Die Behauptung, dass sich Sportarten in einem Wettbewerb befinden, kann auf den ersten Blick überraschen. Biathlon oder Leichtathletik gibt es nur einmal, gleiches gilt für Handball oder Tischtennis. Hat eine Sportart eine bestimmte Organisation aufzuweisen, so ist die Sportart Monopolist für ein bestimmtes Sportangebot. Diese Monopolstellung wird der Sportart vom Gesetzgeber eingeräumt, deshalb kann es z.B. auch in der deutschen Dachorganisation, dem DOSB, immer nur einen Mitgliedsverband für eine Sportart geben. Gleiches gilt für die europäische Ebene. Auch für das IOC gibt es in Bezug auf eine Sportart immer nur einen einzigen Ansprechpartner. Die olympischen Sportarten sind somit in der Regel keiner internen Konkurrenz ausgesetzt. Sie werden auf der Grundlage kodifizierter Regeln betrieben. Finden sich genug Menschen, die bereit sind, sich dem jeweiligen Regelkonzept einer Sportart zu unterwerfen, so ist deren Überleben gesichert.
Manche Sportarten unterliegen insofern einer internen Konkurrenz, als dass sie verschiedene Disziplinen aufweisen, die eine unterschiedliche Attraktivität für die Sporttreibenden haben können. Im Schwimmen konkurrieren verschiedene Lagen wie das Brust-, Kraul- und Delfinschwimmen gegeneinander. In der Leichtathletik sind es 47 Disziplinen, die jede für sich bemüht sind, Nachwuchs zu sichern. Dem Lauf gelingt dies leichter als den Würfen. Die Sprünge scheinen eine konstante Attraktivität aufzuweisen, einigen Disziplinen wie z.B. dem Gehen scheint es an Attraktivität zu mangeln. Diese Konkurrenzsituation kann sich von Nation zu Nation sehr unterschiedlich darstellen. So gibt es Leichtathletiknationen, in denen die technischen Disziplinen eine große Popularität aufweisen, so z.B. in Ungarn, Tschechien und Deutschland. Es gibt Regionen, in denen das Gehen äußerst beliebt ist, z.B. in den russischen Republiken Mordovia und Chevashia. Kenia und Äthiopien zeichnen sich vor allem durch die Mittel- und Langstrecken aus, während auf Jamaica, den Bahamas, in Nigeria und auch in den USA vor allem die Sprintdisziplinen attraktiv sind. Nationale Prioritätensetzungen in Bezug auf die olympischen Sportarten gibt es nicht nur innerhalb der Sportarten, sondern auch in Bezug auf die Sportarten selbst. Badminton ist äußerst populär in Indonesien und Malaysia. Ringen hingegen ist in vielen afrikanischen und asiatischen Nationen beliebter Volkssport.
Diese Beobachtungen verweisen auf die eigentliche Wettbewerbssituation, wie sie in den vergangenen Jahrzehnten im olympischen Sport entstanden ist. Sie hängt in erster Linie davon ab, inwiefern es einer Sportart gelingt, Athletinnen und Athleten an sich zu binden, bei den Wettkämpfen Zuschauer anzulocken und sich als attraktive Sportart zu präsentieren, die für die Wirtschaft und die Massenmedien von Interesse ist. Neben der Konkurrenz der olympischen Sportarten untereinander, gibt es für diese längst auch eine Konkurrenz durch die nichtolympischen Sportarten. Aber auch die nichtolympischen Sportarten stehen untereinander in einem immer schärfer werdenden Wettbewerb. Dabei geht es vor allem um die Frage, wer von ihnen eine Chance erhält, in die privilegierte Gruppe der olympischen Sportarten aufzusteigen.
In Bezug auf die Partnerschaft zwischen Wirtschaft und Sport ebenso wie in Bezug auf die Resonanz des Sports in den Massenmedien ist mittlerweile eine Wettbewerbssituation entstanden, die in aller Schärfe von den olympischen und nichtolympischen Sportarten ausgetragen wird. Winter- kämpfen gegen Sommersportarten und im Grunde genommen kämpft Jeder gegen Jeden. Fußball nimmt dabei weltweit betrachtet eine Sonderstellung ein. Keine andere Sportart kann in vergleichbarer Weise Zuschauer, Sponsoren und Massenmedien an sich binden, wie es beim Fußball der Fall ist. Diese Dominanz geht ohne Zweifel zu Lasten aller übrigen Sportarten und es kann nicht überraschen, dass immer mehr Sportorganisationen in eine hitzige Diskussion über die Folgen dieser Dominanz eingetreten sind. Für jede Sportart scheint es heute unverzichtbar zu sein, sich äußerst exakt der eigenen Marktposition bewusst zu sein, die sie bei diesem internationalen Wettbewerb einnimmt.
Die Marktpositionen der Sportarten können sehr genau bestimmt werden. Das Sponsoring-Volumen, das ein Verband durch den Verkauf von Lizenzen erreicht, definiert seinen Wert gegenüber der Wirtschaft. Marktanteil und Zuschauerquote bei Übertragungen von Wettkämpfen einer Sportart und das anwesende Publikum, das bereit ist, gegen Bezahlung eine Eintrittskarte zu erwerben, können äußerst genau gemessen werden. Verfolgt man die Statistiken über einen längeren Zeitraum, so kann der Auf- und Abstieg der olympischen Sportarten innerhalb des Sportmarktes ebenso beobachtet werden wie die Marktpositionen der nichtolympischen Sportarten. Einige olympische Sportarten scheinen dabei in eine nahezu vollständige Abhängigkeit vom Erfolg der Olympischen Spiele geraten zu sein. Ihre internationale Marktposition im Sportkalender außerhalb der Olympischen Spiele ist äußerst schwach. Dies gilt für Bogenschießen, Curling, Modernen Fünfkampf, Synchronschwimmen, Skeleton und Vielseitigkeitsreiten. Andere zeichnen sich hingegen durch eine aufsteigende Tendenz aus. Einige nichtolympische Sportarten weisen mehr Zuschauer, Sponsoringeinnahmen und Fernsehzuschauer auf, als dies manchen olympischen Sportarten gelingt. Man denke dabei nur an Sportarten wie Drachenbootrennen, Karate und Billard. Bei den World Games sind auch Sportarten wie Wasserski, Speed Skating und Tanzsport als spektakulär zu bezeichnen.
Will man die internationale Wettbewerbsqualität einer Sportart beurteilen, so wären genaue und damit auch belastbare Daten zu Sponsoringvolumen und der Anzahl jährlicher TV-Zuschauer pro Sportart erwünscht. Solche Daten gibt es jedoch nur für wenige Länder und Regionen. Folgt man Experten-Ratings zu diesen Indikatoren, so wird mit Ausnahme von Nordamerika die Rangfolge der Sportarten von Fußball angeführt. Vordere Rangplätze nehmen Sportarten wie Baseball, Basketball, Volleyball und Handball ein. Eishockey dominiert den Wintersport, gefolgt von Skisport und Biathlon. Grundsätzlich kann der Mannschaftssport ganzjährig die meisten Zuschauer an sich binden und ist deshalb auch für Sponsoren attraktiv. Nur wenige Einzelsportarten können in dieser Konkurrenz bestehen, so z.B. die Leichtathletik und der Schwimmsport. Sportarten wie Moderner Fünfkampf, Curling und Mountainbike können in Bezug auf die genannten Indikatoren hingegen nur geringe Erfolge aufweisen. Es muss aber beachtet werden, dass nationale Rankings von internationalen Beurteilungen erheblich abweichen können, insbesondere beim Vergleich der Kontinente untereinander. Aber auch innerhalb eines Kontinents sind große Unterschiede zu beobachten. In Europa weist England derzeit z.B. folgende Beliebtheitsreihenfolge auf: Fußball, Rugby, Cricket, Cycling, Athletics. In Frankreich nehmen wie in England Fußball und Rugby die Spitzenplätze ein. Es folgt jedoch Basketball, Handball und Radsport, während in Deutschland nach dem Fußball Handball, Skisport, Basketball und Formel-1 folgen.
Manche Rankings verändern sich nahezu jährlich, andere sind über mehrere Jahrzehnte konstant. Davon unabhängig treffen die Marketingexperten der Wirtschaft und die Sportchefs in den Fernsehsendern und Online-Medien ihre Entscheidungen über die Zusammenarbeit mit einer Sportart nahezu ausnahmslos über die jeweils aktuell gültigen Rankings in den jeweiligen Nationen.
Will eine Sportart in diesem aggressiven Wettbewerb bestehen, so ist eine selbstkritische Überprüfung der eigenen Attraktivität zwingend notwendig. Ist die Präsentation meiner Wettkämpfe noch zeitgemäß? Welche Zielgruppen werden mit den eigenen Wettbewerben erreicht? Welche werden nicht erreicht? Wie viele zahlende Zuschauer gibt es bei den Veranstaltungen der nationalen Meisterschaften? Welches Sponsoringvolumen kann der Verband mit seinen Veranstaltungen erreichen? Was sind realistische Ziele für die Zukunft? Welche Kooperation gibt es mit den Massenmedien? Ist eine ausreichende Berichterstattung im Fernsehen vorhanden? Solche und ähnliche Fragen sind nüchtern zu beantworten. Darauf aufbauend sind sinnvolle Ziele zu formulieren, um die Sportart zukünftig konkurrenzfähig zu machen. Jede Sportart hat dabei durchaus eine realistische Chance, ihren Anteil am Wettbewerbsmarkt zu steigern.
letzte Überarbeitung: 26.04.2018
Erstveröffentlichung: In: Digel, H. (2014). Gefährdeter Sport. Schorndorf: Hofmann.