Würdige Trauerarbeit und unangemessene politische Aggression

Stirbt ein guter Freund überraschend und unerwartet, so ist sein Tod für die Hinterbliebenen eine besondere Herausforderung. Den Tod zu verstehen, zu akzeptieren, lernen damit umzugehen ist nicht nur für die engsten Angehörigen ein nie enden wollender Prozess. Aktive Trauerarbeit bedeutet auch für die Freunde und die engere Umwelt des Verstorbenen ein oft nicht endender, widersprüchlicher und unklarer Weg, bei dem es Brüche, Kontinuität, freudige aber auch erneut belastende und traurige Ereignisse gibt. Wird jemand ermordet und durch barbarische Weise als junger Athlet, Kampfrichter oder Trainer bei dem für den Sport wichtigsten Ereignis, bei den Olympischen Spielen, aus dem Leben gerissen, so zeigt sich dies alles noch sehr viel ausgeprägter und die Trauerarbeit hat einen unendlichen Charakter.

In der Tat, das Attentat vom 5. September 1972 auf die israelische Olympiamannschaft muss für immer Mahnmal sein. Es ist für immer mit der israelisch-deutschen Geschichte verbunden und für Deutschland ist dieses Attentat nicht nur Mahnmal sondern eine Verpflichtung, aus der uns niemand entlassen kann.

Die Feier am 05.09.2012 zu Ehren der Toten von Fürstenfeldbruck, die 40 Jahre nach Ermordung der zehn Olympiateilnehmer und des deutschen Polizeibeamten am Tatort stattfand, hat auf eindrucksvolle Weise gezeigt, dass man sich in würdevoller Weise gemeinsam mit den Opfern an der Trauerarbeit beteiligen kann, dass man sich in Freundschaft mit den Israelis dieses menschenunwürdigen Ereignisses erinnern kann und dass dadurch auch Möglichkeiten zur Versöhnung eröffnet werden. Ein jüdischer Rabbi, ein katholischer Pater und ein evangelischer Pfarrer wiesen den Weg, wie Religionen ein Ort der Verständigung sein können. Der evangelische Posaunenchor, der Chor der Jüdischen Gemeinde München und ein Musikensemble haben Assoziationen ermöglicht, Sensibilität hervorgerufen und eine Stimmung vermittelt, die den Opfern und den Angehörigen der Opfer würdig war. Mit einfühlsamen Reden versuchten israelische und jüdische Repräsentanten aus einer Distanz von 40 Jahren dem schrecklichen Ereignis von 1972 gerecht zu werden. Dabei wurde durchaus auch ein differenzierter Blick sichtbar. Es wurde klar, dass die Ereignisse von damals heute mit anderen Augen zu sehen sind und dass jene, die auf das Tiefste von dem Attentat betroffen sind, sich auch heute noch in einer Trauerarbeit befinden, die niemals abgeschlossen werden kann. Die Würde, die auf diese Weise zum Ausdruck gebracht wurde, war allerdings nur die eine Seite der Feierstunde von Fürstenfeldbruck.

Auf der anderen Seite sind alte Gräben neu aufgerissen worden, bestehende wurden vertieft und Verletzungen wurden sichtbar, die in vieler Hinsicht irreparabel sind. Fürstenfeldbruck wurde zu einem Mahnmal israelischer Politik, vorgetragen von einem Vize-Premierminister, der die Feierstunde zu einer Kampfansage gegen den Iran nutzte. Der Vorsitzende des Zentralrates der Juden glaubte, über seine Emotionen seine aggressiven Gedanken entschuldigen zu können, die sich dadurch ausgezeichnet hatten, dass er in pauschaler Weise die Sportfunktionäre der Olympischen Spiele 1972 beleidigte, den damaligen Präsidenten des Organisationskomitees, Willi Daume, haltlos und völlig unbegründet diffamierte und sich damit brüstete, dass er den Verantwortlichen von damals niemals verzeihen könne. Ein Weg der Versöhnung, wie man ihn sich nach vielen Erinnerungsveranstaltungen an den verschiedensten Orten und aus den verschiedensten Anlässen nach 40 Jahren vielleicht hätte wünschen können, war dabei nicht zu erkennen. Im Gegenteil: ein Weg zur Verständigung wurde verstellt. Eine situationsangemessene und aus einer zeitgeschichtlichen Perspektive faire Beurteilung der Situation war auf diese Weise nicht mehr möglich. Ein Glück, dass es einen mutigen Münchner Oberbürgermeister gab, der auch dann wenn es politisch als nicht korrekt erscheinen mag, gegenüber dem deutschen Mitbürger aus dem Zentralrat der Juden einige Dinge zurechtrückte und die Frage aufwarf, inwiefern es fair ist, dass man heute über die Schuld von Toten redet, die sich nicht wehren können, angesichts der Tatsache, dass die Schuld an dem Verbrechen jedoch ganz eindeutig bei den palästinensischen Terroristen liegt. Am ehesten konnte man die Aggression der Angehörigen verstehen, die einmal mehr in einer Rede der Frau eines Opfers zum Ausdruck kam. Doch stellte sich auch hier die Frage, was Polemik und Aggression 40 Jahre danach bewirken sollen, wenn diejenigen, die das Verbrechen zu verantworten haben, damit nicht erreicht werden können. Gewiss gab es ein großes menschliches Versagen und unverzeihliche Fehler haben die Ermordung der israelischen Sportler begünstigt. Hier hätte man in der Tat ein aktives Engagement der deutschen Sportführung in den vergangenen 40 Jahren erwartet, um eine entsprechende Aufarbeitung zu verlangen, um den Staat und die verantwortlichen Behörden zu verpflichten, gegenüber den Opfern eine entsprechende Aufklärung zu ermöglichen. Ich habe mir dies als späteres Mitglied des deutschen Olympischen Komitees ebenfalls vorzuwerfen.

Bei der Trauerfeier in Fürstenfeldbruck hätte man sich einige Aussagen und Erklärungen des Sports gewünscht, auf die viele gewartet hatten. Auch der Vizepräsident des Internationalen Olympischen Komitees wäre gefordert gewesen, der Trauergemeinde zu begründen, warum die von den Israelis so heftig geforderte Trauerminute aus Anlass der Olympischen Spiele nicht gewährt wurde. Die wiederholten Attacken auf das IOC blieben jedoch unerwidert. Die Attacken auf die deutschen Sportfunktionäre von damals und den NOK-Ehrenpräsidenten Willi Daume durch Dr. Graumann blieben unbeantwortet. Leider hat dabei der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes eine Rolle gespielt, die nur schwer zu verstehen ist. Auf der nationalen Bühne wollte er als guter Freund Israels gesehen werden. Innerhalb des IOC hatte er hingegen zu Recht und aus guten Gründen eine vorrangig von Politikern geforderte Trauerminute während der Eröffnungsfeier gemeinsam mit seinem Exekutivkollegium einstimmig abgelehnt. Man kann auf beiden Schultern Wasser tragen. Den persönlichen politischen Interessen kann dies genügen. Dem deutschen Sport wurde in Fürstenfeldbruck jedoch kein Dienst erwiesen.

Verfasst: 11.09.2012

Erstveröffentlichung: Würdige Trauerarbeit und unangemessene politische Aggression. In: Olympisches Feuer, 3/2012, 48-49.