Ein Gastbeitrag von Jonas Bischoff
1. Einführende Bemerkungen
Olympia 2060. Die deutsche Delegation kehrt mit nur einer Goldmedaille – in der Disziplin E-Sports – in die Heimat zurück. Der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) gerät in Erklärungsnot, wirkt ratlos und beklagt den Nachwuchsmangel im deutschen Leistungssport: „Uns fehlen einfach die jungen Leute!“. Der Aufschrei in der deutschen Bevölkerung bleibt verhalten. Die Menschen unterhalten sich lieber über das neue, bahnbrechende Gesundheitsprogramm Uber-Sports des Fitnessstudio-Giganten Google-Health, das einem die Instant-Buchung eines Personal-Trainers für zu Hause per Smartphone-App ermöglicht – mit Fast-Delivery-Garantie.
Dieser sicherlich überspitzte und etwas süffisante Ausblick auf die Zukunft des deutschen Spitzensports überträgt einige der düsteren Prognosen, die seit Jahren über den demografischen Wandel in Deutschland kursieren, auf den organisierten Sport. Mitgliederschwund, Probleme in der Nachwuchsförderung und eine stetig wachsende Konkurrenz kommerzieller Anbieter sind sehr wahrscheinliche Folgen der demografischen Tendenzen für das deutsche Sportsystem. Doch in welchem Ausmaß diese Folgen eintreten werden kann zum einen nicht zuverlässig vorausgesagt werden und liegt zum anderen (noch) in den Händen der sportpolitischen Akteure. Deren Aufgabe ist es, die Entwicklungen stets genau zu verfolgen, um vorausschauend agieren zu können und kommende Herausforderungen zu bewältigen.
Die Dachorganisation des deutschen Sports, der DOSB, zeigt sich seit einigen Jahren bemüht, regelmäßig Studien zum Einfluss des demografischen Wandels auf die Mitgliederentwicklung im deutschen Sportsystem durchzuführen. Es lässt sich, in Anbetracht der in Auftrag gegebenen Forschungsarbeiten (siehe Quellen), nicht von der Hand weisen, dass das Bewusstsein für die Problematik des gesellschaftlichen Wandels mit seinen möglichen Auswirkungen auf das deutsche Sportsystem durchaus vorhanden ist. Die organisationsinternen Studien konzentrieren sich in ihren Analysen allerdings hauptsächlich auf die Vereinslandschaft und die Landessportbünde und lassen dabei das Spitzenverbandssystem außen vor. Dabei ist es durchaus von hoher Relevanz nachzuvollziehen, inwiefern die Sportarten, die den deutschen Sport international nach außen vertreten, von den demografischen Veränderungen betroffen sind und wie auf Verbandsebene mit den Herausforderungen umgegangen wird. Denn insbesondere die Spitzenverbände müssen sich die Frage stellen, ob und wie sie mit diesen Trends umgehen können, um, vor dem Hintergrund eines drohenden Nachwuchsmangels, die Leistungsfähigkeit des deutschen Sports im internationalen Vergleich langfristig zu gewährleisten.
Dieser Thematik widmete ich mich in meiner Abschlussarbeit mit dem Titel Demografischer Wandel in Deutschland und das System der Spitzenverbände des deutschen Sports – Eine Analyse des Zusammenhangs von demografischen Trends und Entwicklungen in der Mitgliederstruktur der Sportverbände. Sie beschäftigt sich allgemein mit dem demografischen Wandel in Deutschland und seinen Umständen. Zunächst werden dabei die Charakteristika und Faktoren des Phänomens näher beleuchtet, anschließend folgt eine Darstellung aktueller Zahlen, Entwicklungen und Prognosen zum demografischen Wandel in Deutschland. Hierzu dienen in erster Linie die neuesten ‚koordinierten Bevölkerungsvorausberechnungen‘ des Statistischen Bundesamtes (StBA) als Grundlage. Im zweiten Teil werden dann die olympischen Spitzenverbände in den Mittelpunkt der Untersuchung gerückt. Nach einem Überblick über die Organisation des deutschen Sports in Deutschland und die konstitutionellen Merkmale der Spitzenverbände, werden mittels Analyse der Entwicklung der Mitgliederzahlen der Verbände seit 2006 Unterschiede zwischen den Sportarten aufgezeigt und Auffälligkeiten in den Altersstrukturen herausgestellt. Im letzten Teil wird der Fokus auf ausgewählte organisationsspezifische Strukturen der olympischen Spitzenverbände ausgerichtet. Mit Hilfe einer Dokumentenanalyse wird anhand der jeweiligen Führungsgremien und Geschäftsstellen überprüft, ob die Verbände Verantwortungsbereiche geschaffen haben, die speziell auf den Bereich Mitgliederentwicklung ausgerichtet sind.
2. Die olympischen Spitzenverbände in Deutschland
Die olympischen Spitzenverbände in Deutschland sind das Aushängeschild des deutschen Sports. Sie stellen die Gesamtheit derjenigen Sportarten dar, die vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) als olympisch festgelegt werden. Da die Auswahl ein fortlaufender Prozess ist, ergeben sich über die Jahre Veränderungen in dem Sinne, dass neue Sportarten hinzugefügt werden. Die Abschlussarbeit bezieht sich bei ihrer Analyse auf die 38 Spitzenverbände, die im Jahr 2017 die Gesamtheit der olympischen Verbände in Deutschland dargestellt haben (vgl. Tabelle 1). Die olympischen Spitzenverbände sind Vereinigungen der Landesverbände in der Bundesrepublik Deutschland für die jeweiligen olympischen Sportarten, deren Interessen sie sowohl im DOSB als auch in internationalen Dachverbänden auf europäischer und weltweiter Ebene vertreten.
Bob- und Schlittenverband für Deutschland Deutscher Fußball-Bund Deutscher Schwimm-Verband
Bund Deutscher Radfahrer Deutscher Golf Verband Deutscher Segler-Verband
Bundesverband Deutscher Gewichtheber Deutscher Handballbund Deutscher Skiverband
Deutscher Alpenverein Deutscher Hockey-Bund Deutsche Taekwondo Union
Deutscher Badminton-Verband Deutscher Judo-Bund Deutscher Tennis Bund
Deutscher Baseball und Softball Verband e.V. Deutscher Kanu-Verband Deutscher Tischtennis-Bund
Deutscher Basketball Bund Deutscher Karate Verband e.V. Deutsche Triathlon Union
Deutscher Boxsport-Verband Deutscher Leichtathletik-Verband Deutscher Turner-Bund
Deutscher Curling Verband Deutsche Reiterliche Vereinigung Deutscher Verband für Modernen Fünfkampf
Deutscher Eishockey-Bund Deutscher Ringer-Bund Deutscher Volleyball-Verband
Deutsche Eislauf-Union Deutscher Ruderverband Deutscher Wellenreitverband
Deutsche Eisschnelllauf-Gemeinschaft Deutscher Rugby-Verband Snowboard Verband Deutschland
Deutscher Fechter-Bund Deutscher Schützenbund
Tab. 1: Die 38 olympischen Spitzenverbände in Deutschland (Stand 2017, eigene Darstellung)
3. Der demografische Wandel in den olympischen Spitzenverbänden
Der erste Teil der theoretischen Untersuchung der Abschlussarbeit orientierte sich an der Frage, ob sich die demografischen Trends – gemeint sind in erster Linie der allmähliche Bevölkerungsrückgang seit 2003 sowie die zunehmende Alterung der Gesellschaft – in den letzten ca. 10 Jahren fortgesetzt haben. Die ausgewerteten Daten des Statistischen Bundesamtes lieferten das Ergebnis, dass sich die genannten Entwicklungen nach 2006 zunächst fortsetzten und zwischenzeitlich sogar eine Verschärfung des Prozesses einsetzte. Die Zuwanderungswelle der letzten Jahre setzte dem Negativverlauf jedoch ein Ende. Seit 2015 lassen die Zahlen zur Bevölkerungsentwicklung gar eine Trendwende mit einer Zunahme der Bevölkerungszahl erkennen. Dies hat auch Auswirkungen auf die Bevölkerungsvorausberechnungen, deren Prognosen für die zukünftigen Bestandszahlen der deutschen Bevölkerung nun deutlich positiver ausfallen. Nicht von der Hand zu weisen sind jedoch die klaren Tendenzen hin zu einer alternden Bevölkerung, d.h. der Anteil der jüngeren Menschen unter 45 Jahren nimmt stetig ab, der Anteil der älteren über 45 Jahren nimmt konstant zu. Die Gründe hierfür liegen in der Kombination aus niedriger Geburtenrate und steigernder Lebenserwartung, sodass wohl auch die hohe Zahl an Zuwanderern diese Entwicklung höchstens abmildern kann.
Der zweite Teil der theoretischen Untersuchung befasste sich mit der zentralen Fragestellung der Abschlussarbeit.
Inwiefern spiegelt sich der demografische Wandel in Deutschland im deutschen Spitzenverbandssystem des Sports im Jahr 2017 wider?
Betrachtet man die Mitgliederzahlen des DOSB und der olympischen Spitzenverbände in ihrer Gesamtheit, so hat man nicht den Eindruck, als wirke sich der allmähliche Bevölkerungsrückgang auch auf sie aus. Zwischen 2006 und 2017 konnte der DOSB Zuwächse von gut 88 000 Mitgliedschaften verzeichnen, die olympischen Spitzenverbände (Stand 2017) gar über 300 000. Dass aber insbesondere die Spitzenverbände durchaus mit dem demografischen Wandel zu kämpfen haben, wird ersichtlich, wenn man die Mitgliederentwicklung jedes einzelnen Verbands gesondert betrachtet. Es wird deutlich, dass lediglich 15 der in Frage kommenden 37 olympischen Spitzenverbände über den besagten Zeitraum Zuwächse erzielen konnten, die anderen 22 verbuchten allesamt mehr oder weniger große Verluste. Hinzu kommt, dass knapp 1,24 Millionen der insgesamt 1,45 Millionen Mitgliedschaftsgewinne aller Verbände mit Zuwächsen durch allein drei Verbände erzielt wurden. Diese sind der Fußballverband, der Alpenverein und der Golfverband, die im Grunde allein für die positiven Entwicklungszahlen der olympischen Spitzenverbände insgesamt verantwortlich sind.
Ein differenzierterer Blick auf die Mitgliederstrukturen ausgewählter Verbände weist darüber hinaus auf Alterungstendenzen auch in den olympischen Spitzenverbänden hin. Die Altersgruppe der über 61-Jährigen wartet sportartenübergreifend mit starken Zuwächsen auf, während die Jahrgänge der 19- bis 40-Jährigen eine enorme Dezimierung erfahren haben. Innerhalb dieser Altersspanne betrifft dies vor allem die Gruppe der über 27-Jährigen. Es darf bezweifelt werden, dass die negative Entwicklung in diesem Fall allein auf den demografischen Wandel an sich zurückzuführen ist. Eher neigen die Mitglieder dieser Altersgruppe unter anderem dazu, auf kommerzielle Sportanbieter zurückzugreifen, die ihrem Wunsch nach Flexibilität, wohnortsnähe und Angebotsvielfalt am meisten entgegenkommen. In diesem Zusammenhang besteht für das deutsche Sportsystem großer Handlungsbedarf, da sich diese Entwicklung bereits in den eingangs erwähnten Forschungsberichten bemerkbar machte.
Ebenfalls starke Verluste lassen sich mitunter bei der Altersstufe unter 18 Jahren feststellen. Die Entwicklung, dass die nachfolgenden Generationen zahlenmäßig immer kleiner werden, wird die Organisationen des deutschen Sports auf Dauer vor die große Herausforderung stellen, das Nachwuchsproblem zu lösen. Es gilt, die Kinder im Rahmen der Familie möglichst früh für den Vereinssport zu begeistern und sie auf ihrem Weg zum Erwachsenwerden mit passenden Angeboten zu begleiten. Dies impliziert unter anderem eine enge Kooperation der Vereine unter sich sowie – vor dem Hintergrund der steigenden Zahlen an Ganztagsschulen – eine enge Kooperation mit Schulen, um den Bedürfnissen des Nachwuchses entgegenzukommen und ihnen den Weg zum Sport zu erleichtern.
Alles in allem verdeutlichten die Befunde der theoretischen Untersuchung die Notwendigkeit konkreter Maßnahmen seitens des deutschen Sportsystems. Bereits im Jahr 2007 präsentierte eine Projektgruppe des DOSB zum Thema ‚Demografischer Wandel‘ (Quelle s. u.) in ihrem Abschlussbericht eine Reihe von Handlungsempfehlungen für Sportvereine und -verbände, die einen angemessenen Umgang mit den Effekten der demografischen Alterung ermöglichen sollen. Sie lassen sich auf vier unterschiedliche Ebenen unterteilen.
- Die Mitgliederentwicklung vorantreiben
- Eine vorausschauende Sportstätten-Entwicklung
- Förderung und Umstrukturierung des Ehrenamts
- Professionalisierung auf zwei Ebenen (Organisationsstruktur und Personal)
Die Implementierung von Arbeitsbereichen, die sich explizit mit der Planung und Durchführung entsprechender Maßnahmen befassen, sollte insbesondere für die Spitzenverbände von hohem Eigeninteresse sein. Letztendlich geht es für sie um den Erhalt und die Förderung der jeweiligen olympischen Sportart, aber auch die Aufrechterhaltung der internationalen Konkurrenzfähigkeit spielt hierbei eine große Rolle.
Aus diesem Grund wurde die theoretische Untersuchung der Arbeit durch einen empirischen Teil erweitert, der mittels einer Analyse der Organisationsstrukturen der Frage nachging, ob sich die olympischen Verbände angemessen mit den bereits aufgezeigten Auswirkungen des demografischen Wandels auseinandersetzen oder ob hier noch dringender Handlungsbedarf besteht.
4. Empirische Untersuchung – Analyse von ausgewählten Organisationsstrukturen
In Anbetracht der begrenzten zeitlichen und finanziellen Möglichkeiten einer Abschlussarbeit wurde der Gegenstand der Analyse auf den Aspekt der Mitgliederentwicklung eingegrenzt und vor diesem Hintergrund auch die entsprechende Untersuchungsfrage wie folgt formuliert:
Gibt es Strukturen innerhalb der olympischen Spitzenverbände, die konkret den Verantwortungsbereich der Mitgliederentwicklung aufweisen?
Allgemein lassen sich in Sportorganisationen direktive, d.h. entscheidungsbefugte, und operative, d.h. ausführende, Strukturen unterscheiden. In den Verbänden ist das Führungsgremium, das die Verbandspolitik steuert und somit großen Einfluss auf die Entscheidungsgewalt nimmt, durch ein Präsidium bzw. einen Vorstand mit seinen verschiedenen Zuständigkeiten gegeben. Das operative Geschäft wiederum obliegt in der Regel der Geschäftsstelle, die in aufgabenspezifische Ressorts bzw. Abteilungen gegliedert ist. Unter Berücksichtigung dieser beiden Ebenen – die Entscheidungsebene (Präsidium/Vorstand) und die Ausführungsebene (Geschäftsstelle) – konnten nun Kategorien gebildet werden, die sich an der Untersuchungsfrage orientieren. Es ergibt sich ein Kategoriensystem aus vier Hauptkategorien, die sich auf die beiden Ebenen aufteilen. Teilweise ergeben sich Unterkategorien.
- Entscheidungsebene
- Verantwortungsbereich Sportentwicklung
Haupt- oder ehrenamtlich geführt? - Verantwortungsbereich Marketing
Haupt- oder ehrenamtlich geführt? - Vertretung der Landesverbände
- Verantwortungsbereich Sportentwicklung
- Ausführungsebene
- Verantwortungsbereich Sportentwicklung
Anzahl der Mitarbeiter - Verantwortungsbereich Marketing
Anzahl der Mitarbeiter - Ausgliederung einer Marketing-GmbH
- Verantwortungsbereich Sportentwicklung
Das Vorhandensein der jeweiligen Kategorien in den Organisationsstrukturen der Verbände bezeugt die aktive Auseinandersetzung mit dem Bereich Mitgliederentwicklung.
Nach der Kategorienbildung wurden die 38 olympischen Spitzenverbände in brieflicher Form kontaktiert. Es wurde um Einsicht in aktuelle Haushalts- und Stellenpläne gebeten, um Übersichten zur Zusammensetzung des Präsidiums bzw. des Vorstandes sowie um Informationen zu ausgegliederten Marketing-GmbHs. Es wurde eine sechswöchige Rückmeldefrist angegeben. Parallel erfolgte die Durchsicht der offiziellen Webseiten der Verbände. Diese lieferten größtenteils zusätzliche Informationen zur Organisationsstruktur in Form von Satzungen und Organigrammen bzw. Strukturplänen. Nach der sechswöchigen Rückmeldefrist wurde eine erste Bilanz des gesammelten Materials gezogen.
Von den insgesamt 38 angeschriebenen olympischen Spitzenverbänden meldeten sich 13 zurück. Von ihnen waren neun bereit, das gewünschte Material bereitzustellen und die wissenschaftliche Arbeit zu unterstützen. Auf den verbandseigenen Webseiten konnten die Satzungen eines jeden Verbandes sichergestellt werden. Insgesamt lieferten die Webseiten ausreichend Informationen, um schließlich die Kategorien auf das Material anwenden zu können. Teilweise verlässt sich die Arbeit bei der Datenerhebung daher auf die Richtigkeit der Angaben auf den Webseiten, die allerdings nicht garantiert ist. In den Daten der Studie können somit leichte Abweichungen von der Realität mit eingearbeitet worden sein, die aufgrund von fehlenden Informationen oder Fehlinformationen auf den Webseiten zustande gekommen sind. Diese haben allerdings nur geringen Einfluss auf das Endergebnis der Untersuchung.
5. Ergebnisse der empirischen Untersuchung
Die Studie präsentiert eine erste Antwort auf die größer gefasste Forschungsfrage, inwieweit die Strukturen der olympischen Spitzenverbände des deutschen Sports erkennen lassen, dass den Handlungsempfehlungen des Abschlussberichts der Projektgruppe ‚Demografischer Wandel‘ aus dem Jahr 2007 Folge geleistet wurde. In der Untersuchung wurden ausgewählte Strukturen der Verbände anhand mehrerer Kategorien dahingehend analysiert, ob sie Verantwortungsbereiche ausgewiesen haben, die sich mit dem Arbeitsfeld der Mitgliederentwicklung auseinandersetzen.
Anhand der ersten Kategorie konnte aufgezeigt werden, dass die Mehrzahl der Spitzenverbände sowohl im Führungsgremium (vgl. Tab. 2) als auch in der Geschäftsstelle (vgl. Tab. 3) auf einen eigens ausgewiesenen Verantwortungsbereich zur Sportentwicklung verzichtet. Unter den übrigen Verbänden lassen sich Unterschiede feststellen in Bezug auf den Umgang mit diesem Zuständigkeitsbereich. So ist die Position im Führungsgremium einiger Verbände hauptamtlich, in den meisten aber ehrenamtlich besetzt und in den Geschäftsstellen sind in der Regel ein Mitarbeiter, teilweise aber auch zwei, drei oder gar vier Mitarbeiter für dieses Arbeitsfeld angestellt. Je nach Spitzenverband wird diesem Verantwortungsbereich demnach ein unterschiedlicher Stellenwert zugewiesen und für den Großteil der Verbände lässt sich nicht sagen, dass dieser sonderlich hoch anzusiedeln ist.
Verband Führungsgremium Ressort
Bob- und Schlittenverband für Deutschland Hauptamtlicher Vorstand Organisationsentwicklung und Good Governance
Bund Deutscher Radfahrer Präsidium Vizepräsident Sportentwicklung
Deutscher Fußball-Bund Präsidium Vizepräsident Spielbetrieb und Fußballentwicklung
Deutscher Golf Verband Hauptamtlicher Vorstand Kommunikation & Golfentwicklung
Deutscher Hockey-Bund Präsidium Vizepräsident Sportentwicklung
Deutscher Kanu-Verband Hauptamtlicher Vorstand Vizepräsident Verbandsentwicklung
Deutscher Ringer-Bund Präsidium Vizepräsident Öffentlichkeitsarbeit und Verbandsentwicklung
Deutscher Ruderverband Präsidium Vorsitzender Verbandsentwicklung & Vereinsservice
Deutscher Schützenbund Präsidium Vizepräsident Verbandsentwicklung / Ethik
Deutscher Schwimm-Verband Präsidium Vizepräsident Verbandsentwicklung
Deutscher Skiverband Geschäftsführender Vorstand (hauptamtlich) Vorstand Sport-Entwicklung und Bildung
Deutscher Tennis Bund Präsidium Vizepräsident Sportentwicklung
Deutscher Tischtennis-Bund Präsidium Vizepräsident Sportentwicklung
Deutscher Turner-Bund Präsidium VizepräsidentIn Verbandsentwicklung und Bildung
Tab. 2: Olympische Spitzenverbände, in deren Führungsgremium der Verantwortungsbereich Sportentwicklung explizit ausgewiesen ist (eigene Darstellung)
Verband Ressort Marketing Anzahl Angestellte
Bob- und Schlittenverband für Deutschland Marketing/Social Media BSD-Portal 1
Bund Deutscher Radfahrer Referat Marketing & Kommunikation 3
Bundesverband Deutscher Gewichtheber Öffentlichkeitsarbeit/Marketing 1
Deutscher Alpenverein Geschäftsbereich Kommunikation und Marketing 4
Deutscher Eishockey-Bund Marketing / Sponsoring 1
Deutscher Golf Verband Marketing 1
Deutscher Handballbund Vorstandsbereich Marketing & Kommunikation 6
Deutscher Hockey-Bund Marketing & Veranstaltungen 1
Deutscher Kanu-Verband Geschäftsführer DKV-Wirtschafts- und Verlags GmbH 1
Deutsche Reiterliche Vereinigung Referat Marketing und Kommunikation 15
Deutscher Ruderverband Referent Marketing 1
Tab. 3: Olympische Spitzenverbände, in deren Geschäftsstellen der Verantwortungsbereich Sportentwicklung explizit ausgewiesen ist sowie die Anzahl der Beschäftigten (eigene Darstellung)
Anhand der Kategorien Verantwortungsbereich Marketing und Ausgliederung einer Marketing-GmbH wurde deutlich, dass die Zuständigkeit für die Vermarktung in den wenigsten Fällen Einzug in das Führungsgremium des jeweiligen Spitzenverbandes findet (vgl. Tab. 4).
Verband Führungsgremium Ressort(s) / Person
Bob- und Schlittenverband für Deutschland Hauptamtlicher Vorstand Marketing und Sponsoring
Bund Deutscher Radfahrer Geschäftsführendes Präsidium Vizepräsident Kommunikation und Marketing
Deutscher Badminton Verband Präsidium Vizepräsident Medien / Marketing
Deutscher Leichtathletik Verband Präsidium Vizepräsident Wirtschaft
Deutscher Skiverband Geschäftsführender Vorstand (hauptamtlich) Geschäftsführer DSV Marketing GmbH
Deutscher Tennis Bund Präsidium Vizepräsident Recht und Vermarktung
Tab. 4: Olympische Spitzenverbände, in deren Führungsgremium der Verantwortungsbereich Marketing explizit ausgewiesen ist (eigene Darstellung)
In lediglich sechs Verbänden ist ein Mitglied explizit mit der Aufgabe betraut und kann verstärkt Vorschläge zu diesem Gebiet einbringen. Häufiger ist dieser Arbeitsbereich dagegen in den hauptamtlichen Strukturen vorzufinden, beispielsweise in der Geschäftsstelle (vgl. Tab 5). Die Hälfte aller olympischen Spitzenverbände bevorzugt gar eine Lösung mit einer ausgegliederten Marketing-GmbH oder einem externen Dienstleister für den Bereich Vermarktung (vgl. Tab. 6). Dies kann durchaus als positives Indiz dafür gewertet werden, dass die betreffenden Verbände um die Außendarstellung ihrer Sportart bemüht sind und ihren Bekanntheits- und Attraktivitätsgrad steigern wollen. Allerdings muss auch hier festgehalten werden, dass ein großer Teil der Spitzenverbände dem Bereich Marketing keine expliziten Zuständigkeiten zuweist, obwohl die Vermarktung eines Verbandes durchaus als Schlüsselrolle bei der Gewinnung von Sponsoren und Mitgliedern bezeichnet werden kann.
Verband Ressort Marketing Anzahl Angestellte
Bob- und Schlittenverband für Deutschland Marketing/Social Media BSD-Portal 1
Bund Deutscher Radfahrer Referat Marketing & Kommunikation 3
Bundesverband Deutscher Gewichtheber Öffentlichkeitsarbeit/Marketing 1
Deutscher Alpenverein Geschäftsbereich Kommunikation und Marketing 4
Deutscher Eishockey-Bund Marketing / Sponsoring 1
Deutscher Golf Verband Marketing 1
Deutscher Handballbund Vorstandsbereich Marketing & Kommunikation 6
Deutscher Hockey-Bund Marketing & Veranstaltungen 1
Deutscher Kanu-Verband Geschäftsführer DKV-Wirtschafts- und Verlags GmbH 1
Deutsche Reiterliche Vereinigung Referat Marketing und Kommunikation 15
Deutscher Ruderverband Referent Marketing 1
Tab. 5: Olympische Spitzenverbände, in deren Geschäftsstellen der Verantwortungsbereich Marketing explizit ausgewiesen ist sowie die Anzahl der Beschäftigten (eigene Darstellung)
Verband Name der GmbH
1 Bob- und Schlittenverband für Deutschland RGS-Sport-Marketing GmbH
2 Bund Deutscher Radfahrer Rad Sport Kontakt GmbH
3 Deutscher Badminton-Verband Vermarktungsgesellschaft VBD
4 Deutscher Basketball Bund BWA, Basketball Werbe Agentur GmbH
5 Deutscher Fechter-Bund Deutsche Sport-Marketing GmbH
6 Deutscher Fußball-Bund DFB-Wirtschaftsdienste GmbH
7 Deutscher Golf Verband Deutsche Golf Sport GmbH
8 Deutscher Handballbund Handball Marketing GmbH
9 Deutscher Judo Bund SBM Sport Business Management GmbH
10 Deutscher Kanu-Verband Deutscher Kanu-Verband Wirtschafts- und Verlags GmbH
11 Deutscher Leichtathletik-Verband DLM Deutsche Leichtathletik Marketing GmbH
12 Deutscher Rugby-Verband Deutsche Rugby Marketing GmbH
13 Deutscher Schützenbund SFG – Sportförderungsgesellschaft
14 Deutscher Segler-Verband DSV Segel-Marketing GmbH
15 Deutscher Skiverband DSV MARKETING GMBH
16 Deutscher Tennis Bund DTB Marketing und Stadion GmbH
17 Deutscher Tischtennis-Bund Tischtennis Marketing GmbH
18 Deutscher Turner-Bund DTB Service GmbH
19 Deutscher Volleyball-Verband Deutsche Volleyball Sport GmbH
Tab. 6: Olympische Spitzenverbände, die über eine ausgegliederte Marketing GmbH verfügen. Verbandseigene GmbHs sind unterstrichen. (eigene Darstellung)
Die olympischen Spitzenverbände wurden zusätzlich dahingehend untersucht, ob im jeweiligen Führungsgremium eine Vertretung der Landesverbände Sitz und Stimme hat (vgl. Tab 7). Dies wird als Indiz dafür gewertet, dass die Interessen der Landesverbände und ihrer Sportvereine angemessen Berücksichtigung finden und die Letztgenannten in Entscheidungsprozessen über die Verbandspolitik miteingebunden sind. Dies ist lediglich in zwölf Spitzenverbänden der Fall, was den Schluss zulässt, dass den Landesvertretungen und damit auch den Sportvereinen beim Großteil der Verbände nur wenig Mitspracherecht zugestanden wird.
Verband Vertreter der Landesverbände
Bob- und Schlittenverband für Deutschland Vertreter/in eines Landesfachverbands mit einer Kunsteisbahn
Vertreter/in der Landesfachverbände ohne Kunsteisbahn
Landrat BGL
Bund Deutscher Radfahrer Sprecher der Landesverbände
Bundesverband Deutscher Gewichtheber Vertreter Landesverbände
Deutscher Fechter-Bund Vertreter Landesverbände (2)
Deutscher Fußball-Bund Vorsitzender der Konferenz der Regional- und Landesverbandsvorsitzenden
sechs Vizepräsidenten der Regional- und Landesverbände
Deutscher Handballbund Vertreter der Regional- und Landesverbände im DHB-Präsidium
Deutscher Hockey-Bund Vorsitzender Bundesausschuss
Deutscher Leichtathletik-Verband Vizepräsident Landesverbände
Deutsche Reiterliche Vereinigung Repräsentant der Ostverbände
Interessenvertreter der AG Landesverbände
Deutscher Ruderverband Vorsitzender des Länderrats
Deutsche Triathlon Union Sprecher der Landesverbände
Deutscher Turner-Bund Sprecher der Landesturnverbände
Tab.7: Olympische Spitzenverbände in Deutschland, in deren Präsidien Vertreter der Landesverbände mit Sitz und Stimme vertreten sind (eigene Darstellung)
Bei der Darstellung der Untersuchungsergebnisse hat sich herausgestellt, dass inklusive des Wellenreitverbands, der über keine Geschäftsstelle verfügt, zehn olympische Spitzenverbände in keiner der Kategorien vertreten sind. Auch wenn es sich dabei um kleinere Verbände handelt, muss dieser Umstand doch schon sehr verwundern, da es gerade für sie darum geht, die Mitgliederentwicklung voranzutreiben, um ihre olympische Sportart in Deutschland zu erhalten.
Insgesamt liefert die Studie ein erstes Indiz dafür, dass die olympischen Spitzenverbände in Sachen Mitgliederentwicklung ihr Potential noch lange nicht ausgeschöpft haben und in den meisten Verbänden noch dringender Handlungsbedarf besteht, was den Umgang mit dem Phänomen Demografischer Wandel angeht. Da dies bereits im Abschlussbericht der Projektgruppe ‚Demografischer Wandel‘ von 2007 gefordert wurde, kann die zentrale Fragestellung dieses Teils der Arbeit, nämlich ob die Strukturen der olympischen Spitzenverbände des deutschen Sports erkennen lassen, dass den Handlungsempfehlungen des Abschlussberichts der Projektgruppe Folge geleistet wurde, vorerst nur mit einem klaren Nein beantwortet werden. Für eine endgültige Beantwortung dieser Frage sind allerdings weitere Untersuchungen zu den Organisationsstrukturen der Spitzenverbände nötig, um der Komplexität dieser Problematik gerecht zu werden. Das Ziel einer tiefergehenden Analyse, die die vorliegende Arbeit nicht leisten kann, wäre es, den Verbänden Lücken in Bezug auf den Umgang mit demografischen Entwicklungen in ihrer Organisationsstruktur aufzuzeigen und daraufhin konkrete Lösungsvorschläge anzubieten. Gegenstand derartiger Analysen könnten unter anderem die Bedeutung und Entwicklung des Ehrenamts in den einzelnen Verbänden, die Vernetzung mit politischen und wirtschaftlichen Institutionen sowie die Sportstättenentwicklung darstellen.
6. Schlussbemerkung
Der vorliegende Beitrag begann mit einem Schreckens-Szenario, das ein desaströses Abschneiden der deutschen Delegation bei den Olympischen Spielen 2060 prophezeit sowie einen krassen Wertewandel der Bevölkerung des Landes in Bezug auf den Sport. Selbstverständlich war dieses Bild über die möglichen Folgen des demografischen Wandels für das deutsche Spitzenverbandssystem deutlich überzeichnet. Allerdings konnte ich aufzeigen, dass im Zuge des demografischen Wandels große Herausforderungen auf den organisierten Sport in Deutschland zukommen, die zeitnah konkrete Maßnahmen erfordern. Als zentrale Problematik konnte zunächst herausgestellt werden, dass sich der demografische Wandel in Deutschland insbesondere im Hinblick auf die Verschiebungen in den Altersstrukturen im deutschen Spitzenverbandssystem des Sports widerspiegelt. Dies impliziert eine wachsende Zahl vor allem an Mitgliedern über 60 Jahren bei gleichzeitiger Dezimierung der Altersgruppen unter 20 bzw. unter 40 Jahren. Setzen sich die Trends in den nächsten Jahren und Jahrzehnten fort, droht der Nachwuchs in Zukunft ein „knappes Gut“ zu werden. Eine Aussicht, die die Spitzenverbände zum Handeln zwingt und dabei insbesondere die Mitgliederentwicklung in den Mittelpunkt rückt, wie es bereits in den Handlungsempfehlungen des Projektbericht gefordert worden war. Aus diesem Grund wurde der Frage nachgegangen, ob die Strukturen der olympischen Spitzenverbände des deutschen Sports erkennen lassen, dass den Handlungsempfehlungen des Abschlussberichts der Projektgruppe Folge geleistet wurde. Anhand der Kategorien Verantwortungsbereich Sportentwicklung, Verantwortungsbereich Marketing, Vertretung der Landesverbände und Ausgliederung einer Marketing-GmbH wurden zu diesem Zweck die Führungsgremien und Geschäftsstellen der einzelnen Verbände überprüft. Es zeigte sich, dass in dieser Hinsicht bei einem Großteil der Verbände weiterhin strukturelle Mängel bestehen, die es zu beheben gilt. Daraus wurde die Notwendigkeit weitergehender Analysen abgeleitet, mit dem Ziel, sich ein umfassendes Bild davon zu machen, inwiefern die Organisationsstrukturen der olympischen Spitzenverbände in Deutschland es vermögen, die Herausforderungen des demografischen Wandels zu bewältigen.
Die Analyse brachte zum Vorschein, dass den Organisationen des deutschen Spitzensports viele Freiheiten hinsichtlich ihrer Verbandsstrukturen gewährt werden, sodass sich teilweise enorme Unterschiede zwischen den Verbänden auftun. Dies betrifft unter anderem die Größe der jeweiligen Führungsgremien und Geschäftsstellen, die nicht immer mit der tatsächlichen Größe des Verbands korreliert, sowie die Verteilung der Aufgabenbereiche innerhalb dieser Verbandsorgane. Es entsteht der Eindruck, dass einige (wenige) Spitzenverbände mit positivem Beispiel und großen Schritten vorangehen, während andere hinterherhinken oder gar abgehängt scheinen. Setzt man dies in Zusammenhang mit den Erkenntnissen dieser Studie, kommt man zu dem Schluss, dass der DOSB einerseits gefordert ist, mehr Richtlinien vorzugeben, was die Verbandsführung betrifft, und andererseits in engeren Austausch mit den Spitzenverbänden zu treten bzw. diesen Austausch zwischen den Verbänden anzuregen. Das, was den organisierten Sport in Deutschland seit seiner Gründung so erfolgreich gemacht hat, war gerade der starke Verbund aus Verbänden und Vereinen unter der leitenden Instanz des Dachverbands DOSB. In Zeiten großer Herausforderungen, wie dem des demografischen Wandels, wird die Zusammenarbeit und der Zusammenhalt dieser Institutionen umso wichtiger, um weiterhin die bedeutende Rolle, die der Sport in vielerlei Hinsicht in der Gesellschaft in Deutschland einnimmt, wahrnehmen zu können.
Quellen:
2007. Blessing-Kapelke, U., Klages, A. & Schwind-Gick, G. (Deutscher Olympischer Sportbund e. V., Hrsg.): Demographische Entwicklung in Deutschland: Herausforderung für die Sportentwicklung. Projektbericht der Projektgruppe „Demographischer Wandel“ des Deutschen Olympischen Sportbundes (2005 bis 2007). Zugriff unter https://www.dosb.de/sportentwicklung/demografische-entwicklung/
2007. Steinbach, D. & Hartmann, S.: Demografischer Wandel und organisierter Sport – Projektionen der Mitgliederentwicklung des DOSB für den Zeitraum bis 2030 / Demographic Changes and Organized Sports – Projections for the Membership Development of the DOSB until 2030 : Sport und Gesellschaft. Sport und Gesellschaft, 4 (3), 223-242.
2008. Fehres, K., Blessing-Kapelke, U., Tzschoppe, P. & Hartmann, S. (Deutscher Olympischer Sportbund e. V., Hrsg.): Mitgliederentwicklung in Sportvereinen – Bestandserhebungen und demografischer Wandel. Zugriff am 17.01.2019 unter https://www.dosb.de/sportentwicklung/demografische-entwicklung/
2009. Deutscher Olympischer Sportbund e. V. (Hrsg.): Mitgliederentwicklung in Sportvereinen 2000 bis 2015. Bestand, Veränderungen und Perspektiven.