Es war wie immer und es war wie vor vier Jahren vor den Winterspielen in Sotschi und vor zehn Jahren vor den Olympischen Spielen von Peking. Wäre es nach der veröffentlichten Meinung der deutschen Presse und der öffentlich-rechtlichen Sender gegangen, so hätte es Olympische Winterspiele in Korea nie geben dürfen. Selten wurde in den vergangenen vier Jahren ein Gastgeberland eines sportlichen Großereignisses und damit auch dessen Bürgerinnen und Bürger so häufig beleidigt, wie dies im Falle von Korea der Fall war. Winterspiele in Asien im Allgemeinen und in Südkorea im Speziellen stellen die Traditionen des Wintersports in Frage. Die Berge Koreas sind nicht wintersporttauglich. Einen wirklichen Winter wird es in Pyeongchang nicht geben, der Wintersport findet in grüner Landschaft auf weißen Bändern statt. Die Bevölkerung Koreas kann die verschiedenen Wintersportarten nicht einmal unterscheiden, schon gar nicht kennen sie deren Regeln. Das Publikum ist nicht begeisterungsfähig, die Sportanlagen werden internationalen Ansprüchen nicht genügen. Die Vorwettkämpfe in den einzelnen olympischen Winterdisziplinen, die in Pyeongchang gemäß der Auflagen des IOC stattgefunden hatten, wurden eher als misslungene Generalproben bewertet, ein Scheitern der Spiele wurde prognostiziert. Angesichts des Konflikts zwischen Nord- und Südkorea, der nunmehr über mehrere Jahrzehnte besteht, wurde das Fernbleiben der europäischen und amerikanischen Athleten aus Sicherheitsgründen diskutiert, ohne dass es auch nur eine einzige derartige Empfehlung von Experten gegeben hätte, die sich der politischen Lage dieser asiatischen Region bewusst sind und die die aktuelle Politik Chinas, der USA, Südkoreas und Japans gegenüber Nordkorea angemessen einzuordnen wussten. Für die Kritik am Ausrichter Pyeongchang bedienten sich die Massenmedien der Trainer, Funktionäre und Athleten, um sich negativer Zitate der eigentlich Betroffenen zu versichern. Den Meinungen, Behauptungen und Vorurteilen lag nur ganz selten eigene Recherche zugrunde. Die meisten waren zuvor noch nie in Korea gewesen und bei den Athleten und Trainern hat man sich nur solcher bedient, die in das eigene Urteil gepasst haben. Ohne dass das Athletendorf vollständig besichtigt wurde, wurde die Größe der Zimmer infrage gestellt, obgleich sich schon immer bei Olympischen Spielen Athletendörfer nicht durch einen Vier-Sterne-Hotelkomfort ausgezeichnet haben, wie sie mittlerweile Topathleten als selbstverständlich empfinden. Die angeblich zu langen Anfahrtswege wurden kritisiert und nicht zuletzt und vor allem die Sportanlagen, die für Olympische Spiele als nicht angemessen erachtet wurden. Athleten beklagen, dass man bei Olympischen Spielen kein Preisgeld erhält und das Werbeverbot in den olympischen Sportanlagen wird ohne stichhaltige Begründung infrage gestellt.
Zu dieser Art von Vorberichterstattung gehört auch das immer vor sportlichen Großereignissen wiederkehrende öffentlich-rechtliche Anti-Doping-Ritual, bei dem im Sinne einer selbstbehaupteten Sensation in einer Sondersendung ein angeblich völlig neuer Dopingverdacht erhoben wird. Der Schutz des Fair Play wird dabei als Ziel vorgegeben, um zu rechtfertigen, warum vertrauliche Daten, die von einem Whistleblower auf rechtlich fragwürdige Weise geliefert wurden, der Öffentlichkeit preisgegeben werden. Dass dabei viele saubere Athleten auf unfaire Weise ebenfalls des Dopings verdächtig werden, nimmt man bei dieser Art von Berichterstattung in Kauf. Dabei hat der Manipulationsverdacht, den überhöhte Blutwerte im Ausdauersport zur Folge haben, wahrlich keinen Neuigkeitswert. Blutdoping, das muss leider schon über mehrere Jahrzehnte konstatiert werden, ist in vielen olympischen Sportarten zu vermuten und leider können nur wenige Formen der Blutmanipulation aufgedeckt werden.
Mit der Ankunft der ersten deutschen Athleten in Pyeongchang wenige Tage vor der Eröffnungsfeier war alles plötzlich ganz anders. Die Athleten zeigten sich begeistert vom Athletendorf, die Trainer sprachen von ausgezeichneten Sportstätten, das Eis, das in allen Eissportarten besonders wichtig ist, wird als besonders gut bezeichnet. Die Schneesportanlagen sind gekonnt, selbst die Abfahrtsstrecke wird als olympiawürdig anerkannt. Die Schanzen entsprechen den Gütekriterien des internationalen Skiverbandes und zu aller Überraschung ist es in Pyeongchang tatsächlich Winter. Es ist kalt, so dass man in den Tagen von Pyeongchang an die früheren Winter in Europa erinnert wird, wo man ebenfalls bei -10 Grad Celsius Wintersport betrieben hat, die Finger in den Handschuhen nicht warm werden konnten, die Füße in den Skistiefel erstarrt waren und man dennoch Hochleistungssport in den verschiedensten Wintersportdisziplinen betrieben hat. In Pyeongchang gibt es für alles eine technische Lösung, selbst das Atmen in der Eiseskälte wird mit einer technischen Hilfe unterstützt. Beheizte Socken sind ein beliebtes Konsumgut und die chinesischen freiwilligen Helfer strahlen eine Herzlichkeit aus, wie man sie eben nur in Asien, aber vor allem eben auch in Korea antreffen kann. Die Koreaner pflegen die olympischen Ideale wie man sie kaum besser pflegen kann. Ihre Gastfreundschaft ist vorbildlich und nicht zuletzt ermöglichen es die Gastgeber, dass sich das IOC auf seinen ureigenen Friedensauftrag besinnen kann, dass sich Athletinnen und Athleten trotz aller Gegensätze bei Olympischen Spielen in einer friedlichen Gemeinschaft im olympischen Dorf begegnen können. Dass hierzu Athletinnen und Athleten aus Nordkorea ebenso daran teilhaben dürfen, wie die südkoreanischen Athletinnen und Athleten, ist ohne Zweifel eine besondere Friedensleistung des Internationalen Olympischen Komitees. Als Deutscher darf man dabei durchaus stolz sein, dass dies unter der Führung eines deutschen IOC-Präsidenten möglich wurde. Auch die Eröffnungsfeier hatte in diesem Zusammenhang eine herausragende Qualität. Die Kommentierung dieser Feier in den verschiedenen deutschsprachigen Sendern wurde dieser Qualität allerdings nicht gerecht. Weder wurde die eigenständige und eigenwillige koreanische Symbolik angemessen erfasst, noch wurde die politische Qualität, über die der olympische Sport ohne Zweifel verfügt, auch nur annähernd einzuordnen versucht.
Nach dem all diese Beobachtungen bei den Olympischen Spielen von Pyeongchang von teilnehmenden Nationen und den Gästen aus aller Welt über mehrere Tage gemacht werden konnten, ist es zwar folgerichtig, dass dieses positive Urteil über Gastgeber Südkorea mittlerweile auch von den öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern, von Eurosport und den deutschen Journalisten der verschiedensten Tageszeitungen nachvollzogen wird. Die empirischen Sachverhalte von Pyeongchang sprechen ihre eigene Sprache und können von einer vorurteilsbefangenen Berichterstattung wohl kaum widerlegt werden. Man muss sich allerdings fragen, wie es zu einem solchen Meinungswechsel der öffentlichen Meinung kommen kann, wie dieselben Journalisten, die über Jahre die Winterspiele von Pyeongchang infrage gestellt haben, plötzlich zu Befürwortern mutierten, ohne dass sie auch nur einmal ihren Meinungswechsel selbst reflektieren. Weder gibt es eine Entschuldigung für die vielen Irrtümer in der Vorberichterstattung, noch gibt es Versuche zur Rechtfertigung der ehemaligen, sich als falsch erwiesenen Berichterstattung. Man muss sich auch fragen, ob Massenmedien überhaupt lernfähig sind, denn das, was sich in Pyeongchang in den vergangenen vier Jahren gezeigt hat, war nahezu eine identische Wiederholung dessen, was sich zuvor 2014 bei den Winterspielen in Sotschi und 2008 bei den Sommerspielen von Peking 2008 ereignet hatte. Bei beiden Ereignissen konnte man eine vergleichbare einseitige Vorberichterstattung beobachten, die nach Beginn der Spiele von einer teilweise sogar bewundernden Berichterstattung über die Spiele abgelöst wurde. Ein Grund für solch problematische Selbstverleugnungsrituale muss darin gesucht werden, dass die Bildung öffentlicher Meinung durch massenmediale Berichterstattung ganz offensichtlich auf einem Informationsprozess basiert, bei dem eine fundierte empirische Recherche nur ganz selten eine zentrale Rolle spielt. Das kommunikationstheoretische Modell des „Opinion leaders“ kommt hingegen bei dieser Art von Sportberichterstattung ganz offensichtlich äußerst wirkungsvoll zum Tragen. Die Meinungsbildner sind nicht an einer möglichst realitätsgerechten Rekonstruktion der Wirklichkeit interessiert. Ihr Interesse richtet sich mehr auf Krisen und Krisensymptome des Sports, auf den außersportlichen Bereich, der sich um die Wettkämpfe herum angesiedelt hat und wo sich die Medien, die Wirtschaft und die Politik des Sports bedienen. Schließlich sind diese Meinungsbildner an einer Personalisierung der im Bereich des Sports handelnden Personen interessiert. Einzelnen Personen wird deswegen besondere Aufmerksamkeit geschenkt, strukturelle Aspekte des Sportbetriebs hingegen sind für einen derartigen Meinungsbildungsprozess irrelevant. Es ist dabei einfacher und anschaulicher, wenn Subjekte und nicht Strukturen als handlungsbestimmend ausgewiesen werden. Angesichts derart dominanter Selektionsregeln der Massenmedien ist die Wiederholung der nahezu identischen öffentlichen Meinungsbildungsprozesse bei Olympischen Spielen kaum noch überraschend. Dennoch sind solche fragwürdigen Prozesse zur Bildung einer öffentlichen Meinung für alle Beteiligten ein Ärgernis. Die Akteure aus dem Handlungsfeld des olympischen Sports müssen sich ärgern, dass sie immer wieder aufs Neue von Sportjournalisten benutzt werden, um eine vorgeprägte öffentliche Meinung weiterzutragen. Die Gastgeber sportlicher Großereignisse können sich zurecht ärgern über eine Berichterstattung, die den eigentlichen Leistungen der Gastgeber nicht gerecht wird. Der Leser, Hörer und Zuschauer der öffentlichen Medien ist zurecht empört, dass von einer derartigen Berichterstattung die eigene Mündigkeit immer wieder infrage gestellt wird, obgleich der Manipulationsprozess der öffentlichen Medien ohne Mühen durchschaut werden kann.
Dass angesichts einer derartigen Berichterstattung über Olympische Spiele es immer unwahrscheinlicher wird, dass solche Spiele in der weiteren Zukunft wieder einmal in Deutschland ausgerichtet werden können, sei hinzugefügt. Die Ablehnung von Olympischen Spielen durch die Mehrheit der Bevölkerung wird zur selbsterfüllenden Prophezeiung. Ein Skandal erzeugt bei einer derartigen Berichterstattung ganz offensichtlich bereits den nächsten, ohne dass sich die Verursacher dieser Skandalzusammenhänge ihres skandalösen Handelns bewusst sind.
In den Medien wird schon seit längerer Zeit im System des Sports eine ethische Katastrophe beklagt. Manche Klage ist dabei durchaus mehr als berechtigt. Nicht weniger berechtigt wäre es, wenn sich selbstkritische Massenmedien der eigenen ethischen Problematik annehmen würden, die in ihrer Berichterstattung immer häufiger anzutreffen ist. Es gab einmal beachtenswerte Leitlinien der Sportpresse, die vom Verband der Sportpresse immer wieder erneuert wurden und die durchaus auch ihre Beachtung gefunden hatten. Heute ist die Berichterstattung von diesen Leitlinien weiter entfernt denn je zuvor und eine Wiederbesinnung auf die Grundsätze dieser Leitlinien ist heute dringender erwünscht als dies die für den deutschen Sportjournalismus Verantwortlichen wahrhaben wollen.
Verfasst: 12.02.2018