Die Bundesjugendspiele sind nicht das Problem

Für die demokratische Verfasstheit unsere Gesellschaft hat das Leistungsprinzip eine grundlegende Bedeutung. Die Frage, was für die gesellschaftliche Positionierung eines Individuums in einer Demokratie ausschlaggebend sein soll, mit welchen Kriterien Macht und Wohlstand zu legitimieren sind, das Oben, das Unten und die Mitte in einer Gesellschaft zu definieren  ist, wird nahezu von sämtlichen wissenschaftlichen Experten¹, die sich mit dieser Frage beschäftigt haben, ziemlich klar und eindeutig beantwortet. Von den gesellschaftlichen Prinzipien, die zur Beantwortung dieser Frage zur Verfügung stehen, kann und soll es nur das Leistungsprinzip sein, das Antworten auf diese Fragen geben darf. Nicht die Geburt und Herkunft, nicht die Rasse, nicht die Religion, nicht das Vermögen, nicht Vetternwirtschaft und Lobbyismus sollen und dürfen über die Frage entscheiden, welche Stellung ein Individuum in unserer Gesellschaft einnehmen kann und darf. Von einem Spaß–, Freude–, oder  Lustprinzip ist dabei nirgendwo die Rede. Das Leistungsprinzip als das zentrale Zuordnungskriterium einer demokratischen Gesellschaft wurde und wird von Philosophen, Politologen, Soziologen und Psychologen  begründet, mit fundierten Argumenten gestützt und hat sich im vergangenen Jahrhundert als besonders tragfähig für kapitalistische Gesellschaften erwiesen. Institutionen, in denen das Leistungsprinzip seine Gültigkeit hat, haben sich bei der Entwicklung demokratischer Gesellschaften als besonders geeignet und anschlussfähig erwiesen. Dies gilt für das Bildungssystem, für die Wissenschaft, für Kunst und Kultur gleichermaßen wie es aus naheliegenden Gründen vor allem für den Bereich der Wirtschaft gelten sollte. Der Wettkampfsport, wie er seit dem 19. Jahrhundert zunächst in England, dann in  Europa und später in der gesamten Welt beobachtet werden konnte und kann,  hat sich als ein besonderes wichtiges Beispiel zur Demonstration des Leistungsprinzips erwiesen und wird auch in vielen wissenschaftlichen Erörterungen zum Leistungsprinzip entsprechend berücksichtigt. Eine Kultur des Wettbewerbs und des Wettkampfs ist eine geradezu ideale Grundlage für die Weiterentwicklung von demokratisch verfassten kapitalistischen Gesellschaften.  

Damit der Sport eine wichtige Rolle in einer solchen Kultur des Wettbewerbs und der Wettkämpfe spielen kann, ist es wichtig, dass er das Leistungsprinzip in seinen unterschiedlichen Erscheinungsformen im Schulsport, im Sport an Universitäten, im Sport in Vereinen, bei nationalen und internationalen Wettkämpfen, in Wettkämpfen für alle Altersgruppen  und in einem für alle Menschen zugänglichen offenen Wettkampfsportangebot aktiv und demonstrativ zum Ausdruck bringt.
Die Schlagzeilen und Berichte über ein bestimmtes Ereignis des Schulsports, die in diesen Tagen und Wochen in allen Medien thematisiert werden, wirken mit Blick auf die herausragende Bedeutung des Leistungsprinzips für die Sportkultur unserer Gesellschaft irritierend und verstörend. Was ist geschehen? 

Die höchste für den Schulsport zuständige Behörde, die Konferenz der Kultusminister der Länder (KMK) hat bekannt gegeben, dass die Bundesjugendspiele, wie sie über mehr als 70 Jahre in Deutschland stattgefunden haben, für den Grundschulbereich nicht mehr in der tradierten Form fortgeführt werden und durch eine reformierte schulische Veranstaltung zu ersetzen ist. 

Eigentlich könnte und müsste man sich freuen, dass endlich die massenmediale Aufmerksamkeit  dem Schulsport gilt, nachdem er über Jahrzehnte diesbezüglich vernachlässigt wurde. Die Probleme, die im öffentlichen Schulwesen in dessen Schulsport und besonders im Sportunterricht schon seit langem nahezu täglich zu beobachten sind, sind komplex, vielfältig und nur schwer lösbar. Das Klagelied über den Schulsport weist viele Strophen auf. Es reicht von den nie erreichten 3 Stunden Sportunterricht pro Woche, den didaktisch strittig diskutierten Unterrichtszielen, der curricularen Überforderung des Unterrichtsfaches, des Lehrermangels, den unzureichend ausgestatteten Unterrichtsstätten bis hin zur gelegentlich auch mangelhaften Kompetenz des Lehrpersonals und der jährlich sich verschlechternden motorischen Fertigkeiten und Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler. Zu dieser Liste von Problemen gehört ohne Zweifel auch das schulische Wettkampfwesen in Deutschland,  das vor allem im Vergleich zu anderen Ländern als nahezu bedeutungslos zu bezeichnen ist. Die Bundesjugendspiele sind bei einem didaktisch angemessen eingeordnetem und richtig verstandenem  pädagogischen Wettkampfwesen in öffentlichen Schulen nur ein Teilaspekt eines schulischen Wettkampfwesens. Deshalb muss es wirklich überraschen, mit welchem Eifer und teilweise auch mit welcher Polemik in diesen Tagen nur über dieses Einzelproblem in Deutschland diskutiert wird, ohne die sehr viel gravierenden Probleme des Unterrichtsfaches Sport im mehrgliedrigen Schulsystem in Deutschland überhaupt zu beachten und zur Kenntnis zu nehmen. 

Der Ausschuss für die Bundesjugendspiele und die Kommission „Sport“ der KMK hatten bereits im März 2021 eine Entscheidung zur Reform der Bundesjugendspiele getroffen.  Für das Schuljahr 2022/23 wurde dabei empfohlen, in den Klassenstufen 3-4 in den Grundsportarten Leichtathletik und Schwimmen wie bisher zu verfahren, allerdings wurde die Angebotsform „Wettbewerb“ empfohlen. Ab dem Schuljahr 2023/24 sollen in diesen Klassenstufen die Grundsportarten Leichtathletik und Schwimmen nur noch in Wettbewerbsform angeboten und durchgeführt werden. In der Grundsportart Gerätturnen gelten in den Klassenstufen 1-4 weiterhin die Wettkampf- und die Wettbewerbsform. Einige Mängel der bestehenden Bundesjugendspiele wurden dabei zu Recht aufgedeckt und einige der Ideen, die der Reform zu Grunde liegen sind pädagogisch durchaus begründet und durchdacht. Die Kommunikation über die beschlossene Reform war jedoch in jeder Hinsicht unzureichend und kann bis heute auch noch immer nicht gravierende Missverständnisse ausschließen.  

Wie  es des Öfteren schon üblich gewesen ist, wurde nun auch in diesem Jahr kurz vor den Sommerferien mal wieder über die Bundesjugendspiele gesprochen und  das öffentlich-rechtliche Fernsehen, aber auch viele Tageszeitungen, Presseagenturen und die „Sozialen Medien“ meinten, dass dieses Thema nun auch in diesem Sommer in den Blick der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt  werden muss, ohne sich der genaueren Inhalte der Reform zu versichern. 

Am 5.7.2023 wurde dafür von der dpa der Startschuss mit der Überschrift: Bundesjugendspiele: „Kein Wettkampf für Grundschüler mehr“ abgeschossen. Frank Rumpenhorst von der dpa führt hierzu aus: „Die Bundesjugendspiele: eigentlich sollen sie Lust auf Bewegung und Sport machen. Trotzdem verbinden Generationen von Schülerinnen und Schülern die alt bekannten Wettkämpfe nicht nur mit Freude, sondern auch mit Frust – etwa, wenn die Mitstreiter auf dem Sportplatz besser werfen oder springen konnten. Ab dem Schuljahr 2023/2024 sollen die Leistungen von Grundschülern nun anders und weniger stark bewertet werden – statt eines Wettkampfs soll es nur noch den Wettbewerb geben… die Sportarten Leichtathletik und Schwimmen müssen künftig alle Grundschulen bis zur vierten Klasse als Wettbewerb austragen – und nicht nur die erste und zweite Klasse wie bisher… Mit dieser Neuerung sollen die Spiele ab dem nächsten Schuljahr kindgemäßer werden“.
In der Tagesschau der ARD wurde dann am 06.7.2023 folgendermaßen darüber berichtet: „Bundesjugendspiele: weniger Wettkampf, mehr Teamgeist. Ab dem kommenden Schuljahr sollen die Bundesjugendspiele an den Grundschulen anders bewertet werden. Statt der Einzelleistung stehen dann die Ergebnisse eines ganzen Teams im Fokus… Mit einem neuen Konzept soll die Lust im Sport erhöht werden, so der Gedanke des Ausschusses für Bundesjugendspiele und der Kommission Sport (Spoko) der Kultusministerkonferenz (KMK). Es soll weniger auf die Einzelleistung geschaut werden, vielmehr soll das Teamergebnis im Vordergrund stehen. Der Wettkampf, mit festgelegten Kriterien für einzelne, weicht einem Wettbewerb, bei dem nach der Leistung einer Jahrgangsstufe oder einer Klasse beurteilt wird. Im Fall des Weitsprungs bedeutet das, dass Schülerinnen und Schüler in Zonen springen. Das Maßband hat dann ausgedient. Liegt die Zone weiter weg, bekommen sie mehr Punkte. Am Ende werden alle Punkte des Teams zusammen gezählt“. 

SWR- Sportredakteur Michael Klang behauptet am 7. Juli in der ARD Sportschau: „Die Reform der Bundesjugendspiele ist richtig und wichtig. Bei vielen Kindern sorgen die Bundesjugendspiele für leuchtende Augen, für andere ist der Tag eine Tortur. Deshalb ist die Reform weg vom Leistungsgedanken der richtige Weg… in Zukunft sollen bei den Bundesjugendspielen vermehrt Wettbewerbe statt Wettkämpfe ausgetragen werden. Damit wird der Druck auf eher unsportliche Kinder verringert. Und das ist gut so. Das Letzte, was übergewichtige Kinder und solche mit motorischem Nachholbedarf brauchen, ist ein sportlicher Wettkampf. Angesichts der Resultate gibt es stattdessen nur mehr Frust statt Lust auf Bewegung“. 

Danach jagt eine Überschrift die nächste und die Tageszeitungen versuchen, sich gegenseitig in ihrer Polemik zu übertreffen: “Keine Punktetabellen mehr“ (Tagesspiegel 06.7), „Reform der Bundesjugendspiele? Jubel und Grauen in der Weitsprunggrube“ (Augsburger Allgemeine 04. Juli), „Protest gegen Bundesjugendspiele – Mutter sieht erste Erfolge“ (Sport1). 

Dazu passt  dann auch ein Satiremagazin und dessen Beitrag mit der Überschrift  „Endlich zeitgemäß – Bundesjugendspiele künftig ohne Sport“. Demnach haben sich Schüler an die Tartanbahn aus Protest gegen die Umweltverschmutzung durch Marathonläufer festgeklebt und die Mehrheit der Schülerinnen und Schülern lehnt das Werfen eines Schlagballs entschieden ab, weil zum einen Unklarheit darüber herrsche, ob das Wurfgerät auch wirklich vegan und nicht doch aus Leder sei, zum anderen sei der Name zu martialisch und verletze Gefühle. Die Bundesjugendspiele nehmen demnach keine Rücksicht auf eine ausgewogene „Work Life balance“ und die Unterschrift von einem „Frank Walter Steindingens“ mache nichts her, so die übereinstimmende Meinung der Generation Z, Xbox und Alpha“.  

Angesichts eines derart massenmedialen Getöses ist es wohl nahezu zwangsläufig und üblich, dass sich daraufhin Politiker und Funktionäre zu Wort melden,  sich in Szene setzen und meist äußerst redundant genau das noch einmal wiederholen, was andere schon mehrfach zuvor gesagt haben. So haben gleich mehrere Sprecher der Kultusministerien aus verschiedenen Bundesländern mit zustimmenden Worten die Reform begrüßt. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sieht ebenfalls in der Reform „einen guten Ansatz aber noch Luft nach oben“. Ihr Vorstandsmitglied meint dazu: „Man hätte aber noch einen größeren Schritt machen können, zum Beispiel indem wir noch stärker das Team in den Mittelpunkt stellen, dass man bestimmte Sportarten anbietet oder sich gegenseitig hilft bei bestimmten Dingen. Auch sollte jeder in irgendeiner Form prämiert werden, ohne dass die Teilnehmer mit verschiedenen Urkunden verglichen werden“. 
Die Landesschülervertretung Rheinland-Pfalz hat die komplette Abschaffung der Bundesjugendspiele gefordert, denn diese Spiele seien eine Zwangsveranstaltung. Die Schüler und Schülerinnen würden einem starken und absolut unfairen Wettbewerbsdruck ausgesetzt, anstatt den Spaß am Sport zu fördern. Als Alternative schlägt die Schülervertretung Sportfeste auf freiwilliger Basis vor.
Ganz besonders  begrüßt wird die Reform vom Deutschen Leichtathletikverband und für den Berliner Leichtathletikverband begrüßte dessen Vizepräsident das neue Konzept: „Es ist ein guter Entschluss… In der Vergangenheit war ja ein Kritikpunkt an den Bundesjugendspielen, dass nicht so talentierte Kinder diese eher als Last empfanden“.
Auch der Vize- Präsident des Deutschen Sportlehrerverbandes begrüßt die Reformpläne. Man würde die Kinder auf diese Weise mit Spaß und Freude an das Thema Sport heran führen, damit sie möglichst lange dabei bleiben. 
Aus Hessen kommt gleichermaßen wie aus Brandenburg Beifall aus dem Kultusministerium: „Die neue Form des Wettbewerbs eröffnet  einen besonders kindgemäßen Zugang zu den Bundesjugendspielen.“ 

Es gibt aber auch einige Gegenstimmen, die erwähnenswert sind. So appelliert der Deutsche Verband für Bildung und Erziehung (VBE), den Wettkampfcharakter bei den Bundesjugendspielen beizubehalten und die Berliner Bildungssenatorin Katharina Günther – Wünsch (CDU) sagte der Deutschen Presseagentur: „Wir tun unseren Kindern keinen Gefallen, wenn wir so tun, als ob sich messen und Leistung nichts mit dem Leben zu tun hätten.“ In einem pro und contra Austausch in der ARD Sportschau fragt die SWR- Sportredakteurin Alexandra Waidner: „Ist es beim Turnen vielleicht einfach unmöglich, die gleiche Verbesserung der Leistung einzuführen wie in der Leichtathletik oder im Schwimmen? Im Weitsprung soll es beispielsweise Zonen geben, in die man springen muss, statt einer eindeutigen Bestimmung der Leistung mit dem Maßband. Aber ist das wirklich zielführend? Gibt es denn künftig bei Mathearbeiten Annäherungsergebnisse, also wer bei 3 + 3 auf fünf oder sieben kommt, liegt immer noch richtig?… Es ist unbestritten, dass es wichtig ist, Kinder für den Sport zu begeistern und die Freude an der Bewegung zu vermitteln. Aber muss das zwingend auf Kosten des Leistungsgedankens gehen? Leistung ist doch grundsätzlich etwas positives, eine Verbesserung der Leistung motiviert. Wenn ich also im zweiten Versuch 3 cm weiter springe, habe ich mich verbessert, wenn ich in den gleichen Bereich springe, bin ich stehen geblieben – ist das wünschenswert? Und wenn es um Fairness, Respekt, Teamfähigkeit und soziale Kompetenzen geht, wie es im Papier so schön heißt, ,,Wie lernt man das denn? Indem ich den besten meinen Respekt zeige, indem ich lerne auch mal zu verlieren, indem ich aber auch lerne, dass sich üben lohnt, dass man dadurch voran kommt. Im echten Leben ist man schließlich auch nicht immer erster, sondern man muss lernen, mit Niederlagen und Rückschlägen klarzukommen. All das vermittelt der Wettkampf… Und umgekehrt einmal von den guten Sportlern aus betrachtet: Warum nimmt man diesen Kindern ihre Erfolgserlebnisse im Sport? Dort der Beste zu sein, eine Ehrenurkunde zu gewinnen stärkt das Selbstvertrauen enorm. Außerdem könnte man auch beides machen, also den Wettkampf lassen und Wettbewerbe zusätzlich anbieten – dann würde die Umsetzung zwar nicht „leichter“, wie es auch so schön heißt, sondern aufwändiger. Aber im Sinne unserer Kinder sollten wir vielleicht nicht immer den einfacheren Weg suchen, sondern den, der alle bestmöglich fördert und fordert – die Sportunwilligen und die Sportbegeisterten.“
Mittlerweile haben sich nahezu alle Tageszeitungen, Radiosender, Fernsehanstalten und sonstige Medien an der Diskussion über den „Sinn“ und „Unsinn“ von Bundesjugendspielen mit unzähligen „Pro und Contra“- Rubriken beteiligt, ohne dass man dabei wirklich neue Erkenntnisse präsentieren  konnte. 

Um beurteilen zu können, was diese Reform bedeutet, muss man sich daran erinnern, was die Bundesjugendspiele zuvor gewesen sind. Die Bundesjugendspiele wurden vor 70 Jahren gegründet und sie sind eine verpflichtende schulische Sportveranstaltung, die einmal im Jahr an allen Schulen bis zur zehnten Klasse durchgeführt wird. Die Schülerinnen und Schüler nehmen an den Sportarten Turnen, Schwimmen, Leichtathletik (werfen, laufen, springen) teil und werden nach ihrer jeweiligen Leistung beurteilt. Leichtathletik wird dabei am häufigsten angeboten. Die Leistungen werden mit Punkten bewertet. Die Schülerinnen und Schüler, die eine festgelegte hohe Punktzahl erreichen, bekommen eine Ehrenurkunde. Wer eine bestimmte Mindestpunktzahl erreicht, erhält eine Siegerurkunde. Für alle anderen gibt es eine Teilnahmeurkunde. 

Wenn über die Bundesjugendspiele gesprochen wird – und dies ist sehr auffällig bei all diesen hier zitierten Stellungnahmen – so wird unwidersprochen eine Semantik für die Worte „Wettkampf“ und „Wettbewerb“ akzeptiert, die sich zumindest im Widerspruch zum bisherigen Gebrauch dieser Begriffe in der deutschen Sprache und in der Geschichte des Sports befindet und auch vom Duden nicht gestützt wird. Dabei sollte man sich erinnern, dass beide Begriffe vom Begriff der „Wette“ abstammen und damit ihren Ursprung im englischen Sport haben, wobei es im englischen Sprachgebrauch mit „competition“ nur einen Begriff dafür gibt und damit die deutsche Sprachverwirrung ausgeschlossen ist. Sucht ein Engländer nach der Bedeutung dieser beiden Begriffe, so wird ihm mitgeteilt, dass beide Wörter „competition“ meinen und „Wettkampf“ ein „sports competition“ ist, den man auch Wettbewerb nennen kann“. 
Im Duden meint man mit dem Begriff „Wettkampf“ einen Kampf um die beste sportliche Leistung und mit dem Begriff „Wettbewerb“ etwas, woran mehrere Personen im Rahmen einer ganz bestimmt Aufgabenstellung, Zielsetzung in dem Bestreben teilnehmen, die beste Leistung zu erzielen, Sieger zu werden“. 
Dass wir hier von Synonymen zu sprechen haben, ist somit offensichtlich und man kann sich nur wundern wie die von der in unserer Gesellschaft  höchsten Bildungsinstanz, der Kultusministerkonferenz, ausgelöste Sprachverwirrung von allen Massenmedien und von allen nachgeordneten Institutionen hingenommen wird. An andere deutschsprachige Länder haben sie dabei vermutlich ohnehin nicht gedacht, denn in Österreich spricht man von einem „Bewerb“, wenn von Wettkämpfen im Sport die Rede ist. 

Auffällig an der derzeitigen Diskussion über die Bundesjugendspiele ist ferner, dass man sich dabei auf Erinnerungen beruft, die angeblich oder tatsächlich Menschen bei ihrer Teilnahme an früheren Bundesjugendspielen gemacht haben. Es ist dabei von „Frust und Schrecken“ und von „Tortur“ die Rede. Fast immer handelt es sich dabei um Einzelwortmeldungen, deren genaue Hintergründe nicht hinterfragt werden. Auf eine tragfähige wissenschaftliche empirische Studie über die Wahrnehmung der Bundesjugendspiele durch ihre Teilnehmerinnen und Teilnehmer können sich auf jeden Fall die Kritiker nicht berufen, die sich lautstark für eine Reform der Bundesjugendpiele oder gar für deren Abschaffung zu Wort gemeldet haben. Für die Sportpädagogen an den nahezu 100 sportwissenschaftlichen Einrichtungen in der Bundesrepublik ist dieser Sachverhalt ganz gewiss kein Ruhmesblatt.
Beachtet man hingegen die vorliegenden wissenschaftlich fundierten Studien über die Entwicklung der motorischen Leistungsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen in den vergangenen 50 Jahren – beispielhaft und lesenswert sind dabei vor allem die Studien von Klaus Bös und die Untersuchungen von Klaus Paul zu den Anforderungen bei den Bundesjugendspielen im Zeitverlauf von 1951 bis 2021 – so kann man nur davor warnen, die im öffentlichen Schulwesen viel zu geringe Zeit, die für die Entwicklung der sportmotorischen Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Verfügung steht, lediglich auf Spaß und Spiel zu verkürzen und das motorische Leisten und kindgemäße Wettkämpfe aus dem Blick zu verlieren wie es in der massenmedialen Rezeption der Reform der Fall war. In diesem Zusammenhang sollte auch die jüngste Studie des Augsburger „Instituts für Generationenforschung“ beachtet werden,  bei der 1048 Jugendliche der Jahrgänge 1995 bis 2010 befragt wurden. Diese Jugendlichen verbringen täglich im Durchschnitt 344 Minuten „im Netz“. Je jünger desto geringer ist ihr Interesse am Sport und  an Sportveranstaltungen. Die Jugendlichen betreiben immer weniger aktiv Sport. Hingegen wird E- Sport immer populärer.  

Wer – wie ich –  mehrere Enkel hat und die Bewegungslust,  die Leistungsbereitschaft, den Wetteifer und die Freude am gegenseitigen Überbieten bei einem vierjährigen und achtjährigen Kind und bei einem 14 jährigen Jungen und einem 16 jährigen Mädchen beobachten kann und sich über deren Sportbegeisterung freut, der muss sich bei der hier vorgegebenen Reform der Bundesjugendspiele die Frage stellen, ob sich die Kritiker der Bundesjugendspiele, wie z.B. eine „besorgte Mutter“, die bereits 2015 eine Petition zur Abschaffung der Bundesjugendspiele gestartet hatte, aber auch verschiedene Bildungspolitiker, Sportwissenschaftler,  Lehrkräfte und Schülervertretungen, dem für unsere Gesellschaft so wichtigen Leistungsprinzip ausreichend verpflichtet fühlen und ob hier nicht „das Kind mit dem Bade ausgeschüttet“ wird. Von meinen vier Enkelkindern würde ich zum jetzigen Zeitpunkt lediglich die achtjährige Maya als ein sportliches Talent bezeichnen. Sie schlägt ein Rad und springt einen Kopfsprung mit perfekter Körperspannung, mit ihrer Tauchleistung kann sie sich bereits mit ihrem Vater messen und bei einem Circuittraining, für das ich für die Kinder im Garten ein paar Stationen aufgebaut habe, kann sie mit außergewöhnlich guten Sprungleistungen überzeugen. Auf der Grundlage eines gesunden Ehrgeizes sind die vier Enkel gleichermaßen bemüht, sich immer wieder zu verbessern, ihr Bestes zu geben und sich mit anderen zu vergleichen. Auf diese „spielerische“ Weise kommt das für unsere Gesellschaft so wichtige Leistungsprinzip schon bei Kindern zum Tragen. Wer die zahlreichen psychologischen Studien zur Leistungsmotivation im Sport zur Kenntnis genommen hat und die  Diskussionen über das Leistungsprinzip an deutschen Universitäten in der kritischen Zeit der „Achtundsechziger Jahre“ verfolgt hat, der müsste eigentlich gelernt haben, dass dann, wenn wir vom „Phänomen Sport“ sprechen und der Sport Gegenstand pädagogischer Unterweisung sein soll, es immer um einen Leistungsvergleich gehen wird, ganz gleich wie wir ihn benennen. Zur Feststellung von Leistung wird es immer und hat es immer  Kriterien gegeben. Für seine eigene Leistung kann man diese sich selbst setzen, man kann sie gemeinsam mit anderen  vereinbaren und es gibt auch sportliche Leistungen, die über vorgegebene Maßstäbe von internationalen Sportorganisationen gemessen werden. Es gibt die absolute und  die relative Leistung. Ob man mit dem metrischen System oder mit einem Messen durch das Erreichen von Zonen die Leistung einordnet, ist wahrlich völlig unbedeutend. Wird Leistung gemessen oder bewertet, so  wird es grundsätzlich immer auch zu einer Hierarchie der Personen untereinander kommen, die bewertet werden und die bessere Leistung – das zeichnet gerade das beispiellose Leistungsprinzip des Sports aus – ist sofort transparent erkennbar und sichtbar im Vergleich zur schlechteren Leistung. Wer dies als Diskriminierung bezeichnet, der hat die Prinzipien einer modernen Leistungsgesellschaft in einem demokratischen Gemeinwesen nicht verstanden. Es müsste geradezu eine Selbstverständlichkeit sein, dass man in pädagogischen Situationen für die zu betreuenden Kinder und Jugendlichen die geeigneten Gütekriterien definiert, um deren Leistung und deren Leistungsentwicklung einzuordnen, zu messen und zu qualifizieren. Die relative Leistung der Schülerinnen und Schüler und deren Entwicklung sollten dabei im Mittelpunkt stehen. Doch will man sie erfassen, so bedarf dies eines wie auch immer gearteten Messvorgangs. 
Würde man auf all dies verzichten, so würde man auch die Chance vergeben, Kompetenzen die über das Fach Sport hinaus reichen, mit dem Schulsport anzustreben, denn jede Wettkampfsituation ist ein „fruchtbarer Moment im Bildungsprozess“, den es zu nutzen gilt. Im sportlichen Wettkampf gibt es das Gerechtigkeitsversprechen, dass Leistung und nur Leistung zählt. In ihm herrscht strikte Meritokratie. Dem direkten Vergleich kann man dabei nicht entgehen. Im sportlichen Wettkampf gilt der „kategorische Komparativ“: Es genügt nicht einfach nur gut zu sein, man muss besser sein als die Konkurrenz. Ein erreichter Platz in einer Wettkampftabelle gilt immer nur so lange bis ein anderer vorbeizieht und die Führung übernimmt. Die Optimierungslogik im sportlichen Wettkampf ist ausschließlich quantitativ und bei diesem Wettkampf werden jene an den „Pranger“ gestellt, die auf anderes bauen als auf Talent und Trainingseifer. Die Realität des Sports hat sich vom Ethos des Fair Play immer mehr entfernt, das Gerechtigkeitsideal des Sports bleibt jedoch unverzichtbar. Beim sportlichen Wettkampf erreicht man seinen Erfolg immer in unmittelbarer Gegenwart der Konkurrenz und der Wettkampf selbst ist ein „kompetitiver Vollzug regelkonformer Handlungen“, wie er von Ulrich Bröckling2 auf äußerst präzise Weise gekennzeichnet wurde.  

Das eigentliche Ärgernis der aktuellen Diskussion über die Bundesjugendspiele ist allerdings darin zu sehen, dass mit dieser Diskussion um den Schulsport der Fokus auf einen einzigen Tag, auf den Tag der Bundesjugendspiele, verkürzt wird und die 40 Wochen in der Grundschule, an der (hoffentlich) 120 Stunden „Mehrperspektivischer Schulsport“ stattfinden sollte, völlig aus dem Blick geraten. Es ist jedoch genau dieser Schulsport der Grundschule, in dem die so viel zitierten und gelobten „sozialen Kompetenzen“ erworben werden müssen, in dem die Kinder lernen müssen, wie man durch Üben und Trainieren seine Leistungen verbessern kann, dass es im Sport neben den Gewinnen immer auch das Verlieren gibt, Konkurrenz und Assoziation auf das engste zusammenhängen. Die Bundesjugendspiele sind vor dem Hintergrund dieses Erziehungsauftrages im besten Falle eine Bewährungs-, Erfahrungs- und Erlebniswelt. Dabei liegt es ganz gewiss nicht an den sportlichen Wettkämpfen, die bei den Spielen ausgetragen werden, ob diese gelingen oder nur noch als frustrierendes Erlebnis abgebucht werden. 

Ich selbst habe sehr schöne Bundesjugendspiele an den von mir besuchten Schulen erlebt. Es waren Festtage innerhalb des Schuljahres: Der allgemeine Schulbetrieb stand still. Die Schulleitung und die gesamte Lehrerschaft waren bei diesem besonderen schulischen Ereignis anwesend und der Höhepunkt war abends vor Beginn des Sommerfests der Schule ein Vergleichskampf im Volleyball zwischen den Lehrern und den Schülern. Manchmal war es auch ein Fußballspiel auf dem Kleinfeld. 
Dieses Beispiel soll verdeutlichen, dass es meines Erachtens nicht an dem inhaltlichen Angebot der Bundesjugendspiele liegt, ob diese scheitern oder angenommen werden. Die Schuldirektoren, die Sportlehrerschaft, alle übrigen Lehrer, die Eltern und die Schülermitverwaltung haben es maßgeblich zu verantworten, ob es eine „Sportkultur“  an ihrer Schule gibt und ob dabei die Bundesjugendspiele das willkommene  Zentrum einer „Kultur des Wettbewerbs“ als Bestandteil dieser „Sportkultur“ an der Schule darstellen.  

¹ Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf „gendergerechte“ Sprachformen – männlich weiblich, divers – verzichtet. Bei allen Bezeichnungen, die personenbezogen sind, meint die gewählte Formulierung i.d.R. alle Geschlechter, auch wenn überwiegend die männliche Form steht.  

² Ulrich Bröckling: Wettkampf und Wettbewerb, Leviathan, 42 (2014), 71-81. 

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PS.: Mein ehemaliger Tübinger Kollege Hartmut Gabler, der ohne Zweifel der führende Sportwissenschaftler in Fragen der „Leistungsmotivation im Sport“ gewesen ist, hat mir zu diesem Beitrag einige Anmerkungen zukommen lassen, die ich den Lesern dieses Beitrages nicht vorenthalten möchte:

„Es ist sicherlich kaum zu bestreiten, dass das Leistungsprinzip die Grundlage der Notengebung in der Schule darstellt. In der Grundschule gibt es (zumindest gab es früher) noch zusätzliche Bewertungen wie Betragen und Fleiß sowie Kommentare. Es ist sicherlich auch nicht zu bestreiten, dass das Leistungsprinzip in der Arbeitswelt die zentrale Grundlage z.B. für dieVerteilung der Einkünfte ist, wobei im Blick auf die soziale Gerechtigkeit allerdings umstritten ist, nach welchen Maßstäben diese Verteilung erfolgt. Es muss aber auch berücksichtigt werden, dass es neben dem Leistungsprinzip in vielen Bereichen der Gesellschaft und auch im Sport noch andere Kriterien gibt, die der Anerkennung des Einzelnen zugrunde liegen. Im Sport sind es Fairness, Einsatzbereitschaft (vor allem im Mannschaftssport), soziale Unterstützung u.a.. In meinen Arbeiten zur Leistungsmotivation im Sport habe ich herausgestellt, dass die Leistungsmotivation als Auseinandersetzung mit Gütemaßstäben zu sehen ist. Diese Auseinandersetzung führt zu objektiven und subjektiv erlebten Erfolgen und Misserfolgen. Aufgabe des Lehrers ist es, diese Auseinandersetzung pädagogisch zu begleiten und dazu beizutragen, dass

• Misserfolge und Frustration, aber auch Erfolge angemessen verarbeitet werden,

• die „Hoffnung auf Erfolg“ gegenüber der „Furcht vor Misserfolg“überwiegt sowie

• Risiken angemessen eingeschätzt und Ziele realistisch gesetzt werden.

Alle diese Auseinandersetzungen sind die Grundlage für den Aufbau von Selbstvertrauen und einer positiven Persönlichkeitsentwicklung. Die gilt nicht nur für den Bereich des Sports, sondern für alle Bereiche der Persönlichkeitsentwicklung.Da das Erbringen einer sportlichen Leistung (vor allem im Schulsport) stets mehr oder weniger in einem sozialen Rahmen stattfindet, können sich hier auch soziale Kompetenzen (wie z.B. die Fairness) entwickeln. Wenn in diesemZusammenhang nur noch Teamleistungen gefördert werden, dann mussallerdings berücksichtigt werden, dass auch sie (mit Ausnahme z.B. im Rudern) aus Einzelleistungen bestehen.Diese theoretischen Grundlagen begründen, welche Bedeutung der leistungs- und wettkampforientierte Teil des Schulsports (und damit auch die Bundesjugendspiele) haben, aber immer begleitet mit den genannten pädagogischen Kompetenzen des Lehrers.

Hartmut Gabler

Letzte Bearbeitung: 4. August 2023