Olympische Spiele im Jahr 2026 in Sion – eine Vision

Wir schreiben das Jahr 2026. Eine Vision hat uns in dieses für den olympischen Sport äußerst interessante Jahr geführt und wir können mit kritischer Distanz auf vergangene Jahrzehnte und dabei auch auf das Jahr 2018 zurückblicken. Die XXIII. Olympischen Winterspiele fanden in diesem Jahr in Pyeongchang statt. Gastgeber war ein Nationales Olympisches Komitee, das auf eine zwar kurze aber doch sehr aktive Vergangenheit in der Olympischen Bewegung verweisen kann. Korea war einmal mehr ein würdiger Gastgeber, organisatorisch war bei den Spielen nur wenig zu beklagen, wenngleich in der Öffentlichkeit im Vorfeld Widerstände gegen das Land und das Ausmaß der Investitionen zu spüren waren. Doch Koreas Athletinnen und Athleten waren auf die Spiele bestens vorbereitet. Das Athletendorf genügte den Ansprüchen des IOC, aber auch die Infrastruktur der Gastgeberregion Pyeongchang konnte den internationalen Ansprüchen genügen.

Die Spiele des Jahres 2018 waren jedoch keine besonderen Spiele. Sie hatten ihre Vorläufer, sie folgten einer ideologischen Konzeption, wie sie schon lange durch das IOC vorgegeben war und sie wiesen dieselben Widersprüche und Schwächen auf, wie sie bereits in Nagano 1998, Salt Lake City 2002, Turin 2006, Vancouver 2010 oder Sotschi 2014 zu beobachten waren. Die Spiele sind keine einheitlichen Spiele mehr, sie sind zu groß geworden, sie sind großstädtische Ereignisse und haben notwendigerweise lange Anfahrtswege zu den Sportstätten zur Folge. Coubertins „Olympische Ideale“ wurden in den Tagen von Pyeongchang innerhalb der olympischen Familie in mehr oder weniger gelungener Rhetorik gepflegt. Sobald sie sich jedoch in der Praxis zu bewähren hatten, traten Widerstände auf, wurden sie in Frage gestellt und teilweise ins Gegenteil verkehrt. Immer wieder wurde auch bei vorausgegangenen Winterspielen im Vorfeld der Spiele Korruption und Bestechung beklagt. Die nordischen Wettkämpfe weisen Disziplinen auf, in denen sich das Dopingproblem nahezu als unlösbar darstellt. Die große Mehrzahl der olympischen Wintersportarten war angesichts des Steigerungsimperativs „höher, weiter, schneller“ an Grenzen gestoßen, das Gebot der Unversehrtheit der Athletinnen und Athleten wurde deshalb immer häufiger mit Füßen getreten. Der alpine Rennsport war davon ebenso betroffen wie der Skisprung und der Bobsport. Die Führung des Internationalen Olympischen Komitees war zwar bemüht, einen Prozess der Demokratisierung voran zu treiben, dennoch wurde die Zusammensetzung der Funktionärselite des Weltsports von selbstgefälligem Geldadel, fragwürdigen Politikern und prestigesüchtigen Verbandsfunktionären geprägt. Angesichts dieser Situation stellte sich die Frage, welchen Weg die Olympische Bewegung zukünftig gehen sollte, zu welchen Veränderungsprozessen die Führung des Weltsports in der Lage ist, welches Leitbild sie dabei vor Augen hat, welche Visionen und Utopien von ihnen bedacht werden, um neuen Herausforderungen und Gefährdungen gewappnet zu sein.

Wir springen in das Jahr 2026, das eben begonnen hat und wir dürfen uns freuen, dass in diesem Jahr zu unser aller Überraschung eine äußerst pluralistische Weltgesellschaft einmal mehr die Olympischen Winterspiele feiern wird. Die XXV. Olympischen Winterspiele finden in der Schweiz statt. Zum zweiten Mal werden sie also in einem Land ausgerichtet, das sich im wahrsten Sinne als eine Wintersportnation bezeichnen darf. Es ist ein kleines Land, dessen Chancen auf die Ausrichtung Olympischer Winterspiele vor 20 Jahren nahezu auf Null gesunken waren, nachdem sich die Olympische Bewegung bei der Ausrichtung der Spiele auf eine Größenordnung verständigt hatte, die nicht zuletzt unter ökonomischen Gesichtspunkten einer Gigantomanie gleich gekommen ist.

Mit der Schweiz wurde ein Land mit der Ausrichtung der Olympischen Spiele beauftragt, das sich wie kaum ein anderes als weltoffen zeigt, dessen Bevölkerung sich durch außergewöhnliche Sprachtalente auszeichnet und das vor allem den olympischen Wintersportarten eine glaubwürdige Heimat bieten kann. Die Wirtschaft der Schweiz bietet ein ideales Fundament zur Ausrichtung der Spiele, so dass die ökonomischen Risiken, die dabei eingegangen werden, zu verantworten sind. Die Universitäten der Schweiz sind, wie kaum in einem anderen Land, von Internationalität geprägt und haben einen guten Ruf in der Welt. Auch in der Kunst, der Literatur und im Sport – und dies gilt vor allem für den Wintersport – spielt die Schweiz auf der internationalen Bühne eine beachtliche Rolle. So konnte es nicht überraschen, dass die Schweiz bei dem Bewerberwettkampf für die Ausrichtung der Spiele im Jahr 2026 den Zuschlag erhalten hat. Verglichen mit den Spielen in Pyeongchang, also acht Jahre zuvor, sind die Spiele nicht gewachsen, ja sie haben sich verkleinert. Die Teilnehmerzahl wurde auf 2.500 Athletinnen und Athleten limitiert, lediglich zwölf Sportarten werden angeboten und innerhalb der verschiedenen Sportarten ist es zu einer Reduktion der Entscheidungen gekommen. Davon sind vor allem der Eisschnelllauf und der alpine Rennsport betroffen. Auch die Sportarten sind nicht dieselben geblieben, neue sind hinzugekommen, andere wurden aus dem Programm genommen. Aber auch innerhalb der Sportarten lassen sich vielfältige Veränderungen beobachten. Gemischte Wettkämpfe werden von den Zuschauern begeistert angenommen, so die gemischten Staffeln beim Skilanglauf, Biathlon und im Eisschnelllauf, die neu hinzugekommen sind. Nationenübergreifende Mannschaftsbildungen nach dem Vorbild der Olympischen Jugendspiele sind möglich und seit 2018 hat das IOC beschlossen, dass bei jedem neuen Ereignis der Olympischen Spiele eine neue Sportart vom Gastgeber ausgewählt werden kann. In Sion findet deshalb ein olympisches Skijöring-Turnier statt. Südamerikaner, ebenso wie Asiaten und einige europäische Länder wurden mit speziellen Entwicklungshilfeprogrammen auf diese Wettkämpfe vorbereitet.

Bei den sportlichen Wettbewerben fällt auf, dass die Athletinnen und Athleten die Zuschauer mit ihren sportlichen Leistungen faszinieren können, ohne dass die Erwartungshaltung der Zuschauer auf Rekorde ausgerichtet ist. Von den Ansagern werden olympische Rekorde nicht mehr erwähnt, auch auf den Videoscreens und in den Programmheften werden diese Informationen nicht mehr als wichtig erachtet. Die Siegerehrungen haben ebenfalls eine ganz neue Qualität. Anstelle der Nationalhymne wird für den Sieger die olympische Hymne gespielt, den Medaillengewinnern werden die Medaillen durch die Platzierten des Finalwettbewerbs überreicht, und jeder Finalist erhält ein besonderes Kunstwerk von Künstlern überreicht, die sich im olympischen Kunstwettbewerb ausgezeichnet haben.

Was als besonders mutig zu bezeichnen ist, ist der Sachverhalt, dass zum ersten Mal seit mehreren Jahrzehnten bei den Olympischen Spielen von Sion keine Dopingkontrollen durchgeführt werden. Weder haben die Athletinnen und Athleten sich einer Urinkontrolle noch einer Blutkontrolle zu stellen. Sie haben sich vielmehr als glaubwürdige Olympioniken zu bewähren. Die Verantwortlichen der olympischen Wettkämpfe vertrauen ihren Athleten, wohl wissend, dass es dabei dennoch einige schwarze Schafe geben kann. Ein bis dahin weltweit praktiziertes Kontrollsystem wurde zwei Jahre zuvor eingestellt, nachdem man einsehen musste, dass mit Kontrollmaßnahmen der Kampf gegen das Dopingunwesen nicht gewonnen werden kann. Dieser Schritt war deshalb möglich, da in immer mehr Sportarten die Athletinnen und Athleten selbst erkannt hatten, dass sich ein Sportsystem, das auf Betrug aufbaut, auf Dauer nicht lohnen kann. Die Würde des Athleten wird dabei in Frage gestellt und seine Gesundheit wird gefährdet. Deshalb haben viele Olympioniken in den verschiedensten Sportarten eine Stiftung zur Selbsthilfe gegründet, die im Wesentlichen auf eine wirkungsvolle Prävention ausgerichtet ist und Aufklärungsarbeit gegenüber jüngeren Athleten leistet. Ergänzt wurde die Maßnahme durch ein globales Präventionsprogramm der UNESCO, auf das sich die internationalen Sportverbände und die staatlichen Bildungsinstitutionen im Jahr 2022 selbst verpflichtet hatten. Das Prinzip des Fair Play, das konstitutiv für den olympischen Sport ist, konnte auf diese Weise stabilisiert werden. In einigen Sportarten musste es teilweise auch neu begründet werden.

Eine neue Qualität hat auch die Medienberichterstattung über die Olympischen Jubiläumsspiele aufzuweisen. Fortbildungsprogramme haben dazu beigetragen, dass die journalistische Qualität der Berichterstattung erheblich gesteigert werden konnte. Insbesondere bei den Fernsehberichten wird auf tiefgründige Weise das jeweils Besondere der verschiedenen Sportarten unterhaltsam zur Darstellung gebracht. Die Moderatoren und Journalisten bleiben bescheiden im Hintergrund. Sie sind kritische und fachlich kompetente Begleiter. Die Sendezeiten wurden reduziert, so dass während der Olympischen Spiele auch noch andere Themen der Medienberichterstattung den notwendigen Raum erhalten können.

Die digitale Übertragungstechnik, die es schon längere Zeit gibt, ermöglicht es den Zuschauern in aller Welt, live bei verschiedenen Wettkämpfen gleichzeitig zu sein. Der Zuschauer trifft jeweils selbst die Entscheidung, bei welchen Wettkämpfen er dabei sein möchte. Aber auch zeitversetzte Reproduktionen sind für ihn zugänglich. Das Internet und das Fernsehen sind dabei für die Zuschauer schon seit einigen Jahren eine komfortable Einheit geworden. Die Berichterstattung ist aber nicht nur auf die sportlichen Ereignisse ausgerichtet. Das Gastgeberland Schweiz mit seiner vielfältigen Kultur und seinen geografischen und natürlichen Besonderheiten wird in einer Vielfalt von Sendeformaten in informativer und unterhaltsamer Weise zur Darstellung gebracht.

Die bedeutendste Innovation zu Gunsten der Olympischen Bewegung lässt sich bei den Spielen in Sion im olympischen Dorf beobachten. Das olympische Dorf gleicht einem globalen Welttheater. Grundsätzlich besteht dabei für alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Pflicht, im olympischen Dorf zu wohnen. Von den Organisatoren wurden vorweg gemeinsame An- und Abreisetage festgelegt. Auf diese Weise ist es allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern möglich, sich an vielfältigen kulturellen Aktivitäten im Dorf zu beteiligen. Der Zeitplan für die olympischen Sportarten wurde dabei so gestaltet, dass jeder Athletin und jedem Athleten mindestens zwei Ruhetage zur Verfügung stehen, so dass nicht nur die Möglichkeit besteht, die Wettkämpfe verschiedener Sportarten zu besuchen. Ein wichtiges Ziel der Spiele ist es vielmehr, dass die Athleten aktiv in die Programmgestaltung des so genannten „olympischen Theaters“ eingebunden sind. Der im Vorfeld der Spiele organisierte olympische Kunstwettbewerb findet sein Finale im olympischen Dorf. Gleiches gilt für einen internationalen Lyrik- und Musikwettbewerb. Ein besonderer Höhepunkt ist der Wettbewerb um den „Olympic Innovation Award“. Experimentelle Wissenschaften und der olympische Sport haben dabei eine faszinierende Symbiose erreicht.

Auch bei den XXV. Olympischen Winterspielen ist das IOC auf die enge Kooperation mit Wirtschaftspartnern angewiesen. Dabei hat das IOC allen Verlockungen widerstehen können, die von Seiten der Wirtschaft an es herangetragen worden waren. Die Olympischen Spiele zeichnen sich nach wie vor durch ein besonderes Alleinstellungsmerkmal aus. Alle Pisten, Flugschanzen, Stadien, Hallen und Sportstätten sind werbefreie Zonen und nach wie vor gibt es bei den Spielen weder Antrittsgelder noch Siegprämien. Das Engagement der olympischen Partner ist vielmehr vor allem auf die eigenen Unternehmen ausgerichtet. Über die Partnerschaft mit dem IOC wird ihnen die Möglichkeit eröffnet als Zuschauer und Gäste an den Spielen teilzunehmen. Dank des traditionsreichen Sion-Forums hat das IOC gemeinsam mit den großen Wirtschaftspartnern die XXV. Winterspiele zu einem globalen Forum weiterentwickelt, bei dem es zu einem intensiven Austausch der Arbeitnehmer mit ihren Arbeitgebern aus aller Welt kommt. So wie die Athleten sich im olympischen Dorf als Repräsentanten einer globalen Gesellschaft erweisen, so findet allabendlich ein Weltwirtschaftsforum mit Plenumsdiskussionen, Filmvorführungen, kulturellen Veranstaltungen und besonderen Feierlichkeiten statt, bei denen die Belegschaften der olympischen Wirtschaftspartner privilegierte Gäste sind.

Die XXV. Olympischen Winterspiele sind etwas Besonderes. Sie sind ein großartiger Erfolg für die Olympische Bewegung. Sie zeigen, wie modern und lebendig die olympischen Ideale Coubertins sein können und wie entwicklungsfähig sich die Olympische Bewegung in der jüngsten Zeit erweisen konnte. Angesichts der Situation der Olympischen Bewegung um die Jahrtausendwende, angesichts der Probleme, die noch bei den Spielen in Salt Lake City und danach zu beobachten waren, kommt diese neue Qualität der Olympischen Bewegung einem Wunder gleich. Ohne Zweifel ist dies dem konsequenten Reformwillen des ehemaligen IOC-Präsidenten Jacques Rogge zu verdanken, der die entscheidenden Weichen während der größten Krise der Olympischen Bewegung in besonderer Weise stellte. Es ist vor allem aber auch seinem Nachfolger Dr. Thomas Bach zuzuschreiben, der dem neugewählten Weg der gesellschaftlichen und kulturellen Offenheit folgte und der sich in aller Entschiedenheit auf die Seite der sauberen Athleten stellte, die Betrüger konsequent bestrafte und den Prozess auf die Widerbesinnung der Olympischen Ideale Pierre de Coubertins intensivierte. Es kann als ein Glück bezeichnet werden, dass sich das IOC von korrupten Politikern distanzierte, sich endlich auch von einer Millionärsclique verabschiedete, die ohne jegliche Fachkenntnisse die Geschicke des Olympismus zu beeinflussen versuchten.

Es war die richtige Entscheidung, die Vergabe der Spiele nicht mehr in der Hand der IOC-Mitgliederversammlung zu belassen, sondern sie einem ausgewählten Fachgremium zuzuweisen, das sich dadurch auszeichnet, dass es mit der Tradition der Olympischen Bewegung verbunden ist, über notwendige Innovationskraft verfügt und sich als unabhängig gegenüber Einflüssen von außen erweist. Es kann auch als klug bezeichnet werden, dass es Dr. Bach war, der den Mut hatte, das Rekrutierungsverfahren in die Gremien des IOC mit neuer demokratischer Qualität zu beleben, wodurch vor allem eine größere weibliche Beteiligung in relativ kurzer Zeit erreicht werden konnte. All diese Veränderungen und die damit erreichten neuen Qualitäten machen deutlich, dass auch die weitere Entwicklung der Olympischen Bewegung von ihrer jeweiligen Führung abhängig sein wird. Ist sie den Olympischen Idealen Coubertins verpflichtet, ist sie gleichzeitig aber auch in der Lage, die jeweils notwendigen Modernisierungsprozesse einzuleiten und eine zeitgemäße Interpretation der Ideale zu finden, dann braucht man sich um die Zukunft der Olympischen Bewegung auch nach dem Jahr 2026 kaum Sorgen zu machen. Die Olympischen Spiele in der Antike sind mindestens 800 Jahre alt geworden.

letzte Überarbeitung: 26.03.2018