IOC Reformen auf dem Prüfstand

Die Notwendigkeit ist nicht zu bestreiten – die Olympischen Spiele bedürfen einer grundlegenden Reform. Brasiliens staatliche Behörde für das olympische Erbe (AGLO) gab erst vor wenigen Tagen bekannt, dass das kalkulierte Budget bei der Vergabe der Olympischen Spiele nach Brasilien von 28,8 Billionen US-Dollar mit 43,3 Billionen US- Dollar um 40% überschritten wurde. Derartige Kalkulationsfehler sind gegenüber dem Steuerzahler unentschuldbar. Sie weisen darauf hin, dass die Planung und Durchführung von Olympischen Spielen einer ganz neuen Seriosität in Bezug auf Management und Finanzierung bedarf. In der IOC-Agenda 2020 bedarf es hierzu neuer Planungs- und Evaluierungsinstrumente und die Transparenz aller Verträge, die zukünftige olympische Komitees zugunsten der Durchführung von Olympischen Spielen unterzeichnen, wird eine zwingende Notwendigkeit werden.

Ein entscheidender Beitrag zur Reduzierung der Kosten zukünftiger Olympischer Spiele kann auch über Veränderungen und eine neue Gestaltung des olympischen Programms geleistet werden. Deshalb sind Maßnahmen zur Reform des olympischen Programms von höchstem sportpolitischen Interesse. In der jüngsten Sitzung des Exekutivboards des IOC im Juni 2017 wurden diesbezüglich Entscheidungen getroffen, die in ihrer Reichweite sehr bedeutsam sein können.

Besonders anerkennenswert ist die Entscheidung, die Teilnehmerzahl der Athleten in Tokio im Vergleich zu Rio von 11.237 auf 10.952 zu reduzieren. Die Quotenplätze der verschiedenen Sportarten wurden dabei teilweise sehr drastisch reduziert. Die Leichtathletik verliert 105 Startplätze, Schwimmen 22, Wasserball 18, Rudern 24, Segeln 30, Schießen 30, Gewichtheben 64, Ringen 56. Radfahren kann die alte Quote halten, muss innerhalb dieser Quote zwei neue Wettbewerbe austragen. Mehrere Verbände müssen ihre Wettbewerbe so verändern, dass neue Frauenwettbewerbe möglich sind, ohne dass die Quote erhöht wird. Der Anteil der weiblichen Athleten wird somit auf 48.8%, dem höchsten Anteil in der Geschichte der Olympischen Spiele, ansteigen. In Rio waren es vergleichsweise 45,2%, in London 44,2%. Auch diese Entscheidung ist unterstützenswert. Auch Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität der traditionellen Sportarten sind wünschenswert, wenn gleich die Einführung von gemischten Staffeln in der Leichtathletik und im Schwimmen lediglich den kleinsten gemeinsamen Nenner in Bezug auf Kreativität und Innovation darstellen. Die Idee, dass vermehrt Männer und Frauen gemeinsame Wettkämpfe austragen folgt einem gewissen Zeitgeist. Ob man deshalb auch gemischte Mannschaftswettbewerbe im Judo, Tischtennis, Bogenschießen, Triathlon und Fechten benötigt sei dahingestellt.

Das Bemühen um ein olympisches Programm, das vermehrt auch jüngeren Zielgruppen gerecht wird, ist bei der jüngsten Reform ebenfalls erkennbar. BMX, Freestyle Park und 3-3- Basketball werden sich bei den nächsten Olympischen Spielen zu beweisen haben. Interessant könnten auch die Madison Radrennen für Männer und Frauen und die Freestyle Schwimmwettbewerbe über 800m (Männer) und 1500m (Frauen) werden, wenngleich auch hier nur bedingt ein Innovationspotenzial zu erkennen ist. Dennoch: Mit den fünf neuen Sportarten, Baseball, Softball, Sportklettern, Skateboarding und Surfing wird somit ein vielfältiges Programm aufweisen, das von einem ernsthaften Bemühen geprägt ist, die Spiele etwas attraktiver und zukünftig auch etwas kleiner werden zu lassen. Einschränkend muss allerdings erwähnt werden, dass die neuen olympischen Sportarten 18 neue Events und 474 neue Athleten mit sich bringen, die in der jüngst genannten Gesamtzahl der Teilnehmer nicht enthalten sind. Als weitere Einschränkung der beschlossenen Programm- und Teilnehmerreform muss beachtet werden, dass einmal mehr eine Reduktion des akkreditierten Funktionärspersonals und deren Angehörige und eine Begrenzung des massenmedialen Personals, ausgeklammert wurde. Leider müssen nur die Athleten ein Opfer bringen, hingegen werden die Funktionäre und die Massenmedien geschont.

Haben die Reformbemühungen um ein neues olympisches Programm dennoch Anerkennung verdient, so ist dies beim zweiten Reformvorhaben, das bei der letzten Exekutivsitzung beschlossen wurde, eher nicht der Fall. Eine Arbeitsgruppe des IOC hat dem IOC Executive Board empfohlen, die Olympischen Spiele 2024 und 2028 gleichzeitig zu vergeben. Am 11. und 12. Juni wird hierüber eine außerordentliche Mitgliederversammlung zu befinden haben. Von der Annahme dieses Vorschlages ist auszugehen, was zunächst so viel bedeutet, dass vermutlich Paris die Spiele 2024 und Los Angeles die Spiele 2028 ausrichten wird. Diese Entscheidung ist in jeder Hinsicht problematisch. Sie schließt aus, dass potenzielle Bewerberstädte für 2028 sich am Vergabewettbewerb beteiligen können. Auf diese Weise verstößt diese Entscheidung gegen das Prinzip des Fair Play. Eine gleichzeitige Vergabe von zwei Olympischen Spiele kann nur dann akzeptiert werden, wenn sie erst bei späteren Entscheidungen praktiziert wird und potenzielle Bewerber darüber Bescheid wissen, dass man mit seiner Bewerbung sich gleichzeitig für zwei mögliche Olympische Spiele bewirbt.

Hätte Deutschland beispielsweise die Absicht sich in einem weiteren Versuch um die Ausrichtung zukünftiger Olympischer Sommerspiele zu bewerben, so kommt das Jahr 2028, die noch vor dem jüngsten IOC-Beschluss bestehende Möglichkeit, nunmehr nicht mehr in Frage. In Deutschland könnten somit frühestens im Jahr 2032 Olympische Sommerspiele stattfinden. Für demokratisch verfasste Staaten bedeutet dies, dass ihre parlamentarischen Gremien und ihr Nationales Olympisches Komitee eine Bewerbungsentscheidung nunmehr 15 Jahre vor dem eigentlichen Ereignis zu treffen haben. Unter dem Aspekt einer geforderten politischen Verantwortung wären solche Entscheidungen jedoch äußerst fragwürdig. In modernen Gesellschaften können weder die ökonomischen Verhältnisse für einen derartig langen Zeitraum prognostiziert werden, noch ist es wünschenswert, dass Volksvertreter über Ereignisse entscheiden, deren Durchführung nur wenige aus einer aktiven politischen Verantwortung heraus erleben werden.

Unter Marketinggesichtspunkten ist die jüngste IOC-Entscheidung ebenfalls kaum nachvollziehbar. Sie bedeutet eine Abwertung der Qualität des olympischen Produkts. Waren bislang die IOC-Entscheidungen über die Vergabe Olympischer Spiele wichtige bedeutsame gesellschaftliche Ereignisse und das Ereignis war Resultat eines spannenden Wettbewerbs, der meist live in den internationalen Medien übertragen wurde, so kommt die nun bevorstehende Entscheidung einem bürokratischen Akt gleich, der an Langweiligkeit nicht zu überbieten ist.

Das eigentlich wichtige Anliegen, das mit dieser Reform angestrebt wird, kann meines Erachtens mit dieser Vorgehensweise nur sehr ungenügend erreicht werden. Gewiss werden dadurch die Bewerbungskosten für die beiden Städte Paris und Los Angeles reduziert. Es ist auch wichtig, dass man zukünftig vermehrt mit den potenziellen Bewerberstädten in eine engere Kooperation eintritt, um das Bewerbungsverfahren zu vereinfachen und billiger zu gestalten. Die Entscheidung über die Frage wer zukünftig Olympische Spiele ausrichtet, sollte jedoch nach wie vor durch ein Wettbewerbsverfahren beantwortet werden, dessen Regeln so frühzeitig bekanntgegeben werden, dass sich jede potenzielle Bewerberstadt mit ihren parlamentarischen Organen fundiert und verantwortungsvoll damit auseinandersetzen kann. Mit der Entscheidung zugunsten von Paris und Los Angeles scheint zunächst die Zukunft der Olympischen Sommerspiele gesichert zu sein. Die Reform zur Vergabe von Olympischen Spielen hat jedoch erst begonnen. Der jüngste Beschluss der IOC Exekutive ermöglicht allenfalls ein Aufatmen. Der eigentliche kreative Reformprozess steht aber noch bevor.

Gute Ideen gibt es hierzu bereits seit längerer Zeit. Lässt man zu, dass bestehende Sportanlagen mit temporären Anlagen zu kombinieren sind, ohne dass man den Bau neuer Sportstätten ausschließt, akzeptiert man vermehrt, dass sich ganze Regionen um die Spiele bewerben können und erlaubt man, dass Staaten sich um Spiele bewerben und nicht nur Städte, so könnte sich die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass es Bewerber gibt, für die bislang eine Bewerbung nicht in Frage kommen konnte. Selbst die Bewerbung von zwei oder drei Nachbarstaaten könnte wünschenswert sein. Solche und weitere Ideen müssen vom IOC auf den Prüfstand gestellt werden und gemeinsam mit den politischen Organisationen, mit der Europäischen Union, mit den ASEAN, den Staaten der USA und den politischen Organisationen Südamerikas und Afrikas erörtert werden. Werden gleichzeitig die Spiele auf ein verantwortliches Ausmaß in Bezug auf Programm und Personal reduziert, so könnte die Zukunft der Spiele sicherer sein als sie derzeit ist.

Eine einschränkende Voraussetzung muss hierbei jedoch beachtet werden. All dies kann dem IOC nur dann gelingen, wenn es gemeinsam mit den internationalen olympischen Verbänden einen völlig neuen Weg im Anti-Doping-Kampf findet, der sich durch Glaubwürdigkeit, Ehrlichkeit und Verlässlichkeit auszuzeichnen hat.

Verfasst: 24.06.2017