht wurde, um die zweifelsohne bestehende und sehr weitreichende Krise des IOC zu überwinden.

Das Zentrum der sportpolitischen Arbeit des 2013 gewählten IOC-Präsidenten Bach ist ohne Zweifel in der von ihm initiierten „Olympische Agenda 2020“ und der Zusatzagenda „Olympischen Agenda 2020 +5“ zu sehen. Bei beiden handelt es sich um sportpolitische Programme, die im Wortlaut im Internet nachzulesen sind. Das erste Programm ist mittlerweile beendet; die Bearbeitung des zweiten Programms findet derzeit noch statt.
Mit der „Agenda 2020“ hat ein Reformprozess stattgefunden, wie man ihn in Organisationen des Sports zuvor nicht antreffen konnte. Die einzelnen Reformschritte können hier nur skizzenhaft dargestellt werden. Zehn Projekte verdienen dabei meines Erachtens eine besondere Hervorhebung:

  1. Die wohl wichtigste Reform mit Blick auf die Zukunftssicherung Olympischer Spiele hatte und hat noch immer ein völlig neues Bewerbungsverfahren für Olympische Spiele zum Ziel. Der Erfolg dieses neuen Verfahrens konnte bereits bei der Vergabe der Olympischen Sommerspiele 2032 an die australische Stadt Brisbane dokumentiert werden.  Im Zentrum dieses Verfahrens steht eine intensive Beratung all jener Städte, die an einer Ausrichtung zukünftiger Olympischer Spiele interessiert sind. Dabei werden alle Möglichkeiten in einem dialogischen Verfahren erörtert, ohne dass die interessierten Städte mit größeren finanziellen Belastungen konfrontiert werden, wie dies in der Vergangenheit der Fall war. Früher gaben potentielle Kandidaten im Versuch sich gegenseitig zu überbieten zweistellige Millionenbeträge aus. Wenn sie nicht gewählt wurden, galten die Bewerber als Verlierer und konnten eine weitere Bewerbung nicht mehr rechtfertigen. Außerdem war das IOC bei diesem Verfahren wegen unkorrekten „Lobbyings“ mit erheblichen ethischen Problemen konfrontiert. Im Ergebnis bedeutete dies, dass das IOC immer weniger Bewerber hatte und gleichzeitig der Ruf des IOC immer intensiver beschädigt wurde. Nun beginnt beim neuen Verfahren nach einer Beratungsphase das eigentliche Bewerbungsverfahren. Dies wird von einem kompetenten und unabhängigen Evaluierungsverfahren geprägt. Danach tritt das IOC in einen weiterführenden Dialog mit dem besten Bewerber ein, um erst nach Prüfung aller Durchführungsmöglichkeiten eine endgültige Entscheidung durch die Session auf Vorschlag der IOC – Exekutive herbeizuführen. Das neue Bewerbungsverfahren, dies ist bereits absehbar, führt zu einer Kostenreduzierung von mehr als 80 % im Vergleich zum früheren Verfahren. Mit dem neuen Bewerbungsverfahren werden auch die bisherigen sehr ausgeprägtem Versuche von Bestechungen, Betrug und sonstiger Vorteilsnahmen weitestgehend verhindert, und auch die Möglichkeiten einer Einflussnahme durch Politik und Wirtschaft in den jeweiligen Bewerbungsländern werden nahezu ausgeschlossen.
  2. Nicht weniger wichtig ist das zweite Reformprojekt der Olympischen Agenda 2020, das sich auf die Durchführung der Spiele selbst bezieht. Zukünftigen Ausrichtern wird die Möglichkeit zu nachhaltigen Spielen eröffnet, wie dies früher nie der Fall war. Bereits bestehende Sportstätten können und sollten genutzt werden. Ebenso kann die Durchführung von Olympischen Wettkämpfen in temporären Sportstätten stattfinden, die nach den Spielen wieder abgebaut werden. In Paris werden 2024 zu 95 % bestehende oder temporäre Sportstätten genutzt. Los Angeles braucht überhaupt keine neuen permanenten Sportstätten. Auch bei den Spielen 2026 in Mailand und Cortina existieren bereits über 90 % der Sportstätten. Für die Ausrichtung der Spiele können sich mehrere Orte oder Regionen gemeinsam bewerben. Auch Spiele über Ländergrenzen hinweg sind möglich. Bei der Ausrichtung der Spiele müssen strenge ökologische Vorgaben eingehalten werden.
  3. Das IOC ist heute eine „CO2 – neutrale Organisation“, bis 2024 wird es eine „klimapositive Organisation“ sein, d.h. das IOC wird mehr Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre entfernen als von ihm ausgestoßen wird. Hierzu wurde das Projekt „Olympic Forest“ auf den Weg gebracht. Im Senegal und in Mali wird sich dabei ein olympischer Wald mit mehr als 350.000 neu gepflanzten Bäumen über 2000 ha erstrecken. Die Olympischen Spiele von Tokio haben sich mit kohlenstofffreien Technologien präsentiert. Bei den Spielen in Peking wurden alle Sportstätten mit erneuerbaren Energien betrieben.
  4. Die wohl wichtigste Innovation während der bisherigen Amtszeit von IOC Präsident Bach ist die von ihm initiierte Erweiterung des olympischen Mottos und die damit verbundene neue Gewichtung des für den Olympismus äußerst wichtigen „Prinzips der Solidarität“. Folgt man Bachs Auffassung, so kann „echte Nachhaltigkeit“ nur mit Solidarität erreicht werden. Die Welt kann nur dann zu einer besseren Welt werden, wenn wir füreinander Sorge tragen. Die Gründung eines Flüchtlingsteams bei den Olympischen Spielen in Rio 2016 kann als Ausdruck dieser Botschaft gedeutet werden. Damit wurde der Versuch unternommen, das Bewusstsein für das Ausmaß der weltweiten Flüchtlingskrise zu schärfen. Um auch über den Sport hinaus die Menschen mit dieser neuen Botschaft des IOC zu erreichen, wurde die olympische Flüchtlingsstiftung „Olympic Refuge Foundation“ gegründet, die mit dem UN – Hochkommissariat für Flüchtlinge zusammenarbeitet. In diesem Zusammenhang ist auch die Erhöhung des Budgets von 311 Millionen $ (Olympiade 2009bis 2012) auf 590 Millionen $ für das olympische Solidaritätsprogramm „Olympic Solidarity“ in der Olympiade 2021 bis 2024 zu erwähnen. „Olympic Solidarity“ unterstützt vor allem Athletinnen und Athleten aus der ganzen Welt in ihrer Vorbereitung auf eine Teilnahme bei zukünftigen Olympischen Spielen.
  5. In der Agenda 2020 kommt vor allem auch das Bemühen um eine glaubwürdige „good governance“ für das IOC zum Ausdruck. Dazu gehören gezielte Anstrengungen, um eine Gleichstellung der Geschlechter sowohl bei den Olympischen Spielen selbst als auch in den Gremien des IOC zu erreichen. Bei den Spielen 2020 in Tokio konnte dabei bereits ein erster Erfolg ausgewiesen werden, in dem zum ersten Mal in der Geschichte der Olympischen Spiele mit einem Frauenanteil von 49% eine Geschlechtergleichstellung nahezu erreicht wurde. Bei der Eröffnungsfeier kann nun die Flagge eines Landes durch eine Athletin und einen Athleten gemeinsam getragen werden. Außerdem ist es ein Ziel des IOC, dass in jedem der 206 teilnehmenden Olympischen Teams mindestens eine Athletin und ein Athlet vertreten sind. Was die Führungspositionen betrifft, konnte der weibliche Anteil der IOC Mitglieder von 21 % auf 38 % innerhalb der ersten sechs Jahre der olympischen Agenda 2020 angehoben werden. Im Executive Board des IOC ist der Frauenanteil von 27 auf 33% gestiegen. In den IOC Kommissionen ist der Frauenanteil von 20 % auf 48 % angewachsen.
  6. Das wichtigste Projekt, das mit der „Olympischen Agenda 2020“ unter Führung von Bach in Angriff genommen wurde, ist auf die aktuelle und zukünftige Glaubwürdigkeit des IOC und der olympischen Bewegung ausgerichtet. Betroffen ist sowohl die Glaubwürdigkeit des IOC selbst und der Sportorganisationen als auch die Glaubwürdigkeit der sportlichen Wettbewerbe.Die Glaubwürdigkeit der sportlichen Wettbewerbe wird in erster Linie durch das nach wie vor ungelöste Dopingproblem des internationalen Hochleistungssports infrage gestellt.  Dabei muss es vor allem um einen sehr viel größeren Schutz der sauberen Athleten vor Betrügern gehen als dies bislang der Fall ist. Auf der Grundlage der „Olympischen Agenda 2020“ hat das IOC in den Kampf gegen Doping und gegen Manipulation sportlicher Wettkämpfe zusätzliche 60 Millionen $ investiert. Die gesamten Anti – Dopinginvestitionen sind auf 260 Millionen $ angestiegen. Zu Gunsten neuer wissenschaftlicher Ansätze zur Doping – Bekämpfung wurde ein Fond in einer Größenordnung von 20 Millionen $ gegründet. Bach hat ferner erreicht, dass das gesamte Dopingbekämpfungssystem des IOC in ein unabhängiges System überführt wurde. Das Test – und das Probenmanagement bei Olympischen Spielen wurde an eine neu gegründete internationale Test-Agentur ITA vergeben und die Sanktionierung wurde an die Anti – Dopingabteilung des CAS delegiert. Das IOC hat darüber hinaus die Verbände aufgefordert, ihrerseits ebenfalls mit der ITA zusammenzuarbeiten. Auch hierzu wurde ein Fond in Höhe von 30 Millionen $ eingerichtet. Bei der 5. Weltkonferenz zur Bekämpfung des Dopingbetruges im Jahr 2019 legte das IOC einen Aktionsplan zur Dopingbekämpfung vor mit einem Volumen von weiteren 10 Millionen $. Dieser Plan umfasst neue Forschungsinitiativen, Präventionsprogramme und ein Programm zur Re-analyse von gelagerten Proben früherer Spiele. Mit Hilfe von IOC – Geldern wurde den Verbänden eine kostenlose Lagerung ihrer Dopingproben angeboten, um spätere nach Tests vornehmen zu können.
    Mindestens ebenso wichtig wie die Glaubwürdigkeit der Wettkämpfe ist die Frage nach der Glaubwürdigkeit des IOC selbst nach den vielen Skandalen in der Vergangenheit. Seit seiner Wahl zum IOC – Präsidenten ist Bach deshalb bemüht, die Mitglieder des IOC davon zu überzeugen, dass die Möglichkeit des IOC, in der Welt etwas zu verändern, auf dessen Glaubwürdigkeit und Integrität beruht. Mittels seiner „Olympischen Agenda 2020“ setzte Bach mehrere „good governance – Maßnahmen“ durch, die leider in den meisten internationalen Sportorganisation bis heute immer noch nicht zu erkennen sind. Unter Bach weist die finanzielle Situation des IOC eine Transparenz auf, wie man sie sich für alle internationalen Sportverbände wünschen würde. Die Rechnungslegung wird nach deutlich anspruchsvolleren Normen geprüft als gesetzlich vorgeschrieben. Sie veröffentlicht einen Jahresbericht, in dem alle Geldströme transparent ausgewiesen sind. Im Jahresbericht für das Jahr 2020 ist im Internet unter anderem von jedem und von jeder nachzulesen, dass der IOC Präsident für seine ganzjährige Arbeit eine Aufwandsentschädigung in einer Höhe von 225.000 $ erhält. In diesem Jahresbericht werden auch die Regeln für die Erstattung der Reisekosten und die Höhe der Tagegelder transparent offengelegt. Eine vergleichbare Transparenz lässt sich bei keinem anderen Internationalen Sportverband finden. Das IOC kann ein „Programm für organisatorische Exzellenz“ nachweisen, um damit erstklassige Abläufe zu gewährleisten. Der ehemalige UN – Generalsekretär Ban Ki Moon ist seit 2017 Vorsitzender der unabhängigen Ethikkommission des IOC, deren Aufgabe es ist, auf der Grundlage eines neuen „Ethic Codes“ die Mitglieder des IOC zu überwachen. Es gibt nun Regeln und Werkzeuge, um Fehlverhalten von IOC – Mitgliedern zu verhindern und bei nachgewiesenem Fehlverhalten dieses auch zu sanktionieren. Das IOC weiß mittlerweile auch, dass es zur Bekämpfung von Manipulationen und Korruption im Sport die Unterstützung von Regierungen braucht. Deshalb arbeitet es mit der Agentur der Vereinten Nationen für Drogen und Verbrechensbekämpfung UNODC zusammen und gemeinsam mit Interpol hat es die internationale Partnerschaft gegen Korruption im Sport IPACS initiiert.
  7. Für Bach als dem ehemaligen Vorsitzenden der deutschen Athletenkommission und als Gründungsmitglied der IOC – Athletenkommission ist die Frage der Mitbestimmung der Athleten von herausragender Bedeutung. Deshalb hat er 2019 ein „Internationales Athleten Forum“ ermöglicht. Es war die bisher größte und repräsentativste Versammlung offizieller Athletenvertreter. Resultat dieser Versammlung war die „Erklärung der Athletenrechte und Pflichten“, die von der IOC – Athletenkommission in einem breiten Konsultationsprozess mit mehr als 4200 Athleten und Athletinnen aus 190 NOKs ausgearbeitet worden ist. Ergänzend wurde eine digitale Plattform „Athlete 365“ eingerichtet. Zur Förderung und Stärkung der Athleten außerhalb des sportlichen Wettkampfs wurde das „Business Accelerator Programm“ gemeinsam mit der Muhammad Yunus Foundation und dem „Athlete 365 – Carrier – Program“ eingerichtet. Bereits im ersten Jahr seines Bestehens haben über 5000 Athletinnen und Athleten in online Kursen und Workshops mit spezifischem Fokus auf das Arbeitsleben, auf soziales Unternehmertum und Karrieretraining besucht.
  8. Ein weiterer Schwerpunkt der „Olympischen Agenda 2020“ ist auf die Zielgruppe der Jugend ausgerichtet. Ein wichtiges Anliegen Bachs war dabei die Gründung eines „Olympischen Kanals“, mit dem das IOC die Jugend in deren digitaler Welt erreichen möchte. Bach hatte diesen „Olympischen Kanal“ bereits 1994 beim 22. Olympischen Kongress in Paris vorgeschlagen. Sein Sendestart wurde von ihm Ende 2016 initiiert und mittlerweile verzeichnet dieser Kanal mehr als 4 Milliarden Videoaufrufe und ist mittlerweile Teil der neuen Plattform „olympics.com“, die die digitalen Aktivitäten aller Organisationskomitees Olympische Spieler bündelt.
    Noch wichtiger als der „Olympische Kanal“ war die in der „Agenda 2020“ festgelegte Reform des Olympischen Sportprogramms. Mit der Hinzunahme von Sportarten, die den jugendlichen Lifestyle repräsentieren, sollen die Olympischen Spiele jugendlicher, weiblicher und urbaner werden. Mit den neuen Sportarten Klettern, Skateboard, Surfen, Baseball/Softball und Karate waren die Spiele von Tokio 2020 der erste Schritt in diese Richtung. In Paris 2024 kommt zu Klettern, Skateboard und Surfen Breakdance hinzu, während Baseball/Softball und Karate wieder ausscheiden. Zugleich wird in Paris erstmals die Obergrenze von 10.500 Athletinnen und Athleten sie inklusive der neuen Sportarten eingehalten.
    Bei den Winterspielen wurde dieser Verjüngungsversuch mit den neuen Disziplinen Monobob für Frauen, Big Air Events im Ski Freestyle, Mixed Events und Team Staffeln u.a. beim Snowboard Cross, Shorttrack und Skispringen unternommen. Da gleichzeitig eine Reduktion des bestehenden Programms der Olympischen Spiele nicht erreicht werden konnte, kann man bei diesem Projekt nur bedingt von einem Erfolg sprechen. Die von vielen Experten schon seit langem geforderte Reduktion des Programms und eine zeitliche Verkürzung der Dauer der Spiele stellt sich deshalb nach wie vor als eine dringend notwendige Reformaufgabe des IOC dar.
    Ergänzt wurde der Versuch einer Programmreform mit einem „IOC Young Leaders – Programm“ zur Förderung junger Menschen. 17 „IOC – Young Leaders“ wurde dabei auch die Gelegenheit gegeben, in den verschiedenen IOC – Kommissionen ihre Anliegen zu Gehör zu bringen.
  9. Ein weiteres Projekt der „Agenda 2020“ hat eine stärkere politische Einordnung des IOC in die internationale Gesellschaftsordnung unserer Welt zum Ziel. Bach bringt mit diesem Projekt seine Überzeugung zum Ausdruck, dass der Olympische Sport nur dann seine Mission erfüllen kann, die Welt durch Sport zu einem besseren Ort zu machen, wenn das IOC mit seinen Olympischen Spielen mit der Welt interagiert. Es war dabei geradezu naheliegend, dass Bach dieses Projekt auf die UNO, also auf die wichtigste internationale Organisation der internationalen Staatengemeinschaft ausgerichtet hat. Sofort mit dem Beginn seiner Amtszeit unterzeichnete er ein „Memorandum of Understanding“ mit den Vereinten Nationen. Dieses Dokument bestimmt die weitere Zusammenarbeit des IOC mit der UNO bis zum heutigen Tag. Am 1. Dezember 2020 hat die UN – Vollversammlung eine Resolution verabschiedet, in der sie ein Urteil darüber abgibt wie sie die olympische Bewegung nach den Reformen der „Olympischen Agenda 2020“ einordnet. Diese Resolution wurde von allen 193 UN – Mitgliedsstaaten angenommen. Im Bericht des UN – Generalsekretärs zu dieser Resolution wird der Olympischen Sport als „globaler Beschleuniger für den Frieden und die nachhaltige Entwicklung für alle“ ausgewiesen. Mit der Resolution selbst werden die Unabhängigkeit und Autonomie des olympischen Sports und dessen Olympische Charta anerkannt. Ebenso wird damit der Anspruch der olympischen Bewegung auf politische Neutralität bestätigt. Auch die Nachhaltigkeitsprojekte des IOC finden in dieser Resolution eine ausdrückliche und lobende Anerkennung. Demnach leistet das IOC einen wichtigen Beitrag zur Erreichung der UN – Nachhaltigkeitsziele, insbesondere für den Frieden, die Gesundheit, die Bildung, die soziale Inklusion, die Geschlechtergleichstellung und die Förderung von Toleranz und gegenseitigem Verständnis.
  10. Unabhängig von den in der Agenda 2020 vereinbarten Projekte kann IOC – Präsident Bach für sich selbst in Anspruch nehmen, dass er mit seinen vielfältigen Reformmaßnahmen auch die finanzielle Zukunft des IOC gesichert hat. Die Einnahmen des IOC konnten auf einem hohen Niveau noch einmal gesteigert werden, wodurch das IOC auch zukünftig in der Lage sein wird 90 % seiner Einnahmen an die Ausrichter der Spiele, an die 206 Nationalen Olympischen Komitees und an die 40 Olympischen Fachverbände auszuschütten. So wurden allein im Zeitraum von 2013 bis 2016 3,4 Milliarden € verteilt. Die Ausrichter der Spiele in Tokyo 2020 und Peking 2022 wurden mit 2,6 Milliarden $ unterstützt. Paris 2024 erhält einen Zuschuss von 1,7 Milliarden und Mailand/Cortina von 925 Millionen $. Die 40 olympischen Sportarten mit ihren Verbänden bekamen rund 740 Millionen $, mit dem gleichen Betrag wurden die 206 Nationalen Olympischen Komitees gefördert. Ohne diese finanzielle Unterstützung durch das IOC wäre das Überleben vieler olympischer Sportarten in Frage gestellt und die Existenz fast aller Nationalen Olympischen Komitees wäre gefährdet. Auch deutsche Athletinnen und Athleten profitieren von den Einnahmen des IOC. Der DOSB profitiert in der noch laufenden vierjährigen „Olympiade“ vom IOC entweder durch direkte Zuwendungen oder überlassene Marketing Rechte in Höhe von rund 30 Millionen €. Allein die Zuschüsse zu den Entsendungskosten von „Team Deutschland“ nach Tokio beliefen sich auf 1,5 Millionen $, mit denen ein Teil der Kosten gedeckt worden sind, die durch die Olympiateilnahme des Teams entstanden.
    Bachs Solidarmodell von den Olympischen Spielen unterscheidet sich somit grundlegend vom Geschäftsmodell aller Profiligen und den meisten nationalen und internationalen Sportveranstaltungen, die auf eine Gewinnmaximierung zielen. Sein Modell ist nicht gewinnorientiert, es basiert vielmehr auf den Olympischen Werten wie sie in der Olympischen Charta festgeschrieben sind. Es ist im besten Sinne des Wortes „gemeinwohlorientiert“. Eine wohltuende Folge dieses Modells ist für alle sichtbar: Bei den Olympischen Spielen gibt es weder Werbebanden in den Sportstäten noch gibt es Trikots auf denen auch der letzte Quadratzentimeter für Werbung genutzt wird. Darüber hinaus ist die Berichterstattung über die Spiele frei empfangbar.

 

Dass während der gefährlichsten Pandemie in der jüngeren Geschichte der Menschheit trotzdem Olympische Spiele in Tokio und in Peking durchgeführt werden konnten, ist für mich ein weiteres Kapitel in der Erfolgsbilanz des IOC-Präsidenten Bach. Hätten diese Spiele nicht stattgefunden, wäre die Zukunft des Olympismus einer kaum einschätzbaren großen Gefahr ausgesetzt gewesen. Schon im ersten Jahr der Pandemie musste das IOC vielen seiner Mitglieder finanzielle Hilfen gewähren, damit ihr Überleben gesichert wird. Wären die Spiele bis zu einem nicht absehbaren Zeitpunkt verschoben worden, bei dem die Pandemie als beendet erklärt werden kann, so wären mehrere Generationen von Olympischen Athletinnen und Athleten um den möglichen sportlichen Höhepunkt ihrer Karriere betrogen worden. Hinzukommt, dass bei einem übervollen Sportkalender mit einer Verschiebung der Olympischen Spiele eine ganze Reihe weiterer sportlicher Großveranstaltungen der Internationalen Sportfachverbände dadurch hätten ausfallen müssen. Die Frage nach der finanziellen Haftung solcher Ausfälle hätte sich dabei sehr schnell gestellt.
Bach hingegen hat mit seiner engen Kooperation mit der WHO, mit internationalen wissenschaftlichen Experten, mit Finanzhilfen für Impf – Aktionen und mit der Ausarbeitung wissenschaftlich fundierter Sicherheitskonzepte gemeinsam mit den Ausrichtern der Spiele in Tokio und in Peking eine verantwortbare Basis für die Durchführung der Spiele während der Pandemie geschaffen. Dafür gebührt ihm Respekt und Anerkennung.

Die hier nur sehr skizzenhaft dargestellten IOC-Projekte unter der Führung von IOC – Präsident Bach dokumentieren, dass seit der Wahl von Bach im Jahr 2013von dieser Organisation und unter seiner Leitung eine äußerst engagierte Reformarbeit geleistet wurde. Dabei hätten es noch verschiedene Einzelmaßnahmen verdient, in dieser Darstellung erwähnt zu werden. Ich denke zum Beispiel an die in allerletzter Stunde gesicherte Friedensinitiative bei den Olympischen Winterspielen von PyeongChang, bei denen Nord – und Südkorea mit einem gemeinsamen Team bei der Eröffnungsfeier einmarschierten. Auch die Renovierung und Wiedereröffnung der Olympischen Akademie (IOA) im antiken Olympia ist erwähnenswert.

Sehr viel wichtiger als solche Ergänzungen ist jedoch die Frage, wie es möglich ist, dass das IOC unter der Leitung von Thomas Bach seit  2013  eine äußerst erfolgreiche Reformarbeit aufzuweisen hat wie sie vergleichsweise für keine andere Internationale Organisation im letzten Jahrzehnt nachgewiesen werden kann, gleichzeitig in Deutschland jedoch eine öffentliche Meinung über das IOC und dessen Präsidenten angetroffen werden kann, bei der diese Reformarbeit aus Unkenntnis oder mit voller Absicht keine Erwähnung findet. Vergleicht man dann noch die öffentliche Meinung über das IOC und dessen Präsidenten in benachbarten westlichen Demokratien, so muss man erkennen, dass die in Deutschland vorherrschende öffentliche Meinung ein außergewöhnlicher Sonderfall für eine westliche Demokratie ist. Wie dieser Sonderfall unter dem Aspekt der Pressefreiheit in westlichen Demokratien und mit Blick auf die publizistischen  Grundsätze, wie sie vom Deutschen Presserat 1973 verabschiedet und zum letzten Mal 2017 konkretisiert wurden, einzuordnen und zu bewerten ist, möchte ich dem Leser überlassen.

Letzte Bearbeitung: 27.02.2022