Partnerschaft zwischen Schule und Verein

 – dargestellt am Beispiel Leichtathletik

Wenn vom Verhältnis zwischen Schule und Sport die Rede ist, so zeichnen sich solche Gespräche meist durch eine Vielzahl von Forderungen aus. Forderungen wer­den an die Vereine, an die Übungsleiter, an die Eltern, an die Schulleitungen, an die Schulverwaltungen und nicht zuletzt an die Lehrer gerichtet. Allen Forderungen liegt die Annahme zugrunde, dass es besser werden müsste als es derzeit ist. Beispielsweise wird den Verbänden eine neue D-Kader-Regelung nahegelegt. So wird von einer unzureichenden Koordination zwischen den Sach-, Zeit- und Sozialebenen gesprochen, wenn man an die Belastungen von Kindern und Jugendlichen denkt, die sowohl die Schule besuchen als auch Leistungssport betreiben. Angesichts einer Diskussion, die durch gegenseitige Forderungen geprägt ist, besteht die Gefahr, dass ein Diskurs entsteht oder bereits entstanden ist, der sich durch Unendlichkeit und Folgenlosigkeit auszeichnet, in dem wiederholt wird, was schon vielfach geäußert wurde, in dem Altes als neu ausgegeben wird und bei dem nicht mehr zu erkennen ist, dass man wirklich an Problemlösungen interessiert ist. Will man dieser Gefahr begegnen, so sind hinsichtlich der Beurteilung des Verhältnisses zwischen Schule und Verein Nüchternheit vonnöten und sorgfältige Analysen erwünscht. Dabei muss aus soziologischer Sicht bilanziert werden, dass trotz der vielen Idealisten, die sich um ein gutes Verhältnis zwischen Schule und Verein bemühen, derzeit und auch in der Vergangenheit kein bedeutsames und verbindliches Verhältnis zwischen Schule und Verein besteht bzw. bestand. Schule und Verein sind zwei höchst gegensätzliche Institutionen mit äußerst unterschiedlichen Organisationsformen. Sie zeichnen sich in unserer Gesellschaft eher durch Trennung als durch Gemeinsamkeit aus. Dies gilt sowohl für die spezifischen Ziele, Mittel und Inhalte von Schulen und Vereinen als auch für das handelnde Personal. Besonders bedenklich ist dabei, dass insbesondere jene, die für die Schule verantwortlich sind – das sind die Schuldirektoren der Gymnasien, Real- und Hauptschulen – meist kein aktives Verhältnis zu den Vereinen haben, die eine Schule umgeben und ein solches Verhältnis in der Regel auch nicht suchen, es nicht fordern und schon gar nicht einklagen. Umgekehrt muss gesehen werden, dass es die ehrenamtliche Führung der Vereine meist unmöglich macht, dass aus den Vereinen selbst heraus ein kontinuierliches, engagiertes Verhältnis zu den Schulen gefunden wird, die sich in der Umgebung der Vereine befinden.

Angesichts einer erstrebenswerten Neuorientierung öffentlicher Schulen kann gehofft werden, dass sich das Verhältnis zwischen Schule und Verein in den nächsten Jahren verbessert, eine neue Einstellung auf der Seite der Schulleitungen zu beobachten ist und eine neue Professionalität auf der Seite der Vereine einen aktiven Austausch mit den öffentlichen Schulen möglich macht. Betrachtet man die heutige Situation, so muss jedoch erkannt werden, dass sich auf der Grundlage der bestehenden Verhältnisse die Beziehung zwischen Verein und Schule höchst kritisch darstellt. Hat man dabei die Nachwuchsprobleme vieler Sportfachverbände und die Förderung jugendlicher Leistungssportler im Blick, so muss sogar konstatiert werden, dass diese Partnerschaft meist nur wenig oder gar nichts leistet. Diese defizitäre Lage lässt sich auch nicht durch die teilweise sehr vorbildlichen Nachwuchsförderprogramme und Kooperationen zwischen Schule und Verein verdecken, wie sie modellhaft in allen Bundesländern durchgeführt werden. Ohne Zweifel haben diese Modelle Erfolge aufzuweisen, sie besitzen eine sinnvolle Ausrichtung und werden von den Verantwortlichen engagiert und mit beachtlichen Erfolgen durchgeführt. Doch vorbildliches Engagement birgt die Gefahr in sich, dass es für die tatsächlichen Verhältnisse blind macht. Die tatsächlichen Verhältnisse spiegeln sich dort wieder, wo die olympischen Spitzenverbände mit ihren jugendlichen Athletinnen und Athleten von der Kooperation zwischen Schule und Verein betroffen sind. Ein Verband wie der Deutsche Leichtathletik-Verband stellte schon seit einigen Jahren fest, dass für ihn das Nachwuchsproblem nahezu unlösbar ist. Er hatte eine Lösung dieses Problems an die Hoffnung geknüpft, dass die Kooperation zwischen Schule und Verein einen wesentlichen Lösungsbeitrag liefern könnte. Heute erkennen die Verantwortlichen des Deutschen Leichtathletik-Verbands, dass allgemeingesellschaftliche Entwicklungen in vieler Hinsicht eine Lösung des Nachwuchsproblems beeinträchtigen, möglicherweise gar verhindern. Er muss erkennen, dass der Sport, so wie er sich seit längerer Zeit verändert – einer Versportlichung unserer Gesellschaft steht eine Entsportlichung des Sports gegenüber – und die aktuellen sich abzeichnenden neueren Entwicklungstendenzen im Gesamtsystem des Sports kaum Hoffnung zur Lösung des Problems eröffnen. Der DLV muss dabei auch die Entwicklung der Sportwissenschaft zur Kenntnis nehmen. Die Mehrheit der Sportwissenschaftler entfernt sich in ihren Forschungsinteressen immer häufiger und immer entschiedener vom Leistungssport und wendet sich anderen Bereichen unserer Sportkultur zu. Er muss auch die Entwicklung des Schulsports beachten, der sich in seinen Inhalten immer mehr von der Grundsportart Leichtathletik abgewandt hat, in dem Leichtathletik nur noch als ein Fach unter vielen unterrichtet wird und dabei die Lernerfolge höchst bescheiden geworden sind. Der DLV hat auch die Veränderungen im Bereich der deutschen Sportvereine zu bilanzieren. Auch hier sind Prozesse im Gange, die es eher erschweren, das Nachwuchsproblem des Deutschen Leichtathletik-Verbandes einer angemessenen Lösung zuzuführen.

Vor dem Hintergrund dieser kritischen Analyse der aktuellen Verhältnisse ist es für den Deutschen Leichtathletik-Verband naheliegend, dass er in seinen Forderungen gegenüber Dritten eher bescheiden geworden ist. Seine Forderungen zielen dabei vor allem auf die Qualität, die bezogen auf die zu suchenden Lösungen zu fordern ist, wobei es vor allem um die Qualität des Bestehenden gehen sollte, weil Forderungen nach neuen Maßnahmen ökonomisch als unrealistisch zu bezeichnen sind. Will der DLV in der internationalen Leichtathletik konkurrenzfähig sein, so muss er aus jenen Qualitäten schöpfen, die quantitativen Mangel kompensieren und gleichzeitig Erfolge im Spitzensport möglich machen. Für die Leichtathletik heißt das, dass sich die Lösungen durch Intelligenz und Kreativität auszeichnen müssen. Der Deutsche Leichtathletik-Verband muss dabei das Problem der Bindung von Kindern und Jugendlichen an die Sportart Leichtathletik in erster Linie selbst lösen. Er benötigt Übungsleiter und Trainer für Kinder und Jugendliche, sowie eine Basisgeneration, die für die Leichtathletik Interessen entwickelt. Schließlich muss all dies, was dabei angestrebt wird, auch finanzierbar sein. Gewiss kann der Deutsche Leichtathletik-Verband diesen Weg nicht alleine gehen. Er benötigt hilfsbereite und kompetente Partner, die nach wie vor in unserer Gesellschaft zu finden sind. Er benötigt eine engagierte Sportwissenschaft, die sich den immer wieder neu zu stellenden Fragen des angemessenen Trainings und der sportlichen Spitzenleistung mit Engagement widmen. Er benötigt Schulen, an denen Leichtathletik lebendig unterrichtet wird. Er benötigt die Unterstützung der Bundeswehr, aber auch die Unterstützung der Universitäten. Natürlich geht dies nicht ohne die finanzielle Hilfe der Sponsoren und der Wirtschaft, vor allem wird es aber darauf ankommen, dass in der weiteren Entwicklung auch der Staat, insbesondere das Bundesministerium des Innern, der treue Partner des Leistungssports ist.

Bei all diesen Partnerschaften ist die Kooperation mit der Schule nach wie vor von zentraler Bedeutung. Doch angesichts der kritischen Situation, in der sich unser öffentliches Schulwesen befindet, hat der DLV gelernt, bescheidene Ansprüche an die öffentlichen Schulen zu richten. Leichtathletik im Sportunterricht, Leichtathletik bei den Bundesjugendspielen, Leichtathletik bei „Jugend trainiert für Olympia“: wo immer Leichtathletik in der Schule vorkommt, so ist aus der Sicht der Trainer, der Fachleute und der Experten immer nur von Problemen zu berichten. Leichtathletik im Sportunterricht ist allenfalls eine Andeutung dessen, was die 44 Disziplinen der Leichtathletik bei Olympia bedeuten. Leichtathletik bei Bundesjugendspielen ist ein Dreikampf, der immer weniger das Interesse der Schüler findet. Leichtathletik bei Jugend trainiert für Olympia“ führt meist jene Leichtathleten zusammen, die als Talente schon längst erkannt wurden. Angesichts dieser Problemskizze ist es naheliegend, dass der DLV engagierte, zielorientierte und auf die Belange des Leistungssports ausgerichtete Kooperationsprogramme mit den Schulen sucht. Die sportbetonten Schulen haben dabei für den Deutschen Leichtathletik-Verband die höchste Priorität. Für den Deutschen Leichtathletik-Verband dürfen Kooperationsprogramme keinen Selbstzweckcharakter haben. Sie dürfen nicht Alibi für eine Schulpolitik werden, die gegenüber dem Sportunterricht in vieler Hinsicht versagt hat. Kooperationsprogramme müssen hingegen auf konkrete Probleme ausgerichtet sein. Die Konzeption der sportbetonten Schulen zeigt uns, dass sie an den Problemen des Leistungssports ausgerichtet sind und versuchen, wichtige Aspekte des Nachwuchsproblems auf eine beispielhafte Weise zu lösen. Doch sportbetonte Schulen allein können den Generationenvertrag nicht ermöglichen, den die Leichtathletik so dringend für ihre Zukunft benötigt. Deshalb kommt es auch darauf an, dass der „normale Sportunterricht“ nicht vernachlässigt wird, er sich durch leichtathletische Inhalte auszeichnet und in ihm weiter die Basis gelegt wird für alle Sportaktivitäten und Sportarten, in denen Laufen, Werfen und Springen grundlegende Fertigkeitsmuster ausmachen. Für den Deutschen Leichtathletik-Verband muss deshalb die bescheidene Forderung bedeutsam sein, dass der schulische Sportunterricht mit leichtathletischen Inhalten gelingen muss. Ist dies der Fall, dann hat der DLV jene Unterstützung, die er dringend benötigt. Deshalb beteiligt sich der Deutsche Leichtathletik-Verband an der Entwicklung neuer Lehrpläne, er selbst hat ein Lehrteam gebildet, das in die Schulen hineingeht, er verantwortet „Leichtathletik in Aktion“ zugunsten seiner Landesverbände, er hat darüber hinaus einen Kinderbeauftragten berufen, der sich an den Belangen von Kindern und Jugendlichen orientiert, um eine kind- und jugendgemäße Leichtathletik auf den Weg zu bringen und diese in die Lehrerfortbildung hineinzutragen. Dies alles sind Beiträge zu einem Kooperationsprogramm zwischen Schule und Verein und in diesem Sinne sind Kooperationsprogramme für die weitere Entwicklung der Leichtathletik ohne Zweifel von herausragender Bedeutung.

Letzte Überarbeitung: 22.06.2020