„Litfaßsäule Sport“ – kulturkritische Beobachtungen

Die ersten Anfänge für eine „Litfaßsäule Sport“ lassen sich vermutlich bereits im 19. Jahrhundert finden. Es war der Berliner Drucker Ernst Litfaß, der 1854 die erste Litfaßsäule in Berlin aufgebaut hat. Man versuchte damals damit einer immer weiter um sich greifenden Wildplakatierung entgegen zu wirken. 

Mit dem Ende des 19. Jahrhunderts hat sich das Phänomen „Werbung durch Sport“ und „Werbung für den Sport“ immer entschiedener globale Ausmaße erreicht und dies hat sich in einer schillerndem Vielfalt bis heute weiter entwickelt: Werbung am Mann, Werbung an der Frau, Bandenwerbung, LED- Werbung, Werbung auf dem Rasen, Werbung auf der Spielfläche, Werbung im Fernsehen, Werbung im Internet, Werbung mittels sozialer Medien, Werbung für aktive Zuschauer von Sportveranstaltungen, Werbung für passive Zuschauer des Fernsehens, Werbeposter, Litfaßsäulen, Werbegroßplakate im öffentlichen Raum, etc.. Es gibt keinen Anlass und keinen Ort, an dem Werbung im, durch Sport und für den Sport nicht vorstellbar ist.
Für die bemerkenswerte Geschichte des Werbephänomens „Sport muss aus deutscher Sicht das Jahr 1973 erwähnt werden als heute vor 50 Jahren in Braunschweig der Unternehmer Mast auf dem Trikot einer Braunschweiger Bundesliga Mannschaft das Bild eines Hirsches präsentierte, um damit für sein Produkt eines Likörs namens Jägermeister Verkaufswerbung zu betreiben. 

Mitte der 50-er Jahre des vergangenen Jahrhunderts hatte der uruguayische Fußballclub „CA Penarol“ als erster Fußballverein auf seinem Trikot für ein Produkt der Konsumgüterindustrie geworben. Zur selben Zeit hatte in England „Wolverhampton Wanderers“ auf seinem Trikot einen örtlichen Kekshersteller auf dem Trikot seiner Spieler abgedruckt. Zuvor war es im Mannschaftssport weltweit üblich, mit klar definierten Vereinsfarben und mit einem historischen Vereins- Logo die eigenen Vereine zu repräsentieren. Die Spieler trugen einfache einfarbige Trikots ohne jegliche Werbung. Der Hauptzweck des Trikots bestand darin, die Spieler zu unterscheiden und das Team zu repräsentieren. Die Vereine waren hauptsächlich auf Ticketverkäufe und Vereinsmitgliedschaften angewiesen, um ihre Finanzen zu sichern. In mehreren Fußball- Nationen war die Trikotwerbung bereits sehr viel früher zugelassen worden als in Deutschland. Österreich erlaubte diese zum Beispiel die Werbung auf Fußballtrikots bereits in den sechziger Jahren. Allerdings zog dabei der Sponsor meist auch in den Vereinsnamen mit ein. Damit gibt es im österreichischen Fußball ein besonderes Phänomen, dass noch bis heute in dessen Fußballligen zu beobachten ist, wenn Mannschaften wie z. B. FC Red Bull Salzburg, SV Guntamic Ried, TSV Egger Glas Hartberg, RC Pellets WAZ aufeinandertreffen. 

Nunmehr liefen also seit 1973 auch in Deutschland elf Spieler einer Fußball- Bundesligamannschaft bei jedem ihrer Bundesligaspiele für 90 Minuten über den Platz und missionierten die Zuschauer für das Trinken eines alkoholischen Getränks, das in diesen Tagen noch in den länglichen Mini- Flaschen in den Trinkhallen der Nation gereicht wurde. Gebrannt wurde es in Wolfenbüttel und dort ist man wohl auf die Idee gekommen, dass Alkohol und Fußball eine fantastische Mischung sei, mit der sich erfolgreich Verkaufswerbung betreiben lässt.
So kam es, dass in der Bundesligasaison 1973 die Spieler des Vereins Eintracht Braunschweig, die zuvor mit ihrem Vereinslogo eines Löwen ihre Spiele bestritten, nunmehr mit einem Hirsch auf der Brust und einem Hirsch in ihrem Vereinslogo in den Stadien aufgelaufen sind und ihr Verein dafür von dem Getränkeunternehmer Günter Mast in seinem Haushalt auf seiner Einnahmenseite 300.000 DM pro Jahr für dieses Sponsoring verzeichnen konnte. Mast ist auf diese Weise zum ersten Trikot- Sponsor der Fußball Bundesliga in der Geschichte des deutschen Berufsfußballs geworden. Wohl hatte es zuvor in der Regionalliga Südwest die Wormatia Worms gegeben die 1967 kurzfristig mit dem Schriftzug des Baumaschinenherstellers „CAT“ gespielt und dafür 5000 DM erhalten hatte. Doch da es bis zu diesem Zeitpunkt ein Werbeverbot des Deutschen Fußball-Bundes gegeben hatte, mussten die drei Buchstaben schnell wieder von der Brust der Spieler verschwinden.
Das bis 1973 bestehende Werbeverbot des deutschen Sports war durchaus gut begründet und die damaligen Verantwortlichen für die Entwicklung des Sports in Deutschland befürchteten durch die Kommerzialisierung eine zunehmende Fremdbestimmung des Sports, gesteuert durch die wirtschaftlichen Interessen der Sponsoren. Bereits damals war auch schon ein enger Zusammenhang zwischen Alkohol und Sporttreibenden zu beobachten und man wusste um die Gefahren des Alkohols, die ja nicht nur für junge Menschen bestanden und noch heute bestehen. 

Mit der immer schneller anwachsenden Geldgier des gesellschaftlichen Teilsystems „Sport“, vor allem in seiner Ausprägung „Fußball“, wurden diese zu Recht bestehenden Bedenken sehr schnell über Bord geworfen und es konnte eine Mehrheit für die Aufhebung des Werbeverbots im Sport bei der Mitgliederversammlung des Deutschen Fußball- Bundes im Oktober 1973 – trotz einiger Widerstände – gefunden werden. Nun hatte die „Werbung am Mann“ freie Fahrt. Sie wurde sehr schnell auch mit der „Werbung an der Frau“ ergänzt. 1974 zog der Hamburger SV nach, der für den italienischen Spirituosenhersteller „Campari“ die damalige Bundesliga- Saison eröffnete. Es folgten Borussia Mönchengladbach mit „Diebels“, Bayern München mit „adidas“, Eintracht Frankfurt mit „Remington“, VfB Stuttgart mit „Südmilch“, Herta BSC mit einem Getränk namens „Mampe“ und die Münchner Löwen mit „Löwenbräu“.
Die Auftritte der Mannschaften mit Alkoholwerbung standen dabei allerdings nicht selten im Widerspruch zu der vom Sport vorgetragenen Anti-Doping Kampagne „Keine Macht den Drogen“. Doch aus einer marketingtheoretischen Sicht konnte man in dieser Zeit ein sehr gelungenes Konzept des Zielgruppen- Marketings erkennen, denn die Zielgruppe war, wie Silke Wichert in der SZ vom 17. April 2023 schreibt, der Durchschnittsfan, der ja eher „Passivsportler und Aktivtrinker“ war.
Sehr schnell wurde jedoch die Attraktivität der Brust von Fußballspielern von Herstellern der verschiedensten Konsumprodukte der Konsumgüterindustrie entdeckt und der Siegeszug der „Werbung am Mann“ war nicht mehr aufzuhalten. In ihrem bemerkenswerten Essay „Mit stolzgeschwellter Hühnerbrust“ beschreibt Silke Wichert einen Störfall dieses Siegeszuges, der hier erwähnt werden soll:“…als der FC Homburg 1987 für den Kondomhersteller „London“ warb, wurde es dem DFB zu bunt. Die Werbung verstoße gegen Ethik und Moral im Sport. Wie das gemeint war ist bis heute nicht ganz klar. Weil die Profis keinen Sex haben sollten? Oder zumindest keinen geschützten Sex? Waren keine Leibesübungen neben dem Fußball erwünscht? Jedenfalls zog der Verband vor Gericht, die Homburger spielten derweil mit einem schwarzen Streifen vor der Brust. Am Ende verlor der DFB“. 

Mit der Werbung auf der Brust von Fußballspielern lässt sich mittlerweile ein ganzes Kapitel der neueren Design Geschichte schreiben, wobei vermutlich kuriose und dümmliche Designs die wirklich kreativen Designs überwiegen.  

Das schwarze Uhu- Logo passte besonders gut zum gelb-schwarzen Trikot des BVB, die Aussage „Werkself“ war eine Notlösung von Bayer Leverkusen als sie für eine Saison keinen Trikot- Sponsor finden konnte. Beliebte Konsumgüterlogos auf den Fußballer- Brüsten waren und sind Telefonanbieter, Automobilhersteller und Computerunternehmen. Zunächst waren Sponsoren für alkoholische Getränke im Fußball äußerst beliebt. 1979 warb der HSV auf seinem Trikot sogar für die Whisky-Marke „Jack Daniels“. Heute ist jedoch die Werbung für starke Alkoholika ab 15 % verboten und die dominante Bierwerbung im Sport wurde immer mehr von einer Werbung für alkoholfreie Biere und Getränke abgelöst. Immer häufiger lassen sich Fußballmannschaften die Trikotvorderseiten ihrer Spielerinnen und Spieler auch von Staatsunternehmen aus sog. „Schurkenstaaten“ finanzieren. In der Kritik stehen dabei Vereine, die für „Gazprom“, für die Airlines „Qatar“, “Ethihad“ und „Emirates“ werben.
Mittlerweile ist in Bezug auf die „Werbung am Mann“ im Bereich des Fußballs bereits das sogenannte „Vintage“ angesagt. Besonders begehrt ist als Klassikertrikot das „Commodore- Trikot“ des FC Bayern aus den achtziger Jahren und wenn ein Star der Unterhaltungsbranche ein altes Fußballtrikot trägt, gehen die Google- Suchen und die Preise für solche Sammlertrikots explosionsartig nach oben. Fußballtrikots haben somit einen Sammlerwert. Bestimmte historische Trikots oder limitierte Sondereditionen sind zu begehrten Sammlerstücken geworden. Dieser Aspekt des Sammelns und Handelns von Fußballtrikots eröffnete zusätzliche Möglichkeiten im Bereich des Merchandisings. Fußballtrikots dienen nicht nur der Vereins- sondern auch der Markenrepräsentation. Trikots mit Sponserlogos bieten Unternehmen eine Plattform, um ihre Marke einem breiten Publikum zu präsentieren. Unternehmen steigern dadurch ihre Bekanntheit und kommunizieren ihre Werbebotschaften an die Fans. 

Für die Ökonomie des Sports gehören die Einnahmen aus dem Bereich des Sponsorings mittlerweile zu den wichtigsten Ressourcen über die der Sport verfügen kann. Das Trikotsponsoring wurde zu einer bedeutenden Einnahmequelle für Fußballvereine. Die steigenden Preise für Fernsehübertragungsrechte und das wachsende Medien- Interesse am Fußball trugen dazu bei, dass die Trikotwerbung als eine äußerst attraktive Werbefläche angesehen wurde. Unternehmen erkannten das Potenzial, ihre Markenbotschaften einem breiten Publikum präsentieren zu können. Das Trikotsponsoring wurde zu einer regelrechten „Geldmaschine“ für Fußballvereine und die Verträge mit multinationalen Unternehmen und globalen Marken erreichen heute meist mehrstellige Millionen Summen. 
Die Einnahmen aus dem Verkauf der Sponsoringrechte für die Trikot- Werbung erreichten in der Fußballbundesliga in der Saison 2021/ 22 eine Rekordsumme von 256,7 Millionen €. Die Erlösspanne reicht mittlerweile von 3 Millionen bis zu 50 Millionen € für den Verkauf der Werberechte auf der Vorderseite des Trikots. Neben der Brust wird nun auch noch seit der Bundesliga Saison 2017/18 der Ärmel des Trikots vermarktet. Bis heute haben jedoch acht Bundesliga Clubs noch keinen Ärmel- Sponsor gefunden. Die erfolgreichen zehn Clubs erlösen mit dieser Werbefläche mittlerweile bereits 30 Millionen € pro Bundesligasaison. In den Fußballligen von England, Spanien und Italien konnten vergleichsweise noch höhere Einnahmen erzielt werden. Barcelona konnte sich in diesem Zusammenhang sogar leisten, auf die möglichen Einnahmen durch Werbung auf der Brust ihrer Spieler zu verzichten und der UNICEF kostenfrei den Raum für die Bewerbung ihrer menschenfreundlichen Interessen (Kinderhilfe) einzuräumen. Doch diese Selbstlosigkeit war nur von kurzer Dauer. Mittlerweile wirbt auch dieser Club für eine arabische Fluggesellschaft. 

Die Vermarktung der Brust der Spieler wurde längst mit einem weiteren Vermarktungsbaustein – dem Merchandising der Club- Trikots – äußerst erfolgreich ergänzt. Die Fans von den besten Ballspielmannschaften in den verschiedensten Sportarten tragen sehr gerne die Trikots ihrer Idole. Dies gilt für die amerikanischen Profisportarten Basketball, Football und Eishockey ebenso wie für den besonders in Europa, Südamerika und immer häufiger auch in Asien und dort vor allem in Japan und China populären Fußballsport. Die amerikanische Basketball- Profiliga machte zum Beispiel im vergangenen Jahr einen Umsatz von 5,5 Milliarden $ mit dem Verkauf von Spielertrikots. Der Fußball Bundesliga brachte die Saison 2021/22 Merchandising- Erlöse von 175 Millionen €. Die Fans sind dabei bereit für ihre Identifikation mit ihrem Verein durchschnittlich 100 € für ein T-Shirt zu bezahlen ohne dass es sie stört, dass sie damit gleichzeitig kostenlose „Schleichwerbung“ für ein Wirtschaftsunternehmen machen, mit dessen Produkt sie sich meist nur im Ausnahmefall identifizieren. Fußballtrikots bieten oft die Möglichkeit der Individualisierung. Fans können den Namen und die Nummer ihres Lieblingsspielers auf das Trikot drucken lassen, was eine personalisierte Note verleiht. Diese Option der Individualisierung steigert die Attraktivität der Trikots für die Fans und erhöht den Verkaufswert. 

Durchschnittliche Erlöse durch den Verkauf von Mannschaftstrikots im europäischen Fußball

Die Anzahl der verkauften Merchandise- Fußball- Clubtrikots konnte im vergangenen Jahrzehnt nahezu jährlich gesteigert worden. Mit den Verkaufszahlen kann verdeutlicht werden, welche wichtige Rolle der Sport im Alltag von Menschen mittlerweile eingenommen hat, denn die Club- T-Shirts werden oft nicht nur beim Besuch von Fußballspielen getragen sondern können immer häufiger in vielen Alltagssituationen, bei der Freizeit und in der Arbeit, beobachtet werden. 

Begann die Werbung am Mann zunächst vor allem im Bundesliga Fußball und in den höheren Spielklassen dieser Sportart, so hat diese Werbung mittlerweile nahezu alle Sportarten erreicht und hat nicht selten einen Werbesalat auf den menschlichen Körpern von Sporttreibenden, auf Sportgeräten und in Sportstätten erzeugt, der längst auch zum Ärgernis von so manchem Kulturkritiker geworden ist. Die Werbung am Mann und längst auch „an der Frau“ reicht bis in die untersten Spielklassen hinein, wo vor allem sich lokale Sponsoren wie die Kreissparkasse oder die Volksbank vor Ort als “Mäzene“ des Sports präsentieren möchten. Bandenwerbung gibt es auf jedem Fußballacker eines Dorfes und jede Tennisanlage macht Werbung für die verschiedensten Produkte, die oft nur ausnahmsweise etwas mit dem Tennis zu tun haben. Die Spielflächen im Handball und Basketball weisen mehr als sechs Logos von Produkten der Konsumgüterindustrie auf, die auf Meter langen Werbeteppichen präsentiert werden. Die Werbebanden sind längst zu Rotationsbanden mutiert und als LED Banden verwirren sie den Zuschauer bei seiner Beobachtung der sportlichen Aktionen durch ständig sich verändernde Einblendungen von Werbebotschaften und Logos der Konsumgüterindustrie. Vor allem bei Formel 1 Rennen und im Bundesligahandballaber auch in mehreren Wintersportarten ist ein Overkill an Werbung zu beobachten, der für Zuschauer nahezu unerträglich geworden ist. Die Olympischen Spiele, bei denen auf Bandenwerbung ganz verzichtet wird und auch auf den Trikots der Athletinnen und Athleten keine kommerzielle Werbung erlaubt ist, ist unter diesem Gesichtspunkt nahezu eine idyllische Oase für Zuschauer, die sich mit ihrer Aufmerksamkeit ganz den sportlichen Höchstleistungen der Athleten und Athletinnen widmen möchten. 

Schon seit langem ist der „sportliche Körper“ mit seinen T-Shirts, seinen Shorts, seinen Leggings, seinen Schuhen und seinen Caps nicht nur ein besonders begehrter Träger der Sportartikelindustrie und der Hersteller von Sportkleidung sondern er ist auch ein immer begehrter wertender öffentlicher Ort für die Ausbreitung eines „imperialistischen Amerikanismus“, für eine weltweite Dominanz der englischen Sprache außerhalb ihres eigentlichen Sprachraumes, und für den Versand fragwürdiger „philosophischer Botschaften“, bei denen man nicht selten auch die Verfolgung außenpolitischer Interessen der Vereinigten Staaten von Amerika beobachten kann.
Befindet man sich während der Sommermonate an einem Urlaubsort in Spanien, Italien Kroatien oder Frankreich, so kann man am Strand, in den Hotels am Frühstücksbuffet oder bei den Buffetschlachten beim Abendessen zahlreiche internationale Urlauber beobachten, die T-Shirts mit amerikanischen Aufschriften und Slogans tragen: „Camp David Deepwater Guard“, „US Army“, „American Trooper“, „Welcome Pegador“, „Evil German“, „Death Metal“, „Guns and Roses – Appetite For Destruction“, „Minnesota 95“, „South Point Surfers Sport“, „North State“, „Paintsville 85“, „RAW – No Image Just the Product“, „Motor Cycle Vancouver“, „TT Polo Team“; so und ähnlich lassen sich die unterschiedlichen amerikanischen Schriftzüge auf den T-Shirts von Menschen aus allen Nationen finden. Sie weisen auf Einheiten des amerikanischen Militärs, auf US- Rockgruppen, auf touristische Ziele in Amerika, auf amerikanische Sportmannschaften des Profifootballs und Basketballs etc. hin.  

Immer häufiger sieht man dabei auch T-Shirts mit pseudo-philosophischen Sprüchen, deren Bedeutung oft auch den sog. Native Speakern verborgen bleibt: Never Make The Same Mistake – Unless it is a good one,Die with Memories not Dreams, “Happiness is a Journey not a Destination, Life is too short to leave the Comfort Zone, “Expect nothing appreciate everything, No more Fake Friends”,. “I am an excellent Student – Made in Germany”. 

Bei einem meiner jüngsten Hotelaufenthalte in Kroatien wurde ich vom „T-Shirts- Amerikanismus“ jeden Morgen bereits beim Frühstück nahezu erschlagen und ich prüfte mich, inwieweit meine Englischkenntnisse ausreichen, um die verschiedensten Aufschriften auf den T-Shirts dieser Hotelgäste zu entziffern. Meine soziologische Neugier machte mir Mut, stichprobenhaft einige Gäste zu fragen, ob sie Wissen was die Aussagen auf ihrem T-Shirt bedeuten und ob sie mir diese übersetzen könnten. Die erste Reaktion war Verblüffung und die zweite war der Hinweis, dass viele die genaue Bedeutung ihres Emblems nicht kennen. Auf meine Frage, warum sie dennoch ein derartiges T-Shirt tragen, kam für mich die etwas überraschende Antwort, dass dies „cool“ sei und heute wohl jeder derartige T-Shirts tragen würde. Nur jeder zehnte der von mir in jüngster Zeit auf die Bedeutung der Schriftzüge auf ihrem T-Shirt angesprochenen Personen war in der Lage, mir eine genauere Übersetzung zu übermitteln. Man kann deshalb davon ausgehen, dass auf den sportiven Freizeitkörpern von Menschen „Botschaften“ zur Show getragen werden, bei der die große Mehrheit der Rezipienten dieser „Botschaften“ in Bezug auf deren Bedeutung ebenso ahnungslos sind wie die Sender, von denen diese Botschaften ausgehen. Man kann diesem Sachverhalt mit Humor begegnen und dennoch sollte gefragt werden, warum Menschen bereit sind, auf ihren Körpern (bei tätowierten Körpern lässt sich Ähnliches beobachten) und auf ihrer Kleidung Schriftzüge tragen, die sie selbst nicht verstehen, mit denen jedoch Kommunikationen stattfinden, die durchaus wirkungsvoll sein können, insbesondere dann, wenn die große Mehrheit dieser Botschaften auf den T-Shirts menschlicher Körper amerikanischen Ursprung sind.  

Die „Litfaßsäule Sport“ hat in der jüngeren Zeit immer neuere Formate und Formen gefunden bei der der Sport für fremde Interessen genutzt wird. Eher selten ist hingegen die umgekehrte Vorgehensweise anzutreffen, dass mit Werbung für den Sport geworben wird und der Sport im eigenen Interesse sich des Phänomens der Werbung bedient. Im vergangenen Jahrhundert gab es dabei bereits beispielhafte und nachahmenswerte Aktionen, die vor allem von Jürgen Palm, dem Vater der sog. Trimmbewegung in Deutschland, in die deutsche Gesellschaft hineingetragen wurde. „Sport für alle“ war sein Anliegen und der Ideenreichtum von Palm war in dieser Zeit nahezu unerschöpflich. Mit Plakaten in Flughäfen, Bahnhöfen, in öffentlichen Räumen wurde für die Aktion „Trimm dich – mach mit“ geworben und auf Trimmpfaden wurde die Bevölkerung animiert, sich sportlich aktiv zu bewegen. Auch eine Werbeaktion „Keine Macht den Drogen“ aus dem vergangenen Jahrhundert (Beginn 1990) ist zu erwähnen, in dem der Sport gemeinsam mit der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) gegen den Drogenmissbrauch vorzugehen versuchte.  

Leider sind Werbeaktionen zu Gunsten der aktiven Sportausübung eher selten und allein deshalb muss man es begrüßen, dass in diesen Tagen der DOSB das Thema des Zusammenhangs von Werbung und Sport mit einer durchaus originellen Idee aufgegriffen hat und zum ersten bundesweiten „Trikot- Tag“ am 14. Juni 2023 aufgerufen hat. Dieser Trikot- Tag ist Teil einer Kampagne „Dein Verein: Sport, nur besser“, mit der der Deutsche Olympische Sportbund und seine Mitgliedsorganisationen alle portbegeisterten Menschen in Deutschland dazu aufruft, einen Tag lang das Trikot oder Sport- Outfit des Heimatvereins zu tragen. Die Idee ist dabei, das Trikot nicht nur beim Sport selbst zu tragen, sondern in Alltagssituationen – auf dem Weg zur Arbeit, beim Einkaufen, in der Schule. Damit sollen die 87.000 Sportvereine für 24 Stunden in den Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt werden. Dass die Umsetzung dieses Aktionstages Schwierigkeiten bereiten würde, kann allerdings kaum überraschen. Denn einmal mehr war es schwierig „Top Down“ – von der DOSB- Zentrale bis hinunter zu den einzelnen Vereinsmitgliedern – diese Aktion zu kommunizieren. Die Mitglieder in den Vereinen, in denen ich selbst Mitglied bin, haben davon nichts mitbekommen. Und selbst wenn die Kommunikation gelungen wäre, hätte die große Mehrheit der Mitglieder, mit Ausnahme der Ballspiel- Mannschaften, über kein eigenes Vereinstrikot verfügt. Die Mitglieder in den Vereinen, in denen ich selbst Mitglied bin, haben davon nichts mitbekommen.
Begleitet wurde dieser Tag in den sozialen Medien. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen waren aufgerufen, Fotos von sich und ihrem Trikot online zu stellen und ihre Geschichte zur Verbundenheit mit ihrem Verein und dem Sport zu teilen. 
Die Kampagne zielt darauf ab, die Sportvereine nach der Corona- Pandemie wieder zu stärken, neue Vereinsmitglieder zu gewinnen und zeitgleich das ehrenamtliche Engagement zu fördern.Das Besondere Anliegen dieses Aktionstages und dieser Kampagne ist in jeder Hinsicht nachvollziehbar und wichtig. 
Betrachtet man jedoch auch dieses Ereignis unter einer kulturkritischen Perspektive, so muss man jedoch feststellen, dass auch hier einmal mehr der menschliche Körper zur Projektionsfläche einer Werbung wird, die leider in den meisten Fällen ebenfalls den Charakter einer ethisch fragwürdigen „Schleichwerbung“ annimmt. Denn die Vereinstrikots zeichnen sich durch Logos von Sportartikelherstellern aus, auf der Brust und auf dem Rücken wird nicht selten für Wirtschaftsunternehmen geworben. Auf den Inhalt dieser Werbung hat der Träger des Trikots meist keinen Einfluss und nur ganz selten sind den Trägern die kommerziellen Bedingungen bekannt, unter denen die Vereinstrikotwerbung stattfindet. 

Nicht nur an diesem Beispiel wird deutlich, dass die „Litfaßsäule Sport“ für die Sporttreibenden mittlerweile zu einem Dilemma geworden ist, aus dem es so gut wie keinen Ausweg mehr gibt. Im System des Sports hat die Werbung eine umfassende Reichweite und keiner der Beteiligten, die in diesem System handeln, kann sich dieser Werbung entziehen. Sporttreibende werden in vielen Fällen als unmündige Menschen benutzt. Mitbestimmung und echte Entscheidungsmöglichkeiten gibt es für sie nur in ganz seltenen Fällen. Wer in einer Bundesligamannschaft auf höchstem Niveau Fußball oder einen anderen Ballsport spielen will ist zwangsverpflichtet, für jenes Unternehmen als „Litfaßsäule“ aufzulaufen, mit denen sein Verein Verträge abgeschlossen hat. Ist ein Bundesliga- Fußballspieler des FC Bayern München Klimaaktivist und aktiver Menschenrechtsbefürworter und möchte deshalb weder für eine arabische Airline noch für ein politisches System wie das von Katar werben, in dem Menschenrechte missachtet werden, so hat er keine andere Wahl als das Team von Bayern München zu verlassen und sich ein anderes Team zu suchen. Ein Team ohne Werbebotschaften würde er allerdings nicht finden. Eine werbefreie Spielmöglichkeit gibt es selbst für den besten Fußballspieler nicht. Leider gilt Gleiches auch immer häufiger bis hinein in die untersten Spielklassen. Bereits 1979 lief der Oberligist SV Baesweiler mit dem Werbeaufdruck „Kernenergie ja!“ auf. Kapitän und Atomkraftgegner Günther Neumann sagte hier zu „nein“ und verließ den Verein. Ein derartiges konsequentes Handeln ist heute im System des Sports nahezu undenkbar geworden. 

Die „Litfaßsäule Sport“ – das sollen die Ausführungen in diesem Essay zeigen – ist ganz offensichtlich in hohem Maße fremdbestimmt und die Sport treibenden Menschen werden dabei oft unwissentlich beeinflusst und manipuliert. Die Körper der Sport treibenden Menschen werden somit nicht selten missbraucht. 

¹ Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf „gendergerechte“ Sprachformen – männlich weiblich, divers – verzichtet. Bei allen Bezeichnungen, die personenbezogen sind, meint die gewählte Formulierung i.d.R. alle Geschlechter, auch wenn überwiegend die männliche Form steht.

Letzte Bearbeitung: 16. 6. 2023