Sind die Präsidien der Sportverbände noch zeitgemäß?

„Vorstandssitzungen sind oft langweilig, deshalb versuche ich nebenher dringende berufliche Arbeit zu erledigen.“ – “Wirkliche Diskussionen, die zu Entscheidungen führen, finden sehr selten statt.“ – „Meist wurde alles in kleinem Kreis bereits vorentschieden. Wichtige Punkte unterliegen der Telefondiplomatie, sie werden erst gar nicht auf die Tagesordnung genommen.“ – „Es überrascht mich immer wieder, wie häufig in meinem Verband über die gleichen Sachverhalte diskutiert werden kann, ohne dass die Diskussionen Folgen haben.“ – „Protokolle sind Schall und Rauch.“ – „Die Vorstandssitzungen werden von wenigen Personen dominiert, Akademiker haben in den Vorständen einen Freibrief des Redens.“ – „In Vorständen kann etwas als neu behandelt werden, obgleich es schon mehrfach in der Vergangenheit beschlossen wurde.“ So und ähnlich sehen und bewerten sich die Mitglieder aus Präsidien der Sportfachverbände immer häufiger, befragt man sie über die Arbeitsqualität der Vorstände des Sports.

Sportverbände sehen sich seit Jahren massiver Kritik an der Qualität ihrer Arbeit ausgesetzt. Ist in der Presse von Sportverbänden die Rede, so bezieht sich die Kritik immer häufiger auf die unzureichende Effektivität und Effizienz der Verbandsführungen. Im Zentrum steht meist die Kritik an der Ehrenamtlichkeit, und die Kritiker sind dabei oft etwas vorschnell mit angeblich geeigneten Reformvorschlägen bei der Hand. Teilweise wird eine grundlegende Änderung des Vereinsrechts gefordert, in manchen Verbänden wird die Einführung hauptamtlicher Vorstände diskutiert, manche haben sie bereits eingeführt, häufig kommt es sogar zur Forderung nach einer völligen Ersetzung gemeinnütziger Vereine mit ihren ehrenamtlichen Führungskräften durch gewerbliche Träger, etwa in der Rechtsform der GmbH. Dies ist oft mit der Annahme verknüpft, dass damit eine erfolgreichere Arbeit und nicht zuletzt auch eine effektivere Mittelverwendung möglich wäre.

Wer selbst über Jahrzehnte Präsidien verschiedener Sportorganisationen angehört hat und dabei über ein ausreichendes Maß an Selbstkritik verfügt, kann einigen der angesprochenen Kritikpunkte nicht widersprechen. Nur wenige Präsidien der Spitzensportverbände, aber auch der Landessportbünde werden den Anforderungen gerecht, die an einen qualitativ guten Vorstand gestellt werden. Oft sind die ehrenamtlichen Vorstände vor allem eine Ansammlung erfahrener, kenntnisreicher, teilweise auch hochbegabter Menschen, die sich jedoch in Vorstandssitzungen viel zu oft mit ausgesprochen anspruchslosen Aufgaben, zuweilen sogar mit Banalitäten beschäftigen und sich oftmals sogar nahezu zwangsläufig von ihrer Hauptamtlichkeit steuern oder beschäftigen lassen.

Effektive Vorstandsarbeit ist in Vorständen gemeinnütziger Organisationen ein seltener Fall, so das Urteil von Hans Langnickel, der ein ausgewiesener Kenner gemeinnütziger Organisationen und deren Führungsarbeit ist. Damit möchte Langnickel nicht die Ehrenamtlichen diskreditieren. Sein Urteil ist kein Urteil über die Menschen, die sich als Ehrenamtliche für die Vorstandsarbeit zur Verfügung stellen, sondern ein Urteil über das Konzept, mit dem ehrenamtliche Vorstandsarbeit heute praktiziert wird. Dabei muss sich der Vorstand keineswegs durch Hauptamtlichkeit auszeichnen und auch eine neue finanzielle Professionalisierung ist nicht erforderlich. Für eine Verbesserung des aktuellen Zustands wäre jedoch entscheidend, dass in den Sportverbänden die Rekrutierungsverfahren für die Vorstandsmitglieder, die Arbeit des Vorstandes selbst und dessen Informations- und Wissensmanagement auf den Prüfstand gestellt werden.

Aus wissenschaftlichen Studien zur gemeinnützigen Arbeit wissen wir, dass Vorstände dann effizienter arbeiten, wenn die Vorstandsmitglieder auf systematische, nachvollziehbare und planmäßige Weise gewonnen werden. Sie müssen systematisch in ihre Arbeit eingeführt werden. Innerhalb des Vorstandes muss eine offene Information und Kommunikation möglich sein. Den Vorständen müssen vor allem bedeutungsvolle Tätigkeiten überlassen werden, wobei sie ihre Kompetenzen außerhalb ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit in die Verbandsarbeit einbringen sollten. Jeder Vorstand benötigt gemeinsam erarbeitete strategische Ziele. Aber auch Prinzipien der Selbstkontrolle im Hinblick auf das Geleistete müssen eine Selbstverständlichkeit sein. Hilfreich sind auch Identität stiftende Riten, die die Mitglieder des Vorstandes zu einem Team zusammenführen. Ein guter Vorstand ist dann gegeben, wenn er sich durch eine hohe Gruppenkohäsion auszeichnet.

Ein schwer lösbares Problem ist die Frage nach Zielen und Inhalten der Vorstandsarbeit. Vergleichen wir das Präsidium eines Sportfachverbandes mit dem Vorstand eines Wirtschaftsunternehmens, so werden die Unterschiede schnell sichtbar. Ein Wirtschaftsunternehmen weiß in der Regel genau, welche Ziele in dem Unternehmen zu verfolgen sind, um erfolgreich zu sein. Auch verfügt es über die geeigneten Instrumente, um die Zielerreichung zu überprüfen. Die Frage, ob ein Betrieb gesund und erfolgreich ist, lässt sich somit sehr gut beantworten.

Ganz anders verhält es sich bei Sportorganisationen. Sind die Vorstände gewählt, so ist oft schon nach kurzer Zeit zu beobachten, dass sie sich in ihrer Arbeit zu verzetteln beginnen. Die Sitzungen sind meist auf aktuelle Ereignisse ausgerichtet und stundenlange Diskussionen über Banalitäten drängen wichtige Ziele in den Hintergrund. Schriftlich vereinbarte Ziele gibt es wohl immer öfter, doch Indikatoren und Zeitpunkte, an denen die Zielerreichung zu messen wäre, sind nur schwer zu benennen. Hier wäre sicher Langnickels Vorschlag hilfreich, dass jedes Sportpräsidium über ein eigenes „Armaturenbrett“ verfügen sollte, in dem nicht mehr als acht relevante Indikatoren ausgewiesen sind, um zu bestimmen, welche Ziele auf welche Weise in welchem Zeitraum erreicht werden können. Eine solche Orientierung zwingt ein Präsidium und die Geschäftsführung eines Verbandes, sich darüber klar zu werden, worum es im Kern der Sache geht. Auf diese Weise kann man alles andere beiseite lassen und somit vermeiden, dass der Erfolg des Verbandes gefährdet wird. Auf diese Weise könnte in Vorstandssitzungen viel Zeit gespart und unnötige Diskussionen über Unwesentliches verkürzt werden.

Für eine derartige professionelle Zielorientierung sind allerdings völlig neue Kooperationsformen zwischen ehrenamtlichem Vorstand und hauptamtlicher Geschäftsführung von Nöten. Beobachten wir die Vorstandsgremien der Sportverbände, so müssen wir erkennen, dass diese Beziehung Anlass für viele Irritationen, Spannungen und Unklarheiten ist. Es ist immer wieder unklar, wer was tun sollte, wer wirklich den Verband führt und die oft ungeklärte Rolle der Hauptamtlichen ist ein dauerhafter Reibungspunkt. Dabei sollten Sportorganisationen jenes lernen, was für andere gemeinnützige Organisationen längst handlungsleitender Maßstab geworden ist. Die traditionelle Zuständigkeitsverteilung, nach der die politische Entscheidungsfindung und Zielorientierung durch den Vorstand auf der einen und die Ausführung durch die Geschäftsführung auf der anderen Seite steht, ist in vieler Hinsicht kaum tragfähig. Mit dieser vereinfachten Formel lassen sich Führungsprobleme in den Verbänden nicht mehr lösen.

Folgt man den neuesten Forschungserkenntnissen zu dieser Frage, so gibt es nicht den einen richtigen Weg bei der Gestaltung der Kooperationsbeziehung zwischen Vorstand und Geschäftsführung. Jede Organisation muss ihren eigenen Weg finden. Theoretisch ist die Trennungslinie leicht zu ziehen, in der Praxis ist sie in der Regel aber immer ein Problem. Die Grenzen ändern sich von Organisation zu Organisation, sie ändern sich aber auch mit der Zeit und sind abhängig von den beteiligten Personen. Was bei dem einen Verband zum Zuständigkeitsbereich des Vorstands zählt, erledigt in einem anderen die Geschäftsführung und umgekehrt. Die Vorstellung, dass ein Vorstand mit der Festlegung der politischen Grundlinie für immer eine völlig eindeutige Aufgabe hat, und dass es die Aufgabe der Geschäftsführung ist, diese dann in die Praxis umzusetzen, entspricht in den seltensten Fällen der Wirklichkeit. Ein Geheimnis erfolgreicher Kooperation zwischen Vorständen und Geschäftsführungen liegt vielmehr in der Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit von Vorstand und Geschäftsführung. Von beiden Seiten sollte die Bereitschaft erwartet werden, ihre jeweilige Zuständigkeit von Fall zu Fall zu diskutieren und auf der Grundlage gegenseitig akzeptierter Stärken und Schwächen Aufgaben zu verteilen. Immer häufiger kann jeder auch die Aufgabe der anderen Seite übernehmen.

Neben den bisher genannten Problemen der Präsidiumsarbeit in den Sportorganisationen ist vor allem aber auch das Problem zu lösen, dass die Vorstände sich durch eine Bereitschaft zur Weiterbildung auszuzeichnen haben. Die Lösung dieses Problems ist aus verständlichen Gründen schwierig. Die Präsidiumsmitglieder der Sportverbände werden als eine veränderungsresistente Gruppe wahrgenommen. Vorstände verlangen von ihren Mitarbeitern viel, sind rhetorisch auf Veränderungen ausgerichtet, und vieles soll sich in ihrer Organisation verändern. Doch von ihrer eigenen Tätigkeit ist dabei selten die Rede. Vorstandsmitglieder sind noch immer viel zu oft der Auffassung, dass sie selbst versiert genug sind und Fortbildung oder Training nicht nötig haben. Da sie in ihrem Beruf erfahren sind und da sie glauben, über das notwendige Wissen zu verfügen, halten sie sich für die Belange des Sports ausreichend qualifiziert. Hinzu kommt, dass Vorstandsmitglieder meist über wenig Zeit verfügen und diese wenige Zeit effektiv einsetzen müssen. Ein Beitrag zur Lösung des Problems kann darin liegen, dass Vorstandsmitglieder nur aus Bereichen rekrutiert werden, die eine enge Beziehung zur Arbeit des Verbandes aufweisen. Auf diese Weise haben die Mitglieder Verständnis für die Institution, ihr Umfeld und deren grundlegende Organisationswerte. Wichtiger ist jedoch, dass es auch zu einer vorstandsinternen Bereitschaft zur Weiterbildung kommt. Die Qualifizierung der Vorstandsarbeit darf nicht als Eingeständnis von Schwäche bewertet werden, sie ist vielmehr eine weitsichtige Investition in die Zukunft.

Letzte Überarbeitung: 19.11.2019