Tokio 2020 – die besonderen Spiele

Ein besonderes Datum

Die Olympischen Sommerspiele, die 2021 mitten in einer Corona-Pandemie in Tokio stattgefunden haben, sind in vieler Hinsicht etwas ganz Besonderes gewesen. Schon bei ihrem Namen gibt es eine Besonderheit. Vom IOC, vom Organisationskomitee und von den internationalen Medien wurde bei der Nennung ihres Namens auf das Jahr 2020 verwiesen, in dem sie eigentlich hätten stattfinden müssen. In Wirklichkeit sind sie aber im Jahr 2021 durchgeführt worden.

Ein Programm voller Innovationen

Die Spiele von Tokio waren die größten Olympischen Spiele, die jemals stattgefunden haben. Fünf neue Sportarten wurden aus Anlass dieser Spiele neu eingeführt – Basketball, Softball, Klettern, Karate, Skateboarding und Surfing. In bestehenden Sportarten wurden neue Disziplinen hinzugefügt, so z.B. BMX Freestyle, 3×3 Basketball, gemischte Staffeln in der Leichtathletik, im Schwimmen und im Triathlon. Insgesamt gab es 33 neue Events und 187 neue Gelegenheiten eine Medaille zu gewinnen. Auf diese Weise war das Programm der Spiele von Tokio das größte in der Geschichte der Olympischen Spiele. Niemals zuvor gab es so viele Möglichkeiten, eine Medaille zu gewinnen, als in Tokio 2020 und es gab bei verschiedenen Nationen ein beträchtliches und gezieltes neues Interesse, ihre Fähigkeiten zu entwickeln, Medaillenränge in diesen neuen Events zu erreichen.

Ungleich große Probleme bei der Vorbereitung

Gleichzeitig führte COVID-19 zu beachtlichen Beeinträchtigungen für die 206 Nationen, die an den Spielen teilgenommen haben. Es gab Athleten¹, die ihre Vorbereitung auf das Jahr 2020 ausgerichtet hatten und für die es aus unterschiedlichsten Gründen nicht möglich war, ihre Vorbereitung um ein Jahr zu verlängern und sich deshalb aus dem Hochleistungssport zurückgezogen haben. Für andere Athleten wurde das Jahr 2021 zu ihrem besonderen Vorteil. Hätten die Spiele im Jahr 2020 stattgefunden, so wäre ihr Start vermutlich nicht möglich gewesen. Als Beispiel sei die 13-jährige Bronzemedaillengewinnerin im Skateboarding aus Großbritannien erwähnt, die vermutlich im Alter von zwölf Jahren noch nicht in der Lage gewesen wäre, diese sportliche Spitzenleistung zur bringen.

Die Beeinträchtigungen durch COVID-19 wurden von Sportart zu Sportart, von Nation zu Nation, sehr unterschiedlich erfahren und erlebt. Die Umstellung von einem Vier- Jahreszyklus auf einen Fünf-Jahreszyklus hatte in Bezug auf das Training und die vorbereitenden Wettkämpfe von Sportart zu Sportart und in Abhängigkeit zu der Ausbreitung der Pandemie in den verschiedenen Nationen unterschiedliche Folgen. Man muss deshalb von einer gewissen Ungleichheit in Bezug auf die Wettkämpfe bei den Olympischen Spielen 2020 sprechen. In einigen Ländern gab es äußerst strenge Lockdown- Regeln, durch die jeglicher Sport verboten war, andere boten ihren Olympischen Athleten flexiblere Regeln zur Vorbereitung auf die Spiele an. Die Unterschiede in Bezug auf den Zugang zu Sportstätten, Ausrüstung, Trainingsmaterial und Trainer waren dabei erheblich. In einigen Nationen wurden den Athleten innovative Ersatzlösungen mittels neuer Technologien, „Home Gyms“ und digitalisierter Video-Kommunikation angeboten, Athleten anderer Nationen waren weniger glücklich und mussten deshalb ohne jegliche systematische Vorbereitung zu den Spielen nach Tokio reisen. Die Reisemöglichkeiten zu internationalen Sportveranstaltungen waren über einen Zeitraum von mehr als 18 Monaten erheblich eingeschränkt und viele Qualifikationswettkämpfe konnten nicht aufgesucht werden oder wurden ganz gestrichen. Deshalb war es auch nur bedingt möglich, sich genaue Informationen über seine Gegner und die gegnerischen Mannschaften einzuholen und die notwendigen Leistungsentwicklungsdaten zu erheben, wie dies bei allen früheren Spielen meist der Fall war.
Auch die Frage, ob überhaupt die Olympischen Spiele stattfinden können, haben auf die Vorbereitung der Athleten und Athleten erhebliche Auswirkungen gehabt. Dies gilt vor allem für die Athletinnen und Athleten aus jenen Ländern, in denen die Massenmedien in ihrer Berichterstattung eher für eine Absage der Spiele plädierten und sich nur selten oder gar nicht für ein Gelingen der Spiele in Japan eingesetzt haben. Eine zielgerichtete Fokussierung auf das für den Athleten wichtigste sportliche Ereignis war dabei äußerst schwierig und unter motivationalen Gesichtspunkten war eine psychologische Betreuung der Athletinnen und Athleten so wichtig wie niemals zuvor.

Kein Heimvorteil

Auch die Tatsache, dass der Gastgeber sich schließlich zu der Entscheidung durchgerungen hatte, die Spiele weitgehend ohne Zuschauer stattfinden zu lassen, hat auf die Vorbereitung der Athleten einen gewissen Einfluss gehabt, denn es bedeutete, dass man sich in einer Wettkampfsituation zu messen hatte, die es so zuvor bei Olympischen Spielen noch nicht gegeben hat. Bewährte Kommunikationsmuster und Strategien des Coachings, die auch bei einem hohen Geräuschpegel gelingen, mussten durch neue Kommunikationsmuster ersetzt werden und für die Athletinnen und Athleten stellte sich die Frage, wie man ohne den hohen Geräuschpegel eines mit Zuschauern gefüllten Stadions dennoch hoch motiviert seine besten Leistungen „abrufen“ kann.

Im Vergleich zu den Spielen von Rio de Janeiro hatten bei den Spielen in Tokio 206 Nationen anstelle der damaligen 207 Nationen teilgenommen. Nordkorea verzichtete auf eine Teilnahme mit der Begründung der COVID-19 Pandemie, was zur Folge hatte, dass sieben Medaillen, die Korea 2016 im Gewichtheben, in der Gymnastik, im Schießen und im Tischtennis gewonnen hatte, zur Disposition gestanden sind.

Spiele ohne Zuschauer

Die Tatsache, dass Zuschauer von den Spielen 2020 weitgehend ausgeschlossen waren, führte zu der weiteren Besonderheit, dass der übliche Heimvorteil, den die Ausrichter von sportlichen Großereignissen im Allgemeinen und von Olympischen Spielen im Besonderen zu nutzen wissen, in Tokio nur bedingt vorhanden war. Die Frage, ob dadurch in bestimmten Disziplinen andere Nationen diesen japanischen Nachteil in ihrer Konkurrenz mit japanischen Athletinnen und Athleten zu nutzen wussten, ist eine Frage, deren genauere Beantwortung sich lohnen könnte.

Tokyo 2020- ein organisatorisches Wunder

Für jeden Kenner der Entwicklung der Olympischen Bewegung und der modernen Olympischen Spiele kam es einem Wunder gleich, dass die 20. Olympischen Spiele mit ihrer außergewöhnlichen Komplexität im August 2021 in Tokio stattfinden konnten. Seit Beginn der Pandemie im Jahr 2019 kamen so zum ersten Mal die ganze Welt in Tokio zu einer friedlichen Begegnung zusammen. An 17 Wettkampftagen wurden alle Events wie geplant durchgeführt und die Sportstätten waren für die Athletinnen und Athleten bestens vorbereitet, so dass sie sich in fairen Wettkämpfen mit den jeweils Besten in ihren Sportdisziplinen messen konnten. Die Gleichheit der Geschlechter war bei den früheren Spielen noch nie so ausgewogen: von den teilnehmenden 11259 Sportlern waren 52 % männlich und 48 % weiblich und unter ökologischen Gesichtspunkten waren die selbst gesetzten Maßstäbe der japanischen Gastgeber außergewöhnlich hoch und können nur noch schwer übertroffen werden. Unter architektonischen Gesichtspunkten gehören die den Athleten zur Verfügung gestellten Sportstätten zu den schönsten und besten, die jemals bei Olympischen Spielen anzutreffen waren. Dabei wurden herausragende sportliche Leistungen erbracht und das Leistungsniveau war noch nie so ausgeglichen und gleichzeitig so hervorragend wie bei diesen Spielen in Tokio.

Die Verteilung der nationalen Erfolge wird immer ausgeglichener

Der beste Maßstab für die Einordnung der sportlichen Leistungen sind die Tabellen, in denen jeweils die besten acht einer Disziplin ausgewiesen werden. Von den 206 teilnehmenden Nationen konnten 121 Nationen (59 %) mindestens einen Top-Acht-Platz erreichen, 93 (45 %) haben mindestens eine Medaille und 65 (32 %) haben mindestens eine Goldmedaille aufzuweisen. Für das Top-Acht-Ranking bedeutet dies, dass in Tokio eine Nation mehr als in Rio einen Platz in diesem Ranking erreichen konnte. Die höchste Zahl an erreichten Medaillen wurde zuvor bei den Spielen in Peking 2008 mit 86 Nationen erreicht. In Tokio wurde sie somit um sieben Nationen überboten, der Goldmedaillenrekord von Athen 2004 mit 56 Nationen wurde gar um neun Nationen übertroffen.
Wie bei allen vorherigen Olympischen Sommerspielen stellt sich auch in Bezug auf Tokio 2020 die Frage, welche Nationen die Gewinner dieser Spiele gewesen sind und welche Nationen eher als die Verlierer zu bezeichnen sind. Der Gastgeber Japan war dabei ohne Zweifel der größte Gewinner dieser Spiele. China und Australien präsentierten sich ebenfalls mit außergewöhnlichen Leistungen. Das „Russische Olympische Komitee“, die Niederlande und Italien zeichneten sich dadurch aus, dass sie einen erheblichen Zuwachs bei der Zahl der gewonnen Medaillen aufweisen. Die USA hingegen, obgleich sie nach wie vor den ersten Platz in der Nationenwertung einnahmen, mussten Verluste im Vergleich zu Rio beklagen. Gleiches gilt für Deutschland, die allein sieben Goldmedaillen weniger erreichten. Interessant ist dabei, dass es nur wenige Nationen gibt, die über einen längeren Zeitraum ihre olympischen Erfolge konstant halten oder gar verbessern können. Nur Aserbaidschan und Großbritannien konnten über einen Zeitraum von fünf Olympischen Spielen sich auf der Seite der Siegernationen präsentieren. Für Großbritannien gab es einen historischen Tiefpunkt in Atlanta 1996. Seit diesem Zeitpunkt hat Großbritannien kontinuierlich eine positive Entwicklung bei seinen sportlichen Erfolgen aufzuweisen. Besonders erfolgreich ist auch Neuseeland. Es ist die dritte Nation die ebenfalls über eine Periode von fünf Olympischen Spielen einen ständigen Medaillenzuwachs aufweist.

Die Investitionen der teilnehmenden Olympiamannschaften werden immer höher

Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal der Spiele von Tokyo 2020 ist vermutlich auch darin zu sehen, dass noch nie zuvor so viele Nationen so viel finanzielle Unterstützung zu Gunsten ihrer Olympiamannschaften aufgewendet haben wie dies bei den Spielen in Tokio der Fall war. Dank einer interessanten Studie einer internationalen Expertenkommission (SPLISS), die der Frage nachging, wie der sportliche Erfolg mit den finanziellen Aufwendungen in 14 von ihnen ausgewählten Nationen zusammenhängt, können wir zum ersten Mal belegen (allerdings nur annäherungsweise), wie „teuer“ eine Medaille bei Olympischen Spielen in den ausgewählten Nationen sein kann und in welchen Ländern wie viel Geld für die Spiele aufgewendet wurde. Die Liste über die aufgewendeten finanziellen Leistungen für die jeweiligen Olympiamannschaften wird – nicht ganz unerwartet – von Japan mit 229 Millionen € angeführt, gefolgt von Großbritannien 202 Millionen €, Kanada 135 Millionen €, Brasilien 117 Millionen €, Schweiz 108 Millionen € und Australien 100 Millionen €. Stellen wir diese Aufwendungen in Relation zu der jeweiligen Bevölkerungszahl und errechnen wir damit die finanzielle Leistung pro Kopf der Gesamtbevölkerung, so wurden in der Schweiz 12,7 € pro Kopf, in Australien 3,92 €, in Kanada 3,55 €, in Großbritannien 3 Euro in Japan 1,81 € und in Brasilien 0,55 € pro Kopf aufgewendet.

Die Unterstützung der teilnehmenden Olympiamannschaften aus diesen Ländern resultiert in erster Linie aus staatlichen Finanzen, aus Lotterien und aus Einnahmen der jeweiligen Nationalen Olympischen Komitees, deren Einnahmen wiederum u.a. aus hohen Zuschüssen des IOC bestehen.

In der Studie wurde auch der Frage nachgegangen wie hoch die Investitionen im olympischen Zyklus 2016 bis 2020 in den jeweiligen Nationen gewesen sind. Auch hier zeigt sich, dass die Gastgebernation Japan aus naheliegenden Gründen mit mehr als 1 Billion die höchste Summe investiert hat. Die Gastgeber der vorausgegangenen Spiele 2012 Großbritannien und 2016 Brasilien sind die beiden nächst höchsten Investoren. Hingegen erreichen Finnland, Portugal oder Schweden weniger als 10 % dessen was Japan im Vier-Jahreszyklus vor den Spielen ausgegeben hat.
Aus einer vergleichenden Perspektive kann in dieser Studie gezeigt werden, dass grundsätzlich die Ausgaben der Nationen für deren Teilnahme bei Olympischen Spiele in den letzten Jahren erheblich angestiegen sind. Beim Vergleich der Jahre 2001 und 2012 haben sich in einigen Nationen die Ausgaben verdreifacht, so zum Beispiel in Belgien, Brasilien und Nord-Irland. In Frankreich, Südafrika und Finnland haben sie sich in diesem Zeitraum verdoppelt. Einige Nationen erhöhten ihre Ausgaben von einem Zyklus zum nächsten um bis zu 70 %. So zum Beispiel Finnland, die im Zeitraum von 2013 bis 2016 auf der Grundlage eines Sport-Reformprojekts ihre Ausgaben um 70 % erhöht haben. Auch Neuseeland und Kanada haben in diesem Zeitraum ihre Ausgaben um 40 % erhöht. Im Zyklus 2016 bis 2020   erhöhten die Niederlande ihre Ausgaben um 39 % von 211 auf 293 Millionen €, in Brasilien hingegen sind die Ausgaben in diesem Zeitraum gesunken.

Es lohnt sich dabei auch ein Blick auf die unterschiedlichen Quellen zu werfen, die in den verschiedenen Nationen in die finanzielle Unterstützung ihrer Olympiamannschaft eingeflossen sind. In Australien standen zum Beispiel im Jahr 2020 7,2 % aus Lotterieeinnahmen und 92,8 % aus einem Olympiafond zur Verfügung, der vom Staat finanziert wurde. In Brasilien hingegen war der Beitrag des Staates auf 18,2 % beschränkt und 81 % wurden über Lotterien und die Beiträge des NOK finanziert. In Kanada war der Staat mit 66,6 % und das NOK mit 33,4 % beteiligt, während in Finnland der Anteil des Staates 95,9 % und der des NOKs 4,1 % betrug. In Japan lag die Staatsbeteiligung bei 87,4 %, 7,9 % wurden über Lotterien aufgebracht und 4,7 % steuerte das NOK bei. Die Niederlande weisen folgende Anteile auf: staatliche Beteiligung 62,6 %, Lotterien 19,3 %, NOK 18,2 %. Bei Polen ist der staatliche Anteil lediglich 47,4 %, während der Anteil aus den Lotterien 52,6 % ausmacht. Schweden hingegen hat einen staatlichen Anteil von 70,2 % bei einer Eigenbeteiligung durch das in NOK von 29,8 %. Auch bei Großbritannien ist der Anteil durch die Lotterieeinnahmen mit 47,4 % im Vergleich zur staatlichen Unterstützung 39,3 % und zu den Eigenmitteln durch das NOK mit 13,4 % sehr hoch.

Was kostet eine olympische Medaille?

Angesichts der hohen Investitionen in die Olympiamannschaften der teilnehmenden Nationen stellt sich die Frage, welches Verhältnis in den einzelnen Nationen zwischen dem finanziellen Input und dem sportlichen Output, damit also der sportlichen Erfolgsentwicklung zu beobachten ist. Auch diesbezüglich bietet uns die jüngste Studie von De Boscher, Shibli et al. interessante Erkenntnisse. Der Durchschnittspreis für eine Medaille lag bei den Spielen von Tokyo bei 17,6 Millionen € in den von der Studie erfassten 14 Nationen. Den höchsten Preis für eine Medaille hatte dabei Finnland mit 52,6 Millionen € zu bezahlen, gefolgt von Brasilien 26,9, Portugal 24,2, Belgien 19,1, und Polen 19,1Millionen Euro. Großbritanniens Preis ist mit 11,0 Millionen € vergleichsweise ähnlich günstig wie der der Niederlande 8,1. Schweden bezahlte pro Medaille 7,6 und Neuseeland 7,5Millionen Euro.
Einige Nationen waren dabei ganz offensichtlich mit weniger Investitionen erfolgreicher als andere mit höheren Investitionen. So konnten in der vergleichenden Analyse Großbritannien, Niederlande, Neuseeland und Schweden als jene Nationen ausgewiesen werden, die am effizientesten ihre Investitionen bei den Spielen in Tokio nutzen konnten. Einmal mehr wurde dabei die Erkenntnis bestätigt, dass nicht notwendigerweise mehr Geld höheren sportlichen Erfolg zufolge hat. Wer allerdings seine Investitionen für seine Olympiamannschaft reduziert, kann nicht damit rechnen, dass er bei den nächsten Spielen sein Ergebnis halten kann. Niederlande +17 Medaillen, Australien +17 Medaillen, Japan +17 Medaillen und Schweiz +6 Medaillen zeigen vielmehr, dass durch eine Erhöhung der Ausgaben für die jeweiligen Olympiamannschaften ein beträchtlicher Zugewinn an olympischen Medaillen möglich ist. In der Studie gibt es eine sehr hohe Korrelation zwischen der absoluten Höhe der finanziellen Investitionen in den Hochleistungssport und der absoluten Zahl an Medaillen die bei den Olympischen Spielen in Tokio 2020 erreicht wurden.
Gewiss sind die Daten dieser Studie mit Vorsicht zu rezipieren. Nicht alle beteiligten Nationen haben zuverlässig einen Einblick in die Ausgaben für die Vorbereitung ihrer Olympiamannschaft gewährt. Doch die notwendigen Schätzungen wurden in der internationalen Studie von den beteiligten Wissenschaftlern äußerst sorgfältig durchgeführt, so dass man durchaus die Befunde dieser Studie als belastbar und tragfähig bezeichnen kann. Allerdings hätte man sich eine Relativierung der Befunde insofern gewünscht, dass in den untersuchten Nationen auch das existierende Potenzial aus dem Olympia Sieger geschöpft werden können etwas genauer erfasst wird. Ein Land wie Finnland mit 5,5 Millionen Einwohnern kann unter diesem Gesichtspunkt nur bedingt mit einem Land wie China mit 1,402 Milliarden Einwohnern verglichen werden.

„Olympic Solidarity“ wird immer erfolgreicher

Von Interesse kann auch ein Blick auf die Ergebnislisten von Tokio im Vergleich zu jenen von Rio sein, wenn gefragt wird, welche Nationen haben im Gegensatz zu Rio in Tokio eine oder mehrere Medaillen gewinnen können. Die Länder Ekuador, Litauen, Bermudas, Kirgistan, San Marino, Namibia, Nord-Mazedonien, Saudi-Arabien Turkmenistan, Botswana, Burkina Faso, Ghana, Kuwait können uns zeigen, dass es auch bei zukünftigen Olympischen Spielen immer wahrscheinlicher ist, dass die so genannten Entwicklungsländer und Schwellenländer olympische Erfolge erreichen können. Burkina Faso, Turkmenistan und San Marino gewannen zum ersten Mal in ihrer Geschichte eine olympische Medaille; Bermuda, Philippinen und Katar gewannen zum ersten Mal eine Goldmedaille.
Das „Olympic Solidarity Program“ erwies sich somit einmal mehr als sehr erfolgreich. 836 Stipendiaten war waren bei diesen Spielen am Start und sie gewannen 27 Gold-, 32 Silber- und 42 Bronze-Medaillen. Von den 29 geförderten Mannschaften wurde eine Gold-, eine Silber- und drei Bronze-Medaillen erzielt. „Olympic Solidarity“ investierte in die Spiele von Tokio 47 Millionen $ und unterstützte damit 1836 Athleten aus 186 NOKs.

Erfolgreiche massenmediale und ökonomische Spiele

Die Spiele von Tokio werden auch unter dem Aspekt ihres massenmedialen und ökonomischen Erfolgs etwas als etwas Besonderes in die Geschichte der Olympischen Spiele eingehen. Es waren die ersten „Streaming Games“ mit insgesamt 28 Billionen digitalen Video Views. Damit waren sie die am häufigsten gesehenen Spiele aller Zeiten. Im Vergleich zu Rio de Janeiro wurden durch „Web“ und „App“ 3,4mal mehr Zuschauer erreicht (Rio 58 Millionen, Tokio 196 Millionen). Dabei kamen auch völlig neue Technologien zum Tragen. 360° Replays beim Basketball, 3D Tracking beim Sprint in der Leichtathletik und die UHD/HDR Berichterstattung sind dabei erwähnenswert.
Als außergewöhnlich muss auch das „Domestic Sponsorship Program“ des japanischen Organisationskomitees bezeichnet werden. Nie zuvor wurden so hohe Einnahmen durch den Verkauf von nationalen Sponsorships an 67 japanische Partnerunternehmen erzielt. Das „Licensing-und Merchandising-Program“ dieser Spiele erreichte ebenfalls neue Rekorde.

Tokyo 2020 – die „Spiele der Athletinnen und Athleten“ unter dem Gebot der Solidarität

Was schließlich die Olympischen Spiele von Tokio zu etwas ganz Besonderem machte war der Sachverhalt, dass diese Spiele ganz auf die Interessen der Athletinnen und Athleten ausgerichtet waren. Dabei war es besonders passend, dass wenige Tage vor den Spielen das IOC, nicht zuletzt aus Anlass der Pandemie, dem Vorschlag seines Präsidenten gefolgt ist und sein traditionsreiches Motto um eine Maxime erweitert hatte: dem „Faster, Higher, Stronger“ wurde ein „Together“ hinzugefügt und damit zum Ausdruck gebracht, wie notwendig das Gebot der Solidarität für das friedliche Zusammenleben der Menschen auf dieser Erde geworden ist.
Im Zentrum dieser Olympischen Spiele standen allein das Olympische Dorf und die Wettkampfstätten. Alle sonst üblichen Anlagen und Ereignisse, die sich bei Olympischen Spielen in der Regel im nahen Umfeld der Wettkämpfe befinden, waren nicht erlaubt oder haben sich als nicht notwendig erwiesen. Selbst den Top Stars in den einzelnen Olympischen Disziplinen wurde keine Sonderbehandlung gewährt, indem sie sich z. B.  in Fünf-Sterne-Hotels auf ihre Wettkämpfe vorbereiten konnten. Es gab weder ein „Deutsches Haus“ noch ein „Haus der Schweizer“. Es existierte kein „Casa Italia“ und kein besonderer Treffpunkt für die amerikanischen Athletinnen und Athleten. Hospitality-Arrangements für das IOC und für die Sponsoren erübrigten sich nahezu vollständig. Auch für das sog. „Sponsor Village“ gab es keinen Bedarf. Die sonst „traditionellen“ täglichen Empfänge für die Funktionäre und die „Olympische Familie“ fanden nicht statt. Wie man überhaupt nur von einer sehr kleinen „Olympischen Familie“ sprechen konnte. Selbst die Angehörigen der IOC Mitglieder mussten die Spiele zu Hause am Fernsehgerät betrachten. Da ich selbst seit 1992 bei früheren Spielen Teil der „Olympischen Familie“ gewesen bin, wurde mir während der Spiele in Tokio bewusst, auf was ich bei der Betrachtung der Spiele aus der Ferne verzichten musste. Es wurde mir aber auch klar, dass ich auf diese Weise die Spiele sehr viel intensiver erleben konnte als wenn ich bei den Spielen vor Ort anwesend gewesen wäre. Waren für mich früher lediglich zwei, maximal drei Olympische Wettbewerbe angesichts der weiten Entfernung der unterschiedlichen Sportstätten möglich, so konnte ich bei den Spielen von Tokio 2020 täglich nahezu zeitgleich allen Wettbewerben folgen und auf diese Weise vor allem die Vielfalt des Olympischen Sports erfahren und erleben. Im Mittelpunkt der auf das Fernsehen ausgerichteten Spiele standen lediglich die Athletinnen und Athleten und sie konnten mit eigenen Augen zum ersten Mal die organisatorische Komplexität Olympischer Spiele beobachten, erfahren und auch zum ersten Mal die außergewöhnlichen Leistungen der Organisatoren dieser Spiele wertschätzen. Der Fokus der massenmedialen Berichterstattung musste notwendigerweise auf die Wettkämpfe selbst ausgerichtet sein. Das sonst übliche „Story -Telling“ über die Spiele musste ausbleiben.

Tokio 2020 waren im wahrsten Sinne des Wortes die Spiele der Athletinnen und Athleten; alle anderen und alles andere mussten notwendigerweise wegen COVID-19 in den Hintergrund treten. Allein dieser Sachverhalt machte diese Spiele zu einmaligen Spielen, wenngleich sich für die Winterspiele in Peking 2022 unter diesem Gesichtspunkt die gleichen Szenarien abzeichnen.

¹ Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf „gendergerechte“ Sprachformen – männlich weiblich, divers – verzichtet. Bei allen Bezeichnungen, die personenbezogen sind, meint die gewählte Formulierung i.d.R. alle Geschlechter, auch wenn überwiegend die männliche Form steht.

Letzte Bearbeitung: 7.01.2022