“IAAF is changing“ – hat sich die Welt-Leichtathletik tatsächlich verändert?

Unsere Welt unterliegt einem dynamischen Wandel. Der Prozess der Globalisierung schreitet fort. Gleichzeitig ruft ein immer lauter werdender Populismus nach einer Aufwertung nationaler Ideologien. Die Frage des Klimawandels betrifft jene ebenso, die diesen Wandel leugnen, wie auch die vielen übereifrigen, deren berechtigtes Engagement nicht selten in überbordender Aggressivität endet. Die Frage nach den Folgen der Flüchtlingsbewegungen stellt sich nicht nur für jene, die davon direkt betroffen sind. Die Schuldfrage stellt sich auch für jene, die in den letzten Jahrzehnten vom Nord-Süd-Konflikt profitiert haben und sehr gerne auch neoimperialistische Politik tolerierten, wenn es ihren eigenen ökonomischen Interessen genutzt hat.

Von all diesen Fragen sind auch die Organisationen des Sports betroffen und es stellt sich die weiterführende Frage, ob sie ausreichend wandlungsfähig sind sich als verantwortliche Partner gegenüber den Gesellschaftssystemen von Politik, Wirtschaft und Kultur zu behaupten. Sportorganisationen, das hat die Vergangenheit gezeigt, sind langsame Organisationen. Die Umsetzung geplanter Veränderungen dauert sehr lange. Es wird oft nur von der „Hand in den Mund“ entschieden. Gelungene nachhaltige Veränderungen sind selten. Bei der jüngsten Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Doha hat nun einer der größten Olympischen Verbände die IAAF versucht der Welt zu zeigen, dass sie zu einem Wandel befähigt ist, dass sich die Dachorganisation der Welt-Leichtathletik verändert. Bei jeder Liveübertragung konnten die Zuschauer im Fernsehen, aber auch die anwesenden Gäste im Stadion auf einer Werbebande die Botschaft der IAAF lesen: IAAF is changing. Diese Behauptung gibt es nun bereits seit vier Jahren, seit ein jung-dynamischer ehemaliger britischer Olympiasieger zum IAAF-Präsidenten gewählt wurde. PR und Promotion ist dabei sein besonderes Kennzeichen und die vom Zeitgeist gewünschten Schlagworte werden umfassend gehegt und gepflegt. Compliance, Integrity Unit, Independence, Athletes First kennzeichnen seit 2015 jede öffentliche Verlautbarung der IAAF. Man definiert sich zum Vorreiter in einem weltweiten Anti-Doping-Kampf, der Präsident stellt sich als Teamplayer vor, die Jugend für die Leichtathletik zu gewinnen wird zur wichtigsten Aufgabe, jung und dynamisch soll die Weltsportorganisation der Leichtathleten sein, kurz: Man nimmt sich selbst als einzigartig war. Wer in Doha den Kongress der IAAF und die danach folgenden zehn Tage Weltmeisterschaft beobachtete, wer diese Weltmeisterschaften als Fernsehzuschauer begleitet hat und wer auch die Geschichte dieser Sportart etwas genauer kennt, der muss allerdings Zweifel haben, dass der Slogan IAAF is changing der Realität entspricht.

Gewiss hat der Kongress einer Namensänderung zugestimmt. Aus der “International Association of Athletics Federations” ist “World Athletics” geworden. Ein juristisch korrekter Name wurde von einem imperialistischen Wortgebilde abgelöst, dessen Bedeutung sich  nach einer Übersetzung in andere Sprachen meist als mehrdeutig erweisen wird. Die Namensänderungen und die Veränderung von Marken und Logos haben in Sportorganisationen Tradition. Sie sind fast immer wirkungslos, kosten viel Geld und deuten eher auf eine Hilflosigkeit hin, als dass man damit die Innovationsfähigkeit eines Verbandes darstellen könnte. Wer wie Coe behauptet, dass die Weltleichtathletik ein Teil der Unterhaltungsindustrie ist, der sollte die Industrie im Blick behalten, bei der die Markenpflege eine wichtige Ursache für den Verkauf ihrer Produkte sein kann. Wechselte die IAAF innerhalb der letzten zwei Dekaden bereits zwei Mal ihren Namen und drei Mal ihr Logo, immer auf Empfehlung von selbstsüchtigen Marketingagenturen, so käme ein Unternehmen wie Mercedes ganz gewiss nicht auf die Idee ihren Stern durch einen neuen Namen und ein neues Logo zu ersetzen. Dabei ist es offensichtlich, dass Verbände im Markt der Unterhaltung mit ihren Namen keine Rolle spielen. Vielmehr sind es ihre Produkte, die Leichtathletik-Weltmeisterschaften, die Fußball-Weltmeisterschaft oder die Olympischen Spiele, die für den Zuschauer von Interesse sind. Wen interessiert schon der Name einer Organisation, die sich FIFA, FIBA, ANOC oder ASOIF nennt?

Namensänderungen gehen mit aufwendigen Veränderungen in der Kommunikation des Verbandes einher. Nicht nur neue Briefköpfe sind zu drucken, die Flaggen des Verbandes sind zu ersetzen, externe wie interne Kommunikation ist auf den neuen Namen einzustellen. Oft sind mehrstellige Millionenbeträge notwendig, um einen Namens-, Logo- und Markenwechsel durchzuführen. Ein wirklicher Wechsel kann damit aber nicht erreicht werden. Allenfalls wird dadurch der eigene Haushalt unnötig belastet, was bei der IAAF in den letzten Jahren auch tatsächlich der Fall war. Immer höheren Ausgaben stehen stagnierende Einnahmen gegenüber, was dazu geführt hat, dass die 2015 übernommenen Rücklagen erheblich dezimiert wurden und nun Stellenstreichungen bevorstehen. Doch damit nicht genug. Betrachtet man den Kongress der IAAF mit seinen Neuwahlen, so muss man erkennen, dass der berühmte Satz aus dem Freddie Frintons Sketch Dinner for One „The same procedure as every year“ gepflegt wurde. Machtkämpfe hinter den Kulissen führten zu fragwürdigen Manipulationen. Der fachlich kompetenteste weibliche Kandidat wurde durch eine Männerintrige ausgebootet, die Berichterstattung über die vergangenen vier Jahre ließ sich mit der Langweiligkeit der Berichterstattung aller vorhergehenden Kongresse messen und bei den Wahlen selbst spielte die fachliche Kompetenz der einzelnen Kandidaten nur sehr bedingt einen Rolle. Die Diskussion über Regeländerungen war so redundant wie immer, wegweisende neue Entscheidungen wurden nicht getroffen. Für jeden der Delegierten aus den mehr als 210 Mitgliedsnationen war es ganz gewiss etwas Besonderes bei einem großen internationalen Kongress in einem modernen Kongresszentrum, angebunden an einen der größten Hotelkomplexe von Katar, dabei zu sein. Sheraton, Intercontinental oder Marriott hießen die Gastgeberhotels und alle zeichneten sich durch vier oder fünf Sterne aus. Dieser repräsentative Aufwand hat Tradition, doch man muss sich fragen, ob dies alles noch zeitgemäß ist. Sind solche mehrtätigen Kongresse tatsächlich notwendig um eine internationale Sportart auf demokratische Weise zu repräsentieren? Nicht nur angesichts des Klimawandels stellen sich diese Fragen. Vielmehr ist es vor allem die Folgenlosigkeit dieser Kongresse, die diese Zweifel begründen.

War schon die Entscheidung zugunsten von Doha eine äußerst fragwürdige Entscheidung des IAAF-Councils, so stellen sich nach den Weltmeisterschaften in Katar diese Fragen noch sehr viel entschiedener und bedürfen dringend einer Antwort. Nach welchen Kriterien werden Leichtathletik-Weltmeisterschaften vergeben? Welche Rolle stellt die Evaluierungskommission, die zugunsten von Doha damals unter der Leitung des heutigen Präsidenten Sebastian Coe gearbeitet hatte. Warum sind nach wie vor sogenannte „Incentives“ bei der Bewerbung zugunsten sportlicher Großereignisse erlaubt, obgleich sie Tor und Tür für Korruption öffnen? Nach welchen Kriterien werden Zeitpunkt und Dauer einer WM festgelegt?

Doha hat gezeigt, dass eine zehntägige Leichtathletik-Weltmeisterschaft ganz gewiss nicht als Innovation gedeutet werden kann. Längst konnte gezeigt werden, dass die 49 Entscheidungen bei einer Weltmeisterschaft, wenn sie am richtigen Ort und zum richtigen Zeitpunkt durchgeführt werden, in nicht mehr als sechs Tagen durchgeführt werden können, selbst wenn man die ganze Welt zu diesen Weltmeisterschaften einlädt. Die zehn Tage von Doha bedeuteten für die Besucher im Stadion meist „organisierte Langeweile“. Lange Pausen mussten ertragen werden und fragliche Lichtinszenierungen konnten ganz gewiss keine Kompensation für diese Pausen sein. Wenn Freitag für Freitag junge Menschen gegen die Zerstörung der Natur demonstrieren kann es auch ganz gewiss keine Lösung sein, wenn man ein Freiluftstadion mit einem enormen Energieaufwand auf 25 Grad Celsius herunterkühlt, damit die Gäste von außerhalb Katars, die als Besucher aus verschiedenen Ländern angereist sind, eine angenehme Temperatur im Stadion fühlen. Gewiss hat es dadurch perfekte Wettkämpfe gegeben, die Leistungen der Athletinnen und Athleten waren herausragend und unter organisatorischen und technischen Gesichtspunkten kann man dem Gastgeber durchaus ein besonderes Lob zollen. Dennoch muss man sich fragen, warum vor der WM von einem guten Vorverkauf gesprochen wurde, tatsächlich jedoch so gut wie keine Eintrittskarten verkauft worden sind. Eine Leichtathletik die auf „bezahlte Zuschauer“ angewiesen ist, hat keine Zukunft. Doch dies war in den vergangenen 20 Jahren immer häufiger der Fall und eine lebendige, aktive Leichtathletik-Kultur gibt es offensichtlich nur noch in wenigen Regionen der Welt. Die Aufnahme der gemischten 4x400m Staffel in das Weltmeisterschaftsprogramm kann wohl als sinnvoll bezeichnet werden, doch ist sie unter dem Aspekt der Erweiterung und Verlängerung des Programms ebenso fragwürdig, wie die Aufnahme der 50km Gehen für Frauen. Gleichberechtigung würde man auch auf andere Weise erreichen können, so z.B. indem man das Programm kürzt und weibliche und männliche Wettkämpfe paritätisch angleicht. Anders als beim europäischen Verband hat es während der Weltmeisterschaft in Doha so gut wie keine Regel-Innovation gegeben. Die Dauer einzelner Wettkämpfe, wie z.B. die Stabhochsprung-Wettbewerbe, sind nach wie vor überlang, teilweise mehr als zwei Stunden und die Frage nach dem Sinn von Vorläufen muss noch immer gestellt werden. Wäre eine Weltmeisterschaft ein Ereignis der Besten der Welt, wie dies bei vielen anderen Sportarten der Fall ist, so könnte über ein Einladungsprinzip entlang der Weltranglisten das Programm ganz wesentlich gestrafft werden. Lediglich Halbfinals und Finals würden dem Publikum angeboten, die Dramatik im Stadion und vor dem Fernsehschirm würde erheblich gesteigert.

Der Zeitplan und die Wettkampf-Konzeption der Leichtathletik-WM in Doha kann gewiss nicht als ein Erfolg bezeichnet werden. Vielmehr sind sie einmal mehr ein Indiz, dass die für die Wettkämpfe der Leichtathletik verantwortlichen Offiziellen nur bedingt lernfähig sind. IAAF-Präsident Coe hat sich dennoch als rhetorisch gekonnter Verkäufer der Leichtathletik während der Tage von Doha bewährt. Sachverhalte schönzureden, die für jedermann sich als unangemessen erwiesen haben, ist eine besondere Kunst. Von „IAAF is Changing“ kann dabei allerding nicht die Rede sein.