Doping und Corona – wie sich zwei Pandemien gleichen

Von einer Epidemie oder von einer Seuche sprechen wir, wenn eine Krankheit vermehrt auftritt und das Auftreten eher örtlich begrenzt ist. Von einer Pandemie spricht man, wenn weltweit, also in allen Erdteilen, alle Menschen aller Altersschichten von einer Ansteckungsgefahr gefährdet sind und wenn es in allen Erdteilen viele Betroffene gibt. Die Krankheit „Corona“ hat ohne Zweifel schon seit längerer Zeit das Ausmaß einer Pandemie erreicht. Die WHO zeigt uns in ihrer täglichen Corona-Statistik, dass mittlerweile in sämtlichen Staaten der Welt Corona-Tote zu beklagen sind und jeder Kontinent von der Pandemie betroffen ist. Bis zum 19. 09. 2021 wurden von der WHO 226.844.344 Fälle in 192 Ländern nachgewiesen.
Doping im Sport muss aus meiner Sicht ebenfalls mit dem Begriff der Pandemie gekennzeichnet werden und das Phänomen des Dopingbetrugs kann meines Erachtens durchaus als eine „Krankheit des Sports“ bezeichnet werden,wenngleich die beiden Erkrankungen in deren Auswirkungen für die Menschheit unvergleichlich sind. Zunächst hatte diese Krankheit das Ausmaß einer Epidemie. Doch auch hier ist schon seit längerer Zeit zu beobachten, dass sämtliche Staaten der Welt und sämtliche Sportnationen von dieser „Krankheit des Sports“ betroffen sind. Liest man die jährlich veröffentlichten Statistiken der Welt-Antidoping-Agentur(WADA), so muss man erkennen, dass es in den vergangenen zehn Jahren in sämtlichen olympischen Sportarten zu Dopingverstößen gekommen ist und dass in allen Nationen, die an Olympischen Spielen teilgenommen haben, während dieses Zeitraumes Dopingverstöße aufgedeckt wurden.
Ähnlich wie bei der Corona-Krankheit ist die Frage nach dem Ursprung des Dopingproblems nur sehr unzureichend beantwortet und in gewisser Weise noch immer nicht geklärt. Erste Anzeichen des Dopings zeigen sich uns bereits in der griechischen Antike und bei den antiken Olympischen Spielen, doch das genaue Ausmaß der Krankheit während dieser Zeit lässt sich aus der Sicht von heute nur noch sehr ungenau bestimmen. Die moderne Variante dieser Krankheit hat vermutlich ihren Ursprung zur Zeit des Kalten Krieges in der Sowjetunion, in der DDR, in den USA und in den westlichen Industrienationen. Ähnlich wie bei Corona wird dabei der „Schwarze Peter“ bis heute zwischen verschiedenen Nationen hin und her geschoben. Bei Corona ist vor allem noch China hinzugekommen, das mittlerweile als entscheidende Quelle der Corona – Pandemie definiert wird, von China selbst jedoch bestritten und mit dem Vorwurf gekontert wird, dass die Quelle in den USA zu suchen ist. China spielt jedoch mittlerweile bei der Übertragung der „Dopingkrankheit“ eine zentrale Rolle. Dies gilt sowohl für die Produktion der pharmakologischen Substanzen, die die pandemische Verbreitung der „Dopingkrankheit“ vorantreiben, als auch für deren Anwendung bei nationalen und internationalen Sportereignissen.

In diesen Tagen ist in einer der wichtigsten Zeitschriften der Welt, in der Zeitschrift „Foreign Affairs“ ein Artikel der sechs führenden amerikanischen Epidemiologen mit dem Titel „The Forever Virus“ erschienen. Das Coronavirus wird dabei  als das „ewige Virus“ gesehen, in Anspielung auf den „ewigen Krieg“ von dem ja viele meinen, dass er auch in diesen Tagen immer wieder von neuem auszurufen ist. Andrian Kreye weist am 27. August in einem Essay in der SZ darauf hin, dass die militärischen Allegorien im Kampf um die Weltgesundheit allerdings etwas schief sind. “Schon alleine deswegen, weil es sich hier um einen dezidiert asymmetrischen Kampf der Menschheit gegen mikroskopische Organismen handelt, die mit Mitteln der Evolution wie der Mutation den Menschen immer ein paar Schritte voraus sein werden“. Dieser Hinweis stellt wohl den militärischen Vergleich ein wenig infrage, er macht uns aber in dem von mir zu behandelnden Vergleich auf eine weitere Parallele der „Dopingkrankheit“ zu einer Covid 19 – Erkrankung aufmerksam. Auch der Kampf gegen Doping zeichnet sich dezidiert durch eine Asymmetrie aus. Im Sinne eines Hase- Igel-Rennens müssen sich die diejenigen, die gegen das Dopingproblem angehen, damit abfinden, dass sie den Erzeugern der krankmachenden Substanzen –  und damit  der Krankheit selbst –  immer nur einige Schritte näherkommen. Doch jene Mittel, mit denen die Krankheit sich perpetuiertf, werden laufend verändert und gleichen der Evolution und der Mutation von Viren, mit denen der Mensch seit Anbeginn des menschlichen Lebens zu leben hat, die für ihn in vielfacher Weise auch nützlich sind, die aber auch sein Leben bedrohen können und mit denen er zukünftig auch weiter zu leben hat.

Im derzeit stattfindenden Kampf gegen das Doping Problem im Bereich des Sports lassen sich noch eine ganze Reihe weiterer Parallelen aufzeigen, wie sie auch bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie zu beobachten sind. Erwähnt seien vielleicht noch die Spät-und Langzeitfolgen von Doping einerseits und die Folgen von Long-COVID andererseits, die beide  wissenschaftlich nur sehr unzureichend erforscht sind.

Die sechs amerikanischen Epidemiologen weisen zu Recht in ihrem Artikel darauf hin, dass nur eine globale Strategie für eine globale Bedrohung die notwendige und tragfähige Lösung sein kann. Sie vertreten die Auffassung, dass dann, wenn es beim ersten Auftauchen der Coronaerkrankung zu einer sehr schnellen und rechtzeitigen Zusammenarbeit zwischen China und den USA gekommen wäre, man Schlimmeres hätte verhindern können. Sie fordern deshalb den Aufbau globaler Infrastrukturen, wenn die Welt die nächste Pandemie verhindern möchte. Die WHO oder Impfnetzwerke wie „Covax“ können dabei nur als erste Anfänge bezeichnet werden. Es gibt nach Auffassung der Autoren keine Infektionswellen, die irgendwann einmal aufhören werden. Die Metapher vom „ewigen Virus“ soll uns viel mehr zwingen, über einen langen „Weg ohne Ziel“ nachzudenken, wo gleichsam der Weg das Ziel ist. Angesichts der Tatsache, dass mittlerweile Corona-Viren bereits in mehr als einem Dutzend verschiedener Tierarten nachgewiesen wurden, ist die Annahme der führenden amerikanischen Epidemiologen mehr als wahrscheinlich.
Genau an dieser Stelle macht es Sinn, den Vergleich zwischen Corona und Doping fortzuführen. Auch beim Doping-Kampf müssen wir davon ausgehen, dass auch er ein langer Weg ohne Ziel bleiben wird. In jedem von Regeln geleitetem Handeln der Menschheit kann man davon ausgehen, dass Regeln befolgt werden, aber dass es ebenso wahrscheinlich und möglich ist, dass Menschen bei ihrem Handeln bewusst gegen Regeln verstoßen. Der Kampf gegen Doping gleich deshalb einer „unendlichen Geschichte“. Es wird immer wieder neue pharmakologische Substanzen und technologische Methoden geben, die möglicherweise aus vernünftigen Gründen entwickelt wurden, im System des Sports aber missbräuchlich genutzt werden, um die sportliche Leistung eines Athleten oder einer Athletin auf unfaire Weise zu manipulieren. Es wird immer wieder Betrüger im System des Sports geben, die die Glaubwürdigkeit der sportlichen Leistung in den Olympischen Wettkämpfen in Frage stellen und damit auch leider immer auch die Reputation jener Athleten beschädigen, die bei den Wettkämpfen dem bedeutsamen Prinzip des Fair Play verpflichtet sind.
Ähnlich wie bei der Bekämpfung des Coronavirus gibt es also im Dopingkampf keinen Sieg als Ziel. Andrian Kreye weist in seinen Reflexionen über die Corona – Pandemie darauf hin, dass es „aber sehr wohl einige Zwischenstopps auf dem Weg zu einem Umgang mit dem ewigen Virus (gibt), der die Welt wieder in einen Normalzustand bringen kann. Der ist erreicht, wenn COVID-19 mit Schutzmaßnahmen, Impfkampagnen und Möglichkeiten der Behandlung in die Kategorie der Grippen und Schnupfen gefallen ist. Das ist noch ein weiter Weg.“
Die „Zwischenstopps“ im Anti-Dopingkampf sind deshalb in gleicher Weise von Bedeutung wie im Kampf gegen die Corona – Pandemie. Ein umfassendes „Aufklärungsprogramm“ über die Dopinggefahren, ein verlässliches und tragfähiges „Kontrollsystem“, gerechte und abschreckende „Sanktionen“, „Schutzmaßnahmen für saubere Athleten und Athletinnen“ und „glaubwürdige Funktionäre und Funktionärinnen“ sind die Namen der Zwischenstopps, auf die es bei der Bekämpfung des Dopings im System des Sports ankommt.

Die amerikanischen Experten kommen bei ihren Ausführungen zu einem naheliegenden Fazit: „Wenn Viren keine Grenzen kennen, darf es die Antwort auf den nächsten Ausbruch auch nicht“. Diese Aussage bedeutet eine eindeutige Absage an nationale oder kontinentale Alleingänge in der Bekämpfung der Corona – Pandemie, wie sie derzeit in der Welt noch überall zu beobachten sind. In Sonntagsreden wird von vielen Politikern von der globalen Verantwortung gesprochen, in der Realität haben jedoch die führenden Industrienationen nur an sich selbst gedacht. Selbst der europäische Einheitsgedanke wurde dabei teilweise aufgegeben; neue Grenzen wurden gezogen, wo man geglaubt hat, dass sie nicht mehr existieren, hektisch wurden nahezu täglich neue Regeln kommunal, regional und national eingeführt, deren Tragfähigkeit und Durchführbarkeit bereits mit der Einführung von vielen Experten infrage gestellt wurden. Dies alles geschah wohl wissend, dass Viren sich global ausbreiten, dass sie einer ständigen Mutation unterliegen können und dass nur mit einer globalen Initiative die verlässlichen „Zwischenstopps“ geschafft werden können, wenn man erreichen will, dass die Krankheit COVID-19 zukünftig bei deren Behandlung in die Kategorie der Grippen und Schnupfen fallen soll.
Gefährliche nationalistische Interessen, wie sie im Kampf gegen die Corona – Pandemie zu beobachten sind, gibt es schon seit langem auch in der Welt des Sports. War der internationale Sport während des „Kalten Kriegs“ vor allem von einem Ost-West-Konflikt geprägt, in dem die USA und die Sowjetunion eine zentrale Rolle eingenommen hatten, so kann seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion im Weltsport ein in fragwürdiger Weise zunehmender Nationalismus beobachtet werden. Sportliche Erfolge sind vor allem für die vielen jungen Nationen immer bedeutsamer für die nationale Repräsentation ihrer Staaten geworden. Der weitverbreitete Nationalismus im System des Weltsports muss deshalb durchaus auch als eine von mehreren Ursachen benannt werden, die den Betrug mittels Dopings begünstigen und die weltweite Ausbreitung der Doping-Krankheit verursacht haben. Egoistische Interessen einzelner internationaler Sportverbände verhindern gleichermaßen wie nationale Interessen wichtiger Sportnationen die Einführung dringend notwendiger Stoppregeln bzw. Zwischenstopps bei der weiteren Entwicklung des Weltsports. Partikularinteressen verhindern globale Maßnahmen. Geldgier verdrängt ethische Maximen in den Hintergrund.
Der hier unternommene Versuch die Corona Pandemie und die Doping Pandemie miteinander zu vergleichen könnte möglicherweise noch fortgeführt werden. Besonders wichtig scheint mir dabei die Metapher des „ewigen Virus“ zu sein und die Annahme, dass es bei beiden Pandemien keinen „Sieg als Ziel“ geben kann. Vielmehr kommt es auf das „Nachdenken über den Weg ohne Ziel“ an. Für die Zukunft des olympischen Sports scheint diese Art von Denken dringend geboten zu sein.

Letzte Bearbeitung: 19.September 2021