Sportverbände – ein notwendiges Übel?

Sportverbände sind in der Regel eingetragene Vereine. Diese Rechtsgrundlage ist in vielen soziologischen Analysen Ausgangspunkt für eine ganze Reihe äußerst positiver Interpretationsmuster. Sportverbände sind Orte, in denen demokratisches Handeln eingeübt werden kann. Sportverbände offerieren Ehrenämter, auf die die moderne Zivilgesellschaft zwingend angewiesen ist und das ehrenamtliche Handeln kann dabei als hilfreicher Gegenpol zu einer einseitigen und materialistischen Ausrichtung unserer Gesellschaft bewertet werden. Sportverbände sind vor allem am Gemeinnutz orientiert. Private Interessen werden zurückgestellt. Sportverbände haben das Gemeinwohl im Blick. Wirft man einen etwas genaueren Blick auf die Organisation des Sports, auf den DOSB, auf die Sportfachverbände, auf die Landessportbünde und die vielen weiteren Sportverbände, so zeigt sich uns allerdings eine sehr viel differenziertere Situation. Ja, man muss erkennen, dass sich die Sportorganisationen auch durch Merkmale auszeichnen, die in vieler Hinsicht äußerst fragwürdig sind. Dabei muss eine Innen- von einer Außensicht unterschieden werden. Die jeweils amtierenden Führungsgremien der Sportorganisationen nehmen sich selbst als äußerst aktiv und kreativ wahr, und sie glauben, dass sie sich von ihren Vorgängerorganisationen grundlegend unterscheiden. Ja, sie glauben, dass sie alles besser machen als die Vorgänger. Betrachtet man hingegen von außen im Längsschnitt die Entwicklung der Sportorganisationen, so werden völlig andere Merkmale offensichtlich.

Das erste Merkmal ist das der Kontinuität. Sportverbände verändern sich ganz offensichtlich so gut wie gar nicht. Ihre Gremien zeichnen sich durch redundante Wiederholungsprozesse aus. Das, was zuletzt beschlossen wurde, ist sehr schnell wieder vergessen und bedarf immer wieder einer Erneuerung. Mit angeblich neuen Beschlüssen wird deshalb nicht selten längst Beschlossenes noch einmal wiederholt. Das Merkmal der Kontinuität ist gepaart mit dem Merkmal der Illusion. Sportverbände sind überwiegend illusionär in Bezug auf ihre Möglichkeiten. „Wir sollten“, „wir müssten“ sind die gängigen Floskeln, die jedoch nur ganz selten zu tatsächlichen Veränderungen führen. „Talk“ ist ständig angesagt, „Action“ ist hingegen selten.

Besonders auffällig ist das Merkmal der Verschwendung von Ressourcen. Zeit, Raum, Geld und Personal stehen als Ressourcen zur Verfügung und mit ihnen wird auf äußerst verschwenderische Weise umgegangen.

Nicht selten sind auch in Sportorganisationen gewisse Formen von Etikettenschwindel zu beobachten. Neologismen der Managerideologie haben schnell eine Heimat in Sportverbänden gefunden. Jeder Angestellte ist mindestens Abteilungsleiter und jede Abteilung wird von einem Direktor geführt, auch dann, wenn diesem nur eine Person unterstellt ist. Visitenkarten des Sportmanagements sind Ausdruck einer personellen Schaumschlägerei. Damit kommt auch das Merkmal einer intellektuellen Anspruchslosigkeit zum Tragen, das bei vielen Sitzungen in Sportverbänden zu beobachten ist. Das haupt- und ehrenamtliche Personal begegnet sich in rituellen Formen. Die Redundanz und das ständige Wiederholen gleicher Sachverhalte führen zu einer Geistlosigkeit, die nur ganz selten durchbrochen werden kann. Solch redundantes und anspruchsloses Handeln geht einher mit einer Folgenlosigkeit dessen, was in den Gremien des Sports geleistet wird. Die meiste Arbeit ist nutz- und folgenlos. Besonders sichtbar wird dieses Merkmal in den Satzungen der Verbände. Folgt man der Ideologie von Sportorganisationen, so müssen Satzungen ständig verändert werden. Deswegen sind Satzungsanträge und deren Diskussion ein Hauptmerkmal der Verbandskommunikation. Vergleicht man diese Änderungen über mehrere Jahrzehnte so sieht man deren Nutz- und Folgenlosigkeit und die Absurdität dieses Handelns sehr deutlich. Satzungen und Ordnungen sind groß angelegte Papiere, die sich jedoch oft sehr schnell als eine Verschwendung von Zeit herausstellen und nicht selten als folgenlose Sprachprodukte bezeichnet werden müssen. Fast ebenso wichtig wie die Satzung sind für viele Sportverbände auch die Logos – im modernen Managementdeutsch ausgedrückt als das „Branding“ der Verbände. Hier nehmen sich die Verbände als äußerst wichtig wahr, sie sehen sich als „Marken“ wie die großen Marken, mit denen die Industrie Produkte verkauft. Logos werden deshalb im Erscheinungsbild nahezu alle zehn Jahre verändert und jedes neue Präsidium glaubt, sich durch ein neues eigenes Logo auszeichnen zu müssen. Dabei wird verkannt, dass die Namen der Verbände Schall und Rauch sind. Verbände sind nicht an einem Markt tätig, wie dies für Unternehmen gilt, und meist mangelt es auch an Produkten, wozu ein Logo vonnöten wäre. Nutznießer dieses irrationalen Handelns sind lediglich die kommerziellen Designagenturen, die sich über einen neuen Auftrag freuen.

Gewiss gibt es auch viel Nützliches, was von den Verbänden auf den Weg gebracht wurde und wird. Die „Sport für alle“-Konzeption des DSB, der Vorläuferorganisation des DOSB, die Kreation neuer Wettkämpfe in den einzelnen olympischen Sportarten, Aufklärungsprogramme gegen den Dopingbetrug, Entwicklung von Sportstättenleitplänen können beispielhaft herausgestellt werden. Die Frage, die sich dabei jedoch stellt, ist jene, ob all diese positiven Projekte nicht wesentlich einfacher, schneller und günstiger organisiert werden könnten, wenn man sie nicht über den lähmenden bürokratischen Apparat der Sportverbände abwickeln würde. Betrachten wir die Sportverbände über einen Zeitraum von 50 Jahren, so sehen wir eine eindrucksvolle Liste von Präsidenten, die den wichtigsten Organisationen des Sports vorstanden. Neuberger, Braun, Mayer-Vorfelder, Zwanziger, Niersbach waren die Präsidenten des DFB. Daume, Feick, Seeber, Thiele, Hinrichs, Steinhauser, Strombach, Bauer, Michelmann prägten den DHB. Daume, Kregel, Gmelin, Weyer, Hansen, von Richthofen, Bach, Krämer, Hörmann standen dem DSB beziehungsweise DOSB bevor. Danz, Kirsch, Munzert, Meyer, Digel, Prokop waren die Präsidenten des DLV. Vergleicht man die Arbeitsweisen dieser Präsidien, liest man deren Sitzungsprotokolle, betrachtet man die jährlichen Mitgliederversammlungen und analysiert man die Beschlüsse und deren Folgen, so wird vor allem eines sichtbar: die Arbeit der Sportorganisationen ist außerordentlich kostenintensiv, aber nur selten folgenreich. Was die Verbände in den vergangenen Jahrzehnten bewirkt oder nicht bewirkt haben, war dabei viel zu oft von diesen Einzelpersonen abhängig. Die Rekrutierung solcher Persönlichkeiten ist heute jedoch immer schwieriger geworden. Eine erfolgreiche Rekrutierung ist angesichts der Mehrheitsverhältnisse und der Notwendigkeit eines regionalpolitischen Austarierens in den Verbänden immer unwahrscheinlicher geworden. Zukünftig gilt es deshalb, sich von Personen unabhängiger zu machen und entsprechende neue Strukturen zu etablieren, die dem Auftrag der Verbände besser genügen.

Die Gefahr der Selbstbespiegelung der Verbandsgremien ist heute unübersehbar. Den Belangen der Sportentwicklung in unserer Gesellschaft wird man mit diesen Organisationsmustern nur sehr unzureichend entsprechen können. Eine grundlegende Reform der Verbandsarbeit ist zwingend notwendig geworden. Die Fähigkeit zur Selbstkritik wäre hierbei eine hilfreiche Stütze. Innovative und kreative Vorschläge wären dabei erwünscht und eine Risikobereitschaft zur Modellierung neuer Organisationsmuster wäre mehr als wünschenswert.

letzte Überarbeitung: 29.11.2017