Zur Notwendigkeit des Schulsports und zum Mindestbedarf an Bewegung, Spiel und Sport in der Schule

Dem Schulsport und damit dem Sportunterricht kommt anerkanntermaßen eine wichtige gesellschaftliche Bedeutung zu. Es ist deshalb eine der wichtigsten sportpolitischen Forderungen, dass ein Mindestbedarf an Schulsport an allen Schulen gesichert wird. Hierzu ist erforderlich, dass der Sportunterricht in der Stundentafel aller Schulen mit mindestens drei Stunden ausgewiesen ist. Eine Reduzierung der Stundentafel im Schulsport ist aus bildungs- ebenso wie aus gesundheitspolitischen Gründen abzulehnen. Die folgenden Argumente sollen zur Begründung dieser Forderung eine Hilfe sein: 

  1. Sinnvoller Sportunterricht unterliegt einer begründeten pädagogischen Zielsetzung. Dazu gehört vor allem auch eine trainingstheoretisch begründete Auswahl und Organisation der Unterrichtsinhalte. Sollen Trainingseffekte im Schulsport erreicht werden, so müssen die wesentlichen physiologischen Grundlagen und Gesetzmäßigkeiten des Trainings beachtet werden. Hierzu zählt die Tatsache, dass die meisten Anpassungserscheinungen auf Trainingsreize einen bestimmten zeitlichen Verlauf aufweisen. Während und unmittelbar nach einer körperlichen Belastung ist die Leistungsfähigkeit im Verhältnis zum Ausgangspunkt reduziert. Es folgt eine allmähliche Wiederherstellung dieser Leistungsfähigkeit, die in Abhängigkeit von bestimmten Stoffwechselprozessen sogar über das Ausgangsniveau hinaus geht (Überkompensation). D.h. der Körper reagiert auf eine Belastung in einer Weise, die gewährleistet, dass er zukünftig auf eine noch größere Belastung vorbereitet ist. Diese erhöhte Leistungsfähigkeit ist jedoch nicht stabil. Sie bildet sich zurück, wenn ein entsprechender neuer Reiz ausbleibt. Der Zeitpunkt der höchsten Überkompensation liegt für die meisten Stoffwechsel- und energiebereitstellenden Prozesse etwa zwei bis drei Tage nach dem Setzen des Trainingsreizes. Dies bedeutet, dass bei zweimaligem Sportunterricht pro Woche, wie es bei dreistündig erteiltem Sportunterricht die Regel ist, durchaus, wenn auch begrenzte Trainingseffekte und damit Verbesserungen in der motorischen Leistungsfähigkeit erreicht werden können. Eine Reduzierung der Sportstunden würde, wenn man davon ausgeht, dass die verbleibenden zwei Stunden dann als Doppelstunde erteilt würden, bedeuten, dass sich eventuell erzielte Verbesserungen und Anpassungen bis zur nächsten Unterrichtsstunde bereits zurückgebildet haben.
  2. Bewegungsmangelerscheinungen, Haltungsschwächen und -schäden und Immunschwächeerkrankungen nehmen auch bei Kindern und Jugendlichen rasant zu und stellen deshalb nicht zuletzt auch ein volkswirtschaftliches Problem dar. Dieser Entwicklung ist durch eine gezielte Bewegungs- und Gesundheitserziehung, aber auch durch eine Hygieneerziehung im Rahmen des Sportunterrichts entgegenzuwirken.
  3. Der Sportunterricht hat auch eine Ausgleichsfunktion für den übrigen Schulunterricht. Die Schüler sind den überwiegenden Teil ihres Schultags gezwungen, still zu sitzen und sich auf das Unterrichtsgeschehen zu konzentrieren. Sie sind dabei mental überaus stark gefordert, was zur Folge hat, dass Bewegungsimpulse unterdrückt werden und Bewegungsunruhe entsteht. Dies führt notwendiger Weise zu einer inneren Spannung, die sich in irgendeiner Weise entladen muss. Es ist sinnvoll und trägt zu einer gesunden Entwicklung des Schülers bei, wenn die Auflösung dieser inneren Spannungen innerhalb des institutionellen Rahmens der Schule unter pädagogischer Betreuung vonstattengeht. Nicht nur kann hier die Abfuhr von Aggressionen kanalisiert werden; vielmehr wird das natürliche Bewegungsbedürfnis selbst zum sozial geregelten Prozess und damit zum pädagogischen Handlungsfeld.
  4. Der Sportunterricht fördert in vieler Hinsicht die soziale Kompetenz des Schülers. Fragen des Sich-selbst-organisierens, der Verantwortungsübernahme für den Mitschüler, der Kommunikation sind hier, mehr als in anderen Unterrichtsfächern, selbstverständliche Unterrichtsbestandteile.
  5. Immer mehr organisierte Sportarten drängen über ihre Verbandsvertreter darauf, in den Rang einer sog. Schulsportart zu kommen. Es sind dies mittlerweile über achtzig Sportarten. In dem Bemühen diesem durchaus legitimen Anliegen auf angemessene Berücksichtigung gerecht zu werden, läuft der Schulsport Gefahr, nur noch eine sehr oberflächliche und damit unzureichende motorische Ausbildung zu erbringen. Dies würde bedeuten, dass in keiner Sportart mehr ein Fertigkeitsniveau erreicht wird, das den Schüler zum Betreiben dieser Sportart wenigsten in der Grobform befähigt. Diese Gefahr würde durch eine Reduzierung des Sportunterrichts noch vergrößert. (In diesem Zusammenhang ist auch zu erwähnen, dass die Erfüllung der in den Rahmenrichtlinien vorgesehenen zu erbringenden Anforderungen bereits mit den zur Verfügung stehenden drei Sportstunden bislang kaum erreicht werden konnte.)
  6. Sport gewinnt in der Gesellschaft eine immer größere Bedeutung. Es wäre fatal, wenn dieser Prozess in der Schule eine gegenläufige Orientierung erfahren würde.
  7. Immer häufiger wird für den Sport und den Sportunterricht der Anspruch erhoben, dass sie in ihrer Praxis theoretischen Ansprüchen genügen. Dies führte in den 60er Jahren zu der Entwicklung sportwissenschaftlicher Forschung und der Einrichtung sportwissenschaftlicher Institute und Ende der 70er Jahre zur Einführung des Leistungsfachs Sport in der gymnasialen Oberstufe und damit des Theorieunterrichts im Schulfach Sport. Dieser Anspruch ist – selbstverständlich in altersgemäßer Weise – auch auf die Sekundarstufe I auszudehnen.
  8. Nicht nur in der Schule, sondern auch zu Hause werden die Schüler immer mehr zu „Sitzkindern“. Sie verbringen, wie neuere sozialwissenschaftliche Untersuchungen zeigen, immer mehr Zeit sitzend vor dem Fernseher, dem Computer, dem Smartphone oder dem Schreibtisch. Verstärkt wird dies durch Wohnverhältnisse, die in den meisten Fällen dem Kind und dem Jugendlichen kaum noch Raum lassen, seinem natürlichen Spiel- und Bewegungsbedürfnis nachzugehen. Es fehlt an Spielplätzen, unbebauten Flächen, Sportplätzen und Parks. Hier muss die Schule gegensteuern.
  9. Für die meisten Jugendlichen ist der Schulsport der erste Anlass, mit regelmäßiger sportlicher Betätigung in Berührung zu kommen. Häufig bleibt dies sogar die einzige Form des Sporttreibens, das der Jugendliche im Laufe seiner Sozialisation erfährt. Der Schule kommt hier die wichtige Bedeutung zu, den Begriff des Heranwachsenden vom und seine Einstellung zum Sport, entscheidend mit zu prägen. Es muss deshalb Ziel des Schulsports sein, dies in eine positive Richtung zu lenken. Hierfür ist maßgeblich, dass der Schüler im Laufe seiner Schulzeit ein möglichst breit angelegtes Bewegungsrepertoire angeboten bekommt, um ihm vielfältige Bewegungserfahrungen und Erfolgserlebnisse zu vermitteln. Darüber hinaus bedarf dies einer intensiven Betreuung und Differenzierung im Sportunterricht.
  10. Insofern der Schulsport für den jungen Menschen der erste und oft einzige Kontakt mit sportlicher Betätigung ist, kommt ihm noch eine weitere Funktion zu. Die Sportvereine haben kaum eine Möglichkeit Kinder und Jugendliche gezielt als ihre Adressaten anzusprechen und sie für das Sporttreiben im Verein zu gewinnen. Wenn es gelingt im Schulsport positive Bewegungserfahrungen zu vermitteln und den Schüler zum Betreiben einer Sportart zu motivieren, können solche motivierte und talentierte Schüler den Vereinen zugeführt werden.
  11. Ergebnisse sportwissenschaftlicher Forschung weisen darauf hin, dass die Lebensphase zwischen dem 10. und 14. Lebensjahr für die Ausbildung motorischer und konditioneller Fähigkeiten als sensorische Phase anzusehen ist. Dies bedeutet, dass Fähigkeiten wie Schnelligkeit, Koordination, Ausdauer gerade in dieser Zeit in besonderer Weise gefördert werden können. Damit werden entscheidende Grundlagen gelegt für eine spätere Sportpraxis und eine eventuelle Spezialisierung. Was in dieser Phase versäumt wurde lässt sich in späteren Jahren nur schwer oder nur mit erheblich größerem Aufwand nachholen. Die Notwendigkeit des Schulsports kann wie folgt zusammengefasst werden:
  • Sport kann in der Schule zum Teil attraktiver angeboten werden als außerhalb.
  • Nur die Schule bietet die Möglichkeit, dass wirklich alle den Sport kennenlernen.
  • Sport in der Schule bietet die Möglichkeit, innerschulische Probleme und Einseitigkeiten auszugleichen, dadurch dass er ein zusätzliches Feld für Erfolgserlebnisse und ein Feld informelleren Lernens darstellt.
  • Die Schule bietet die Möglichkeit, Sport anders zu machen, als er außerhalb von ihr häufig anzutreffen ist.

Verfasst: 17.10.2018