Man darf zu Recht annehmen, dass die öffentliche Meinung über einen gesellschaftspolitisch relevanten Sachverhalt von den sog. Meinungsbildnern hergestellt wird. Dies gilt auch für die öffentliche Meinung zum bzw. über den Sport im Allgemeinen und zum Hochleistungssport im Speziellen. Die wichtigsten Meinungsbildner sind dabei das öffentlich-rechtliche Fernsehen ARD und ZDF, die führenden überregionalen Tageszeitungen und die größeren Sportagenturen. Im Vorfeld der verschobenen Olympischen Spiele in Tokio 2021, im Blick auf die bevorstehende Europameisterschaft im Fußball mit Spielen in St. Petersburg und Baku, vor allem aber ab auch in der Vorausschau auf die Olympischen Winterspiele in Peking 2022 und die Fußball Weltmeisterschaft in Katar im November 2022 kann man bereits heute erkennen, welche Themen für die Meinungsbildner eine besondere Bedeutung haben werden.
1.) Einige Journalisten sympathisieren bereits seit mehreren Monaten mit der Idee eines Boykotts sowohl der Fußball Weltmeisterschaft in Dakar als auch der Olympischen Winterspiele in Peking.
2.) Immer mehr Sportjournalisten und Sportredaktionen machen sich für eine Änderung der Olympischen Charta stark, in dem sie die Meinung vertreten, dass durch den Verzicht auf den Paragraph 50 dieser Charta die freie Meinungsäußerung der Athleten gestärkt würde.
3.) Die Meinungsbildner sympathisieren auch mit mehreren selbsternannten Athletenvertretungen, die eine höhere finanzielle Beteiligung der Athleten an den Gewinnen des IOC fordern, die dieses bei der Durchführung von Olympischen Spielen erwirtschaftet.
4.) In grundsätzlicher Weise hält die große Mehrheit der Sportjournalisten auch eine umfassende Funktionärsschelte für angebracht. Ihrer Meinung nach sind das IOC, die FIFA und die große Mehrheit der internationalen Sportverbände unfähig, die Geschicke des internationalen Sports zu lenken und letztlich auch zu verantworten. Kungelei mit Diktaturen, Korruption, Betrug und Manipulation bei Wahlen und Entscheidungen wird Ihnen dabei meist sehr pauschal vorgeworfen.
5.) Mit Blick auf die bevorstehenden Olympischen Spiele in Tokio kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es eine ganze Reihe führender deutscher Journalisten und Medienverantwortlicher gibt, die sich klammheimlich freuen würden, wenn diese Spiele wegen der Corona Pandemie abgesagt werden müssten, wobei der Schuldige für eine derartige Absage bereits schon seit längerer Zeit feststeht. Der deutsche IOC Präsident Dr. Bach wird vor allem in der veröffentlichten Meinung deutscher Medien als die „Ursache allen Übels“ des internationalen Sports beschrieben.
6.) Einer unendlichen Geschichte gleicht die Kritik am internationalen Anti-Dopingkampf. Das IOC und die internationalen Sportverbände tragen demnach die Verantwortung für das Scheitern dieses Kampfes. Die WADA wird dabei ebenso wie der CAS infrage gestellt und geradezu gebetsmühlenhaft wird Unabhängigkeit und Transparenz des Anti-Dopingkampfes gefordert.
Sechs Themen sind es also, die in den deutschen Massenmedien von den sogenannten kritischen Journalisten als populär wahrgenommen werden. Vielleicht muss man diese Wahrnehmung aber auch als populistisch bezeichnen und sie deshalb infrage stellen.
Es könnte sich lohnen, diese Themen in ihrer gesellschaftspolitischen Relevanz und in ihrer genaueren Ausprägung etwas genauer zu betrachten. Dabei wäre es vermutlich hilfreich immer auch die Frage zu stellen was wäre, wenn es anders wäre; was könnten die Alternativen sein und welche Folgen hätten diese Alternativen. Es darf angenommen werden, dass eine unabhängige Meinungsbildung über die aufgeworfenen Fragen und populären Themen der deutschen Sportmedien auf diese Weise besser möglich wäre als dies ohne eine solche Aufklärung der Fall ist.
1. „Boykotte sind erwünscht“?
In Verbindung mit der neu gegründeten Initiative „Boycott Qatar“ äußerte in diesen Tagen Claudio Catuogno von der Süddeutschen Zeitung die Meinung, dass die Behauptung, ein Boykott ändere an den Verhältnissen im jeweiligen Lande nichts, eine vorgeschobene Behauptung sei, und er fügte hinzu, dass dadurch ein Boykott von vornherein ausgeschlossen wird und man damit dem Sport seine Möglichkeit nimmt, Druck auszuüben, um die universalen Werte, für die der Sport angeblich steht, auch einzufordern. Dieser Meinung kann meines Erachtens auch von Gegnern von Sportboykotten kaum ernsthaft widersprochen werden. Selbst wenn Boykotte in der Vergangenheit wenig wirkungsvoll gewesen sind, so besteht zumindest aus einer theoretischen Perspektive durchaus die Möglichkeit, dass ein Sportboykott wirkungsvoll sein kann. Mit einem Boykott kann einem Gastgeberland ein erheblicher ökonomischer Schaden zugefügt werden. Ein Boykott kann auf die Verletzung von Menschenrechten aufmerksam machen. Eine vergleichbare Aufmerksamkeit für diese Verletzung wäre ohne einen Boykott mit einem anderen Medium wohl kaum zu erreichen. Wird eine Diktatur boykottiert, so kann durch einen Boykott die Opposition in dem boykottierten Land unterstützt werden. Ein Boykott kann auch eine wirkungsvolle „Strafe“ sein, wenn sich das boykottierte Land aus der Perspektive der internationalen Gemeinschaft durch einen Verstoß gegen das Völkerrecht schuldig gemacht hat. Es lassen sich ganz offensichtlich viele gute Gründe für einen Boykott benennen. Und es ist auch ohne Zweifel wichtig, dass die olympische Bewegung die universalen Werte, durch die sich der Olympische Sport auszeichnet, auch einzufordern weiß. Ein Boykott jener Gastgeberländer, in denen diese Olympischen Werte schon seit längerer Zeit dauerhaft verletzt werden, wäre somit naheliegend.
Auf der Grundlage dieses Katalogs von Gründen, der noch beliebig ergänzt werden könnte, wäre deshalb ein Boykott der Fußball Weltmeisterschaft in Katar ebenso möglich wie ein Boykott der Olympischen Winterspiele in Peking. Für China und Katar hätte dies jeweils weitreichende Folgen. Nicht weniger folgenreich wären diese Boykotte jedoch auch für die internationalen Sportorganisationen, die sich durch Globalität auszeichnen möchten und als ein Weltsportsystem angelegt sind, in denen Wettkämpfe stattfinden, die meist zurecht als Olympische Spiele und Weltmeisterschaften mit weltweitem Zugang bezeichnet werden. Das IOC und fast alle Olympischen Sportorganisationen haben nahezu sämtliche Nationalen Olympische Komitees dieser Welt als ihre Mitglieder aufzuweisen, denen gemäß der jeweiligen Satzung gleiche Rechte und Pflichten gewährt bzw. auferlegt werden. Dabei ist zu beachten, dass die Mitglieder der Weltorganisationen des Sports nicht Nationalstaaten, sondern deren nationalen Verbände sind. Deren Satzung wird von den internationalen Verbänden vorgegeben und überwacht. Auf diese Weise bestehen die internationalen Sportorganisationen unabhängig von den in ihren Mitgliedsverbänden herrschenden politischen Systemen, unabhängig von Religionssystemen und unabhängig von nationalen Kulturen und Gesellschaftsordnungen.
Diese Konstruktion des Weltsports hat zur Folge, dass prinzipiell an jedem Ort in der Welt, in dem ein Mitgliedsverband einer Weltsportorganisation zu Hause ist, ein Weltsportereignis durchgeführt werden darf und es auch sollte, wenn die entsprechenden organisatorischen Voraussetzungen für die Durchführung eines Weltsportereignisses in einer Sportart bzw. für ein Olympisches Sportprogramm gegeben sind. Der Weltsport kann aus prinzipiellen Gründen in der ganzen Welt stattfinden, und die Welt besteht dabei keineswegs nur aus Europa. Olympiasieger oder Weltmeister sollte man sich nur nennen können, wenn man wirklich der Beste der gesamten Welt ist.
Internationale Sportereignisse können im Sommer auf der südlichen Hälfte der Halbkugel unserer Erde stattfinden, wenn also in der nördlichen Halbkugel Winter herrscht. Mitgliedsverbände aus arabischen Wüstenregionen haben einen Anspruch auf internationale Wettkämpfe ebenso wie die Mitglieder, die in den Tropen beheimatet sind.
Gastgeber von Olympischen Spielen oder von Weltmeisterschaften können Mitgliedsverbände sein, die in Ländern zu Hause sind, in denen die große Mehrheit der Bevölkerung Moslems, Buddhisten, Hindus, Juden oder Christen sind.
Die Durchführung von internationalen Sportveranstaltungen darf auch nicht abhängig sein von den je verschiedenen politischen Systemen, die in den Austragungsländern anzutreffen sind. In Deutschland wird aus guten und naheliegenden Gründen das demokratische System als beispielhaft und vorbildlich eingeschätzt. Diese Auffassung wird jedoch nur von einer Minderheit der Nationen geteilt. Im weltpolitischen Index werden nur 76 Staaten als Demokratien gelistet. Davon gelten 22 als vollständige und 37 als unvollständige Demokratien. Lediglich 48,7% der Weltbevölkerung leben demnach in einer Demokratie. Werfen wir einen Blick auf die Regierungssysteme und Staatsformen, die heute existieren, so lassen sich Monarchien, Republiken und Diktaturen unterscheiden. Der absoluten Monarchie stehen parlamentarische Monarchien gegenüber. Ein-Parteiensysteme und Militärdiktaturen müssen unterschieden werden. Ein-Parteiensysteme sind von Mehr-Parteiensystemen zu unterscheiden. Bei den Republiken sind parlamentarische von den präsidentiellen Regierungsformen zu trennen und auch das politische Modell der Demokratie weist mehrere Varianten auf: direkte Demokratien, repräsentative Demokratien und Rätedemokratien konnten und können in der Geschichte der Demokratie bis heute angetroffen werden.
Das System des Weltsports ist äußerst komplex. Der Weltsport ist ein historisch gewachsenes Konstrukt, das sich durch eine spezifische Identität auszeichnet. Im Idealfall verbindet er durch seine sportlichen Wettkämpfe Athletinnen und Athleten aus aller Welt unabhängig von ihrer sozialen Herkunft, unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit, unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit und unabhängig vom politischen System, in dem die Athletinnen und Athleten freiwillig oder unter Zwängen leben. Diese Vereinigungsleistung des Weltsports kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Wird aus guten Gründen ein Boykott der Fußballweltmeisterschaft in Katar beziehungsweise der Olympischen Winterspiele in China gefordert, so sollte diese besondere Leistung des Weltsports nicht aus dem Blick geraten.
Es muss auch die Frage erlaubt sein, auf welcher Grundlage und nach welchen Kriterien eine Entscheidung über einen Boykott stattzufinden hat, wer diese Entscheidung zu treffen hat, und was die Folgen dieser Entscheidung sein könnten bzw. sein werden.
Angesichts des weltweit zu beobachtenden Klimawandels verbietet sich heute das Argument eines nicht geeigneten Klimas für die Durchführung einer Sportveranstaltung nahezu von selbst. Die Frage, was menschenwürdige Arbeitsverhältnisse sind, ist ganz ohne Zweifel zu stellen, und Katar und China sind mit dieser Frage auch von den Organisationen des Weltsports zu konfrontieren. Doch das damit angesprochene Problem stellt sich weltweit, also nicht nur in Entwicklungsländern und Schwellenländern, sondern auch in den fortgeschrittenen Industrienationen. Selbst die heute von allen favorisierte E-Mobilität wird unter unwürdigen Arbeitsverhältnissen ermöglicht und Arbeitnehmerrechte und freie Gewerkschaften werden auch in der westlichen Welt infrage gestellt.
In Katar und China werden ohne Zweifel Menschenrechte verletzt. Doch die Frage nach der Definition von Menschenrechten wird von den verschiedenen politischen Systemen unterschiedlich beantwortet und die europäische und nordamerikanische Dominanz bei der Festlegung der Menschenrechte wird nicht nur in Asien hinterfragt.
Die Möglichkeit zum Boykott ist in mehrfacher Weise gegeben. Ein internationales Sportereignis wie die Olympischen Winterspiele in Peking im Jahr 2022 kann von Einzelpersonen, von Gruppen, von Institutionen und ganzen Staaten boykottiert werden. Die Berichterstattung über die Spiele kann von Journalisten boykottiert werden, Fernsehsender können aus Boykottgründen auf eine Berichterstattung verzichten, mehrere Olympische Komitees können – möglicherweise auch unter Druck ihrer Regierungen – gemeinsam diese Spiele boykottieren, einzelne Athleten, aber auch ganze Nationalmannschaften können sich für einen Boykott aussprechen, politische Bündnispartner können von ihren nationalen Sportorganisationen einen Boykott verlangen. Die verschiedenen Möglichkeiten können hier nur beispielhaft erwähnt werden.
Die wichtigste Entscheidung, nämlich jene, dass aus bestimmten Boykottgründen ein internationales Sportereignis abgesagt werden muss, kann meines Erachtens jedoch nur von den Mitgliedern des Weltsportsystems selbst getroffen werden, d.h. von den Mitgliedsverbänden und ihren Athletinnen und Athleten. Trifft ein nationaler Verband eine Boykottentscheidung, so muss gefragt werden, ob er seine Gründe für einen Boykott auch in jenen Gremien des Weltsports vorgetragen hat, in denen er Mitglied ist, und ob er sich um einen Mehrheitsbeschluss aller Mitglieder bemüht hat, um den Boykott als schlagkräftiges Instrument einsetzen zu können. Naheliegend ist auch die Frage, ob die Bedenken gegen ein Ausrichterland nicht bereits vor der Vergabe des internationalen Sportereignisses an ein bestimmtes Gastgeberland innerhalb der Entscheidungsgremien der Sportorganisationen zu diskutieren sind und ob jene Länder, die im Nachhinein sich für einen Boykott aussprechen, diese Bedenken auch vor der Vergabeentscheidung innerhalb dieser Entscheidungsgremien vorgetragen haben.
Es stellt sich somit ganz offensichtlich auch die Frage, wer den Boykott einer internationalen Sportgroßveranstaltung zu verantworten hat. Gesetzt den Fall, dass es zu einer Boykottentscheidung gegen die Olympischen Spiele von Peking kommen würde, so stellt sich auch die Frage, was die kurz-, mittel- und langfristigen Folgen dieser Entscheidung sein könnten. Jeder Grund, der gegen die Durchführung Olympischer Spiele in China spricht, müsste dabei als Präzedenzfall bewertet werden. Die Ausrichtung zukünftiger Olympischer Spiele wäre an diesem Präzedenzfall zu messen, wollen die Entscheidungsgremien über zukünftige Olympische Spiele den Prinzipien der Gleichbehandlung, der Gerechtigkeit und des Fair Play gerecht werden. Sollten zukünftige Olympische Spiele nur noch in Staaten durchgeführt werden, die als demokratisch zu bezeichnen sind, so würde eine kleine Minderheit von Mitgliedern der internationalen Sportorganisationen privilegiert. Gastgeber zukünftiger Olympischer Spiele könnte nicht mehr als ca. 30 Nationen sein.
Soll das Kriterium der Verletzung von Menschenrechten das entscheidende Vergabekriterium sein, so würden mehr als zwei Drittel aller Nationen von einer Ausrichtung Olympischer Spiele ausgeschlossen.
Ganz gleich welches Kriterium die Boykottentscheidung gegen Olympische Winterspiele in Peking 2022 begründen würde, es hätte gleichzeitig zur Folge, dass damit auch die Durchführung zukünftiger Olympischer Spiele und internationaler Sportveranstaltungen nahezu unmöglich geworden wäre. Die Identität des Olympismus und des Weltsports würde durch einen Boykott infrage gestellt und vermutlich auch zerstört. Olympische Spiele und internationale Sportveranstaltungen müssen viel mehr gerade angesichts der weltweiten Menschenrechtsverletzungen und gerade wegen der Konflikte zwischen verschiedenen politischen Systemen stattfinden. Ist man an internationaler Verständigung interessiert, so kann Boykott keine Option sein.
2. „Artikel 50 der Olympischen Charta muss gestrichen werden“?
Besonders häufig wird in jüngster Zeit von den Massenmedien die Auffassung vertreten, dass das Internationale Olympische Komitee eine freie Meinungsäußerung den Olympischen Athleten und Athletinnen untersagt. Historischer Bezugspunkt ist dabei die politische Demonstration von zwei US-amerikanischen schwarzen Athleten 1968 bei den Olympischen Spielen in Mexiko. Mit geballter Faust hatten damals die Sprinter Tommie Smith und John Carlos bei ihrer Siegerehrung auf dem Podest auf die Rassendiskriminierung in den Vereinigten Staaten aufmerksam gemacht. Gemäß der Olympischen Charta und deren Regel 50 war und ist eine derartige Demonstration innerhalb der Olympischen Stätten und während der Olympischen Wettkämpfe verboten und wird mit dem Ausschluss von den Spielen bestraft.
Aktueller Bezugspunkt ist die nach wie vor die anzuprangernde Rassendiskriminierung in den Vereinigten Staaten, die sich erst kürzlich wieder in einem brutalen Zugriff mit Todesfolge durch einen weißen Polizisten gegenüber einem schwarzen Bürger. Die dadurch hervorgerufenen Protestaktionen herausragender US-amerikanischer Athleten und Athletinnen gegen jegliche rassistische Diskriminierung waren dabei mehr als angebracht und notwendig. Angesichts dieser politischen Situation in den Vereinigten Staaten ist die Sympathie mit dem Symbol der schwarzen Faust und der „Black Pantherbewegung“ und mit den damaligen Athleten mehr als verständlich und naheliegend. Naheliegend ist es deshalb auch, dass in diesem Zusammenhang – nicht zuletzt in den USA – die Abschaffung der Regel 50 der Olympischen Charta gefordert wird. Doch auch hier hat man den Eindruck, dass nur wenige den Sinn der Regel, der hinter der Regel steht, zur Kenntnis genommen haben, und dass fast niemand die Frage stellt, was die Folgen wären, wenn diese Regel außer Kraft gesetzt würde.
Die Regel dient in erster Linie dem Zweck, dass die Leistungen der Athleten zunächst ihnen allein gehören und nicht von Dritten in Anspruch genommen werden können. Mit dieser Regel soll auch eine übermäßige Kommerzialisierung der Olympischen Spiele vermieden werden. Die Olympischen Sportstätten einschließlich der Spielfelder sollen von Werbung auf Sportkleidung und Ausrüstungsgegenständen ausgeschlossen sein. Olympische Spiele sollen nicht als Plattform verwendet werden, um persönliche Interessen in den Vordergrund zu stellen, die mit unzulässiger kommerzieller Werbung im Zusammenhang stehen. Es soll vermieden werden, dass Olympische Spiele für Demonstrationen zu Gunsten politischer, religiöser oder rassistischer Propaganda verwendet werden.
Ein Engagement zu Gunsten der Menschenrechte durch Olympische Athletinnen und Athleten wird damit keineswegs verboten. Vor und nach den Olympischen Spielen liegt es im Belieben der Athletinnen und Athleten sich für eigene Überzeugungen einzusetzen. Auch im Umfeld der Olympischen Spiele gibt es Orte, in denen diese Meinungsäußerung möglich ist. Jeder Athlet und jede Athletin kann sich auch während der Spiele frei in den sozialen Medien oder gegenüber der Presse zu Menschenrechtsfragen äußern. Unter Respektierung der geltenden Gesetze des Gastgeberlandes können Athletinnen und Athleten auch bei Pressekonferenzen und Interviews im internationalen Broadcast Center (IBC), in der Mixed Zone oder im Main Media Center (MMC) ihre politische Meinung kundtun. Gleiches gilt für Team Meetings. In den Olympischen Sportstätten, eingeschlossen alle Spielfelder und das Olympische Dorf, bei olympischen Medaillenzeremonien, bei der Eröffnungs- und Schlussfeier und bei anderen offiziellen Zeremonien sind hingegen Demonstrationen und Proteste verboten. Regel 50 der Olympischen Charta ist deshalb aus meiner Sicht nach wie vor eine äußerst relevante Regel für den Fortbestand der Olympischen Spiele und für ihre zukünftige Entwicklung. Wer hingegen die Abschaffung fordert, hat die Frage nach dem danach zu beantworten. Ein „anything goes“ kann ganz offensichtlich nicht die Lösung sein. Die Einmaligkeit der Olympischen Spiele zeichnet sich auch dadurch aus, dass sie sich in Bezug auf die Werbung von allen übrigen internationalen Sportveranstaltungen unterscheidet. Die Wettkampfstätten sind werbefrei und die Athleten sind keine wandelnden Plakatsäulen wie es uns die Formel 1 vormacht. Wer sich während der Spiele politische Demonstration wünscht, der muss die Frage beantworten, welche politischen Demonstrationen er meint, welche unerwünscht sind und wer entscheiden soll, was als erlaubt und unerlaubt zu gelten hat. In diesem Zusammenhang gibt es hoffentlich einen Konsens unter den Gegnern der Regel 50, dass symbolische Gesten zu Gunsten des Faschismus nie wieder erwünscht sein können und deshalb diese Symbolik zu verbieten ist.
3. „Die Athleten sind in direkter Weise an den Einnahmen des IOC zu beteiligen“?
Neben der Forderung nach Abschaffung der Regel 50 der Olympischen Charta hat vor allem die Forderung von Athletinnen und Athleten nach einer direkten Beteiligung an den Milliarden schweren Einnahmen des IOC einen großen Nachhall in den deutschen Massenmedien gefunden. Doch auch in Bezug auf diese Forderung kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Frage nach der Berechtigung dieser Forderung nicht diskutiert wird und die Kenntnisse über die Verwendung der Einnahmen des IOC nur im Ausnahmefall vorhanden sind. Auch die Frage mit welchem Mandat eine Organisation wie „Global Athletics“ die Interessen von Athletinnen und Athleten vertritt, die bei Olympischen Spielen teilnehmen, wird nur selten gestellt. Athletinnen und Athleten haben jedoch nur dann ein Mandat, für die Interessen der Olympiateilnehmerinnen und -teilnehmer sprechen zu können, wenn sie als mit einer Mehrheit zugelassener Stimmen Gewählte aus einer demokratischen Wahl, die alle vier Jahre während Olympischer Spiele stattfindet, hervorgegangen sind. Die gewählten Sprecherinnen und Sprecher der Olympischen Athletinnen und Athleten werden nach ihrer Wahl in das IOC berufen und haben Sitz und Stimme in der IOC Session. Der oder die Vorsitzende der Athletenkommission sitzt im 15-köpfigen Executive Board des IOC und stimmt bei jeder Entscheidung mit. Die Mitglieder der Athletenkommission haben auch noch die Möglichkeit, in allen Kommissionen des IOC mitzuwirken. Die Athleten und Athletinnen haben somit die besten Möglichkeiten, auf alle wichtigen Entscheidungen Einfluss zu nehmen. Die demokratischen Mitbestimmungsmöglichkeiten sind in der olympischen Bewegung deshalb durchaus als vorbildlich zu bezeichnen.
Die Forderung nach einer finanziellen Beteiligung der Athleten und Athletinnen an den Einnahmen des IOC wurde bislang von der Athletenkommission des IOC weder erhoben noch beschlossen. Vielmehr wird das finanzielle Solidaritätsmodell des IOC von einer großen Mehrheit der Olympischen Athletinnen und Athleten getragen und unterstützt. Bei dieser Konzeption sind sämtliche Athletinnen und Athleten in indirekter Weise an den Gewinnen beteiligt, die bei der Ausrichtung der Olympischen Spiele erzielt werden. Die nationalen Olympischen Komitees, die die Mannschaften zu den Spielen entsenden, und die Internationalen Sportverbände, die die Sportarten während der Spiele organisieren, werden mit einem bemerkenswerten Anteil an den Einnahmen des IOC beteiligt. Ohne diese Zuschüsse wären viele Olympische Sportarten nicht mehr in der Lage, zwischen den Spielen Weltmeisterschaften, Weltcups oder sonstige Wettbewerbe auf dem heute üblichen Niveau und gemäß dem bestehenden Sportkalender zu organisieren. Mit den Einnahmen des IOC wird ferner das Projekt “Olympic solidarity“ finanziert, und jeder zukünftige Ausrichter Olympischer Spiele erhält eine umfassende finanzielle Unterstützung durch das IOC. Für den eigenen Geschäftsbedarf werden lediglich 10 % der Einnahmen aufgewendet. Durch die Olympische Charta wird eine an Eigeninteressen orientierte Gewinnmaximierung durch Olympische Spiele ausgeschlossen. Die Olympischen Spiele sind aus ökonomischer Perspektive einzigartig, sie sind kein Geschäftsmodell wie es sich manche wünschen. Die Spiele sind eine werteorientierte Veranstaltung, mit der man bemüht ist, die gesamte Welt zusammenzubringen und bei der das IOC für Sportlerinnen und Sportler aus der gesamten Welt die Voraussetzungen zur Teilnahme schafft, indem auch die ärmsten Athletinnen und Athleten unterstützt werden und indem Sportarten geholfen wird, die ohne die Olympischen Spiele kaum eine Zukunft haben würden.
Von den Befürwortern einer direkten Beteiligung der Athletinnen und Athleten an den Einnahmen des IOC wird meist auch übersehen, dass Athletinnen und Athleten auf ihrem langen Weg zum olympischen Erfolg in vielfältiger Weise finanzielle Unterstützungen erhalten. Talentierten Athletinnen und Athleten werden Trainings- und Wettkampfstätten kostenlos zur Verfügung gestellt, Trainingslager und Fahrten zu Wettkämpfen werden finanziell unterstützt. Physiotherapeutische Betreuung und medizinische Begleitung werden von den meisten Athletinnen und Athleten als selbstverständliche kostenlose Leistungen in Anspruch genommen. Die Betreuungsleistung durch Trainer ist in der Regel kostenlos. Aufwändige trainingswissenschaftliche und biomechanische Diagnostik ist längst für olympische Athletinnen und Athleten selbstverständlich geworden. Der Anti-Dopingkampf wird nicht von Athleten finanziert, obgleich sie ursächlich am Problem des Dopingbetruges beteiligt sind. Die Leistungen zu Gunsten von Athleten und Athletinnen können hier nur angedeutet werden. Eines wird dabei deutlich: Olympische Höchstleistungen werden durch eine umfassende gesellschaftliche Unterstützung ermöglicht. In unserer Gesellschaft scheint es ganz offensichtlich so zu sein, dass der Weg zur Spitzenleistung solidarisiert wurde, hingegen der sportliche Erfolg privatisiert werden darf. Angesichts der Tatsache, dass die meisten finanziellen Leistungen, die heute zugunsten von Athletinnen und Athleten erbracht werden, nicht ohne die umfassende finanzielle Unterstützung der Nationalen Olympischen Komitees und der Internationalen Sportverbände durch das IOC möglich wären, kann man die von einzelnen Athleten und Athletinnen geforderte erhöhte finanzielle Beteiligung an den Einnahmen des IOC nur als unangebracht bzw. als egoistisch bewerten.
4. „Es ist nicht schlimm, wenn Tokyo 2020 abgesagt werden muss?
Die Kritik am IOC Management der Olympischen Spiele in Tokio ist seit der Vergabe der Spiele an den japanischen Gastgeber ein Dauerthema der deutschen Sportberichterstattung, das nahezu monatlich fortgeschrieben wird. Wurde dem IOC zunächst vorgeworfen, dass die Entscheidung über eine Verschiebung der Spiele auf das Jahr 2021 zögerlich und zu spät erfolgt ist, so wird nun einmal mehr die Kostenfrage für diese Spiele gestellt und es wird bezweifelt, dass die Spiele in diesem Jahr überhaupt durchgeführt werden können. Selbst mit dem Wissen von heute muss jedoch festgestellt werden, dass die Entscheidung über die Verschiebung der Spiele äußerst sorgfältig vorbereitet wurde, und sich das IOC dabei auf die Expertise von Wissenschaftlern verließ, so wie auch in der Corona Pandemie generell die politischen Verantwortlichen in den verschiedenen Nationen von der Expertise der Wissenschaftler abhängig sind. Die WHO war dabei der entscheidende Beratungspartner für das IOC und sie wird auch für die weitere Vorbereitung der Olympischen Spiele und deren mögliche Durchführung der entscheidende Partner sein müssen. Viele Fragen sind dabei noch offen und auf die meisten Fragen gibt es noch keine tragfähigen Antworten. Die Antworten sind von der Entwicklung des globalen Infektionsgeschehens abhängig, wobei die Situation des Gastgeberlandes von zentraler Bedeutung ist. Zu Beginn des Jahres 2021 ist dabei allerdings die Infektionssituation in Japan kritisch und bedrohlich. Angesichts der Größe von Japan und seiner mehr als 120 Millionen Einwohner und Einwohnerinnen ist das Infektionsgeschehen seit mehreren Monaten jedoch im internationalen Vergleich eher gering und ein leistungsfähiges Gesundheitssystem kann bei ausreichendem Impfstoff zu einer Immunität eines Großteils der japanischen Bevölkerung beitragen. Nicht weniger wichtig ist jedoch das Ausmaß der Pandemie in den Ländern, in denen die potentiellen Olympischen Athletinnen und Athleten wohnen und wo sie sich auf die Olympischen Spiele vorbereiten wollen. Mit Blick auf die USA, auf Großbritannien, auf die Länder der EU und auf die Länder Lateinamerikas und Osteuropas muss man hier nach wie vor von einer äußerst kritischen Situation sprechen. Wettkämpfe zur Vorbereitung der Olympischen Spiele, insbesondere Qualifikationswettkämpfe, können wohl unter Berücksichtigung bestimmter Hygienekonzeptionen organisiert werden. Eine Infektionsgefahr für Athletinnen und Athleten besteht bei diesen Wettkämpfen jedoch nach wie vor, und von einer chancengleichen Vorbereitung auf die Olympischen Spiele von Tokio in den jeweiligen Olympischen Sportarten kann nicht immer gesprochen werden. Eine privilegierte Impfung aller Olympischen Teilnehmerinnen und Teilnehmer wird aus gutem Grund vom IOC nicht gefordert und zumindest muss davon ausgegangen werden, dass nur ein Teil der Athleten, die an den geplanten Spielen in Tokio teilnehmen möchten, sich durch einen ausreichenden Impfschutz ausweisen können. Die Frage, ob überhaupt und wie viele Athleten sich gleichzeitig in dem geplanten Athletendorf aufhalten können, die Frage ob zu den Wettkämpfen Zuschauer zugelassen werden können oder ob nur eine ganz begrenzte Anzahl von Zuschauern erlaubt sein wird, und wer dann das Privileg eines Zuschauers für sich in Anspruch nehmen darf, sind derzeit alles noch offene Fragen, zu denen das IOC aus verständlichen Gründen in diesen Tagen noch keine Antwort geben kann. Gemeinsam mit dem japanischen Organisationskomitee kann das IOC allenfalls verbindliche Termine festlegen, an denen die notwendigen Entscheidungen getroffen sein müssen, wenn termingerecht im Sommer 2021 die Spiele stattfinden sollen. Einmal mehr ist das IOC dabei auf die Ratschläge der WHO und der staatlichen Behörden angewiesen. Es ist dabei auf verantwortungsvolle Entscheidungen der Gesundheitspolitiker in den Ländern angewiesen, in denen die Athleten und Athletinnen, deren Trainer, Betreuer und wissenschaftliche Dienstleister zu Hause sind. Auch die Exekutive des IOC muss dabei nahezu täglich lernen, dass wissenschaftliche Prognosen auf unsicheren empirischen Daten beruhen können und sich die Wissenschaft selbst während der Corona Pandemie in einem ständigen Lernprozess befindet. Wie alle in der Corona Pandemie politisch Verantwortlichen und wie alle Bürgerinnen und Bürger muss auch das IOC damit zurechtkommen, dass wissenschaftliche Beratung nur sehr begrenzt eine Hilfe für politische Entscheidungen ist, es ohne wissenschaftliche Beratung jedoch nicht möglich ist, die dringend notwendigen sportpolitischen Entscheidungen zu treffen. Der japanischen Regierung, dem japanischen Organisationskomitee, der IOC-Exekutive mit seinem Präsidenten Dr. Bach kann man nur wünschen, dass sie auf die besten wissenschaftlichen Berater zurückgreifen können, um die anstehenden schwierigen Entscheidungen zu treffen. Zu beneiden sind Sie dabei nicht. Doch für die Zukunft der Olympischen Spiele und für die zukünftige Entwicklung des Weltsports hängt von ihren Entscheidungen sehr viel davon ab. Eine Absage der Spiele hätte nicht nur weitreichende ökonomische Folgen. Sie würde auch die Durchführung zukünftiger Olympischer Spiele und die weitere Existenz der internationalen Sportorganisationen infrage stellen. Deshalb darf zu Recht die Loyalität und die Hilfsbereitschaft aller erwartet werden, damit die Olympischen Spiele in Tokio 2021 gelingen können. Diese Loyalität kann auch von den Massenmedien erwartet werden, die die Olympischen Spiele von Tokyo und deren weitere Entwicklung zu begleiten haben.
5. „Der Anti-Dopingkampf ist nicht transparent und unabhängig“?
Das nächste Thema, dass schon seit langem die öffentliche Meinungsbildung über den Olympischen Sport prägt und deshalb in dem hier verfolgten Zusammenhang erwähnt werden soll, ist der Anti-Dopingkampf des IOC und des Weltsports. Auch hier zeichnet sich die Berichterstattung durch eine Redundanz und Monotonie aus, die mittlerweile in Zeiten der Corona Pandemie geradezu zu den prägenden Merkmalen der öffentlich-rechtlichen Berichterstattung in den Sendungen von ARD und ZDF aber auch in den Tageszeitungen geworden sind. Die Vorwürfe, die gegenüber dem IOC, der WADA und auch gegenüber dem CAS erhoben werden, sind dabei teilweise äußerst gravierend, wenngleich man bei den meisten Vorwürfen auf tragfähige Beweisunterlagen schon seit langem warten muss. Am ehesten ist der Vorwurf nachvollziehbar, dass das IOC, das mit seinen Einnahmen ganz wesentlich den Anti-Dopingkampf finanziert, in der Vergangenheit Einfluss auf die Besetzung von bestimmten Positionen in den Gremien des Anti-Dopingkampfes, insbesondere der WADA genommen hat. Doch auch diesbezüglich muss erwähnt werden, dass bei der Entscheidung über die Führungspositionen der WADA die internationale Staatengemeinschaft mit ihren politischen Repräsentanten paritätisch ebenso beteiligt ist wie die internationalen Sportorganisationen und die gewählten Athletenvertreter, die alle ein Mitspracherecht haben. Die wohl wichtigste Kritik der Massenmedien am Anti-Dopingkampf zielt auf die mangelnde Transparenz und die Abhängigkeit des Kampfes von der jeweiligen internationalen Sportorganisation und vom IOC. Es wird deshalb ein unabhängiger Anti-Dopingkampf gefordert, ohne zu klären wie ein derartiger Kampf organisiert und finanziert werden könnte. Macht man ernst mit der Forderung nach Unabhängigkeit, so müsste zunächst geklärt werden, wie man den Anti-Dopingkampf unabhängig von den Athletinnen und Athleten durchführen kann, denn es sind ja gerade die Athletinnen und Athleten, die für den Betrug in den Wettkämpfen verantwortlich zeichnen. Mit der geforderten Beteiligung der Athletinnen und Athleten würde man den Bock zum Gärtner machen. Eine Beteiligung der Sportverbände und ihrer Funktionäre könnte mit demselben Vorwurf konfrontiert werden. Prüfen wir die Beteiligung der Staatengemeinschaft so ist angesichts des Sachverhalts, dass nicht nur am Beispiel von Russland gezeigt werden kann wie ganze Staaten den Dopingbetrug begünstigen, eine Beteiligung der politisch Verantwortlichen ebenfalls keine geeignete Lösung. Nimmt man das US-amerikanische Modell des Anti-Dopingkampfes zum Vorbild, wie dies seit einiger Zeit von deutschen Sportjournalisten favorisiert wird, so muss gefragt werden, warum der professionelle amerikanische Hochleistungssport nach wie vor eine Hochburg des Medikamentenmissbrauchs ist und die Vereinigten Staaten über Jahrzehnte das Ursprungsland vieler betrügerischer Methoden im Hochleistungssport sind. Auch sollte gefragt werden, warum die vier Top-Ligen (NBA, MLB, NHK und NFL) sowie die NCAA den WADA-Code nicht unterschrieben haben und dort Athleten bei einem Dopingverstoß für vier Wochen oder für vier Spiele gesperrt werden, während der WADA-Code Sperren bis zu vier Jahren vorsieht.
Der Anti-Dopingkampf im internationalen Hochleistungssport wird heute nahezu vollständig von Juristen dominiert. Dies gilt für die Konzeption aller existierender nationalen Anti- Dopinggesetze. Die neu gegründeten „Integrity Units“ der Internationalen Sportverbände weisen ebenfalls fast ausschließlich Juristen als ihre Mitarbeiter aus. In den Gerichtsstrukturen der Sportverbände arbeiten Juristen und gleiches gilt für jenes Personal, das in den CAS berufen wurde und die dort notwendigen Entscheidungen über die verschiedenen Fälle des Dopingbetruges treffen. Wer die derzeit existierenden Anti-Dopingkampfstrukturen als abhängig bewertet, der stellt in gewisser Weise die Profession der im Sport tätigen Juristen infrage. Doch sie alle weisen sich durch ein juristisches Staatsexamen aus, haben meist auch eine ausreichende juristische Praxis aufzuweisen; als Richter in die juristischen Entscheidungsgremien des Sports wurden sie meist deshalb vorgeschlagen, weil sie auch auf ein bestimmtes juristisches Renommee verweisen können. Bestimmt gibt es bei der Besetzung von CAS-Richtern auch Fehlentscheidungen und mancher Richter weist vermutlich auch eine zu große Nähe zum Olympischen Sport und zum Wettkampfsport der Verbände auf. Eine Alternative zur juristischen Profession und deren Verantwortung im heutigen Anti-Dopingkampf gibt es allerdings nicht.
Die Forderung nach einer höheren Transparenz des Anti-Dopingkampfes ist wohl verständlich, doch der gewünschten Transparenz sind angesichts der globalen Strukturen des Weltsports sehr schnell Grenzen gesetzt. Die unterschiedlichen Gesetze zum Datenschutz in den Ländern, in denen der Dopingbetrug zu verfolgen ist, setzen Grenzen, die sich durchaus als ärgerlich erweisen können. Das Gebot der Unschuldsvermutung lässt ebenfalls nur eine begrenzte Transparenz der Entscheidungsverfahren bei Dopingfällen zu. Der Ausschluss der Öffentlichkeit bei bestimmten Anti-Dopingverfahren folgt Regeln wie sie auch im staatlichen Rechtssystem gelten. Unter Transparenzgesichtspunkten kann dies höchst hinderlich sein.
Grundsätzlich unterscheiden sich jedoch die juristischen Strukturen im „Hoheitsgebiet“ des Olympischen Sports und der internationalen Sportorganisationen in Bezug auf Transparenz und Unabhängigkeit nur sehr bedingt von den juristischen Strukturen wie sie in anderen gesellschaftlichen Systemen anzutreffen sind. Transparenz und Unabhängigkeit sind relevante Maxime für ein Rechtssystem. Sie lassen sich aber oft nur sehr unzureichend umsetzen. In gewisser Weise muss man mit diesbezüglichen Mängeln leben, weil alternative Strukturen zumindest derzeit nicht möglich sind. Umso mehr ist eine kritische Begleitung durch einen kritischen Journalismus auch auf dem Gebiet des Sports dringend erwünscht.
6. „Internationale Sportfunktionäre sind inkompetent und korrupt“?
Auf eine Beurteilung und Einschätzung des Bildes, das von den deutschen Massenmedien von internationalen Sportfunktionären gezeichnet und tradiert wird, möchte ich bewusst verzichten. Als ehemaliger Sportfunktionär musste ich mich lange genug mit diesem Bild auseinandersetzen und teilweise habe ich auch vergeblich versucht, mich gegen bestimmte Merkmale dieses Bildes zu wehren. Doch auch in Bezug auf die üblich gewordene Funktionärsschelte sollten sich die Kritiker fragen, welches Personal an die Stelle der gescholtenen Sportfunktionäre treten soll, wer dieses Personal beruft und kontrolliert und welche Beziehung dieses Personal zukünftig zu den Regierenden in den verschiedenen Nationalstaaten, zur Wirtschaft, zu den Athletinnen und Athleten, zu den Medien und zu anderen gesellschaftlichen Gruppen aufweisen soll. Gelungene Antworten auf diese Fragen könnten möglicherweise auch für die derzeit noch aktiven Sportfunktionäre eine große Hilfe sein.
An sechs Beispielen habe ich versucht, die öffentliche Meinungsbildung in deutschen Massenmedien über den Olympischen Sport und über den Weltsport infrage zu stellen. Aus meiner Sicht weist die öffentliche Meinungsbildung über den Sport in Deutschland Tendenzen zum Populismus auf. Sie sollte deshalb hinterfragt und öffentlich zur Diskussion gestellt werden. Der vorliegende Beitrag kann hierzu nur ein erster Anstoß sein. Gesucht ist deshalb ein Forum, in dem eine vorurteilsfreie Diskussion über die hier aufgezeigten Sachverhalte möglich ist. Die Institute für Sportwissenschaft an den deutschen Universitäten könnten hierbei eine zentrale Rolle spielen aber auch der Verband der Sportjournalisten, die Ausbildungsstätten und Hochschulen für Journalisten, die öffentlich-rechtlichen Sender selbst und Dachorgane der deutschen Presse könnten dabei ebenso behilflich sein.
Verfasst: 06.01.2020