Warum die derzeit beabsichtigte deutsche Olympia-Bewerbung scheitern wird

Es gibt viele gute Gründe warum man sich die Durchführung Olympischer Spiele in Deutschland in der näheren Zukunft wünschen könnte. Seit der Einführung der Modernen Olympischen Spiele im Jahr 1896 durch Pierre de Coubertin sind diese ohne Zweifel das bedeutsamste kulturelle globale Ereignis, das nicht nur den teilnehmenden Athletinnen und Athleten sehr viel bedeutet. Wo immer sie bislang stattgefunden haben und zukünftig stattfinden werden, waren sie bzw. werden sie ein besonderes historisches Ereignis für das Land und den Kontinent sein in dem sie stattgefunden haben und stattfinden werden. Aber auch für die Gäste aus der ganzen Welt haben sie sich immer wieder als ein besonders bedeutsames Erlebnis erwiesen.

Die gesellschaftspolitischen Implikationen, die das olympische Ereignis – das nicht länger als vier Wochen andauert- für die nationale, kontinentale und globale Politik aufweisen, zeichnen sich durch eine außergewöhnliche Komplexität aus. Allein jene Spiele, die bislang in Deutschland ausgetragen wurden, die Spiele 1936 in Berlin und die Spiele in München 1972,  zeigen, welche politische Spannweite die Spiele auch in diesen Tagen noch immer aufweisen können und welche Chancen und Gefahren die Durchführung Olympischer Spiele mit sich bringen können.
In der jüngeren Geschichte der Olympischen Spiele musste man den Eindruck gewinnen, dass die Gefahren dabei zunehmend an Bedeutung gewonnen haben und dass sich der moderne Olympismus schon seit längerer Zeit in einer schwerwiegenden Krise befindet. Die Olympischen Spiele waren zu groß und zu teuer geworden. Sie wurden zunehmend zum begehrten Manipulationsobjekt von totalitären Staaten und verantwortungslosen Sportfunktionären und insbesondere das Interesse an der Durchführung der Spiele war zumindest in allen westlichen Demokratien an einem Nullpunkt angelangt.
Das IOC unter der Führung von IOC Präsident Bach hat sich mit seiner „Agenda 2020“ und „Agenda 2020 +5“ dezidiert mit dieser Krisensituation auseinandergesetzt und eine beispielhafte Reform eingeleitet, die dazu geführt hat, dass mittlerweile das Interesse an der Durchführung von Olympischen Spielen weltweit wieder angestiegen ist und die Zahl der möglichen Bewerber für die Spiele, die in den nächsten 20 Jahren stattfinden werden, sich wieder enorm erhöht hat.
Die IOC- Reformen machen es möglich, dass zukünftig Olympische Spiele wieder kostengünstig und in vieler Hinsicht auch gewinnbringend durchgeführt werden können. Deshalb macht es durchaus Sinn, dass auch das für eine deutsche Bewerbung allein zuständige nationale Olympische Komitee, der Deutsche Olympische Sportbund, die Absicht verfolgt, trotz mehrfach gescheiterter Olympiabewerbungen, sich für die Durchführung Olympischer Spiele in Deutschland zu bewerben.

Die schon seit mehreren Jahren erkennbaren Bemühungen und die nun seit einem Jahr in die Wege geleiteten Maßnahmen zur Vorbereitung einer Entscheidung über eine Bewerbung zur Durchführung Olympischer Spiele in Deutschland lassen meines Erachtens allerdings erkennen, dass die in diesen Tagen geplante deutsche Bewerbung für Olympische Spiele scheitern muss. Mindestens sieben Gründe sprechen für diese negative Prognose:

  1. „Unsere Ideen, Unsere Spiele“; Volksabstimmung

Über die Frage, ob Deutschland mit einer Stadt, mit einer Region, eventuell sogar gemeinsam mit einem anderen Land, sich für die Durchführung Olympischer Spiele bewerben soll, hat die Mitgliederversammlung des DOSB zu entscheiden. Die Entscheidung trifft also weder die Bundesregierung noch der Deutsche Bundestag aber auch nicht das sog. „Volk“. Die Entscheidung muss vielmehr von den Delegierten der Mitgliedsverbände des Deutschen Olympischen Sportbundes in einer offenen oder in einer beantragten geheimen Abstimmung erfolgen. Will man als Delegierter bei einer derartigen Abstimmung wissen wie man sich im Interesse seines Verbandes zu entscheiden hat, so sollte man wissen über was entschieden wird und warum eine Entscheidung erwünscht ist. Der Delegierte muss somit wissen, warum und ob er sich zu Gunsten von Sommerspielen oder Winterspielen entscheiden soll, ob solche Spiele überhaupt erwünscht sind und warum sich der DOSB für Olympische Spiele bewerben möchte. Zu keiner dieser Fragen wurde bislang vom DOSB eine befriedigende Antwort gegeben. Er glaubt vielmehr, dass über einen von ihm initiierten Dialog mit der sog. Bevölkerung die richtigen Antworten auf diese Fragen gefunden werden können und dass auf der Grundlage einer Bevölkerungsbefragung die endgültige Entscheidung über die Bewerbung erfolgt. Wobei bis heute unklar ist, wer bzw. welcher Teil der Bevölkerung dabei befragt werden soll.
Diese Vorgehensweise muss im günstigsten Falle als „naiv“ bezeichnet werden. Unter ökonomischen Gesichtspunkten ist sie vor allem verantwortungslos.
Die Sondierungskampagne und der bisherige Abstimmungsprozess unter dem Motto „Unsere Ideen – unsere Spiele“, die aus zehn „Fach- Talks“ mit Experten aus den Themenbereichen Sport, Wirtschaft, Nachhaltigkeit, Gesellschaft sowie Vergangenheit und Zukunft und aus fünf Dialogforen in interessierten Städten bzw. Regionen besteht, muss bereits in Bezug auf deren Konzeptionierung als gescheitert bezeichnet werden. Die Einschaltquoten und die Teilnehmerzahlen der live übertragenen „Fachtalks“ bzw. der „Dialogforen“ waren so beschämend gering, dass selbst die größten Optimisten und „Schönredner“ erkennen müssen, dass der bislang eingeschlagene Weg nicht erfolgreich sein kann.
Hätte der DOSB aus den bisherigen gescheiterten Bewerbungsbemühungen auf der Grundlage einer sorgfältigen Analyse die notwendigen Lehren aus dem Scheitern gezogen, so hätte möglicherweise verhindert werden können, dass viele der damals gemachten Fehler nicht noch einmal gemacht werden. Die wichtigste Lehre wäre allerdings gewesen, dass man zu der Erkenntnis gelangt, dass über eine Volksabstimmung in einem Land von der Größe Deutschlands mit 83,2 Mio. Einwohnern und einer parlamentarischen Demokratie, deren Parlament sich über mehr als sieben Jahrzehnte bewährt hat, das Instrument der Volksabstimmung ein völlig untaugliches Instrument ist, um über die bei einer Olympiabewerbung anstehende Fragen zu entscheiden. Wer beobachtet hat, von wie vielen verschiedenen tagesaktuellen politischen und gesellschaftlichen Ereignissen Volksabstimmungen abhängig sein können, wer die Gründe für das Scheitern der bisherigen sportbezogenen Volksabstimmungen in Deutschland genauer analysiert, der findet nur wenig tragfähige Argumente, warum man dieses Instrument anstelle einer Entscheidung des Deutschen Bundestages über eine finanzielle Absicherung einer deutschen Olympia- Bewerbung anwenden soll. Der DOSB müsste sich vielmehr fragen, warum die Nationalen Olympischen Komitees seiner westlichen Nachbardemokratien Frankreich und USA sich erfolgreich für Olympische Spiele in Paris 2024 und in Los Angeles 2028 beworben haben, ohne dass zuvor eine Volksabstimmung stattgefunden hat.

  1. Winter- oder Sommerspiele?

Olympische Sommerspiele und olympische Winterspiele sind zwei sportliche Großereignisse, die in Bezug auf Dauer, Kosten, Teilnehmerzahlen, Programm und Durchführungsbedingungen schon seit längerer Zeit kaum mehr vergleichbar sind. Es handelt sich um zwei völlig unterschiedliche sportliche Großereignisse. Darüber zu befinden, was für Deutschland heute und in der näheren Zukunft das geeignetere sportliche Großereignis sein könnte, bedarf einer sorgfältigen gesellschaftpolitischen, ökonomischen, geopolitischen und nicht zuletzt auch einer ökologischen Analyse. Von den Verantwortlichen im DOSB, von dessen Präsidenten und dessen Vorstand, muss man erwarten, dass sie auf der Grundlage einer derartigen Analyse selbst eine Entscheidung treffen, ob sie sich für Winter- oder Sommerspiele bewerben wollen. Eine derartige Entscheidung kann es über das nahezu resonanzlose „Dialogverfahren“, wie es vom DOSB bislang durchgeführt wurde, nicht geben. Dabei muss beachtet werden, dass sich die Möglichkeit von Winterspielen angesichts des Klimawandels und angesichts der vorhandenen wissenschaftlichen Expertisen für Deutschland nur in einem zeitlich sehr begrenzten Zeitfenster ergibt. Eine gemeinsame Bewerbung mit einem Nachbarstaat wie zum Beispiel mit Österreich (mit Salzburg und oder mit Innsbruck) oder der Schweiz hätte allerdings zum aktuellen Zeitpunkt eine sehr viel höhere Erfolgswahrscheinlichkeit als eine Bewerbung um zukünftige Sommerspiele, die einen sehr langen Zeithorizont aufweisen.

  1. Gibt es ein Alleinstellungsmerkmal?

Die Frage warum man sich für die Durchführung von Olympischen Spielen bewerben möchte bedarf einer eindeutigen Antwort, die es leider bis heute noch nicht gibt. Auch diese Frage muss von den Verantwortlichen in den Organisationen des deutschen Sports selbst beantwortet werden. Das gewählte Dialogverfahren kann hierzu möglicherweise eine Hilfe sein, da bislang nicht zu erkennen ist, dass aus den Organisationen des Sports heraus neue, kluge und kreative Ideen zur Klärung dieser Frage zu erkennen sind. Mit Etiketten wie „Nachhaltigkeit“, „Partizipation“, „Weltoffenheit“ und „Sommermärchen“, die vielleicht 1972 oder 2006 noch als kreativ zu bezeichnen waren, kann man heute im dritten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts keine Olympiabewerbung begründen, zumal diese Etiketten auch in allen Bewerbungen der potentiellen Gegner im Bewerbungswettkampf anzutreffen sind. Ein wirkliches Ärgernis ist es, wenn dann auch noch der DOSB-Präsident bei jedem öffentlichen Auftritt die unsinnige Vorgabe herausstellt, dass bei der Durchführung von Olympischen Spielen in Deutschland keine einzige neue Sportstätte gebaut werden muss. Dabei weiß vermutlich jeder Laie, dass in einem Zeitraum von 20 Jahren noch manche Sportstätte zu renovieren ist und oftmals anstelle einer Renovierung ein Neubau kostengünstiger sein kann. Hinzu kommt, dass das Programm der Olympischen Spiele sich ändern kann und für die eine oder andere neue Sportart in Deutschland nur sehr ungenügende Wettkampfstätten zur Verfügung stehen.
Gesucht sind vielmehr Alleinstellungsmerkmale, das „Besondere“ einer deutschen Olympia Bewerbung, die die verständlichen und auch wichtigen Motive zur Förderung des Leistungssports, die man mit in Deutschland abgehaltenen Olympischen Spielen verfolgen möchte, erst wahrscheinlich und möglich machen. Diese Alleinstellungsmerkmale sind derzeit noch nicht zu erkennen. Ein Kreativitätswettbewerb könnte hier zu ganz gewiss eine Hilfe sein.

  1. Der moderne Olympismus in deutschen Bildungseinrichtungen und in den deutschen Medien.

Ein wesentlicher Grund warum der derzeit vom DOSB eingeschlagene Weg des Dialoges mit der deutschen Bevölkerung wohl kaum erfolgreich sein kann, muss vor allem darin gesehen werden, dass in der deutschen Gesellschaft so gut wie kein fundiertes Wissen über die Bedeutung der modernen Olympischen Spiele, über deren Entwicklung, über deren Krisen und nicht zuletzt auch über die jüngsten Maßnahmen zur Bewältigung der jüngsten Krise vorhanden ist. Im Gegensatz zum Beispiel Italien, wo an jeder kommunalen Sportanlage an deren Eingangstoren die olympischen Ringe, Coubertins Idee der modernen Olympischen Spiele verkünden, sind in Deutschland die olympischen Ringe – und dabei vor allem die Idee der Olympischen Spiele – auf der lokalen Ebene und damit im Bewusstsein der deutschen Bevölkerung so gut wie nicht vorhanden. In den Bildungsplänen der öffentlichen Schulen werden die Philosophie und die Ideen des modernen Olympismus nur ganz selten vermittelt. Gute didaktische Hilfestellungen wie sie noch in früheren Zeiten durch das NOK öffentlichkeitswirksam bereitgestellt wurden, haben im schulischen Alltag so gut wie keine Bedeutung. Sie werden wohl noch immer von der Deutschen Olympischen Akademie (DOA) zur Verfügung gestellt, doch wie die Akademie in deren sonstigen Arbeit selbst sind sie nahezu wirkungslos. An den deutschen Universitäten können olympische Lehrinhalte in deren Vorlesungsverzeichnissen nur ganz selten oder gar nicht gefunden werden. Im öffentlich-rechtlichen Fernsehen und in den deutschen Radioanstalten sind Sendungen, in denen Wissen über die Entwicklung der Olympischen Spiele, deren angestrebte Werte und über die Besonderheiten und Merkmale ausgewählter Olympische Spiele nur ganz selten anzutreffen. In der Sportberichterstattung dominiert der Fußballsport. Nur alle vier Jahre kommen auch die übrigen olympischen Sportarten aus Anlass der jeweiligen Spiele zu Wort. In den Leitmedien der deutschen Presse werden die Olympischen Spiele allenfalls in kritischen Kommentaren behandelt. Von einer ausreichenden Wissensvermittlung über die Spiele kann nicht die Rede sein. Dem DOSB mit seinen Verbänden mangelt es an eigenständigen Vermittlungsstrukturen in den Landesverbänden und Vereinen. Die einstmals sich noch als wirkungsvoll erwiesene Organisation DOG, die Deutsche Olympische Gesellschaft, hat ihre Blütezeit längst hinter sich und viele ihrer Ortsgruppen sind mittlerweile in der Anonymität versunken. Ihr einst viel gelesenes monatliches Magazin, das „0lympische Feuer“ wurde vor Jahren mangels Unterstützung durch die Sportorganisationen in seinem bisherigen sehr erfolgreichen Format eingestellt und durch eine nahezu resonanzlose und inhaltsarme Online-Version ersetzt.
Angesichts dieser Situation darf man sich nicht wundern, dass in der deutschen Gesellschaft die friedenspolitische Konzeption der modernen Olympischen Spiele nahezu unbekannt ist und die olympische Charta in ihrer Bedeutung für die weiter Entwicklung der modernen Olympischen Spiele nicht erkannt wird.

  1. Der DOSB und das Prinzip der Autonomie und politischen Neutralität

Für das Gelingen einer deutschen Olympia-Bewerbung ist es von entscheidender Bedeutung wie im DOSB die für unabhängige Sportorganisationen äußerst wichtigen Prinzipien der Autonomie und der politischen Neutralität gepflegt und beachtet werden und wie der DOSB handelt, wenn staatlicherseits das im Grundgesetz garantierte „Prinzip der Subsidiarität“ im Verhältnis vom Staat zu seinen freiwilligen Vereinigungen infrage gestellt oder gar verletzt wird. Das jetzige Präsidium und der aktuelle Vorstand des DOSB, aber auch deren Vorgänger unter Leitung des ehemaligen Präsidenten Hörmann, haben in mehreren sportpolitisch und politisch brisanten Fragen keinen Nachweis erbracht, dass sie diesen Prinzipien eine besondere Beachtung schenken und sich gegen jegliche staatliche Bevormundung in aller Entschiedenheit wehren. Problematisch ist dabei nicht nur der aktuell zunehmende und offensichtliche parteipolitische Einfluss einer Regierungspartei auf die Sportpolitik des DOSB, was nicht zuletzt durch die parteipolitische „Herkunft“ mehrerer Präsidiums- bzw. Vorstandsmitglieder begünstigt wird. Einem Skandal kommt es gleich, wenn die Bundesministerin des Innern und für Heimat die Haltung und das Entscheidungshandeln präjudiziert, das vom DOSB in Bezug auf die Frage der Teilnahme neutraler Athletinnen und Athleten bei den Olympischen Spielen in Paris erforderlich ist, und wenn diese Ministerin dem IOC, hoffentlich ohne Absprache mit dem DOSB, mit einem Einreiseverbot gegenüber russischen und weißrussischen Athleten für Qualifikationswettkämpfe zu den bevorstehenden Olympischen Spielen droht. Dass die Innenministerin derselben Partei angehört wie die große Mehrheit der Mitglieder des DOSB-Präsidiums erhöht die „Qualität“ des Skandals. Die bis heute vorliegenden Entscheidungen, Handlungen und Äußerungen der Mitglieder des DOSB- Präsidiums in Bezug auf die Teilnahme neutraler Athleten mit russischer oder belarussischer Herkunft an den Olympischen Spielen lässt nicht erkennen, dass diese Mitglieder die Regeln der Olympischen Charta in ihrer vollen Reichweite kennen und sie bei ihrem zukünftigen Handeln auch beachten werden.
Besonders ärgerlich ist der Sachverhalt, dass auch bei den offenen Fragen zur Bewerbung des DOSB um zukünftige Olympische Spiele sich bereits mehrfach Politikerinnen und Politiker des Deutschen Bundestages, Landespolitiker und Oberbürgermeister in die Beantwortung dieser Fragen in unerlaubter und bevormundender Weise mit teilweise einer außergewöhnlich großen Unkenntnis über die Sachfragen eingemischt haben, ohne dass Ihnen der DOSB in aller Entschiedenheit widersprochen hätte. Vor diesem Hintergrund kann nicht erwartet werden, dass eine deutsche Bewerbung von den Mitgliedern des IOC wertgeschätzt und beachtet werden könnte.

  1. Deutschlands Position im Weltsport; deutsche feministische Außenpolitik; deutsche „Besserwisser“, deutsche „Heuchelei“

Die geopolitischen Strukturen und Machtverhältnisse haben sich in der jüngeren Vergangenheit gravierend verändert, wobei diese Veränderungen vor allem zu Lasten Europas erfolgten. Davon sind unter anderem auch die die Dachorganisationen der Olympischen Fachverbände in einem erheblichen Ausmaß betroffen. Wurden diese Verbände im vergangenen Jahrhundert mit deren Präsidenten und Entscheidungsgremien ganz wesentlich von europäischen Sportfunktionären geprägt, so hat sich in den letzten 30 Jahren die Führung dieser Verbände und die Zusammensetzung ihrer Entscheidungsgremien dramatisch verändert. In der Welt des Sports ist Deutschland mittlerweile nur noch eine Nation unter vielen, deren Einfluss auf die internationale Sportpolitik kaum größer ist als jener von Staaten wie Marokko, Südafrika, Ägypten, Brasilien, Chile und Argentinien. Von dem immer größer werdenden machtpolitischen Einfluss der eher noch jungen asiatischen Sportnationen Indien, China, Japan, Korea und Indonesien braucht gar nicht erst gesprochen werden. Waren früher die für die Führungsgremien internationaler Sportorganisationen nominierten deutschen Sportfunktionäre nahezu „Selbstläufer“ und waren deutsche Mitglieder in der Exekutive oder im Council eines Olympischen Sportfachverbandes eine Selbstverständlichkeit, so hat heute jeder deutsche Kandidat große Schwierigkeiten, die notwendige Mehrheit für eine Wahl in ein Entscheidungsgremium des Weltsports zu erhalten. Allein bei den letzten drei Wahlen in eines der wichtigsten Olympischen Entscheidungsgremien, das Council des Leichtathletik- Weltverbandes „World Athletics“, sind deutsche Kandidaten bereits dreimal gescheitert, nachdem in diesem Gremium deutsche Repräsentanten seit der Gründung dieses Verbandes durchgängig über mehr als 100 Jahre über Sitz und Stimme verfügten.
Die Einsicht in diese neue Situation ist leider nur bei einem kleineren Teil der deutschen Sportfunktionäre vorhanden. Angesichts einer staatlichen deutschen Außenpolitik, die sich selbst als „feministische Außenpolitik“ bezeichnet und sich angeblich an Werten orientiert, die auch für alle übrigen Nationen dieser Erde eine Orientierung sein sollten, kann dieser Mangel an Einsicht vielleicht sogar verständlich sein. Einer belehrenden deutschen Außenpolitik ist im vergangenen Jahrzehnt nicht selten noch eine belehrende Sportpolitik von Sportfunktionären gefolgt, die dem fragwürdigen deutschen Gütesiegel einer „deutschen Besserwisserei“ und einer auf vielen Gebieten zu beobachtenden „deutschen Heuchelei“ geschuldet war. Mit dem „Finger auf andere zeigen“ und dabei sich der eigenen Verfehlungen nicht bewusst zu sein oder diese gar zu beschönigen, ist zu Recht auch in der internationalen Sportpolitik sehr folgenreich.
Weder in der internationalen Politik noch in der Sportpolitik der Sportorganisationen kann man vermutlich mit dieser Haltung angesichts der neuen geopolitischen Situation weder neue Freunde finden noch für eigene Anliegen eine freundschaftliche Unterstützung erwarten. Warum sich diese Situation bei einer deutschen Olympiabewerbung ändern soll, kann von den für die derzeitige Bewerbung verantwortlichen Sportfunktionären vermutlich nicht beantwortet werden.
Erschwerend kommt hinzu, dass das ehemals gute Verhältnis zwischen IOC und DOSB trotz eines deutschen IOC-Präsidenten und eines ehemals mit dem DSB beruflich eng verbundenen IOC- General Sekretärs in der jüngeren Zeit ständig verschlechtert hat. „Groß mannsucht“ und „Inkompetenz“ führender Sportfunktionäre auf der deutschen Seite haben dabei längst fatale Auswirkungen für den deutschen Sport. Die „intellektuelle Bescheidenheit“ und ein Mangel an Charisma der derzeitigen deutschen Sportführung ist offensichtlich und hat längst schon dazu geführt, dass die ehemals starke Position des deutschen Sports in der deutschen Gesellschaft und im Gefüge von Politik, Arbeit, Wirtschaft, Kultur, Bildung, Wissenschaft und Kunst erheblich geschmälert wurde. Bei einem Vergleich der derzeitigen Amtszeit mit den Amtszeiten unter der Leitung des DSB- Präsidenten Willy Weyer und des NOK-Präsidenten Willi Daume wird dies mehr als deutlich.
Wenigstens sollte man sich wünschen dürfen, dass die derzeitige Führung des deutschen Sports die außergewöhnliche und erfolgreiche Reformarbeit ihres ehemaligen DOSB Präsidenten Dr. Thomas Bach als IOC- Präsident anerkennt und öffentlich entsprechend würdigt. Doch diesbezüglich ist eher das Gegenteil der Fall. Bei öffentlichen Auftritten rühmt man sich mit der Durchsetzung neuer Bewerbungsbedingungen, ohne die Urheberschaft des IOC- Präsidenten Bach zu erwähnen.

  1. Die Berichterstattung über das IOC im öffentlich-rechtlichen Fernsehen und in den deutschen „Leitmedien“

Wer sich die Mühe macht und die Berichterstattung in den deutschen Massenmedien über das IOC über einen längeren Zeitraum inhaltsanalytisch untersucht, der kann wohl zu keinem anderen Ergebnis gelangen als dass diese Berichterstattung sich durch eine permanente Kritik auszeichnet, wobei dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen in Bezug auf die Meinungsbildung der deutschen Öffentlichkeit über das IOC eine Schlüsselrolle zukommt. Unter journalistischen Gesichtspunkten ist eine Kritik des IOC und an den Olympischen Spielen angesichts der selbstverschuldeten IOC- Krisen, angesichts des Gigantismus und der nach mehreren Spielen hinterlassenen „weißen Elefanten“, angesichts des weltweiten Dopingbetruges und der Korruption eine zwingende Notwendigkeit. Dies setzt allerdings voraus, dass diese Kritik auf soliden Recherchen beruht und dass die Kommentare, Dokumentationen, Features, Interviews und sonstigen journalistischen Arbeitsformen in analogen und digitalen Medien den journalistischen Prinzipien der „Wahrhaftigkeit“, der „Klarheit“, der „Objektivität“ und der „Relevanz“ entsprechen. Diesbezüglich gibt es allerdings umfassende Zweifel, ob die Berichterstattung der deutschen Massenmedien diesen Prinzipien gerecht wird. Allein am Beispiel der Berichterstattung über die jüngste IOC- Session in Indien oder am Beispiel der Fußballweltmeisterschaft in Katar lässt sich zeigen, mit welchem ideologisch geprägten einseitigen Selektionsverfahren deutsche Massenmedien über diese Ereignisse berichtet haben.
Dabei ist längst offensichtlich geworden, dass Deutschland diesbezüglich einen Sonderfall in der internationalen Sportberichterstattung darstellt.  Mit der Etablierung von eigenständigen Redaktionen ist die Kritik am IOC und an den Weltsportorganisationen längst zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung geworden. Zu jedem sportlichen Großereignis ist es mittlerweile zu einer „Pflicht“ geworden, unmittelbar vor der Eröffnung des Ereignisses dieses Ereignis mit seinen Verantwortlichen an den „Pranger“ zu stellen und sich selbst für seinen freien und angeblich unabhängigen Journalismus zu loben. Für eine sorgfältige Analyse der bereits zehn Jahre andauernden Reformpolitik des IOC-Präsidenten Bach und seiner Exekutive ist dabei weder Zeit noch Raum. Die deutsche Bevölkerung über die Agenda 2020 und 2020+5 zu informieren und sie in ihrer Umsetzung zu begleiten, scheint für die Verantwortlichen in den deutschen Massenmedien kein lohnender journalistischer Auftrag zu sein. Dies gilt aber auch für die seit Monaten erfolgten Bemühungen des DOSB um eine deutsche Olympia Bewerbung. Auch hier kann und darf man sich fragen, welchen Beitrag das öffentlich-rechtliche Fernsehen leistet, damit diese Bewerbung erfolgreicher wird als die mehrfach gescheiterten bisherigen Bewerbungen. Immerhin wären ja die deutschen Medien einer der größten Nutznießer von Olympischen Spielen, wenn sie in Deutschland durchgeführt würden. Vor allem sollte man sich in Deutschland auch die Frage stellen, warum das IOC seine Olympischen Spiele an Deutschland vergeben soll, wenn über sie in einer aus der Sicht des IOC höchst fragwürdigen Weise berichtet wird. Eine Tendenz zum Masochismus war bei den Mitgliedern des IOC weder in der Vergangenheit noch ist sie derzeit zu erkennen.
Es gibt vermutlich noch eine ganze Reihe von Aspekten, die derzeit gegen eine erfolgreiche deutsche Bewerbung um Olympische Spiele angeführt werden können. Die im vorliegenden Essay genannten sieben Punkte reichen meines Erachtens jedoch aus, um an den DOSB und an die Mitgliedsorganisationen des DOSB einen Appell zu richten, dass der von ihnen eingeschlagene Bewerbungsweg dringend einer neuen Weichenstellung bedarf. Ein DOSB, der sich gemeinsam mit seinen Mitgliedsorganisationen um Olympische Spiele bewerben möchte, muss zunächst und zuallererst mit sich selbst ins Reine kommen. Über die grundlegenden Fragen bedarf es einer offenen internen Diskussion, die allerdings in Klausur stattzufinden hat und sich durch Vertraulichkeit auszeichnen muss. Werden bereits erste Ideen wie sie in einer Suchphase entstehen, durch Sportfunktionäre, die sich allenfalls als „Selbstdarsteller“ dadurch auszeichnen, an die Medien weitergegeben, so ist eine Bewerbung bereits zum Scheitern verurteilt bevor sie überhaupt begonnen hat. Die allgemeine und politische Öffentlichkeit einer deutschen Bewerbung sollte erst dann zum Zuge kommen, wenn sich die Führung des deutschen Sports intern klar geworden ist, warum sie sich für welche Spiele mit welchen Motiven und Ideen bewerben wollen. Sich kompetenter nationaler und internationaler Hilfe dabei zu bedienen, müsste eine Selbstverständlichkeit sein.

 

Letzte Bearbeitung: 21. 11. 2023