Gesundheitsorientierter Sport ist das Gebot der Stunde

Das Alter, das ich mittlerweile erreicht habe, weist mich bei meinem sportlichen Tun als einen Seniorensportler aus. Beim sog. „Montagsturnen“ treffe ich mich jeden Montag mit einem Dutzend Gleichgesinnter abends um 18:00 Uhr in der Sporthalle unserer Realschule, um unter Anleitung eines ehrenamtlichen Übungsleiters etwas mehr als 1 Stunde vielfältige Gymnastikübungen zu betreiben. Die Schulung von Kraft, Ausdauer, Geschicklichkeit und Beweglichkeit ist für uns eine besondere Lebenshilfe. Für jeden von uns geht es darum, seine persönliche Fitness möglichst lange zu erhalten. Jeder von uns ist bereit, für seine Gesundheit selbst Verantwortung zu übernehmen, etwas Sinnvolles für seine Gesundheit zu tun.

Mit Beginn der Corona Pandemie im März dieses Jahres musste unsere Gymnastik von heute auf morgen eingestellt werden. Das Betreten der Sporthalle war ab sofort verboten. Unser gemeinsames Üben und Trainieren durfte nicht mehr stattfinden. Mit großer Erleichterung haben wir dann im September dieses Jahres die Nachricht aufgenommen, dass nunmehr unserem gemeinsamen Gymnastikabend nichts mehr im Wege steht. Selbstverständlich war jedes Mitglied unserer Gruppe äußerst konsequent bemüht, das Hygiene-Konzept zu beachten, das für unsere Sporthalle ausgearbeitet wurde. Abstand halten, Maske tragen und Handhygiene war oberstes Gebot; selbst die Turnmatten wurden am Ende des Übungsabend gereinigt und hygienisch verantwortungsvoll für spätere Übungsgruppen vorbereitet.

Gerade an drei Abenden konnten wir uns zu unseren Gymnastikübungen treffen. Dann erreichte uns bereits die nächste Hiobsbotschaft.  Die Staatsregierung des Freistaates Bayern hatte entschieden, dass im Monat November die Sportausübung in Sporthallen verboten ist. In aller Eile hat der mächtige bayerische Staat am Parlament vorbei über seine Bürger verfügt, dass ab sofort eine Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung zu gelten hat. Im Paragraph 10 wird dabei mitgeteilt, dass „die Ausübung von Individualsportarten nur allein, zu zweit oder mit den Angehörigen des eigenen Hausstands“ erlaubt ist. „Die Ausübung von Mannschaftssportarten ist untersagt“. Ausgenommen werden in Paragraph 10 „der Wettkampf- und Trainingsbetrieb der Berufssportler sowie der Leistungssportler der Bundeskader und Landeskader“. Zutritt zur Sportstätte erhalten dabei solche Personen, „die für den Wettkampf oder Trainingsbetrieb oder die mediale Berichterstattung erforderlich sind“. Der Veranstalter hat ein Infektionsschutz- und Hygienekonzept auszuarbeiten. Auf Verlangen der zuständigen Behörden muss es vorgelegt werden. Ferner wird darauf hingewiesen, dass der Betrieb von Fitnessstudios untersagt ist. Diese Verordnung wirft viele Fragen auf und es kann kaum überraschen, dass sie bei den Betroffenen eine große Verärgerung hervorgerufen hat.

Wie werden jene, die Sport als Beruf betreiben von jenen unterschieden, die dies nicht berufsmäßig tun? Was geschieht mit jenen Leistungssportlern, die derzeit keinem Leistungskader angehören, sich aber dennoch auf die nächsten Olympischen Spiele vorbereiten? Warum werden solche Sportgruppen wie meine Seniorengruppe vom Sportbetrieb ausgeschlossen, obgleich sie Für das Gesundheitssystem wesentlich systemrelevanter sind als dies für die Berufssportler gelten kann?

Die Klage eines Fitnessstudios gegen diese Verordnung war naheliegend und die Entscheidung des angerufenen Verwaltungsgerichts ist verständlich und nachvollziehbar. Mit Blick auf den Grundsatz der Gleichbehandlung wurde entschieden, dass Fitnessstudios unter Berücksichtigung eines Hygienekonzeptes ihren Betrieb fortführen dürfen. Für viele Menschen, die regelmäßig zu Gunsten ihrer Fitness in den Studios trainiert und geübt haben war ein Aufatmen möglich. Auch ich als Montagsturner hatte gehofft, dass ich nun ab sofort wieder gemeinsam mit meinen Gleichgesinnten jeden Montagabend an unserer Gymnastikstunde teilnehmen kann.

Doch bereits einen Tag nach Veröffentlichung des Urteils des Verwaltungsgerichts kam alles anders. Am 12. November verabschiedete der bayerische Staat im Handstreich eine weitere Verordnung zur Änderung der 8.Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung. Paragraph 1 dieser „Verordnung zur Verordnung“ lautet folgendermaßen: „Paragraph 10 wird wie folgt geändert: Der Betrieb und die Nutzung von Sporthallen, Sportplätzen Fitnessstudios, Tanzschulen und anderen Sportstätten ist untersagt. Abweichend von Satz 1 ist für die in Abs. 1 Satz 1 genannten Zwecke der Betrieb und die Nutzung von Sportstätten unter freiem Himmel zulässig. Abs. 2 und Paragraph 18 bleiben unberührt“. In verständlicher Sprache heißt dies: jegliches Sporttreiben in überdachten Sportstätten ist verboten. Ausgenommen sind Berufssportler und Leistungssportler der Landes- und Bundeskader. Dies war die schnelle Rache einer selbstherrlichen Landesregierung, die durch die Entscheidung eines unbedeutenden Verwaltungsgerichts gedemütigt wurde. Dabei verstößt diese neue Verordnung genauso gegen das Gebot der Gleichbehandlung wie es bei der alten Verordnung der Fall war. Denn es muss die Frage gestellt werden, warum Gesundheits- und Freizeitsportgruppen anders behandelt werden als Berufs- und Leistungssportler? Warum soll ein Training einer Bundesligamannschaft unter Beobachtung von Massenmedien wichtiger sein als eine Seniorensportgruppe, die wie die Montagsturner alle Hygienevorgaben strengstens beachten?

Hatte man nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts zu hoffen gewagt, dass nun endlich in Bezug auf das aktive Sporttreiben die Vernunft einkehrt und selbstverantwortliche Bürger sich um ihre Gesundheit kümmern dürfen, so ist nun genau das Gegenteil eingetreten. Gegen alle sportwissenschaftlichen und sportmedizinischen Erkenntnisse entscheidet eine Landesregierung ohne Rücksprache mit den Betroffenen, dass ihre aktive Sportausübung in Turn- und Sportvereinen verboten ist. Der Protest des Bayrischen Landessportverbandes gegen diese Maßnahme ist mehr als nachvollziehbar und sollte von allen Sporttreibenden unterstützt werden.

Dabei ist es ohnehin ein Ärgernis, wie und über was die Bevölkerung im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie von den Politikern und den öffentlich- rechtlichen Fernsehsendern informiert wird. Nicht nur für Menschen, die mit der wissenschaftlichen Disziplin „Statistik“ vertraut sind, stellt sich die Frage, was die Zahlen zu bedeuten haben, die uns Abend für Abend in den Nachrichtensendungen vorgetragen werden. Für jeden Zuschauer muss es als eine Bedrohung erscheinen, wenn wie in diesen Tagen von mehr als 20.000 Neuinfizierten an einem Tag gesprochen wird. Es wird dabei jedoch nicht gesagt aus welcher Gesamtzahl von getesteten Personen diese Zahl hervorgeht. Was bedeuten die Zahlen zu den in einer Woche verstorbenen Coronatoten? Es wird gesagt, dass sie „an und mit Corona“ verstorben sind. Ein interessierter Bürger würde möglicherweise auch gerne wissen, wie viele Menschen in dieser vergangenen Woche in Deutschland insgesamt verstorben sind, wie sich diese Zahl zum Vorjahr unterscheidet, wie viele in dieser Woche an einer Herzkreislauferkrankung, an einer pulmonalen Erkrankung oder an Krebs im Vergleich zur Erkrankung an Corona verstorben sind. Interessant ist auch die Frage, wer die Todesursache mit welcher Methode feststellt? Schließlich darf man sich zurecht wundern, warum am selben Tag in den Nachrichten des ZDF andere Infektionszahlen Zahlen genannt werden als in den Nachrichten der Tagesschau; warum einmal die Informationen aus dem Robert-Koch-Institut stammen und an einem anderen Tag die Daten der amerikanischen John-Hopkins-Universität berücksichtigt werden.

Das Coronavirus ist ohne Zweifel äußerst gefährlich und lebensbedrohend. Viele der beschlossenen Schutzmaßnahmen und die sog. AHA-Regeln sollen deshalb mit diesen Hinweisen und Fragen nicht infrage gestellt werden. Was man jedoch von den verantwortlichen Politikern und von den Massenmedien erwarten muss, dass sie bei ihren Entscheidungen und bei ihren Informationen das „Prinzip der Verhältnismäßigkeit“ bei allen beschlossenen Maßnahmen äußerst sorgfältig beachten, und dass sie bedenken, dass es bei jeder Entscheidung neben den intendierten Folgen immer auch unbeabsichtigte Folgen gibt. Nicht zuletzt auch deshalb ist es so wichtig, dass man sich in der aktuellen Pandemie auch mit der Meinung anders Denkender auseinandersetzt und der Kritik an der eigenen Politik ein Forum zu Diskussion ermöglicht. Die in der Corona-Pandemie verantwortlichen Politiker müssen auch erkennen, dass in einer Demokratie die Bürgerinnen und Bürger sich ihrer Mündigkeit bewusst sein müssen und deshalb auch für ihre eigene Gesundheit Verantwortung zu übernehmen haben. Genau darum geht es den Menschen in den Turn- und Sportvereinen, wenn sie sich bei ihrem Sporttreiben um den Erhalt ihrer Gesundheit bemühen.

Als Mitglied einer Seniorensportgruppe erlaube ich mir deshalb die Frage: Wann endlich begreifen die Politiker im Bund und in den Ländern, dass das aktive Sporttreiben nicht Teil, sondern ein wichtiger Beitrag zur Lösung des Corona-Problems sein kann. Es gibt kaum einen anderen Sachverhalt, bei dem sowohl in der medizinischen Wissenschaft als auch in der Sportwissenschaft eine übereinstimmende Klarheit besteht, dass die aktive Sportausübung einen ganz wesentlichen Beitrag zur Stärkung des menschlichen Immunsystems leisten kann. Menschen, die regelmäßig Sport treiben sind gesünder, leben gesünder und gehen im Vergleich zu jenen Menschen, die körperlich inaktiv sind, verantwortungsvoller mit ihrer Gesundheit um. Wenn Menschen ihre aktive Sportausübung verboten wird, so sind die gefährlichen Folgen bereits nach wenigen Wochen zu beobachten. Dies gilt auch für jene Montagsturner, mit denen ich mir gemeinsam wünschen würde, dass wir morgen und auch in der weiteren Zukunft unseren Gymnastikabend ausüben dürfen. Die in den letzten Wochen und Monaten fehlende aktive sportliche Übung zeigt bereits heute ihre gefährlichen Auswirkungen. Ohne regelmäßiges Üben nimmt die Beweglichkeit und Geschicklichkeit sehr schnell ab, muskuläre Kraft wird ohne regelmäßiges Training immer geringer und die Unfallhäufigkeit nimmt zu. So hat es auch bei den Montagsturnern bereits mehrere Ausfälle gegeben: ein Sturz beim Duschen zu Hause, ein überraschender Schlaganfall und mehrere Stürze beim Fahrradfahren. Gerade bei Senioren ist die regelmäßige Übung ein besonderer Garant, dass man wichtige elementare Fertigkeiten und Fähigkeiten auch im hohen Alter stabilisieren und sichern kann.

Das unsinnige Verbot des aktiven Vereinssports trifft den Sport in seiner ganzen Vielfalt. Viele Turn- und Sportvereine haben in den vergangenen Jahrzehnten auf immer vorbildlichere Weise ihren Mitgliedern gesundheitsorientierte Angebote unterbreitet. Herzsportgruppen und die Rückengymnastik gehören ebenso dazu wie integrative Angebote mit Behinderten. Als Freizeitsport wird in den Vereinen Volleyball gespielt, Badminton und Tischtennis angeboten und Kinderturngruppen sind die Basis für viele olympische Sportarten. All das findet nunmehr nicht mehr statt, hat aber ganz sicher sehr weitreichende negative Folgen. Wie bei der Seniorengruppe wird dadurch nicht nur die körperliche Fitness dadurch beeinträchtigt. Auch das äußerst wichtige Gemeinschaftserlebnis, das die Turn-und Sportvereine den Menschen bieten, muss über Wochen vermisst werden. Es geht also nicht nur um die somatische Gesundheit auch die Psyche der Mitglieder der Turn- Sportvereine ist von dem Sportverbot betroffen. Die negativen Folgen dieses Verbots können aus der Sicht von heute kaum vorhergesehen werden. Alles deutet jedoch darauf hin, dass sie erheblich sein werden.

Offensichtlich ist es dem organisierten Sport in den vergangenen Jahrzehnten nicht gelungen, den verantwortlichen Politikern die soziale und gesundheitliche Bedeutung der aktiven Sportausübung in den Vereinen zu verdeutlichen. Umso wichtiger ist es, dass man in diesen Tagen diese Bedeutung gegenüber den Gesundheitsministern der Länder, gegenüber dem Bundesgesundheitsminister, gegenüber der Bundeskanzlerin und gegenüber dem Deutschen Bundestag in aller Klarheit zum Ausdruck bringt. Ein mit guten Argumenten lautstark vorgetragener Protest gegen das Sportverbot muss für die Verantwortlichen in den Sportverbänden das Gebot der Stunde sein.

Verfasst: 15.11.2020